Urteil vom Bundessozialgericht (1. Senat) - B 1 KR 14/15 R

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 34 991,93 Euro festgesetzt.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rückerstattung von 34 991,93 Euro Heilbehandlungs- und Krankentransportkosten.

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Die beklagte Krankenkasse (KK) trug für stationäre Behandlungen des am 1.12.2008 verstorbenen Versicherten M. (im Folgenden: M.) in der Zeit vom 29.4.2001 bis 5.3.2004 und des am 21.2.2011 verstorbenen Versicherten P. (im Folgenden: P.) in der Zeit vom 3.6.2003 bis 5.6.2009 insgesamt 34 991,93 Euro Kosten (für M. 24 456,56 Euro; für P. 10 535,37 Euro unter Einbeziehung eines Krankentransports). Die Rechtsvorgängerin der klagenden Berufsgenossenschaft (im Folgenden einheitlich: Klägerin) erstattete M. dessen Zuzahlungen (536 Euro; Bescheid vom 15.3.2007). Die Klägerin informierte die Beklagte, dass sie M. und P. voraussichtlich Rente zahlen werde (Schreiben vom 12.7.2006 bezüglich M.; Schreiben vom 21.11.2011 bezüglich P.). Die Beklagte forderte daraufhin schriftlich Erstattung der von ihr erbrachten Leistungen (Eingang bei der Klägerin bezüglich M. am 27.7.2006, bezüglich P. am 2.12.2011). Die Klägerin bezahlte diese und erstattete auch M. die von ihm geleisteten Zuzahlungen, begehrte aber später (Schreiben vom 8.6.2012) - vergeblich - von der Beklagten Rückerstattung, weil der Erstattungsanspruch der Beklagten im Zeitpunkt der Zahlungen bereits untergegangen gewesen sei.> Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, 34 991,93 Euro zurückzuerstatten (§ 112 SGB X). Der Erstattungsanspruch der Beklagten sei bereits ausgeschlossen gewesen (§ 111 S 1 SGB X). § 111 S 2 SGB X finde keine Anwendung. Die Klägerin habe lediglich über die Erstattung der Zuzahlungen an M., nicht aber über Ansprüche von M. und P. auf stationäre Behandlung und Krankentransport entschieden (§ 111 S 2 SGB X). Dies sei ihr auch nicht mehr möglich, da M. und P. die Naturalleistungen bereits erhalten hätten (Urteil vom 7.10.2014).

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Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung des § 111 S 2 SGB V. Es bestehe Zweckidentität zwischen den von ihr erbrachten Leistungen und den Zuzahlungen. Die Klägerin habe mit der Erstattung der Zuzahlungen an M. gleichzeitig über ihre Pflicht entschieden, ihm die stationären Krankenhausaufenthalte zu leisten. Die Rechtsnachfolger des P. hätten noch Anspruch auf eine entsprechende Entscheidung. Die Ausschlussfrist habe deshalb nicht zu laufen begonnen.

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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. Oktober 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Sprungrevision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, der klagenden Berufsgenossenschaft 34 991,93 Euro erstattete Heilbehandlungs- und Krankentransportkosten für M. und P. zurückzuerstatten. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen des Rückerstattungsanspruchs sind erfüllt.

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1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Rückerstattung ist § 112 SGB X: "Soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist, sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten". Die Klägerin erstattete in diesem Sinne den streitigen Zahlbetrag zu Unrecht. Der erkennende Senat lässt die Frage offen, ob die Beklagte gegen die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung für M. und P. erbrachter Sozialleistungen erworben hatte. Ein etwaiger Erstattungsanspruch erlosch, jedenfalls deshalb, weil die Beklagte ihn verspätet geltend machte (dazu a). Ein Fall, in dem der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 111 S 2 SGB X hinausgeschoben wird, liegt nicht vor (dazu b). Der Rückerstattungsanspruch unterliegt seinerseits nicht dem Anspruchsausschluss wegen Verfristung nach § 111 S 1 SGB X (dazu c).

