Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 3. Kammer) - 1 BvR 590/15

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen die Beschwerdeführerin zur vorläufigen Zulassung von Studierenden außerhalb der festgesetzten Kapazität verpflichtet worden ist. Die Beschwerdeführerin bietet als Universität den Bachelorstudiengang "Stadtplanung" an. Die Zulassung zu diesem Studium erfolgte für das Wintersemester 2014/2015 erstmals nach Maßgabe des Gesetzes zur Regelung der Ausbildungskapazitäten an den staatlichen hamburgischen Hochschulen (Ausbildungskapazitätsgesetz - AKapG) vom 14. März 2014 (HmbGVBl. 2014, S. 99). Anstelle der Berechnung der Anzahl der Zulassungen nach Maßgabe der Kriterien der Kapazitätsverordnung (KapVO) sah das AKapG vor, dass diese zwischen der zuständigen Behörde und der Hochschule vereinbart wird.

2

Daraufhin verständigten sich Beschwerdeführerin und Behörde auf eine Kapazitätsvereinbarung, wonach für das Jahr 2014 bezogen auf alle Bachelorstudiengänge der Beschwerdeführerin 320 Studierende im 1. Fachsemester zugelassen werden sollten. Die Beschwerdeführerin legte daraufhin die Höchstzahl der für das Wintersemester 2014/2015 zu vergebenden Studienplätze im Bachelorstudiengang "Stadtplanung" in ihrer Satzung auf 70 fest. Diese wurden im innerkapazitären Vergabeverfahren der Hochschule vollständig besetzt.

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Eine größere Zahl der nicht zugelassenen Bewerberinnen und Bewerber beantragte nun ihre Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität. Die Beschwerdeführerin lehnte die Anträge ab, worauf die Mehrzahl der Bewerberinnen und Bewerber Widerspruch erhob. Gleichzeitig beantragten 50 Bewerberinnen und Bewerber beim Verwaltungsgericht die vorläufige Zulassung zum Studium, womit 29 Erfolg hatten. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Nach dem im Eilverfahren anzulegenden Maßstab sei von einem nicht gerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte der Studienbewerber auszugehen und die Verpflichtung zur Zulassung auch dann auszusprechen, wenn das Gericht die anzuwendende Regelung für verfassungswidrig halte, weil darüber dann erst im Hauptsacheverfahren zu befinden sei. Nach den im Eilverfahren möglichen Erkenntnissen sei davon auszugehen, dass es im Bundesgebiet keinen vergleichbaren Studiengang gebe, der ohne vorherige Zulassung aufgenommen werden könne. Die Beschwerdeführerin habe der ihr obliegenden Darlegungspflicht nicht genügt, weil sie nicht hinreichend dazu vorgetragen habe, dass es im Bundesgebiet vergleichbare Studiengänge ohne Zulassungsbeschränkungen gebe. Daher sei die Zulassungsbeschränkung an den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum absoluten Numerus clausus zu messen (BVerfGE 33, 303; 85, 36), wonach die Beschränkung des Hochschulzugangs zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes zwingend erforderlich sein müsse. Diesen Anforderungen genüge das AKapG nicht. Insbesondere sei dem Gesetz weder das Gebot zu entnehmen, die vorhandene Ausbildungskapazität erschöpfend zu nutzen, noch enthalte es nachvollziehbare und überprüfbare Vorgaben für die Ermittlung der Anzahl der Studienplätze. Des Weiteren habe es der Gesetzgeber versäumt, alle wesentlichen Entscheidungen der Kapazitätsbestimmung selbst zu treffen. Daran ändere die "Beteiligung" der Bürgerschaft an den Vereinbarungen zwischen Hochschule und Behörde nichts, da damit keine Möglichkeit der Kontrolle verbunden sei, denn die Beteiligung beziehe sich nur auf die Entscheidung über den Globalhaushalt der Hochschule. Da die Zahl der Zulassungen also nicht wirksam beschränkt sei, dürfe eine Zulassung nur versagt werden, wenn sonst die Funktionsunfähigkeit in diesem Studiengang eintrete. Die Beschwerdeführerin habe aber nicht im erforderlichen Umfang dargelegt, weshalb dies der Fall wäre.

4

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die gerichtlichen Entscheidungen in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere sei der Rechtsweg erschöpft, da im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine weiteren Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden. Es sei auch unzumutbar, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten, weil aufgrund der Regelstudienzeit von sechs Semestern eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sich dieses vor einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung erledigen werde. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Art. 5 Abs. 3 GG schütze das von der Beschwerdeführerin entwickelte Studienkonzept. Die Verpflichtung, 29 Studierende außerkapazitär zuzulassen, sei ein nicht gerechtfertigter Eingriff in dieses Grundrecht. Die Gerichte stützten sich auf die strengen Anforderungen an die Zulassung zum Studium, die auf der besonderen Situation in den 1970er Jahren beruhten, heute aber aufgrund des Systemwechsels im Europäischen Hochschulraum und der ganz anderen, weithin diversifizierten Situation der Hochschulen so nicht mehr Anwendung finden könnten. Heute könne nicht mehr auf bundesweit ähnliche Studiengänge und auch nicht auf ein Berufsziel "Stadtplanung" abgehoben werden, da jedenfalls im vorliegenden Fall zahlreiche fachlich unterschiedlich profilierte Studiengänge zu diesem Ziel führten. Der Gesetzgeber müsse heute nur noch die Ziele, Kriterien, Zuständigkeiten und Verfahren sowie die periodische Kontrolle für Kapazitätsentscheidungen festlegen, wonach die Exekutive zu steuern habe. Damit genüge das Ausbildungskapazitätsgesetz den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

II.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin ist zwar beschwerdebefugt, doch steht einer Entscheidung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entgegen.

