Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 B 20/12
Gründe
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Rückforderung von Flächenzahlungen.
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Der Kläger ist Landwirt. Für die Jahre 2001 und 2002 wurden ihm Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen bewilligt. Mit Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Amtes für Agrarstruktur vom 14. Mai 2004 wurden die entsprechenden Zuwendungsbescheide teilweise zurückgenommen und der danach zu Unrecht gezahlte Betrag zurückgefordert, weil der Kläger nicht beihilfefähige Flächen angegeben habe. Der Widerspruch des Klägers blieb im Wesentlichen erfolglos. Auf seine Klage hat das Verwaltungsgericht den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid hinsichtlich der Rückforderung aufgehoben; hingegen hat es die Klage als unzulässig abgewiesen, soweit sie sich gegen die Rücknahme der Zuwendungsbescheide für die Jahre 2001 und 2002 richtet. Über die Flächenzahlungen für diese Jahre habe das Amt für Agrarstruktur mit weiteren Bescheiden vom 14. Mai 2004 bestandskräftig entschieden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage auch hinsichtlich der Rückforderung im Wesentlichen abgewiesen. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig betrachtet habe, sei das Urteil rechtskräftig geworden. Der gemeinschaftsrechtlich geregelte Vertrauensschutz sei nur im Rahmen der Rücknahme der Zuwendungsbescheide zu prüfen. Diese sei jedoch bestandskräftig geworden. Ungeachtet dessen entfalle die Verpflichtung zur Rückzahlung - anders als es das Verwaltungsgericht meine - nicht nach Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001, denn die zu Unrecht erfolgten Zahlungen beruhten nicht auf einem Irrtum der zuständigen oder einer anderen Behörde. Vielmehr seien sie auf die fehlerhafte Angabe der Beihilfefähigkeit der Flächen in den Anträgen auf Agrarförderung für die Antragsjahre 2001 und 2002 zurückzuführen. Etwas anderes ergebe sich für das Antragsjahr 2001 auch nicht aus Art. 14 Abs. 4 VO (EG) Nr. 3887/1992.
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II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
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1. Für die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist erforderlich, dass dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann. Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens erlaubt die Zulassung der Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nur, soweit er in der Berufungsinstanz in einer Weise fortwirkt, die sich zugleich als Mangel des Berufungsverfahrens darstellt (vgl. Beschluss vom 30. Juli 1990 - BVerwG 7 B 104.90 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 289). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
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Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Rücknahme der Zuwendungsbescheide bestandskräftig geworden sei, weil das Verwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen habe. Das ist nicht zu beanstanden.
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Auf den Zulassungsantrag der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Entsprechend hatte die Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde. Das Berufungsverfahren erfasste damit nicht die Rücknahme der Zuwendungsbescheide, die einen rechtlich selbständigen Teil des Streitgegenstandes im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht darstellte, bezüglich dessen - wie geschehen - die Klage abgewiesen werden konnte. Hätte der Kläger das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit nicht gegen sich gelten lassen wollen, hätte er auf die Berufung der Beklagten Anschlussberufung einlegen müssen.
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Mit der durch § 127 VwGO eröffneten Anschlussberufung wird demjenigen, der eine Berufung nicht einlegen will oder kann, die Möglichkeit gegeben, den Gegenstand des Berufungsverfahrens zu erweitern. Im Rahmen des Antrags der Anschlussberufung entfällt die Bindung des Rechtsmittelgerichts an den Berufungsantrag und eröffnet sich die Möglichkeit einer Entscheidung zum Nachteil des Berufungsführers. Damit ist es dem Anschlussberufungsführer möglich, Waffengleichheit herzustellen. Entsprechend hätte der Kläger die Rücknahme der Zuwendungsbescheide, die Voraussetzung der Rückforderung ist, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen können. Daran war er auch nicht mangels Beschwer gehindert. Ungeachtet der im Einzelnen strittigen, überwiegend verneinten Frage, ob die Anschlussberufung eine Beschwer voraussetzt (vgl. Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2012, § 127 Rn. 6 m.w.N.), hätte sich der Kläger der Berufung anschließen können; denn jedenfalls mit der Berufung war der Kläger durch den die Klage abweisenden Teil des Urteils beschwert, weil ihm hierdurch wesentliche Einwendungen gegen die Rückforderung genommen wurden. Der Anschlussberufung stand im Übrigen auch die auf den stattgebenden Teil des Urteils beschränkte Zulassung der Berufung nicht entgegen (Teilurteil vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 C 52.04 - BVerwGE 125, 44). Von dieser Möglichkeit hat der Kläger jedoch keinen Gebrauch gemacht. Danach musste das Oberverwaltungsgericht - ungeachtet der beachtlichen Gründe, die gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils sprechen - im Berufungsverfahren von der Bestandskraft der Rücknahme der Zuwendungsbescheide ausgehen.
