Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 3. Kammer) - 1 BvR 1553/14

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Schließung der auf dem Klinikgelände gelegenen Bettenstation der nuklearmedizinischen Klinik am Universitätsklinikum Düsseldorf. Dieses ist gegenüber der Universität seit dem Jahr 2000 organisatorisch verselbständigt (vgl. § 41 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14. März 2000, GV. NW S. 190, in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Errichtung des Klinikums Düsseldorf der Universität Düsseldorf als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 1. Dezember 2000, GV. NW S. 729). Die Universitätskliniken dienen neben den Aufgaben der Krankenversorgung den medizinischen Fachbereichen der Universitäten zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KlV-Dü bis 31. Dezember 2007, jetzt § 31a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 16. September 2014, GV. NW S. 547, sowie § 2 Abs. 1 Satz 1 Universitätsklinikum-Verordnung ). Ihre Entscheidungskompetenzen beziehen sich vor allem auf die Organisation der Krankenversorgung mit dem Ziel, den dort bestehenden Anforderungen gerecht zu werden. Soweit Entscheidungen im Bereich der Krankenversorgung den Bereich von Forschung und Lehre betreffen, sind sie an das Einvernehmen der medizinischen Fachbereiche gebunden (§ 2 Abs. 2 Satz 3 KlV-Dü beziehungsweise § 2 Abs. 3 Satz 3 UKVO). Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2002 entschieden, dass diese landesrechtlichen Vorgaben den verfassungsrechtlich geforderten Ausgleich zwischen Wissenschaftsfreiheit und effizienter Krankenversorgung bei sachgerechter Auslegung erreichen und deshalb mit dem Grundgesetz vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. November 2002 - 1 BvR 2145/01 u.a. -, juris, Rn. 40 ff.; bestätigt durch BVerfGK 12, 440 <447 ff.>; 14, 72 <81 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 2010 - 1 BvR 1165/08 -, juris, Rn. 28 f.).

II.

2

1. Im Ausgangsverfahren klagte der Beschwerdeführer gegen die Schließung der genannten Bettenstation. Die im fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren zunächst ergangenen letztinstanzlichen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts wurden zweimal vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen (BVerfGK 12, 440; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 2010 - 1 BvR 1165/08 -, juris; sowie die ablehnende Entscheidung über den im letzten Verfahren gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, BVerfGK 14, 72). Nun wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem dieses auf die Revision des Universitätsklinikums seine Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache zurückgewiesen hat, und rügt die Umsetzung der Schließungsentscheidung durch das Universitätsklinikum.

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2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in der angegriffenen Entscheidung maßgeblich auf den für die Organisation der Hochschulmedizin erforderlichen angemessenen Ausgleich zwischen der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Wissenschaftsfreiheit der medizinischen Hochschullehrenden einerseits und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG geforderten bestmöglichen Krankenversorgung andererseits ab. Er werde verfehlt, wenn das Universitätsklinikum überprüfen müsse und dafür einzustehen habe, dass ein vom Fachbereich erteiltes Einvernehmen unter Beachtung der Wissenschaftsfreiheit des Beschwerdeführers zustande gekommen sei.

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Durch die Verselbständigung der Universitätskliniken werde die für die Wirkkraft der Wissenschaftsfreiheit der medizinischen Hochschullehrenden relevante Unterscheidung zwischen universitärer Forschung und Lehre einerseits und der Krankenversorgung andererseits vielmehr auch in der Organisationsstruktur der Hochschulmedizin sichtbar. Im Rahmen dieser Aufgaben- und Verantwortungsteilung werde die primäre Zuständigkeit der medizinischen Fachbereiche für die Wissenschaftsfreiheit organisatorisch durch das Einvernehmen gesichert. Die medizinischen Hochschullehrenden könnten ihren grundrechtlich garantierten Einfluss mittels der Einvernehmensregelung über die Fachbereichsorgane auch auf wissenschaftsrelevante Maßnahmen der Universitätsklinika ausüben. Damit könnten die Fachbereiche auch den materiellen (Grund-)Ausstattungsansprüchen der Hochschullehrenden gegenüber den Universitätskliniken zum Durchbruch verhelfen.

