Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 C 31/12

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als überörtlicher Träger der Jugendhilfe die Rückerstattung der Kosten verlangen kann, die er der Beklagten als örtlicher Trägerin der Jugendhilfe im Fall des Kindes M. für die Zeit vom 18. Juni 2004 bis 15. Juni 2005 und vom 25. Juni 2007 bis 28. November 2007 erstattet hat.

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M. wurde am 31. Juli 1996 in einem Krankenhaus im Bereich der beklagten Stadt geboren. Ihre zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige drogenabhängige Mutter hatte ihren Wohnsitz ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Das Kind wurde nach der Geburt zunächst im Krankenhaus weiterbehandelt. Ab dem 16. September 1996 brachte es die Beklagte in einem Kinderheim unter und leistete hierfür Hilfe zur Erziehung. Ab dem 11. Dezember 1996 kam Michelle zu einer in K. lebenden Pflegefamilie.

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Das Amtsgericht entzog der Mutter mit Beschluss vom 21. März 1997 das Personensorgerecht. Der Vater des Kindes, der ebenfalls drogenabhängig war und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. hatte, erkannte am 27. März 1997 die Vaterschaft an. Am 2. April 1997 heirateten die Eltern des Kindes. Mit Beschluss vom 4. April 1997 erweiterte das Amtsgericht die Entziehung des Personensorgerechts auf den Vater. Die Pflegefamilie, die das Kind aufgenommen hatte, verzog am 1. Juni 1997 nach M. Am 14. September 2000 kehrte sie nach K. zurück.

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Die Mutter des Kindes lebte ab 2. November 1998 im H.er Raum. Vom 31. Juli 1999 bis zu ihrem Tod am 18. November 2005 war ihr Aufenthalt unbekannt. Der Vater des Kindes befand sich von Februar 1998 bis April 1999 und erneut von April 2000 bis Februar 2002 in Haft in der Justizvollzugsanstalt S. Zwischenzeitlich, von April 1999 bis April 2000, lebte er wieder in K. Ab Februar 2002 hielt er sich in C. sowie in einer Drogeneinrichtung in A. auf. Von Januar bis Juni 2004 war er erneut in K. gemeldet. In dem Zeitraum vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005 war sein Aufenthalt unbekannt. Anschließend hatte er eine Meldeadresse in K. Im Zeitraum vom 25. Juni 2007 bis zum 28. November 2007 ließ sich sein Aufenthalt erneut nicht feststellen. Danach hielt er sich wieder in K. auf.

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Für die Leistungszeiträume, in denen der Aufenthalt beider Eltern bzw. nach dem Tod der Mutter der des Vaters unbekannt war, erkannte der Kläger die Kostenerstattungspflicht nach § 89 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) an. Dementsprechend erstattete er der Beklagten für die Zeiträume vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005 und vom 25. Juni 2007 bis zum 28. November 2007 insgesamt 13 297,61 €.

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Später zog der Kläger die Kostenanerkenntnisse zurück und begehrte Rückerstattung. Die Beklagte verweigerte diese mit der Begründung, ihr habe für die strittigen Zeiträume ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger aus § 89a Abs. 2 SGB VIII zugestanden.

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Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den streitigen Betrag an den Kläger zurückzuzahlen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger habe einen Anspruch auf Rückerstattung wegen zu Unrecht erstatteter Leistungen. Denn der Beklagten habe weder nach § 89 SGB VIII noch nach § 89a Abs. 2 SGB VIII ein Kostenerstattungsanspruch zugestanden. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten habe sich ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII unter anderem aus § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII ergeben. Danach sei auf den (gewöhnlichen oder tatsächlichen) Aufenthalt abzustellen, den das Kind oder der Jugendliche bei Eintritt eines der in Absatz 4 erfassten Sachverhalte gehabt habe. Die von § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII angeordnete entsprechende Anwendung des Absatzes 4 führe zu einer Verschiebung der tatbestandlichen Merkmale auf die zeitliche Ebene des Absatzes 5 mit der Folge, dass sich der örtlich zuständige Träger in allen Fällen, in denen die Eltern ihren bzw. der zuvor maßgebliche Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben hätten, dieser nicht feststellbar sei oder sie verstorben seien, anhand des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes im Zeitpunkt dieser Veränderung bestimme.

