Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 C 15/12

Tatbestand

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Der 1973 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste 2007 ohne Visum erstmals nach Deutschland ein. Mit seiner 1987 geborenen ghanaischen Lebensgefährtin hat er zwei 2008 bzw. 2010 geborene Töchter, die ebenfalls ghanaische Staatsangehörige sind. Für beide Kinder übt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die elterliche Sorge aus. Seine Lebensgefährtin hat eine weitere Tochter (R.), die sowohl die ghanaische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, und für die sie allein personensorgeberechtigt ist; diese Tochter lebt ebenfalls im Haushalt des Klägers und seiner Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin ist in einer Teilzeitbeschäftigung erwerbstätig. Sie hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die gemeinsamen Töchter haben Aufenthaltstitel nach § 33 AufenthG.

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Im Mai und Juli 2008 sowie im Juli 2010 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Töchtern. Auf eine von ihm erstattete Selbstanzeige wegen mehrfacher Einreise ohne Visum erging ein Strafbefehl, durch den eine Geldstrafe festgesetzt wurde. Durch Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte ihn zur Ausreise auf (Ziff. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Ghana an (Ziff. 3).

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung mit Urteil vom 18. April 2012 stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG zu erteilen. Dies sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Zwischen dem Kläger und seinen Töchtern bestehe eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Der Kläger übe die Personensorge tatsächlich aus und betreue die Kinder während der Abwesenheit ihrer Mutter allein. Diese Lebensgemeinschaft könne nur im Bundesgebiet fortgesetzt werden. Denn weitere, ebenso geschützte Gemeinschaften bestünden nicht nur zwischen den Töchtern des Klägers und ihrer Mutter, sondern auch zwischen dieser und ihrer Tochter R. Eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers werde zwangsläufig die familiäre Gemeinschaft mit seinen Töchtern aufheben, sofern ihn jene nicht nach Ghana begleiteten. Dies werde jedoch die Aufhebung der Lebensgemeinschaft der gemeinsamen Töchter mit ihrer Mutter zur Folge haben, sollte diese mit ihrer Tochter R. im Bundesgebiet bleiben wollen. Sollte sie hingegen mit dem Kläger und den gemeinsamen Töchtern nach Ghana zurückkehren, müsse sie entweder die Lebensgemeinschaft mit R. aufgeben oder sie mitnehmen. Als deutsche Staatsangehörige besitze R. aber ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Selbst wenn die Annahme zutreffe, die Aufenthaltsbeendigung zu Lasten des Klägers verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, stünden jedenfalls Art. 20 AEUV und die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Der Anspruch des Klägers scheitere auch nicht am Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Hinsichtlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) liege aus den genannten Gründen ein Ausnahmefall vor, der die Anwendung dieser nur im Regelfall geltenden Erteilungsvoraussetzung ausschließe. Durch seine mehrfache Einreise ohne Visum habe der Kläger zwar einen Ausweisungsgrund erfüllt, doch müsse von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im vorliegenden Fall abgesehen werden. Schließlich sei dem Kläger auch nicht die nachträgliche Durchführung eines Visumverfahrens zuzumuten, weil dieses wegen der ablehnenden Haltung der Beklagten voraussichtlich sehr lange dauern werde (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG).

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Ihre rechtzeitig eingelegte Revision begründet die Beklagte damit, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Es fehle an einer außergewöhnlichen Härte. Die familiäre Lebenshilfe, die der Kläger seinen beiden minderjährigen Kindern schulde, müsse nicht im Bundesgebiet erbracht werden, weil die Lebensgemeinschaft mit der Lebensgefährtin des Klägers sowie ihrer Tochter R. auch in Ghana fortgeführt werden könne. Zwar stehe dieser Tochter aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik zu. Sie dürfe aber auf Grund ihrer zweiten Staatsangehörigkeit auch nach Ghana einreisen, wo der familiären Lebensgemeinschaft ein vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz zustehe wie in der Bundesrepublik Deutschland. Soweit sich das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 20 AEUV stütze, verkenne es, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem vom EuGH entschiedenen Fällen nicht vergleichbar sei.