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a) Eine Erstattung ist im Rechtssinne ua zu Unrecht erfolgt, wenn sie auf einen ursprünglich bestehenden Erstattungsanspruch hin erfolgte, der aber wegen Verfristung nach § 111 S 1 SGB X erlosch, weil der Berechtigte ihn nicht rechtzeitig geltend machte (vgl sinngemäß zur früheren Rechtslage bereits BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 35 f). Daran hat die Änderung des § 111 S 2 SGB X (eingefügt durch Art 10 Nr 8 Gesetz zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften <4. Euro-Einführungsgesetz˃ vom 21.12.2000, BGBl I 1983) nichts geändert. Gemäß § 111 S 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Frist (zur Fristberechnung vgl § 26 SGB X iVm §§ 187 ff BGB) hat die Beklagte in den M. und P. betreffenden Erstattungsfällen nicht eingehalten. Nach den den Senat bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angreifbaren Feststellungen des SG (§ 163 iVm § 161 Abs 4 SGG) erbrachte die Beklagte Leistungen an M. zuletzt am 5.3.2004 mit Geltendmachung des Erstattungsanspruchs am 27.7.2006 und an P. zuletzt am 5.6.2009 mit Geltendmachung des Erstattungsanspruchs am 2.12.2011. Aus den Feststellungen des SG ergeben sich auch keine Umstände, die ausnahmsweise zur Unbeachtlichkeit des Fristablaufs führen könnten (vgl BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 20 ff, für den Fall, dass der erstattungspflichtige Leistungsträger schwer gegen seine Pflicht zu enger Zusammenarbeit verstoßen hat).

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b) Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht gemäß § 111 S 2 SGB X auf einen späteren Zeitpunkt als den nach § 111 S 1 SGB X maßgeblichen Zeitpunkt des letzten Tages der Leistungserbringung hinausgeschoben.

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Nach § 111 S 2 SGB X beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 14; s ferner BSG Urteil vom 16.3.2010 - B 2 U 4/09 R - Juris RdNr 22 bis 24 = SGb 2011, 220, 222) setzt eine "Entscheidung über die Leistungspflicht" des erstattungspflichtigen Leistungsträgers iS von § 111 S 2 SGB X voraus, dass dieser dem leistungsberechtigten Versicherten eine in seine Zuständigkeit fallende Sozialleistung zuerkannt hat oder eine solche Entscheidung zumindest noch in Betracht kommt. "Leistungspflicht" iS von § 111 S 2 SGB X meint hingegen nicht die Leistungspflicht im Erstattungsverhältnis zwischen zwei Leistungsträgern (vgl BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 18; BSG Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - Juris RdNr 19 = FEVS 60, 5, 8 f).

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Die Klägerin traf keine derartige Entscheidung im Hinblick auf die Krankenhausbehandlungs- und Krankentransportleistungen gegenüber den Versicherten M. und P. Eine dahingehende materiell-rechtliche Entscheidung konnte und durfte die Klägerin auch nicht mehr mit den Wirkungen iS des § 111 S 2 SGB X treffen (dazu aa). Die (gegenüber den Rechtsnachfolgern von P. ggf noch ergehende) Entscheidung über die Rückzahlung von M. und P. bereits geleisteter Zuzahlungen ist auch keine Teilentscheidung über die von der Beklagten erbrachten Naturalleistungen (dazu bb).