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Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 89a Abs. 2 SGB VIII sowie des § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil steht zwar insoweit mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang, als das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass nach § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Achtes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachungen vom 8. Dezember 1998 (BGBl I S. 3546) bzw. vom 14. Dezember 2006 (BGBl I S. 3134) - SGB VIII - die örtliche Zuständigkeit nach dem (gewöhnlichen oder tatsächlichen) Aufenthalt zu bestimmen ist, den das Kind oder der Jugendliche bei Eintritt eines der in Absatz 4 erfassten Sachverhalte gehabt hat. Die Entscheidung stellt sich indes im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig dar.

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Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger ein Anspruch gegen die Beklagte auf Rückerstattung des im Streit stehenden Betrages zusteht. Die Voraussetzungen des Rückerstattungsanspruchs nach § 112 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl I S. 130) - SGB X - als der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage liegen vor. Nach dieser Vorschrift sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Dies ist hier der Fall.

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Der Beklagten stand kein Erstattungsanspruch gegen den Kläger zu. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergab sich weder aus § 89 SGB VIII (1.) noch aus einer unmittelbaren Anwendung des § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (2.). Eine entsprechende Anwendung des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (i.V.m. § 89a Abs. 2 SGB VIII) auf Fälle der Trägeridentität kommt nicht in Betracht (3.). Die Voraussetzungen eines Anspruchs analog § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 3 SGB VIII lagen nicht vor (4.). Schließlich schied als Anspruchsgrundlage eine analoge Anwendung sowohl des § 89a Abs. 2 SGB VIII als auch des § 89a Abs. 3 SGB VIII aus (5.).

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1. Nach § 89 SGB VIII steht dem örtlichen Träger der Jugendhilfe gegen den überörtlichen Träger, zu dessen Bereich er gehört, ein Anspruch auf Erstattung der aufgewendeten Kosten zu, wenn für seine Zuständigkeit nach den §§ 86, 86a oder 86b SGB VIII der tatsächliche Aufenthalt maßgeblich ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht zugunsten der Beklagten erfüllt gewesen. Denn die örtliche Zuständigkeit bestimmte sich in den beiden entscheidungserheblichen Zeiträumen (vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005 und vom 25. Juni 2007 bis zum 28. November 2007) nach der Sonderregelung des § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII, für die nicht der tatsächliche Aufenthalt maßgeblich ist, sondern die auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson abstellt.

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Nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII wird abweichend von den Absätzen 1 bis 5 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn das Kind oder der Jugendliche zwei Jahre bei der Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist. Die Vorinstanzen wie auch die Beteiligten gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Beklagte seit dem 14. September 2000 nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig war. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist das Kind M. bereits seit 11. Dezember 1996 in der Pflegefamilie betreut worden, wo es seither geblieben ist. Weil die Eltern beide im Drogenmilieu lebten und eine Betreuung des Kindes durch diese von Anfang an nicht zu erwarten war, ging das Jugendamt der Beklagten davon aus, dass M.s Aufenthalt in der Pflegefamilie langfristig angelegt war. Da das Kind bereits am 11. Dezember 1998 zwei Jahre bei der Pflegefamilie lebte und weiter verbleiben sollte, richtete sich die örtliche Zuständigkeit seither nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson (§ 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII). Die Pflegefamilie war am 1. Juni 1997 von K. nach M. gezogen, so dass die örtliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers in M. gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII ab 11. Dezember 1998 begründet war. Da die Pflegefamilie ab dem 14. September 2000 wieder in K. wohnte, war die Beklagte seither - und damit auch für die streitigen Zeiträume von 2004 bis 2005 sowie von Juni bis November 2007 - nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig.

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2. Das Oberverwaltungsgericht hat weiter zutreffend entschieden, dass der Beklagten kein Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger in unmittelbarer Anwendung des § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zugestanden hat.