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Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und hebt hervor, dass ein Härtefall im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG nicht vorliege; der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich gegen ein allgemeines Nachzugsrecht entschieden.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich, verletzt durch die Wahl eines unzutreffenden Entscheidungsmaßstabs revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte maßgeblichen Umständen fehlt, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit muss daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Deshalb bedarf es einer Entscheidung über den auch in der Revisionsinstanz angefallenen Hilfsantrag des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG derzeit nicht.

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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 jeweils Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9 jeweils Rn. 12 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union vom 17. Juni 2013 (BGBl I S. 1555), zu Grunde zu legen. Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der entscheidungserheblichen Bestimmungen im vorliegenden Fall aber nicht geändert.

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1. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG vorliegen, kann auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden.

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1.1 Das Aufenthaltsgesetz ist anwendbar. Es wird nicht durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) verdrängt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), da dieses Gesetz auf den Kläger keine Anwendung findet. Nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie, unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU), ihrer Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch kein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, da er mit der ältesten Tochter seiner Lebensgefährtin nicht verwandt ist; außerdem wird ihm von ihr kein Unterhalt gewährt.

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1.2 Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) müssen grundsätzlich ebenfalls vorliegen.

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Das Aufenthaltsgesetz behandelt im sechsten Abschnitt des zweiten Kapitels den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland aus familiären Gründen. Dabei regeln die §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern und unterscheiden zusätzlich danach, ob das in Deutschland lebende Familienmitglied die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht. Demgegenüber erstreckt § 36 Abs. 2 AufenthG die Möglichkeit einer Familienzusammenführung zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG (vgl. § 27 Abs. 1 AufenthG) auch auf sonstige Familienangehörige, die von den vorgenannten Normen nicht erfasst werden; die Vorschrift ist auf sonstige Familienangehörige von Deutschen entsprechend anzuwenden (vgl. § 28 Abs. 4 AufenthG). Allerdings ist der Nachzug sonstiger Familiengehöriger auf Fälle einer außergewöhnlichen Härte, das heißt auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre.

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Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 5 Rn. 10; ebenso zur Vorgängervorschrift in § 22 AuslG: Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 23).

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Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland als Voraussetzung für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger stellt eine höhere Hürde dar als die in den §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG geregelten Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern, Eltern oder Ehegatten, weil sie eine gesonderte Begründung dafür verlangt, dass die Herstellung der Familieneinheit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unzumutbar wäre (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 10.12 - juris Rn. 37 - 39). Dies folgt im Übrigen auch aus dem Umstand, dass bei dem Ehegatten- und Kindernachzug (§ 30 Abs. 2 und § 31 Abs. 2 bzw. § 32 Abs. 4 AufenthG) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Norm nicht erfüllt sind, schon zur Vermeidung einer besonderen Härte, also bei drohender erheblicher Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), in Betracht kommt. Das Berufungsgericht hat den Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 2 AufenthG verfehlt, indem es eine außergewöhnliche Härte schon angenommen hat, wenn die Umstände des Einzelfalles eine im Vergleich zum Nachzug von Eltern, Kindern oder Ehegatten nur vergleichbare Dringlichkeit im Sinne einer besonderen Härte begründen.

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1.3 Der Kläger ist im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sonstiger Familienangehöriger seiner leiblichen Töchter A. B. und T., denn er ist als nicht mit der Mutter der Kinder verheirateter Vater keinem der sonst in Betracht kommenden Tatbestände des Familiennachzugs zuzuordnen. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem zuvor benannten Entscheidungsmaßstab zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist, da notwendige Feststellungen zu den relevanten Umständen des Einzelfalles fehlen. Zwar sind die Kinder A. B. und T. auf Grund ihres Alters von zwei bzw. vier Jahren außerstande, ein eigenständiges Leben zu führen; sie bedürfen vielmehr als Kleinkinder ständiger Pflege und Betreuung und deshalb der Einbindung in die familiäre Lebensgemeinschaft. Ob allerdings diese familiäre Lebenshilfe für A. B. und T. in zumutbarer Weise nur in Deutschland geleistet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sich eine Fortführung der Familiengemeinschaft außerhalb Deutschlands voraussichtlich auf das Kind R. auswirken würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

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Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - BVerfGE 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als "Patchwork-Familie" bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der "Patchwork-Familie" stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.

