Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO) - 20 F 13/12

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Journalist. Im Verfahren der Hauptsache begehrt er, gestützt auf § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 8 des Bundesarchivgesetzes (BArchG), Zugang zu den im Schluss- und Widerspruchsbescheid des Bundeskanzleramts vom 16. April 2012 unter IV. aufgeführten Unterlagen im Zusammenhang mit den Anschlägen und der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" im Herbst 1977.

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Mit Verfügung des Berichterstatters forderte das Gericht der Hauptsache die Beklagte auf, die im Bescheid vom 16. April 2012 unter IV. aufgeführten Unterlagen vorzulegen. Daraufhin gab das Bundeskanzleramt in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 21. September 2012 eine Sperrerklärung für die unter IV. Nr. 1 - 7 und Nr. 10 aufgeführten Unterlagen ab und führte zur Begründung aus, eine Offenlegung würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Darüber hinaus seien bestimmte Unterlagen ihrem Wesen nach geheim zu halten, weil sie personenbezogene Daten enthielten.

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Mit Beschluss vom 8. November 2012 hat das Gericht der Hauptsache unter Bezugnahme auf den Antrag des Klägers vom 31. Oktober 2012 die Sache dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung vorgelegt. In der Begründung des Beschlusses wird darauf hingewiesen, dass es eines förmlichen Beweisbeschlusses nicht bedurft habe, weil die Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhänge, ob die Dokumente, wie vom Bundeskanzleramt geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig im Sinne des Bundesarchivgesetzes seien.

II.

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Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

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1. Der Antrag des Klägers gemäß § 99 Abs. 2 VwGO ist zulässig. Der Fachsenat kann über den Antrag in der Sache entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht der Hauptsache vor Abgabe der Sperrerklärung auf eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit verzichtet und lediglich - unter Hinweis auf die Entbehrlichkeit eines Beweisbeschlusses - einen Vorlagebeschluss an das Bundesverwaltungsgericht in seiner Eigenschaft als Fachsenat im Sinne des § 189 VwGO gefasst hat.

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Ein - grundsätzlich erforderlicher - Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit des Akteninhalts ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die dortige Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. Beschluss vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 4 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58).

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So liegt es hier. Der Kläger macht einen Anspruch auf Nutzung von Archivgut des Bundes nach § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 8 BArchG geltend. Ob die von der Beklagten im Hauptsacheverfahren angeführten Gründe diesem Anspruch mit Erfolg entgegengehalten werden können, ist für das Gericht der Hauptsache nur in Kenntnis des Akteninhalts feststellbar. Dies gilt für den von der Beklagten angeführten absoluten Versagungsgrund einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland durch eine Benutzung des Archivguts (§ 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG) sowohl soweit geltend gemacht wird, es handele sich um ausländische Verschlusssachen, als auch soweit auf Informantenschutz verwiesen wird. Ohne Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen kann das Gericht der Hauptsache nicht überprüfen, ob diese Begründung trägt.

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2. Der Antrag ist unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, dem Gericht der Hauptsache die angeforderten Unterlagen vorzulegen, ist rechtmäßig.

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Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

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2.1 Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 <348>), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Nachteile für das Wohl des Bundes fordern gewichtige Gründe und setzen Beeinträchtigungen wesentlicher Bundesinteressen voraus. Dazu zählen namentlich Gefährdungen des Bestandes oder der Funktionsfähigkeit des Bundes sowie Bedrohungen der äußeren oder inneren Sicherheit. Es gilt auch hier ein strenger Maßstab (Beschluss vom 23. Juni 2011 - BVerwG 20 F 21.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 19 m.w.N.). Ein Nachteil in diesem Sinne ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insbesondere dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10).

