Urteil vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 14/15 R
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Im Streit ist die Erstattung höherer Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin.
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Die 1962 geborene Klägerin ist seit 1987 zu einem individuell auf sie abgestimmten Tarif bei der S Krankenversicherung aG privat kranken- und pflegeversichert. Der Beitrag für die private Krankenversicherung, der von der Klägerin gezahlt wurde, betrug ab Januar 2010 700,16 Euro, ab Januar 2011 710,76 Euro monatlich; daneben hat sie monatliche Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung entrichtet.
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Die Klägerin bezieht seit dem 1.9.2005 von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Nachdem die Beklagte dabei zunächst die Beiträge für die private Krankenversicherung sowie die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung vollständig übernommen hatte, bewilligte sie nach Anhörung der Klägerin für den Zeitraum vom 1. bis 31.12.2010 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1185,65 Euro und berücksichtigte (bei im Übrigen unveränderten Bedarfspositionen) nur noch einen Beitrag zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 295,02 Euro (Bescheid vom 24.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2011). Vor Erlass des Widerspruchsbescheids bewilligte sie für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2011 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1190,65 Euro (erneut) unter Berücksichtigung eines Krankenversicherungsbeitrags in Höhe von nur 295,02 Euro (Bescheid vom 21.12.2010).
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Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat den "Bescheid vom 24.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids" abgeändert und die Beklagte verurteilt, "die Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in der Höhe zu übernehmen, wie er sich aus dem Versicherungsschein für die Krankenversicherung vom 23.11.2010 (…)" ergebe (Urteil vom 30.9.2013). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 405,14 Euro den für eine nicht zugelassene Berufung erforderlichen Beschwerdewert von 750 Euro nicht übersteige. Mit dem Bescheid vom 24.11.2010 sei ausschließlich über Leistungen für den Monat Dezember 2010 entschieden worden. Der Bescheid vom 21.12.2010, der eine Regelung erst für die Zeit ab dem 1.1.2011 enthalte, sei nicht nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Eine analoge Anwendung des § 86 SGG scheide aus (Urteil vom 15.4.2015).
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
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Die Berufung der Beklagten ist nicht zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstands iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG übersteigt 750 Euro nicht. Dieser Wert richtet sich danach, wozu das SG die Beklagte, die hier allein das Rechtsmittel führt, verurteilt hat. Ausgehend hiervon war die Berufung unzulässig, weil das SG über den im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemachten Anspruch auf Übernahme höherer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (zur Abtrennbarkeit von Ansprüchen auf Übernahme von Beiträgen im Sinne eines eigenen Streitgegenstands vgl BSG SozR 4-3500 § 32 Nr 2 RdNr 11 mwN) nur bezogen auf den Monat Dezember 2010 befunden hat. Es hat allein den Bescheid vom 24.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.1.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "die Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in der Höhe zu übernehmen, wie er sich aus dem Versicherungsschein für die Krankenversicherung vom 23.11.2010" ergebe. Diese aus sich heraus nicht ganz eindeutige Urteilsformel (§ 136 Abs 1 Nr 4 SGG), die nicht ausdrücklich erkennen lässt, für welchen Zeitraum höhere Leistungen zugesprochen werden sollten, war zur Prüfung der Statthaftigkeit der Berufung notwendigerweise auszulegen. Diese Auslegung, die das LSG unterlassen hat, ergibt unter Berücksichtigung von Tatbestand und Entscheidungsgründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 136 RdNr 5c mwN), dass das SG lediglich für Dezember 2010 weitere Leistungen in Höhe von 405,14 Euro, die Differenz zwischen den von der Klägerin gezahlten und den von der Beklagten bereits übernommenen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für diesen Monat, zugesprochen hat. Der ausdrücklich genannte Bescheid vom 24.11.2010 regelt nämlich ausschließlich diesen Zeitraum und ist - wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist - von späteren Bescheiden weder unmittelbar geändert noch ersetzt worden. Allein aus der Bezugnahme auf den Versicherungsschein vom 23.11.2010 im Tenor, der das Jahr 2011 betrifft, lässt sich nicht unzweifelhaft schließen, dass das SG über Dezember 2010 hinaus, sei es zukunftsoffen, sei es noch über den folgenden Bewilligungsabschnitt, den allerdings nur der Bescheid vom 21.12.2010, nicht aber der Bescheid vom 24.11.2010 regelt, höhere Leistungen zuerkannt hat.
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Auf die Frage, ob das SG mit einer Beschränkung seiner Entscheidung auf den Monat Dezember 2010 den von der Klägerin an das Gericht herangetragenen Streitgegenstand verkannt hat (vgl § 123 SGG), kommt es mangels einer Berufung der Klägerin ebenso wenig an wie auf die vom LSG zu Unrecht verneinte Frage, ob der Bescheid vom 21.12.2010 in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchs- und auch des Klageverfahrens geworden ist. Es besteht allerdings keine Veranlassung zu einer Änderung der Rechtsprechung, wonach Bewilligungsbescheide, die vor Erlass des Widerspruchsbescheids ergehen und Folgezeiträume betreffen, in entsprechender Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 12/09 R - RdNr 11, insoweit in BSGE 108, 123 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 7 nicht abgedruckt; BSGE 115, 158 ff RdNr 9 = SozR 4-2500 § 186 Nr 4; Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - RdNr 10). Entscheidender Unterschied zu § 96 SGG, der seit 1.4.2008 nicht mehr analog auf Folgebescheide für spätere Bewilligungszeiträume anwendbar ist, bleibt auch für Zeiträume seit dessen Änderung mit Wirkung vom 1.4.2008 durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (vom 26.3.2008 - BGBl I 444), dass bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids die Verwaltung das Verfahren in der Hand behält und damit ohne Weiteres alle bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Bewilligungen überprüfen kann. Mit der Änderung des § 96 SGG ist zudem dessen Anwendungsbereich - und damit das Verbot einer analogen Anwendung für nicht abändernde bzw nicht ersetzende Bescheide - ausdrücklich nur auf die Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheids erstreckt worden (dazu BR-Drucks 820/07, S 23); es kommt in der Neuregelung des § 96 SGG und den Materialien dazu gerade nicht zum Ausdruck, dass das von der Rechtsprechung des BSG entwickelte Verständnis des unverändert gebliebenen § 86 SGG ebenfalls korrigiert werden sollte.
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Referenzen
- SGG § 136 1x
- SGG § 123 1x
- 8 SO 12/09 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 86 5x
- SGG § 170 1x
- 8 AY 11/07 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- SGG § 96 3x
- SGG § 144 1x