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Nach diesem Maßstab wäre es dem Kläger und seinen leiblichen Töchtern A. B. und T. sowie deren Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers, bei isolierter Betrachtung ohne Berücksichtigung des Kindes R. zumutbar, die zwischen ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft außerhalb Deutschlands weiterzuführen. Sie besitzen ausschließlich die ghanaische Staatsangehörigkeit; besondere Umstände, die eine Verwurzelung in Deutschland nahe legen würden (Art. 8 EMRK), sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Verfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf das Alter der Kinder von nur zwei bzw. vier Jahren bestand für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung insofern auch kein Anlass zu weiterer Aufklärung. Ob dies im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Zurückverweisung noch in gleicher Weise zutrifft, kann offenbleiben.

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In den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz der gelebten Familiengemeinschaft, der der Kläger angehört, ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts jedoch auch die älteste Tochter der Lebensgefährtin des Klägers, die im Jahre 2006 geborene R., einbezogen. Aus diesem Grunde müssen die Auswirkungen einer Ausreise des Klägers, seiner leiblichen Töchter und seiner Lebensgefährtin auf R. berücksichtigt werden. Zwar ist sie, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, als deutsche Staatsangehörige vor behördlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt. Aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit folgt für sich genommen allerdings nicht, dass ihr eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland ohne Hinzutreten besonderer Umstände stets unzumutbar wäre. Dasselbe gilt auch für den durch Art. 8 EMRK vermittelten Schutz (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 - juris Rn. 22 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR). Ob ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt, hängt vielmehr davon ab, welche Folgen eine - ggf. bis zur Volljährigkeit andauernde, aber jedenfalls vorübergehende - Fortführung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter, ihren Halbschwestern und dem Kläger im Ausland für sie hätte, ob und ggf. welche Alternativen denkbar wären (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2008 a.a.O. und vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 - BVerfGK 14, 458 Rn. 27) und wie sich ein derartiger Aufenthalt im Ausland ggf. auf ihre - rechtlich gesicherte - Möglichkeit einer späteren Rückkehr und Reintegration in Deutschland auswirken würde (Urteil vom 13. Juni 2013 a.a.O. Rn. 27).

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Sollte sich aus derartigen Umständen - die bisher nicht hinreichend aufgeklärt sind - ergeben, dass R. die Fortführung der familiären Gemeinschaft außerhalb Deutschlands nicht zuzumuten ist, spräche Überwiegendes dafür, dass der Kläger zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte einen Aufenthaltstitel beanspruchen könnte. Denn auch wenn der Kläger mit R. nicht verwandt ist und auch sonst in keiner rechtlichen Beziehung zu ihr steht, so steht die Beziehung R.s zu ihrer leiblichen Mutter - der Lebensgefährtin des Klägers, die zudem das alleinige Sorgerecht für sie ausübt - ebenso unter dem rechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG wie die Beziehung der Lebensgefährtin des Klägers zu den gemeinsamen Kindern A. B. und T. Eine behördlich verfügte Aufenthaltsbeendigung des Klägers würde je nachdem, welche Entscheidung der Kläger und seine Lebensgefährtin über den Verbleib der übrigen Mitglieder der "Patchwork-Familie" treffen, dazu führen, dass entweder R. die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit der Familiengemeinschaft verlassen würde oder dass verfassungsrechtlich geschützte familiäre Bindungen zwischen den Mitgliedern der "Patchwork-Familie" beeinträchtigt oder zerstört würden. Die sich hieraus ergebenden konkreten Folgen für das Kind R. sind im Verfahren bisher weder unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch unter demjenigen des Art. 8 EMRK hinreichend ermittelt worden, so dass die Frage, ob die Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu Lasten des Klägers eine Handlungsmöglichkeit offenlässt, in der R. die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar wäre, nicht beantwortet werden kann.