5

Dieses Regelungssystem könne seine Ausgleichsfunktion indes nur erfüllen, wenn sich die Universitätskliniken in Fragen der Forschung und Lehre in der Krankenversorgung auf ihre dienende Funktion beschränken könnten und andererseits auch die Fachbereiche von ihrer unmittelbaren Verantwortung für die Krankenversorgung jenseits ihres mit Forschung und Lehre verflochtenen Bereichs entlastet seien. Dafür sei es unabdingbar, dass die medizinischen Fachbereiche die alleinige Verantwortung für Beschlüsse über ein Einvernehmen trügen, die sich auch auf die Wahrung grundrechtlicher Belange erstrecke. Die Universitätskliniken müssten ihren Entscheidungen ein Einvernehmen als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ohne weitere Prüfung zugrunde legen können. Das Klinikum müsse Fachbereichsbeschlüsse weder daraufhin überprüfen, ob sie grundrechtswahrend zustande gekommen seien, noch - weitergehend - ob sie materiell mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und insbesondere mit dem Recht auf eine für die wissenschaftliche Betätigung erforderliche Grundausstattung vereinbar seien. Würden die Universitätskliniken mit dieser Aufgabe belastet und hätten sie für das Ergebnis einzustehen, würden die Effektivitätsgewinne der organisatorischen Verselbständigung der Universitätskliniken weitgehend zunichte gemacht, mit entsprechenden Gefahren für die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter.

6

Der Beschwerdeführer sei in diesem Regelungssystem auch nicht in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG beeinträchtigt. Er könne gerichtlich im Verhältnis zum Fachbereich klären lassen, ob ein Einvernehmen mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit vereinbar sei. Solange der medizinische Fachbereich das Einvernehmen nicht erteilt habe, könnten Hochschullehrerinnen und -lehrer im Wege der allgemeinen Leistungsklage vom Klinikum Unterlassung verlangen oder diesem das fehlende Einvernehmen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO entgegenhalten. Habe der Fachbereich - wie hier - sein Einvernehmen erteilt, müssten Hochschullehrende mit einer allgemeinen Leistungsklage zu erreichen suchen, dass dieser sein Einvernehmen wieder zurücknimmt. Ein solcher actus contrarius könne - vorbehaltlich der Grenzen des Vertrauensschutzes - wegen der grundrechtlichen Sicherungsfunktion des Einvernehmens für die Wissenschaftsfreiheit wie bei anderen Mitwirkungsakten bei einem mehrstufigen Verwaltungsakt geboten sein, wenn ein Einvernehmen die Wissenschaftsfreiheit verletzt. Auch insofern stehe vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO zur Verfügung.

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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Das Bundesverwaltungsgericht habe verkannt, dass die Schließungsentscheidung sein Recht auf verfahrensmäßige Gewährleistung seiner Wissenschaftsfreiheit verletze. Das Hochschulrecht schreibe auch seit Ausgliederung der Universitätskliniken keine Gewaltentrennung zwischen Klinikum und Fachbereich vor; vielmehr bestünden vielfältige Kooperations- und wechselseitige Unterstützungspflichten bis hin zu Personalunionen auf Leitungs- und Mitgliederebene. Das Klinikum müsse zur Sicherung eines wissenschaftsadäquaten Verfahrens die Erteilung des Einvernehmens kontrollieren; dies würde die Wahrnehmung seiner Aufgaben für die Krankenversorgung nicht stören. Schließlich habe das Bundesverwaltungsgericht ihm zu Unrecht entgegengehalten, dass er nicht gerichtlich gegen den Fachbereich vorgegangen sei.

III.

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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie teils unzulässig, teils unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat.

9

1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.

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a) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält neben einem individuellen Freiheitsrecht eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde, wertentscheidende Grundsatznorm. Der Staat muss danach für funktionsfähige Institutionen eines freien universitären Wissenschaftsbetriebs sorgen und durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass das individuelle Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung so weit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist (vgl. BVerfGE 127, 87 <114>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 3217/07 -, juris, Rn. 55; stRspr).

11

Die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen verlangt, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre Vertretung in Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Organisation einbringen können. Organisationsnormen sind dann mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar, wenn durch sie ein Gesamtgefüge geschaffen wird, das die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung strukturell gefährdet (vgl. BVerfGE 127, 87 <115 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 3217/07 -, juris, Rn. 57).

