Ablehnung einstweilige Anordnung vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat 3. Kammer) - 2 BvR 2377/16

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

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1. Der Beschwerdeführer betreibt seit dem Jahr 2009 als eingetragener Kaufmann den E-Mail-Dienst P... Der Dienst wirbt mit einem besonders effektiven Schutz der Kundendaten und sieht sich den Grundsätzen der Datensicherheit und der Datensparsamkeit verpflichtet. Persönliche Daten der Kunden (Bestandsdaten) werden nicht gespeichert; die Kunden können anonym auf die elektronischen Postfächer zugreifen.

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2. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt gegen den Inhaber eines bestimmten E-Mail-Accounts bei P..., von dem lediglich der "Nickname" bekannt ist, ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.

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3. Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 ordnete das Amtsgericht Stuttgart gemäß §§ 100a, 100b StPO die Sicherung, Spiegelung und Herausgabe aller Daten, die auf den Servern von P... bezüglich des betreffenden E-Mail-Accounts elektronisch gespeichert sind, "sowie sämtlicher bezüglich dieses Accounts künftig anfallender Daten (Inhalts- und Verkehrsdaten nebst IP-Adressen, insbesondere auch bei den zukünftigen Login-Vorgängen anfallender IP-Adressen)" an. Die zunächst bis zum 24. September 2016 befristete Maßnahme wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 20. September 2016 bis zum 24. November 2016 verlängert.

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Nach Bekanntgabe der Überwachungsmaßnahme machte der Beschwerdeführer gegenüber der Staatsanwaltschaft Stuttgart geltend, dass ihm die Verkehrsdaten der Nutzer einschließlich der IP-Adressen infolge der technischen Gestaltung des von ihm betriebenen Systems nicht zur Verfügung stünden. Nach längerem Schriftverkehr beantragte die Staatsanwaltschaft schließlich beim Amtsgericht Stuttgart die Festsetzung von Ordnungsmitteln.

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4. Mit Beschluss vom 9. August 2016 setzte das Amtsgericht Stuttgart gegen den Beschwerdeführer gemäß § 100b Abs. 3 Satz 3, § 95 Abs. 2 Satz 1, § 70 Abs. 1 StPO ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 Euro, ersatzweise sieben Tage Ordnungshaft, fest. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben sei der Beschwerdeführer verpflichtet, seine technischen Einrichtungen so zu gestalten, dass die Erhebung der Daten gewährleistet sei.

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5. Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. August 2016 Beschwerde ein. Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens rügte er insbesondere, dass eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die ihm auferlegte Verpflichtung nicht bestehe.

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6. Das Landgericht Stuttgart verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 1. September 2016 als unbegründet. Die Verpflichtung, eine vollständige Kopie der Telekommunikation inklusive der IP-Adressen an die Ermittlungsbehörden zu übergeben, ergebe sich aus § 100b Abs. 3 Satz 2 StPO, § 110 TKG sowie aus §§ 3, 5 und 7 TKÜV in Verbindung mit den dazu ergangenen Richtlinien. Der Beschwerdeführer sei gehalten, gegebenenfalls die technischen Voraussetzungen zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht noch zu schaffen.

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7. Eine mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2016 erhobene "Gegenvorstellung" gegen den vorgenannten Beschluss, mit der der Beschwerdeführer zugleich gemäß § 33a StPO die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) rügte, wies das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 28. Oktober 2016 zurück.

II.

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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, die Festsetzung des Ordnungsgeldes verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Garantie der Freiheit der Person), Art. 12 GG (Berufsausübungsfreiheit) und Art. 14 GG (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb). Zur Ausleitung der IP-Adressen sei er aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage und aus rechtlichen Gründen auch nicht verpflichtet. Im Übrigen sei der Ordnungsgeldbeschluss unverhältnismäßig. Um die IP-Adressen ausleiten zu können, müsse der Beschwerdeführer seine Systeminfrastruktur grundlegend umbauen, was nur mit immensem zeitlichen und finanziellem Aufwand möglich sei, und überdies wesentlichen Elementen seines Geschäftsmodells zuwiderlaufe.

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Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollziehung des Ordnungsmittelbeschlusses im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Bislang sei zwar lediglich ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 Euro festgesetzt worden, dessen Vollstreckung den Beschwerdeführer wirtschaftlich nicht gefährde und das im Falle eines Erfolgs der Hauptsache zurückgezahlt werden könnte. Mit weiteren Ordnungsmitteln sei indes zu rechnen, zu deren Abwehr der Beschwerdeführer den beschriebenen aufwändigen Umbau des gesamten Systems unverzüglich in Angriff nehmen müsste.

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2. Mit Schreiben vom 21. November 2016 teilte der Beschwerdeführer mit, dass die Überwachung des in Rede stehenden E-Mail-Accounts abgeschaltet worden sei; es drohe aber weiterhin die Vollstreckung des Ordnungsgeldes.

III.

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 93, 181 <186>; 94, 166 <216f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>; 140, 99 <106 Rn. 12>; 140, 211 <219 Rn. 13>; stRspr).

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Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können, sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist - anders als der vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <216 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, juris, Rn. 5, und vom 13. Juli 2016 - 2 BvQ 26/16 -, juris, Rn. 5; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2016 - 2 BvQ 38/16 -, juris, Rn. 5, vom 22. September 2016 - 2 BvQ 52/16 -, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.).

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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht kommt danach nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen in Betracht als die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte. Insbesondere sind, wenn eine einstweilige Anordnung zur Abwendung eines geltend gemachten schweren Nachteils erstrebt wird, erheblich strengere Anforderungen an die Schwere des Nachteils zu stellen (vgl. nur BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, juris, Rn. 5, und vom 13. Juli 2016 - 2 BvQ 26/16 -, juris, Rn. 5, jeweils m.w.N.)

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2. Nach diesen strengen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren des Eilrechtsschutzes hier nicht vor.

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Dem Beschwerdeführer droht allein die Vollstreckung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500 Euro, welches ihn nach eigenen Angaben wirtschaftlich nicht gefährdet und im Falle der Aufhebung des Beschlusses zurückzugewähren wäre. Eine Vollstreckung der ersatzweise - also für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - festgesetzten Ordnungshaft steht nicht im Raum. Vielmehr geht der Beschwerdeführer selbst davon aus, dass das Ordnungsgeld erfolgreich vollstreckt werden kann, denn er hat für diesen Fall angekündigt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurücknehmen zu wollen. Eine Wiederholungsgefahr besteht nicht. So können weitere Ordnungsmittel, ungeachtet des Umstands, dass die Überwachungsmaßnahme zwischenzeitlich beendet wurde, schon aus Rechtsgründen nicht festgesetzt werden. Denn die Maßregeln Ordnungsgeld und Ordnungshaft sind mit ihrer einmaligen Festsetzung "erschöpft", so dass sie im selben Verfahren nicht wiederholt werden können (§ 100b Abs. 3 Satz 3 StPO i.V.m. § 95 Abs. 2 Satz 1, § 70 Abs. 4 StPO; vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. 2013, § 70 Rn. 12). Zwangsmittel in Form von Beugehaft sind weder angeordnet noch angekündigt, und, da die Überwachungsmaßnahme beendet wurde, auch nicht mehr zu erwarten. Nach alledem drohen dem Beschwerdeführer nicht so schwerwiegende Nachteile, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt wäre.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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