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1.4 Das Berufungsgericht wird daher aufzuklären haben, ob es besondere Umstände gibt, die einen Verbleib des Kindes R. in Deutschland als einzige dem Kind zumutbare Alternative erscheinen lassen. Derartige Umstände können sich etwa aus dem Verhältnis R.s zu ihrem leiblichen Vater ergeben, insbesondere dann, wenn zwischen ihnen bereits bestehende oder gewünschte Kontakte durch die Fortführung der Familiengemeinschaft im Ausland unmöglich gemacht würden. Auch wenn bisher derartige Umstände im Verfahren nicht deutlich zu Tage getreten sind, drängt sich eine weitere Aufklärung im Hinblick auf das Recht eines Kindes auf Umgang mit beiden Eltern auf. Aufzuklären ist auch, ob die Lebensumstände in Deutschland dazu führen können, dass R. eine Beendigung ihres Aufenthalts nicht verarbeiten könnte, ohne Schaden zu nehmen. Ob dies der Fall sein kann, dürfte auch davon abhängen, wie sich ihre Lebensumstände bei einer Verlagerung der Familieneinheit nach Ghana voraussichtlich darstellen würden. Weiter wird eine Prognose darüber zu treffen sein, ob durch einen Umzug der Familie nach Ghana die ihr auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit zustehende Rückkehrmöglichkeit beeinträchtigt oder gar entwertet würde, etwa durch eine Erschwerung der Reintegration aus sprachlichen Gründen oder als Folge einer Sozialisation in Ghana. Schließlich muss geprüft werden, ob es Alternativen zu einer Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft aller Mitglieder der "Patchwork-Familie" im Ausland gibt. In diesem Zusammenhang dürfte es darauf ankommen, wie das Verhältnis des Kindes R. zum Kläger, zu ihrem leiblichen Vater, ihren Halbgeschwistern und ihrer Mutter zu bewerten ist. Maßgeblicher Bezugspunkt für diese Prüfung wird der Zeitpunkt der erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts sein.

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1.5 Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich auch die Frage nicht beantworten, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben sind oder nicht.

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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt des Klägers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG); zudem liegt der Ausweisungsgrund der mehrfachen illegalen Einreise (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) vor; schließlich ist der Kläger ohne Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

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1.5.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist; dies gilt allerdings nicht in atypischen Ausnahmefällen. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, wenn sich ergeben sollte, dass die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG darstellt, weil die Fortführung der Familieneinheit im Ausland unzumutbar wäre und deshalb eine Verletzung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK anzunehmen wäre. Ob dies der Fall ist, kann jedoch - wie ausgeführt - erst nach Aufklärung der vorgenannten maßgeblichen Umstände beantwortet werden.

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1.5.2 Ebenfalls ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass im vorliegenden Fall das Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf in der Regel kein Ausweisungsgrund vorliegen. Zwar verstößt die mehrfache Einreise des Klägers ohne Aufenthaltstitel gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und stellt zugleich eine Straftat (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und damit einen Ausweisungsgrund (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) dar. Im vorliegenden Fall spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege von dieser Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden muss. Denn die eingetretene Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist im Hinblick auf den Zweck seiner Einreise, seine nachfolgende Selbstanzeige und die inzwischen erteilte Duldung von geringem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 a.E.). Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es hierzu nicht.

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1.5.3 Ob schließlich der Umstand, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht, kann erst nach weiterer Sachaufklärung entschieden werden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Von diesem Erfordernis kann etwa dann abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

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Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines solchen Falles ohne hinreichend breite Tatsachengrundlage damit begründet, dass von einer langen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens auszugehen sei, weil der Kläger voraussichtlich den Rechtsweg gegen eine zunächst ablehnende Entscheidung werde beschreiten müssen. Mit dieser Begründung geht das Berufungsgericht zu Unrecht von der Annahme aus, die zuständige Behörde werde trotz einer gerichtlichen Entscheidung, in der ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich bejaht wird, durch Verweigerung des Visums rechtswidrig handeln; zudem hat es versäumt, die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in seine Prognose einzubeziehen (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 22).