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aa) Die Beklagte erfüllte bereits mit der Verschaffung der Leistungen im Wege der Naturalleistung den Anspruch der Versicherten auf eine ausreichende Versorgung. Deswegen durfte die zunächst erstattungsverpflichtete Klägerin eine materiell-rechtliche Entscheidung über die Leistungen, die die erstattungsberechtigte Beklagte bereits erbracht hatte, nicht mehr treffen (vgl BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 15 f; dem folgend BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 16 f; ebenso BSG Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - Juris RdNr 15 ff; BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 1 KR 20/13 R - Juris RdNr 21 = USK 2014-122). Sie unterließ dies zu Recht. Für einen entsprechenden Antrag der Rechtsnachfolger der Versicherten würde es von vornherein an der notwendigen rechtlichen Betroffenheit fehlen. Vielmehr gilt der Sozialleistungsanspruch des Versicherten gegenüber der Klägerin als zuständigem Leistungsträger kraft der Fiktion des § 107 SGB X als erfüllt (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 15; BSG Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - Juris RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 1 KR 20/13 R - Juris RdNr 21).

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bb) Die Entscheidung der Klägerin vom 15.3.2007, M. die von ihm gemäß § 39 Abs 4 iVm § 61 S 2 SGB V zur stationären Behandlung geleisteten Zuzahlungen in Höhe von 536 Euro zu erstatten, hatte nicht zugleich den erfüllten sozialrechtlichen Anspruch des M. zum Gegenstand. Der erkennende Senat kann die Frage offenlassen, ob die Klägerin gegenüber den Rechtsnachfolgern des P. noch über die Erstattung zu Unrecht geleisteter Zuzahlungen entscheiden muss. Auch diese Entscheidung beträfe jedenfalls nicht die Leistungspflicht der Klägerin hinsichtlich des erfüllten sozialrechtlichen Anspruch des P. iS von § 111 S 2 SGB X. Sie wäre nicht geeignet, den Fristenlauf nach § 111 S 2 SGB X hinauszuschieben.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst die Entscheidung, einem Versicherten geleistete Zuzahlungen zu einer von ihm erhaltenen Naturalleistung zu erstatten, nicht den Anspruch auf die Naturalleistung, hier etwa die geleisteten stationären Krankenhausaufenthalte. Zuzahlungsansprüche der Leistungsträger gegen Versicherte, die sozialrechtlich Naturalleistungen beanspruchen können, und dementsprechend Ansprüche auf Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Zuzahlungen sind im SGB - jedenfalls soweit hier von Interesse - als selbstständige Ansprüche konzipiert. Die Entscheidung eines Leistungsträgers über den Anspruch auf Zuzahlung oder deren Erstattung unterliegt einem eigenen Rechtsregime. Sie ist nicht zugleich eine einheitliche Entscheidung über den Anspruch des Versicherten auf Naturalleistung. Der Rechtsgrund des Naturalleistungsanspruchs des Versicherten kann eine Vorfrage für den Anspruch auf Zuzahlungserstattung betreffen. Die Beantwortung der Vorfrage ist aber nicht Teil des Verfügungssatzes der Entscheidung, sondern bloßes Begründungselement.