12

In einer wissenschaftlichen Einrichtung der Universitätsmedizin, die sowohl Aufgaben der Forschung und Lehre wie auch Aufgaben der Krankenversorgung erfüllt, hat der Gesetzgeber neben dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und dem für die Aufgaben der Berufsausbildung bedeutsamen Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 35, 79 <121>) auch den Schutz der Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu berücksichtigen (vgl. dazu BVerfGE 57, 70 <98 ff.>), die eng miteinander verzahnt sind (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 3217/07 -, juris, Rn. 55). Im Bereich der universitären Krankenversorgung stehen sich daher verschiedene Grundrechte und verfassungsrechtlich geschützte Interessen gegenüber; Aufgabe des Gesetzgebers ist es, zwischen diesen möglicherweise gegensätzlichen Grundrechtspositionen einen Ausgleich zu finden. Zum angemessenen Ausgleich gehört, dass sowohl dem Interesse an bestmöglicher Krankenversorgung als auch der Freiheit medizinischer Forschung und Lehre durch geeignete Koordinations- und Kooperationsmöglichkeiten beider Funktionsbereiche und durch sachgerechte organisatorische Verzahnungen Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 57, 70 <99 f.> im Anschluss an StGH Bad.-Württ., Urteil vom 24. November 1973 - 1/73 -, DÖV 1974, S. 632 <633>).

13

b) Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil mit seiner Auslegung des zugrunde liegenden Regelungssystems zum verfassungsrechtlich geforderten Ausgleich zwischen der Wissenschaftsfreiheit und der Krankenversorgung gerecht. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dieser Ausgleich könne nur dadurch erreicht werden, dass die Universitätskliniken sich bei der Wahrung der Belange von Forschung und Lehre in der Krankenversorgung auf ihre dienende Funktion beschränkten, während die medizinischen Fachbereiche von ihrer unmittelbaren Verantwortung für die Krankenversorgung jenseits ihres mit Forschung und Lehre verflochtenen Bereichs entlastet seien, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Daraus folgt eine alleinige Verantwortung der medizinischen Fachbereiche dafür, dass ihre Einvernehmensbeschlüsse im Hinblick auf die den Bereich von Forschung und Lehre betreffenden Klinikentscheidungen das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrenden wahren. Dies genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Organisation der Hochschulmedizin (zur vorrangigen Zuständigkeit der Universität und deren Fachbereich Medizin für Forschungs- und Lehraufgaben bereits BVerfGK 14, 72 <81 f.>). Das Einvernehmenserfordernis sichert gegenüber dem verselbständigten Universitätsklinikum die Wissenschaftsfreiheit organisatorisch und gewährleistet damit, dass die Professorinnen und Professoren des Fachbereichs Medizin über den Fachbereichsrat auch auf wissenschaftsrelevante Entscheidungen des Universitätsklinikums Einfluss nehmen können (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 3217/07 -, juris, Rn. 76; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. November 2002 - 1 BvR 2145/01 u.a. -, juris, Rn. 42; BVerfGK 12, 440 <448>). Im Erfordernis des Einvernehmens verwirklicht sich der organisatorische Schutz der fachbereichsinternen Beteiligungsrechte der Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit. Weitergehende Teilhaberechte bei der Selbstverwaltung wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten, die dem Schutz ihrer selbstbestimmten Grundrechtswahrnehmung dienen, sind verfassungsrechtlich nicht geboten.

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2. Die primäre Verantwortung des medizinischen Fachbereichs für die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrenden schmälert auch nicht den von Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechtsschutz der Grundrechtsberechtigten. Dem Beschwerdeführer stand im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Schließung einer Station des Klinikums von Beginn an die Möglichkeit offen, gerichtlich (auch) gegen den Fachbereich vorzugehen (so schon BVerfGK 12, 440 <452>; 14, 72 <80 ff.>).

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3. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Universitätsklinikums vom 14. September 2006, die Station NU 01 zu schließen, sowie gegen deren faktischen Vollzug in der Folgezeit ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat es versäumt, seine Rechte gegen den Fachbereich vor den dafür zuständigen Gerichten geltend zu machen.

16

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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