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Für die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG anzustellende Prognose muss vielmehr konkret ermittelt werden, wie lange der familiären Gemeinschaft des Klägers, seiner Lebensgefährtin und der drei Kinder eine Abwesenheit des Klägers zugemutet werden kann. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und ggf. unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen eine vorübergehende Ausreise des Klägers für die Familie hätte, insbesondere, ob die noch sehr kleinen Kinder auch durch eine verfahrensbedingte Abwesenheit des Klägers von nur wenigen Monaten emotional unzumutbar belastet würden. Die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen sind bisher nicht getroffen worden.

27

2. Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen eine negative Entscheidung über einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG treffen, wird diese Entscheidung am Recht der Europäischen Union zu messen sein.

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2.1 Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Unionsbürgerrichtlinie) ist auf den Kläger nicht anwendbar. Sie regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkung dieser Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und gilt für jeden Unionsbürger, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, sowie seine Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch nicht Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie, da er mit dem Kind deutscher Staatsangehörigkeit R. nicht verwandt ist; zudem hat diese von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht und gewährt dem Kläger keinen Unterhalt.

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Auch die Richtlinie 2003/86/EG des Rates (Familienzusammenführungsrichtlinie) findet keine Anwendung. Zwar sind die Lebensgefährtin des Klägers und seine leiblichen Kinder Drittstaatsangehörige, so dass sie grundsätzlich als Zusammenführende in Betracht kämen. Doch der Kläger zählt nicht zum Kreis der Nachzugsberechtigten, weil er nicht der Ehegatte seiner Lebensgefährtin ist (vgl. Art. 4 Abs. 1a der Richtlinie); die Optionen für den Nachzug nichtehelicher Partner und von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, denen von den zusammenführenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (vgl. Art. 4 Abs. 2a und Abs. 3 der Richtlinie) sind im deutschen Aufenthaltsrecht nicht genutzt worden.

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2.2 Als unionsrechtlicher Maßstab kommen im vorliegenden Falle vielmehr allein Art. 20 und 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Betracht.

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Art. 20 Abs. 1 AEUV verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, den Status eines Unionsbürgers. Dieser umfasst nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2a, Art. 21 AEUV das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht dieser grundlegende Status der Unionsbürger nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Dies gilt auch für minderjährige Unionsbürger. Solange sie sich in einer Situation befinden, die durch eine rechtliche, wirtschaftliche oder affektive Abhängigkeit von Drittstaatsangehörigen bestimmt ist, darf auch durch - insbesondere aufenthaltsrechtliche - Maßnahmen gegen diese nicht bewirkt werden, dass sich der minderjährige Unionsbürger rechtlich oder faktisch gezwungen sieht, das Unionsgebiet zu verlassen. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob sich die Maßnahme nur gegen einen Elternteil oder gegen beide Eltern des Unionsbürgers oder gegen andere Bezugspersonen richtet. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht bereits ausgeübt hat oder nicht. Allerdings reicht der bloße Wunsch, die Familiengemeinschaft mit allen Familienangehörigen im Unionsgebiet aufrecht zu erhalten, nicht aus. Verhindert werden soll nämlich eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv vollkommen abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen bzw. sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen. Lebt er hingegen mit einem sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen einen anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - Slg. 2004, I-9925 Rn. 25 ff.; vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - Slg. 2011, I-1177 Rn. 41 ff.; vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - Slg. 2011, I-3375 Rn. 44 ff.; vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci - NVwZ 2012, 97 Rn. 59 - 69; vom 8. November 2012 - Rs. C-40/11, Iida - NVwZ 2013, 357 Rn. 66 ff.; vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11, O. und S. - NVwZ 2013, 419 Rn. 52 ff. mit dem Hinweis auf Rn. 44 der Anträge des Generalanwalts in dieser Sache und vom 8. Mai 2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga - InfAuslR 2013, 259 Rn. 34 ff.).