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Handelt es sich - wie hier - um Informationen, die deutschen Sicherheitsbehörden aufgrund internationaler Zusammenarbeit von ausländischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind, ist zu berücksichtigen, dass ein Nachteil für das Wohl des Bundes auch gegeben sein kann, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des Akteninhalts eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen des Bundes verbunden wäre (Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 10, vom 23. November 2011 - BVerwG 20 F 22.10 - juris Rn. 15, vom 10. Januar 2012 - BVerwG 20 F 1.11 - juris Rn. 12 und vom 14. Juni 2012 - BVerwG 20 F 10.11 - juris Rn. 10). Bezweckt wird damit zum einen der Schutz der auswärtigen Belange der Bundesrepublik; zum anderen sollen die Beziehungen zu anderen Staaten von Belastungen verschont und insbesondere das diplomatische Vertrauensverhältnis gewahrt bleiben (Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 22.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 1 Rn. 14). Ob hiernach die Geheimhaltung der Unterlagen geboten ist, unterliegt gerade im Hinblick auf mögliche außenpolitische Folgen einer Beurteilungs- und Einschätzungsprärogative der Bundesregierung. Für die Regelung der auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der Bundesregierung einen grundsätzlich weit bemessenen Gestaltungsspielraum ein (BVerfG, Urteil vom 7. Mai 2008 - 2 BvE 1/03 - BVerfGE 121, 135 <158>). Demgemäß ist auch die Prognose, ob eine Offenbarung bestimmter Dokumente eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen erwarten lässt, verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009 a.a.O. Rn. 20). Das gilt auch im Zwischenverfahren vor dem Fachsenat im Sinne des § 189 VwGO.

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Nach diesen Maßstäben hat das Bundeskanzleramt in der Sperrerklärung konkret befürchtete Nachteile für die auswärtigen Beziehungen unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimnisschutzes nachvollziehbar dargelegt. Die Einschätzung, dass es ungeachtet des Umstands, dass die Ereignisse fast 35 Jahre zurückliegen, zu nachhaltigen negativen Auswirkungen bei der künftigen Zusammenarbeit mit amerikanischen Sicherheitsbehörden kommen werde, wenn die Unterlagen offengelegt würden, erscheint weder offensichtlich fehlerhaft noch in sich widersprüchlich. In die Prognose durfte auch der Umstand eingestellt werden, dass (bislang) keine Freigabeerklärungen der amerikanischen Sicherheitsbehörden vorliegen. Damit macht das Bundeskanzleramt nicht etwa geltend, dass die Unterlagen allein wegen ihres Wesens geheimhaltungsbedürftig seien (vgl. dazu Beschluss vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 21). Das Fehlen einer Freigabeerklärung wird lediglich vor dem Hintergrund der internationalen Gepflogenheiten als Indiz bei der Prognose gewertet, dass eine Verletzung der zugesagten Vertraulichkeit zu nachhaltigen Störungen führen und die gute Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten gefährden könnte.

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2.2 Der für die Unterlagen Nr. 4 und Nr. 10 darüber hinaus und ergänzend geltend gemachte Informantenschutz stellt ebenfalls einen Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar. Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, tritt im Falle des Informantenschutzes das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben sicherzustellen. Sind Behörden - wie dies namentlich auf den Bundesnachrichtendienst zutrifft - bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (Urteil vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 10.02 - BVerwGE 118, 10 <14> = Buchholz 237.7 § 85 NWLBG Nr. 9 S. 3 f.).

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2.3 Die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen belegt die in der Sperrerklärung dargelegten Geheimhaltungsgründe. Auf der Grundlage der in der Sperrerklärung geleisteten Zuordnung der Geheimhaltungsgründe kann festgestellt werden, dass nur solche Unterlagen zurückgehalten werden, die geheimhaltungsbedürftig sind.

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3. Das Bundeskanzleramt hat in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. Es hat, wie in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehen, eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die Vorlage getroffen und nicht lediglich Bezug auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genommen. Insbesondere hat es sich - wenn auch nur sehr knapp - mit der Frage der Teilschwärzung befasst. Soweit der Geheimhaltungsgrund des Informantenschutzes greift, bestätigt die Durchsicht, dass Teilschwärzungen nicht in Betracht kommen, weil dies zu einem letztlich inhaltsleeren und nichtssagenden Restbestand führen würde. Aber auch hinsichtlich der Unterlagen der amerikanischen Sicherheitsbehörden ist es nicht zu beanstanden, dass das Bundeskanzleramt die Möglichkeit der Teilschwärzung verneint hat. Denn es hat erkennbar eine ermessensgeleitete Gewichtung vorgenommen und sich bemüht, dem Informationsinteresse des Klägers durch möglichst präzise Umschreibung des Inhalts der Dokumente Rechnung zu tragen. Dass das Bundeskanzleramt den Interessen der Bundesrepublik an einer reibungslosen Zusammenarbeit mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden einen höheren Stellenwert eingeräumt hat, ist nicht zu beanstanden.

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