Beschluss vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 13/10 B

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2010 - L 2 SO 5276/09 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

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I. Im Streit ist die Übernahme nicht gedeckter Beiträge zur privaten Krankenversicherung des Klägers durch die Beklagte ab 1.8.2008.

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Der privat kranken- und pflegeversicherte Kläger bezieht seit dem 1.8.2008 von der Beklagten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die Beklagte berücksichtigte als Bedarf für die private Kranken- und Pflegeversicherung dabei statt der tatsächlichen Kosten von über 600 Euro nur 193,10 Euro monatlich (Bescheide vom 22.7.2008 und vom 12.12.2008; Widerspruchsbescheid vom 15.1.2009). Die Klage, mit der der Kläger die ungedeckten Kosten für seine private Kranken- und Pflegversicherung geltend gemacht hat, ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7.10.2009). In seiner Berufungsschrift hat der Kläger als "derzeitige Zustellanschrift" sein Postfach in Freiburg angegeben. Die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am Mittwoch, den 27.1.2010, ist mittels Postzustellungsurkunde an die S straße in F eine Obdachlosenunterkunft, die erstinstanzlich vom früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers angegeben worden war - gesandt worden. Weil die Übergabe des Schriftstücks scheiterte, ist es in den "zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung" eingelegt worden. In der mündlichen Verhandlung vom 27.1.2010 ist der Kläger nicht erschienen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2010). Am 9.2.2010 hat der Kläger (im Parallelverfahren L 2 SO 5275/09) telefonisch mitgeteilt, er habe keine Schreiben vom LSG bekommen und durch Zufall von der Obdachlosenunterkunft die Schreiben erst jetzt erhalten. Die Adresse S straße in F stimme nicht bzw sei die Adresse der Obdachlosenunterkunft. Er habe eine Postfachadresse angegeben, an die die Post habe gehen sollen. Schreiben des LSG habe er nicht beantworten können, weil er sie nicht erhalten habe; auch nicht den Prozesskostenhilfe-Beschluss.

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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Die Terminsladung sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Dieser Zustellungsmangel sei auch erheblich, weil er die Terminsladung tatsächlich nicht erhalten habe. Die nicht ordnungsgemäße Ladung eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung sei ein im Revisionsverfahrens zu beachtender Verfahrensmangel. Die mündliche Verhandlung sei das Kernstück des gerichtlichen Verfahrens, um dem Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu genügen.

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II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

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Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs liegt vor und führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.

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Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14). Vor allem in der mündlichen Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.

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Diese Möglichkeit hatte der Kläger jedoch nicht, weil er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist und deshalb die Ladung nicht erhalten hat. Aus den beigezogenen Akten des LSG lässt sich die Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nachvollziehen. Danach hat er in der Berufungsinstanz als Zustellanschrift (nur) sein Postfach angegeben. Das LSG durfte daher nicht an die früher - erstinstanzlich - noch maßgebende Anschrift die Ladung zustellen. Ob eine Ladung an die Postfachadresse möglich gewesen wäre, ist ohne Bedeutung für die Entscheidung. Eine Ladung muss nach § 63 Abs 1 Satz 2 SGG (in der Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.8.2001 - BGBl I 2144) nicht (mehr) zugestellt werden; vielmehr genügt schon die Bekanntgabe (etwa durch einfachen Brief oder durch Einwurfeinschreiben). Das LSG hätte die Ladung deshalb an das Postfach senden müssen, um sicherzustellen, dass die Ladung den Kläger erreicht. Dem LSG war durch E-Mail des Klägers auch bekannt, dass er keinerlei Schreiben, auch nicht den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss, erhalten hatte. Da der Kläger nicht ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen war, war das LSG gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden (BSG SozR 3-1750 § 551 Nr 6 S 18). Dass es dennoch entschieden hat, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör.

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Darlegungen dazu, dass das Urteil des LSG auf der Verletzung des Grundrechts des rechtlichen Gehörs beruhen kann, bedurfte es nicht. Ist ein Verfahrensbeteiligter gehindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon auszugehen, dass dieser Umstand für die Entscheidung ursächlich geworden ist (BSG SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2008, § 62 RdNr 11c).

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Nach § 160a Abs 5 SGG kann das Bundessozialgericht im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Letzteres ist - wie ausgeführt - der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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