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2. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Frage zur Auslegung des Irrtumsbegriffs und damit zum Anwendungsbereich der Vertrauensschutzregelung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, denn sie lässt sich ohne Weiteres mit Hilfe der üblichen Regeln der Gesetzesauslegung beantworten (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13; EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, 3415 Rn. 12 ff.).
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Ein Irrtum der zuständigen Behörde im Sinne von Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 liegt nicht bereits dann vor, wenn die Behörde bei Bewilligung der Beihilfe von der Fehlvorstellung geleitet war, die Bewilligungsvoraussetzungen seien gegeben. Der Begriff des Irrtums der zuständigen Behörde beschreibt nicht nur die - von Fällen des Vorsatzes abgesehen - stete Ursache einer fehlerhaften Bewilligung, sondern setzt voraus, dass der Fehler dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzuordnen ist. Der europäische Normgeber verwendet den Begriff "Irrtum" (en: error; fr: erreur) im Zusammenhang des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems synonym mit dem Begriff des Fehlers (vgl. Urteil vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 15.08 - Buchholz 424.3 Förderungsmaßnahmen Nr. 10
). Mit ihm ist nach herkömmlichem Begriffsverständnis regelmäßig, und so auch hier, nicht nur eine Ursache beschrieben, sondern zugleich eine Zurechnung verbunden. Das kommt in der deutschen Sprachfassung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 bereits mit der Formulierung zum Ausdruck, dass die Zahlung auf einen Irrtum der "zuständigen Behörde selbst" "zurückzuführen" sein muss. Die fehlerhafte Zahlung muss danach ihren Ursprung im Verantwortungsbereich der Behörde haben. Die Bedeutung dieser Formulierung wird umso klarer, als die ursprüngliche, noch bruchstückhafte Vorgängerregelung des Art. 14 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 3887/1992 vom 23. Dezember 1992 eine Pflicht zur Verzinsung verneinte, wenn zu Unrecht erfolgte Zahlungen "auf einem Irrtum der zuständigen Behörde beruhen". Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht darüber hinaus betont, dass es bei einer anderen Auslegung der Vorschrift nicht verständlich wäre, neben einem Irrtum der zuständigen Behörde auch den Irrtum einer anderen Behörde als Grundlage des Vertrauensschutzes zu nennen. Wäre jede Fehlvorstellung der zuständigen Behörde, die ursächlich für die zu Unrecht gezahlte Beihilfe geworden ist, unabhängig davon erheblich, ob sie von der zuständigen Behörde zu verantworten ist, so wäre diese Erweiterung aber auch die Anknüpfung an einen Irrtum und Fehler der Behörde überhaupt praktisch bedeutungslos.
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Diese Auslegung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 fügt sich auch im Übrigen in das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystems ein. Offensichtliche Irrtümer eines Beihilfeantrags sind jederzeit zu berichtigen und stehen der Bewilligung einer Beihilfe nicht entgegen, soweit die Bewilligungsvoraussetzungen für den berichtigten Antrag gegeben sind (Art. 12 VO
Nr. 2419/2001). Darüber hinaus führt die Verletzung von beihilferelevanten Vorschriften durch den Antragsteller dann nicht zu Sanktionen, wenn er schuldlos gehandelt hat (Art. 44 Abs. 1 VO Nr. 2419/2001). Mit diesen Regelungen, die bereits die Frage betreffen, ob Zahlungen überhaupt und in welchem Umfang zu Unrecht erfolgt und damit zurückzuzahlen sind (Art. 49 Abs. 1 VO Nr. 2419/2001), wird Fehlern des Antragstellers Rechnung getragen. Der Vertrauensschutz, den Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 jenseits dessen gewährt, bezieht sich hingegen auf das Vertrauen, das der Betriebsinhaber darauf haben darf, dass die Behörde ihrerseits fehlerfrei entscheidet.
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Auf die weitere Frage, ob die Vertrauensschutzregelung des Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001, mit der die Kommission den Vertrauensschutz entsprechend der Vorgängerregelung des Art. 14 VO (EWG) Nr. 3887/1992 in der Fassung der Änderungsverordnung VO (EG) Nr. 1678/1998 vom 29. Juli 1998 im Interesse der einheitlichen Handhabung abschließend geregelt hat (Beschluss vom 29. März 2005 - BVerwG 3 B 117.04 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112), nach bestandskräftiger Rücknahme der Zuwendungsbescheide bei der Rückforderung noch zu berücksichtigen ist, kommt es danach nicht an. Ist die angefochtene Entscheidung - wie hier - selbständig tragend auf mehrere Begründungen gestützt, so ist die Revision nur dann zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder der verschiedenen Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt. Dies ist von der Beschwerde nicht dargelegt worden.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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