Beschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 1. Kammer) - 1 BvL 4/13

Gründe

I.

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1. Gegenstand der Vorlage ist Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) des Gesetzes zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Justiz des Freistaats Sachsen (SächsStOG) vom 27. Januar 2012 (SächsGVBl S. 130), mit dem ein neuer Absatz 6 dem § 1 des Sächsischen Justizgesetzes (SächsJG) angefügt wurde. Der neue § 1 Abs. 6 SächsJG lautet:

In Bautzen bestehen eine auswärtige Kammer für Handelssachen, eine auswärtige Strafvollstreckungskammer sowie auswärtige Zivil- und Strafkammern des Landgerichts Görlitz. Diese sind zuständig für die Amtsgerichtsbezirke Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz, soweit nicht einzelne Geschäfte durch die Geschäftsverteilung an dem Stammgericht oder den auswärtigen Kammern konzentriert sind oder gesetzliche Vorschriften andere Zuständigkeiten vorsehen. Für die Anzahl der auswärtigen Kammern gilt § 9 entsprechend.

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§ 9 SächsJG lautet:

Die Zahl der Senate bei dem Oberlandesgericht, dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht, dem Sächsischen Landessozialgericht und dem Sächsischen Finanzgericht sowie die Zahl der Kammern bei den Landgerichten, den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten bestimmt das Staatsministerium der Justiz und für Europa. Diese Befugnis kann auf die Präsidenten der Gerichte übertragen werden.

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2. Das vorlegende Gericht hat mit Beschluss vom 25. März 2013 das Ausgangsverfahren, eine Strafsache aus dem Bereich des Betäubungsmittelrechts, ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Artikel 3 Ziffer 1 Buchstabe c) des Gesetzes zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Justiz des Freistaats Sachsen (SächsStOG) und damit § 1 Absatz 6 des Sächsischen Justizgesetzes (SächsJG) gegen Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes sowie gegen Bundesrecht (§ 13a GVG) verstößt und somit verfassungswidrig ist.

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3. Das vorlegende Gericht ist der Überzeugung, die vorgelegte Vorschrift verletze Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG und § 13a GVG.

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Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) SächsStOG sei verfassungswidrig, da mit dieser Regelung gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter und zugleich gegen § 13a GVG und damit gegen Bundesrecht verstoßen werde. Die Einrichtung auswärtiger Spruchkörper bedürfe eines Gesetzes. Ein solches müsse als Landesgesetz erlassen werden und die sachliche und örtliche Zuständigkeit eines auswärtigen Spruchkörpers bestimmen. Das Landesrecht erwähne aber in Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) SächsStOG lediglich, dass es in Bautzen auswärtige Zivil- und Strafkammern geben solle, ohne die jeweiligen sachlichen Zuständigkeiten und ohne die genaue Anzahl der Kammern festzulegen. Eine solche Beliebigkeit lasse § 13a GVG nicht zu.

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Nach Überzeugung des vorlegenden Gerichts sei bereits die Grundentscheidung, das Landgericht Bautzen aufzulösen und als Außenkammern des Landgerichts Görlitz fortzuführen, verfassungswidrig. Diese Entscheidung sei nicht erforderlich und zudem willkürlich.

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Bundesrechtlich regle § 184 Satz 2 GVG außerdem, dass Sorben in ihren Heimatkreisen sorbisch vor Gericht sprechen dürften. Durch die Zusammenlegung der Landgerichte Bautzen und Görlitz in Görlitz täte sich für den Landesgesetzgeber das Problem auf, die Rechte der Sorben vor Gericht nicht zu beschneiden. Die Lösung des Gesetzgebers, den niederschlesischen Landesteil Sachsens zum sorbischen Heimatkreis zu erklären, verkenne, dass er dies historisch nie gewesen sei. Sorbisches Siedlungsgebiet befinde sich ausschließlich im Bereich der Nieder- und Oberlausitz, nicht in Niederschlesien und schon gar nicht in Görlitz. Damit habe der Landesgesetzgeber in Bundeskompetenzen eingegriffen, denn der Bundesgesetzgeber habe in § 184 GVG eine abschließende Regelung getroffen. Es könne nicht sein, dass der Landesgesetzgeber durch politische Gebietsreformen den Anwendungsbereich des § 184 Satz 2 GVG bestimme und damit in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingreife.

II.

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Die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist unzulässig, denn das vorlegende Gericht hat sie entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht hinreichend begründet. Dies kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG).

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1. Nach Art. 100 Abs. 1 GG muss ein vorlegendes Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darstellung der Rechtslage (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>; 97, 49 <60>). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab dabei nicht nur benennen, sondern auch die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen.

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2. Diese Anforderungen verfehlt die Vorlage. Das vorlegende Gericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, warum ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und gegen § 13a GVG vorliegen sollte.

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a) Soweit das Gericht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daraus ableiten möchte, dass es an einer ausreichenden gesetzlichen Regelung zur Zuständigkeit fehle, genügt der Vorlagebeschluss den Begründungsanforderungen nicht.

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aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG soll der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch ein Manipulieren der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird, insbesondere, dass im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst wird, gleichgültig, wer manipuliert (vgl. BVerfGE 4, 412 <416 f.>; 17, 294 <299>; 24, 33 <54>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfordert, dass der gesetzliche Richter sich im Einzelfall möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergibt (BVerfGE 6, 45 <51>; 17, 294 <298>). Er setzt einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden denkbaren Streitfall den zuständigen Richter bezeichnen (BVerfGE 21, 139 <145> m.w.N.). Die danach erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen werden jedoch durch "Organisationsakte" ergänzt und praktikabel gemacht (vgl. BVerfGE 2, 307 <320>). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Regelung folgt insbesondere nicht, dass es der Legislative verwehrt wäre, ihre Befugnis zu Maßnahmen, die die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts berühren, innerhalb der vom Grundgesetz für die Übertragung rechtsetzender Gewalt bestimmten Grenzen der Exekutive zu übertragen (vgl. BVerfGE 2, 307 <326>).