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Nach den aufgezeigten Grundsätzen haben etwa die KKn nach dem SGB V einen eigenständigen Anspruch gegen die Versicherten auf Zuzahlungen, der weder den Naturalleistungscharakter ändert noch den gesetzlichen Anspruch auf die Naturalleistung mindert (so schon BSG SozR 2200 § 372 Nr 1 S 3, zu § 184 Abs 3 RVO). Naturalleistungen, für die Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung Zuzahlungen erbringen müssen - wie hier bei Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs 4 S 1 SGB V) und Krankentransport (§ 60 Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB V) -, sind keine bloßen Teilleistungen. Der Anspruch auf diese Leistungen hängt auch nicht von der Erfüllung der Zuzahlungspflicht ab. Der bloß wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Leistung und Zuzahlung macht eine Zuzahlungsentscheidung der KK jedenfalls bei Naturalleistungsansprüchen - wie sie hier M. und P. zustanden - nicht zu einer (negativen) Teilentscheidung über den bestehenden Leistungsanspruch des Versicherten, soweit mit ihm nach dem SGB V eine Zuzahlungspflicht verbunden ist. Denn der Anspruch der KKn auf Zuzahlung ist ein im Verhältnis zum Naturalleistungsanspruch selbstständiger Zahlungsanspruch eigener Art. Das belegen Wortlaut, Systematik und Regelungszweck der §§ 61, 62 und § 43b SGB V (in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung = aF; seit 23.7.2015 § 43c SGB V nF = in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG˃ vom 16.7.2015, BGBl I 1211) iVm den Vorschriften aus denen sich die Zuzahlungspflicht der Versicherten dem Grunde nach ergibt (vgl insbesondere § 31 Abs 3 und Abs 5 S 5, § 32 Abs 2 S 1 und 2, § 33 Abs 8 S 1, § 37 Abs 5, § 38 Abs 5, § 39 Abs 4 S 1, § 40 Abs 6 S 1, § 60 Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB V). Entsprechendes gilt für die Kehrseite des Anspruchs auf Zuzahlung, den Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Zuzahlung: Entscheidet ein Leistungsträger, einem Versicherten eine geleistete Zuzahlung zu erstatten, betrifft dies ebenfalls einen gegenüber dem bezogenen Naturalleistungsanspruch eigenständigen Anspruch. Der Leistungsträger muss hierfür die Voraussetzung bejahen, dass der Versicherte die Zuzahlung rechtsgrundlos leistete. Der Leistungsträger trifft auch hierbei keine Entscheidung über den wirtschaftlich korrelierenden Naturalleistungsanspruch. So verhält es sich hier im Fall von M.; ebenso verhielte es sich auch im Fall von P., wenn die Klägerin ihm oder seinen Rechtsnachfolgern die Erstattung geleisteter Zuzahlungen zuerkannt hätte.

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Im dargelegten Sinne regelt § 43b Abs 1 SGB V aF (wortgleich § 43c Abs 1 SGB V nF) schon nach seinem klaren Wortlaut nicht nur den Zahlungsweg bei Zuzahlungen, sondern trifft eine Bestimmung für den Fall der Nichtzahlung, die den korrespondierenden Naturalleistungsanspruch nicht berührt: "Leistungserbringer haben Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen". Die KK darf dementsprechend die Bewilligung und Gewährung der Naturalleistung nicht von der Zuzahlung abhängig machen. Vergleichbares gilt für den stationären Bereich (vgl § 43b Abs 3 SGB V aF, wortgleich § 43c Abs 1 SGB V nF). Abweichend vom Regelfall hat im stationären Bereich lediglich der Krankenhausträger die Zuzahlung einzuziehen (vgl dazu Wagener/Korthus, KH 2009, 829; s ferner § 43b Abs 2 SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 34 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Modernisierungsgesetz - GMG> vom 14.11.2003, BGBl I 2190, wonach der vertragsärztlich tätige Leistungserbringer die sog Praxisgebühr beim Versicherten unter Anrechnung auf seinen Vergütungsanspruch einzuziehen hatte; § 43b Abs 2 SGB V aufgehoben durch Art 1 Nr 3 Buchst a Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20.12.2012, BGBl I 2789). Die "vor die Klammer gezogene" Regelung des § 61 SGB V über die Höhe der Zuzahlungen (vgl Begründung des GMG-Entwurfs, BT-Drucks 15/1525 S 95 [Zu Nummer 39 <§ 61>]; zu weiteren Sonderregelungen s &#167; 32 Abs 2 S 3, § 33 Abs 8 S 3, § 39 Abs 4 S 2, § 40 Abs 6 S 2 SGB V) geht ausdrücklich davon aus, dass Versicherte Zuzahlungen "zu leisten haben".

