Beschluss vom Bundessozialgericht (11. Senat) - B 11 AL 50/11 B

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

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I. Streitig ist, ob die Beklagte zur Förderung einer erneuten beruflichen Ausbildung des Klägers verpflichtet ist.

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Der schwerbehinderte Kläger, der bereits eine von der Beklagten geförderte Ausbildung zum Fachlageristen erfolgreich abgeschlossen hatte, beantragte bei der Beklagten am 17.1.2008 die Förderung einer Berufsausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik. Den Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, mit dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum Fachlageristen sei das Ziel der beruflichen Eingliederung erreicht und eine weitere Förderung nicht erforderlich (Bescheid vom 20.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 22.12.2008).

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Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 12.5.2009; Beschluss des Landessozialgerichts vom 21.3.2011). Das LSG hat ua ausgeführt: Es sei gleichgültig, ob man die begehrte Ausbildung als Weiterbildung iS des § 77 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) oder als erneute berufliche Ausbildung iS des § 101 Abs 4 SGB III qualifiziere; Voraussetzung sei jeweils, dass mit dem schon erlangten Ausbildungsabschluss eine dauerhafte berufliche Eingliederung nicht möglich sei. Diese Voraussetzung sei zu verneinen. Die Behauptung des Klägers, bei ihm vorliegende kognitive und emotionale Funktionsbeeinträchtigungen wirkten sich bei der Tätigkeit als Fachkraft für Lagerlogistik wesentlich weniger ungünstig aus als bei einer Tätigkeit als Fachlagerist, sodass entgegen der Annahme der Beklagten mit dem erlangten Berufsabschluss eine dauerhafte Eingliederung in das Arbeitsleben nicht erwartet werden könne, sei ersichtlich ohne Substanz und finde im Sachverhalt keine Stütze. Die Behauptung des Klägers sei nicht mit den Aussagen in den Berichten des Berufsbildungswerks D. vom 17.5.2006 und vom 20.6.2007 vereinbar. Auch der Vortrag des Klägers, er leide an einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und verfüge über die ADHS-spezifische Fähigkeit des Hyperfokussierens, sei wenig fundiert bzw aus der Luft gegriffen. Die Diagnose einer ADHS werde zwar im Bericht des Arztes Dr. H. vom 10.11.2005 genannt, sie treffe aber nach einem Arztbrief des Universitätsklinikums B. vom 10.10.2005 nicht zu. Vor diesem Hintergrund habe sich der Senat nicht veranlasst gesehen, vom Kläger beantragte Beweise zu erheben, weil die insoweit erhobenen Behauptungen offensichtlich unzutreffend seien.

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Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Verletzung des § 103 SGG. Er habe auf die Anhörungsmitteilung des LSG nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG mit Schriftsatz vom 21.2.2011 ua die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis für verschiedene Tatsachen beantragt, ua dafür, dass die bei ihm vorliegende Erkrankung zu Beeinträchtigungen bei Lade- und Sortiertätigkeiten und praktischen Arbeiten im Team führe, dass er aber über die ADHS-spezifische Fähigkeit des Hyperfokussierens verfüge, was eine optimale Eignungsvoraussetzung für Tätigkeiten in logistischen Planungs- und Organisationsprozessen darstelle. Das LSG habe die Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es ohne hinreichende Begründung dem Beweisantrag nicht gefolgt sei, obwohl es sich ausgehend von seiner Rechtsansicht hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben.

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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

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Der behauptete Verfahrensmangel, das LSG habe § 103 SGG verletzt und sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wird in der Beschwerdebegründung schlüssig bezeichnet, soweit der Beschwerdeführer vorträgt, er habe unmittelbar vor Ergehen des angefochtenen Beschlusses die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass einerseits Gesundheitsstörungen eine Tätigkeit als Fachlagerist beeinträchtigten und andererseits eine ADHS-spezifische Fähigkeit des Hyperfokussierens vorliege, die ihn für Tätigkeiten in der Lagerlogistik besonders befähige. Dargelegt ist auch, dass die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).

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Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Das LSG ist - wie den Gründen des angefochtenen Beschlusses unzweifelhaft zu entnehmen ist - jedenfalls dem Beweisantrag des Klägers zum Vorliegen bestimmter gesundheitlicher Verhältnisse und zu den Auswirkungen, die sich hieraus auf die Tätigkeitsbereiche einerseits eines Fachlageristen und andererseits einer Fachkraft für Lagerlogistik ergeben, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Die Ausführungen des LSG, das Vorbringen des Klägers sei ersichtlich ohne Substanz, wenig fundiert oder offensichtlich unzutreffend und sei ua nicht mit Aussagen in Berichten des Berufsbildungswerks D. oder in einem Arztbrief des Universitätsklinikums B. vereinbar, stellen keine hinreichende Begründung für das Nichtbefolgen des Beweisantrags, sondern eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Die Hinweise des LSG auf den Inhalt der Berichte des Berufsbildungswerks bzw des Universitätsklinikums können im Übrigen auch deshalb nicht als hinreichende Begründung für die Entbehrlichkeit einer Beweiserhebung anerkannt werden, weil diese Berichte aus der Zeit von 2005 bis 2007 stammen, während die vom Kläger gewünschte weitere Berufsausbildung erst 2008 beantragt worden ist.

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Die angefochtene Entscheidung des LSG kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen. Denn nach der - für die Beurteilung des behaupteten Verfahrensmangels maßgeblichen - Rechtsauffassung des LSG ist entscheidungserheblich, ob beim Kläger wegen des erlangten Berufsausbildungsabschlusses das Ziel einer dauerhaften beruflichen Eingliederung schon erreicht war oder ob dies nicht der Fall und eine weitere Förderung erforderlich war (vgl §§ 77 Abs 1, 101 Abs 4 SGB III). Für die Beantwortung dieser Frage ist, wie die umfangreiche Begründung des LSG zeigt, wesentlich, ob bestimmte Gesundheitsstörungen vorliegen und welche Auswirkungen sich hieraus einerseits auf die von einem Fachlageristen und andererseits auf die von einer Fachkraft für Lagerlogistik auszuführenden Tätigkeiten ergeben.

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Dahinstehen kann deshalb, ob der Kläger sinngemäß auch eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG gerügt hat und ob das LSG durch seine Vorgehensweise, trotz des umfangreichen Vorbringens des Klägers durch Beschluss ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, gegen § 153 Abs 4 SGG verstoßen hat.

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Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).

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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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