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bb) Das vorlegende Gericht macht nicht hinreichend deutlich, inwiefern nach diesen Grundsätzen die angegriffene Bestimmung nicht den Anforderungen an eine hinreichende gesetzliche Regelung genügen sollte.

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Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als die Neuregelung über die auswärtigen Kammern des Landgerichts Görlitz sowohl generelle Aussagen zu deren sachlicher und örtlicher Zuständigkeit trifft als auch eine Bestimmung über die Anzahl der auswärtigen Strafvollstreckungskammern sowie Kammern für Handelssachen. Lediglich die Bestimmung der Anzahl der Zivil- und Strafkammern wird über die Verweisung auf § 9 SächsJG dem Justizministerium überlassen, das dies wiederum auf die Gerichtspräsidenten übertragen kann. § 1 Abs. 6 Satz 1 SächsJG kann nach seinem Wortlaut ("In Bautzen bestehen […] auswärtige Zivil- und Strafkammern des Landgerichts Görlitz.") zudem nur so verstanden werden, dass zumindest je eine auswärtige Zivil- und Strafkammer in Bautzen bestehen müssen. Angesichts des Wortlauts von § 13a GVG, der dem "Landesrecht" und nicht dem "Landesgesetz" die Errichtung auswärtiger Kammern überträgt, ist nicht ohne Weiteres erkennbar, aus welchen Gründen angesichts der oben aufgezeigten Maßstäbe die Bestimmung lediglich der Anzahl der Spruchkörper nicht auch durch andere Formen des Landesrechts erfolgen könnte. Weitergehende Anforderungen an den Vorbehalt einer gesetzlichen Ausgestaltung der Gerichtsorganisation ergeben sich auch nicht aus § 13a GVG, wonach durch Landesrecht einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zugewiesen sowie auswärtige Spruchkörper von Gerichten eingerichtet werden können. Das vorlegende Gericht beschränkt sich insoweit auf die Behauptung, es sei ein Landesgesetz erforderlich. Auf die möglicherweise unterschiedliche Bedeutung von "Landesrecht" und "Landesgesetz" geht es nicht ein.

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cc) Das vorlegende Gericht setzt sich vor allem nicht mit der naheliegenden Frage auseinander, warum es verfassungsrechtlich unzulässig sein soll, es der Geschäftsverteilung des Gerichts zu überlassen, einzelne Geschäfte an dem Stammgericht oder den auswärtigen Kammern zu konzentrieren. Der Vortrag besteht auch insoweit nur aus der Behauptung, § 13a GVG verlange, dass sich die Zahl der auswärtigen Kammern aus dem Gesetz selbst ergebe.

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b) Soweit das vorlegende Gericht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daraus ableiten möchte, dass der sächsische Gesetzgeber durch die Standortreform gegen § 184 Satz 2 GVG verstoßen habe, fehlt auch hierfür eine ausreichende Begründung.

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Die Organisation der Gerichte ist Aufgabe der Länder. Der Bund könnte deshalb nicht selbst Sitz und Bezirk der Gerichte in den Ländern konkret bestimmen (vgl. BVerfGE 24, 155 <166>). Er kann nur allgemein Regelungen über die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Gerichte in den Ländern treffen.

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Folglich ist es nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung hier allein Sache des Freistaats Sachsen, an welchen Orten er seine Gerichte errichtet und wie er deren Bezirke zuschneidet. Eine Auslegung des § 184 Satz 2 GVG dahingehend, dass das Land verpflichtet ist, in einem bestimmten Gebiet ein bestimmtes Gericht "vorzuhalten", würde dieser grundsätzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Gerichtsorganisation zuwiderlaufen.

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Inwiefern die Einrichtung auswärtiger Kammern am Landgericht das Recht auf den gesetzlichen Richter dadurch verletzen soll, dass offenbar künftig auch am Landgericht Görlitz die sorbische Sprache verwendet werden darf, ist nicht erkennbar und wird vom vorlegenden Gericht auch nicht begründet. Hierdurch werden Rechte der Sorben eher ausgeweitet. Es ist indes nicht erkennbar, dass damit Einfluss auf die Zusammensetzung des zur Entscheidung berufenen Gerichts im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeübt würde.

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3. Da die Vorlage schon den Kern ihres verfassungsrechtlichen Vorwurfs nicht ausreichend begründet, kann offen bleiben, ob sie auch deshalb unzulässig ist, weil die Abschaffung des Landgerichts Bautzen, durch die das vorlegende Gericht Verfassungsrecht verletzt sieht, nicht vom Vorlagegegenstand umfasst ist. Die Regelung, wonach in Bautzen kein Landgericht (mehr) besteht, findet sich nicht in dem vorgelegten Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) SächsStOG beziehungsweise § 1 Abs. 6 SächsJG, sondern in Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe a) SächsStOG beziehungsweise § 1 Abs. 1 SächsJG. Die vorgelegte Bestimmung ist gewissermaßen eine Folgeentscheidung, die lediglich denklogisch voraussetzt, dass in Bautzen kein Landgericht mehr besteht. Entscheidungserheblich ist vorliegend allein, ob Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder § 13a GVG einer Entscheidung der das Ausgangsverfahren bildenden Strafsache durch die vorlegende Große Strafkammer als auswärtiger Kammer entgegenstehen.

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