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Nach dem gesetzlichen Regelungssystem hat der Versicherte einen Anspruch darauf, dass die KK die ihm zustehenden Naturalleistungen selbst oder durch Dritte in vollem Umfang verschafft. Die Zuzahlung, die der Leistungserbringer zur Abkürzung der Zahlungswege zu vereinnahmen hat und sich auf seinen Anspruch gegen die KK anrechnen lassen muss, leistet der Versicherte an die KK. Die KK ist im Rechtssinn Leistungsempfängerin der Zuzahlung. Die Zuzahlungspflichten beruhen zwar auf sozialrechtlichen Leistungsverhältnissen, berühren aber den Rechtsgrund und die Rechtmäßigkeit der erbrachten Naturalleistung als solche nicht (vgl zur Rentenversicherung BSG SozR 1500 § 149 Nr 11 S 13, zur Zuzahlungspflicht nach § 20 Abs 1 AVG; BSG SozR 1500 § 149 Nr 12 S 16; BSG SozR 3-2600 § 301 Nr 3 S 26, zur Zuzahlungspflicht nach § 32 SGB VI; soweit BSGE 85, 293, 297 f = SozR 3-2600 § 301 Nr 2 S 13 f darauf abstellt, dass eine Vorschrift, die eine Zuzahlung regelt, auch als eine Vorschrift für die Leistung iS des § 301 Abs 1 SGB VI angesehen werden müsse, handelt es sich um die Antwort auf eine völlig andere Fragestellung, nämlich die Reichweite einer intertemporalen Norm).

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Die Regelungen über die Zuzahlung verfolgen den Zweck, den KKn über die Beiträge hinaus anhand des konkreten Maßstabs der in Anspruch genommenen Leistungen ergänzende Finanzierungsmittel zur Verfügung zu stellen und hierdurch das Kostenbewusstsein der Versicherten zu stärken (zur Zulässigkeit vgl BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6, RdNr 14).

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c) Der R&#252;ckerstattungsanspruch unterliegt seinerseits nicht dem Anspruchsausschluss wegen Verfristung nach § 111 S 1 SGB X (ganz hM: vgl BSG Urteil vom 29.11.1990 - 2 RU 10/90 - Juris RdNr 16 mwN zur älteren Literatur = HVBG-Info 1991, 1205; Eichenhofer in Eichenhofer/Wenner, SGB I IV X, 2012, § 112 SGB X RdNr 5; Kater in Kasseler Komm, Stand September 2015, SGB X, § 112 RdNr 12; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand November 2014, § 112 RdNr 39; Leopold in juris-PK-SGB X, 2013, § 112 RdNr 12; Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 111 RdNr 4; Weber in BeckOK Sozialrecht, Stand September 2015, SGB X, § 111 RdNr 5; Störmann in Jahn, SGB X, Stand September 2015, § 112 RdNr 8; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil I, Bd 2, § 112 SGB X RdNr 11, Stand Juni 2014; Marschner in Pickel/Marschner, SGB X, Stand August 2015, § 112 RdNr 16; Jung, ZfSH/SGB 1985, 433, 445; Marburger, ZfSH/SGB 1988, 294, 299; Stüwe, SdL 1983, 94, 115; Kummer, DAngVers 1986, 397, 403). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 111 SGB X. Er betrifft nur Erstattungsansprüche, während hingegen die Verjährungsvorschrift des § 113 SGB X Erstattungs- und Rückerstattungsansprüche erfasst. Die Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Er ist einem Vorschlag des Bundesrates nicht gefolgt, auch Rückerstattungsansprüche in § 111 SGB X aufzunehmen (vgl BSG Urteil vom 29.11.1990 - 2 RU 10/90 - Juris RdNr 16; s ferner BT-Drucks 9/95 S 40 Anlage 2 Stellungnahme des Bundesrates Nr 28 <Zu Artikel I § 117> und S 47 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates <Zu 28. (Artikel I § 117)>). Auf Rückerstattungsansprüche findet lediglich die Verjährungsfrist des § 113 Abs 1 S 2 SGB X Anwendung (vgl nur BSG SozR 4-5910 § 147 Nr 2 RdNr 19). Sie verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Aus den Feststellungen des SG ergibt sich allerdings nicht, ob im Fall von M. die Klägerin einen Teil der von der Beklagten geltend gemachten Erstattungsforderung noch vor 2010 gezahlt hat. Jedenfalls hat die Beklagte insoweit nicht die Einrede der Verjährung erhoben.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

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