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1. Die Beschwerdeführerin ist nach § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdebefugt. Es erscheint möglich, dass sie durch die gerichtlichen Entscheidungen in ihrer Wissenschaftsfreiheit verletzt ist. Hochschulen können sich auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen (zuletzt BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Februar 2016 - 1 BvL 8/10 -, juris, Rn. 48 m. w. N.), das auch ihre Freiheit schützt, über Inhalt, Ablauf und methodischen Ansatz eines Studiengangs zu bestimmen (vgl. BVerfGE 127, 87 <120>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17. Februar 2016 - 1 BvL 8/10 -, juris, Rn. 49). Zu der Entscheidung über den methodischen Ansatz gehört die Entscheidung über die Form der Lehre - als Seminar, Vorlesung, Exkursion, Planspiel usw. - und über die organisatorische Sicherstellung von Lehrveranstaltungen (vgl. BVerfGE 35, 79 <124>; 61, 260 <279>). Das Zulassungsrecht greift in diese Gestaltungsfreiheit ein, indem es die Hochschule gegen deren Willen zur Aufnahme von Studierenden über die von ihr vereinbarte Kapazität hinaus verpflichtet. Eine Beschränkung der Zulassung zum Studium muss allerdings nicht nur Art. 5 Abs. 3 GG, sondern auch dem Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten der Ausbildungsbedürfnisse nicht nur der bereits zum Studium zugelassenen, sondern auch der sich darauf bewerbenden Studierenden gerecht werden (vgl. BVerfGE 85, 36 <57>; 134, 1 <13 f. Rn. 36 ff.>). Darauf zielt das Kapazitätsrecht. Eine dazu ergehende gerichtliche Entscheidung kann also die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 5 Abs. 3 GG verletzen.

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2. Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen jedoch alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 129, 78 <92>; stRspr). Nach einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist es daher in der Regel erforderlich, auch den Rechtsweg in der Hauptsache vollständig zu beschreiten (vgl. BVerfGE 104, 65 <71>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Oktober 2015 - 1 BvR 1645/14 -, juris, Rn. 5). Zwar steht hier der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kein Rechtsbehelf zur Verfügung. Das Oberverwaltungsgericht hat allerdings nur die vorläufige Zulassung zum Studium angeordnet. Damit bleibt der Hochschule die Möglichkeit, die von den Bewerberinnen und Bewerbern gleichzeitig mit den Anträgen auf Eilentscheidung durch die Gerichte eingelegten Widersprüche gegen die Nichtzulassung zum Studium zu bescheiden. Lässt sie die betroffenen Studierenden dann nicht zu, müssten diese gegen die Bescheide den Rechtsweg beschreiten. Damit besteht die Möglichkeit, die fachrechtlichen Fragen in einem fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu klären, bevor entscheidungserhebliche verfassungsrechtliche Fragen - gegebenenfalls im Rahmen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG - zu beantworten wären.

8

Die Durchführung des Hauptsacheverfahrens ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil dies unzumutbar wäre. Das ist der Fall, wenn eine Klage im Hinblick auf die Rechtsprechung der Fachgerichte aussichtslos erscheint, wenn Grundrechtsverletzungen geltend gemacht werden, die sich spezifisch auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beziehen (wie im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16. September 2008 - 81/08, 81 A/08 -, juris), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und die Voraussetzungen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gegeben sind (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>; 104, 65 <71>; 114, 258 <279 f.>). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das fachgerichtliche Verfahren ist nicht aussichtslos, weil es an einer gefestigten Rechtsprechung zum entscheidungserheblichen Kapazitätsrecht fehlt. Die Rügen der Beschwerdeführerin betreffen auch keine Besonderheiten des Eilverfahrens. Sie macht geltend, die Gerichte hätten das Kapazitätsrecht unter Missachtung von Art. 5 Abs. 3 GG angewendet. Dieser Mangel könnte, was auch das Oberverwaltungsgericht betont (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 9. Februar 2015 - 3 Nc 58/14 -, S. 6, 2.), im Hauptsacheverfahren beseitigt werden. In diesem wäre auch die im Eilverfahren ausdrücklich nicht abschließend geklärte tatsächliche Frage zu beantworten, ob ein mit dem hier in Rede stehenden Bachelorstudiengang vergleichbarer Studiengang im Bundesgebiet zulassungsfrei studiert werden kann. Sollten die außerhalb der vereinbarten Kapazität zugelassenen Studierenden während des Hauptsacheverfahrens ihr Studium beenden, kann die Beschwerdeführerin eine Entscheidung über die Begründetheit der Klage auf Zulassung erreichen, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse an einer solchen gerichtlichen Entscheidung besitzt (vgl. BVerwG, Urteil des Sechsten Senats vom 20. Oktober 2010 - BVerwG 6 C 20.09 -, juris, Rn. 17 m.w.N.). Für ein solches spricht die seit den 90er Jahren stark veränderte, für das Kapazitätsrecht relevante Situation der Hochschulen (vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium, Drs. 8639-08 vom 4. Juli 2008, S. 102; Entschließung des 204. Plenums der Hochschulrektorenkonferenz vom 14. Juni 2005, Empfehlung zur Sicherung der Qualität von Studium und Lehre in Bachelor- und Masterstudiengängen, III.B.), deren verfassungsrechtliche Bewertung streitig ist.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

10

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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