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Nach diesen Grundsätzen muss sich jede nationale Maßnahme eines Mitgliedstaats gegen drittstaatsangehörige Bezugspersonen minderjähriger Unionsbürger an dem Verbot messen lassen, einen rechtlichen oder faktischen Zwang zum Verlassen des Unionsgebiets auszulösen und die Unionsbürgerschaft dadurch ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Die Berufung auf Art. 20 und 21 AEUV ist allerdings auf seltene Ausnahmefälle beschränkt (EuGH, Urteil vom 8. November 2012 a.a.O. Rn. 71). Zu prüfen sind jeweils alle Umstände des konkreten Falles (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 53). Ob eine nationale Maßnahme den Kernbestand der Unionsbürgerschaft in diesem Sinne beeinträchtigt, hat das mitgliedstaatliche Gericht zu entscheiden.

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Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen, für den das Aufenthaltsrecht beantragt wird, und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht im vorerwähnten Sinne abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 51, 55).

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2.3 Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall anwendbar. Ob allerdings die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegenüber dem Kläger unionsrechtlichen Anforderungen genügen würde, kann ohne eine im Falle einer derartigen Entscheidung zu § 36 Abs. 2 AufenthG erforderlich werdenden weiteren Sachaufklärung nicht entschieden werden.

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Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass unabhängig von der Annahme eines außergewöhnlichen Härtefalls im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Anspruch des Klägers auf einen Aufenthaltstitel jedenfalls aus Art. 20 AEUV folge, weil die Verweigerung eines Aufenthaltstitels dazu führen werde, dass sowohl seine Lebensgefährtin als auch ihre älteste Tochter R. Deutschland verlassen würden. Diese Annahme beruht auf einem Entscheidungsmaßstab, der der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH nicht entspricht. Denn das Berufungsgericht lässt außer Acht, dass R.s Mutter - die Lebensgefährtin des Klägers - über ein Aufenthaltsrecht verfügt, das wegen seiner Bindung an die Minderjährigkeit R.s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt und dass bereits dieser Umstand der Annahme eines unionsrechtswidrigen faktischen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets entgegensteht. Gegen einen solchen Zwang spricht auch, dass die Lebensgefährtin des Klägers das alleinige Sorgerecht für R. innehat, so dass diese jedenfalls nicht in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger steht. Schließlich hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Lebensgefährtin des Klägers - nicht aber dieser selbst - durch Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familiengemeinschaft beiträgt, so dass auch nichts für eine wirtschaftliche Abhängigkeit R.s vom Kläger spricht; Unterhaltspflichten hat er ihr gegenüber nicht.

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Ob die übrigen nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH maßgeblichen Kriterien gegeben sind oder nicht, lässt sich ohne zusätzliche Sachverhaltsaufklärung allerdings nicht feststellen. Insbesondere liegen keine aussagekräftigen Feststellungen dazu vor, ob zwischen R. und dem Kläger ein affektives Abhängigkeitsverhältnis besteht, dessen Intensität trotz der festgestellten Umstände - insbesondere der wirtschaftlichen, rechtlichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch affektiven Bindung R.s an ihre Mutter - für das Vorliegen eines unionsrechtswidrigen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets sprechen könnte. Hinreichende Feststellungen fehlen auch zu der weiteren Frage, ob eine emotionale Beziehung zwischen R. und ihrem leiblichen Vater festgestellt werden kann, die eine möglicherweise bestehende affektive Abhängigkeit R.s vom Kläger relativieren würde. Erst wenn diese Aspekte hinreichend geklärt sind, kann ggf. entschieden werden, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts gegenüber dem Kläger mit Art. 20 AEUV und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH im Einklang stünde.

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