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§ 89a Abs. 2 SGB VIII räumt dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Träger der Jugendhilfe einen (Durchgriffs-)Anspruch u.a. gegen den überörtlichen Träger ein, wenn ein nach § 89a Abs. 1 SGB VIII kostenerstattungspflichtig werdender örtlicher Träger vorhanden ist und dieser Träger während der Gewährung einer Leistung selbst einen Kostenerstattungsanspruch gegen den überörtlichen Träger hat oder hätte. Hier fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung. Der nach § 89a Abs. 1 SGB VIII kostenerstattungspflichtig werdende örtliche Träger muss - entgegen der Auffassung der Beklagten - ein anderer Leistungsträger (vgl. § 12 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 4. November 1982 - SGB I -) sein als der nunmehr nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordene örtliche Träger (a). Hier hatte die Beklagte keinen Kostenerstattungsanspruch gegen einen anderen örtlichen Träger (b).

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a) Die Durchgriffserstattung nach § 89a Abs. 2 SGB VIII setzt ein Kostenerstattungsverhältnis im Sinne des § 89a Abs. 1 SGB VIII voraus. Dies ergibt sich bereits klar aus dem Wortlaut der Bestimmung. Nur ein örtlicher Träger, gegen den nach § 89a Abs. 1 SGB VIII ein Anspruch besteht, kann im Sinne des § 89a Abs. 2 SGB VIII nach Absatz 1 kostenerstattungspflichtig werden. Nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchen, kann ein Anspruch nicht gegen sich selbst entstehen oder bestehen. Insoweit ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz in § 194 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - enthalten, der den Anspruch definiert als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Ein Schuldverhältnis setzt also voraus, dass Gläubiger und Schuldner verschiedene Personen sind. Ist dies nicht der Fall, entsteht kein Anspruch. Treffen Gläubiger und Schuldner einer Forderung nach der Entstehung eines Anspruchs zusammen, führt dies in der Regel zum Erlöschen der Forderung (vgl. etwa Grüneberg, in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, Überbl. vor § 362 Rn. 4 m.w.N.).

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Auch die systematische Stellung des § 89a Abs. 2 SGB VIII weist deutlich in diese Richtung. Der Durchgriff nach § 89a Abs. 2 SGB VIII baut auf dem in Absatz 1 geregelten Erstattungsanspruch auf. Bezogen auf § 89a Abs. 1 SGB VIII ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass dieser Erstattungsanspruch einen Wechsel des örtlich zuständigen Trägers im Zeitpunkt der Aufnahme der Leistungsgewährung nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erfordert (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 5 C 25.11 - BVerwGE 145, 257 Rn. 22 m.w.N.).

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Die mit § 89a Abs. 2 SGB VIII verfolgte Zielsetzung spricht ebenfalls dafür, dass die Vorschrift das Bestehen eines durch eine Trägerverschiedenheit gekennzeichneten Kostenerstattungsverhältnisses im Sinne von § 89a Abs. 1 SGB VIII voraussetzt. § 89a Abs. 2 SGB VIII soll bei Erstattungsketten unter Beteiligung eines nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Trägers Erstattungen in Folge verhindern. Solche stehen nur zu erwarten, wenn der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordene örtliche Träger nach § 89a Abs. 1 SGB VIII einen Anspruch gegen einen anderen örtlichen Träger hat, der seinerseits einen Erstattungsanspruch gegen einen anderen örtlichen oder den überörtlichen Träger besitzt. Für diesen Fall wird dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen Träger unter Verkürzung der Erstattungskette ein unmittelbarer Anspruch gegen den dritten Jugendhilfeträger eingeräumt (vgl. Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 5 C 12.09 - BVerwGE 136, 185 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 10 jeweils Rn. 33). An einer solchen Erstattungskette fehlt es jedoch, wenn der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordene örtliche Träger und der örtliche Träger, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre, identisch sind.

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b) In Anwendung der dargelegten rechtlichen Vorgaben hat das Oberverwaltungsgericht die Erstattungspflicht des Klägers nach § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu Recht verneint, weil die Beklagte bereits vor Eintritt der Voraussetzungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung durchgängig die nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständige und kostenpflichtige Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe gewesen ist.

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Beginn der Leistung im Sinne von § 86 SGB VIII war hier das tatsächliche Einsetzen der Hilfe durch Gewährung von Hilfe zur Erziehung ab 16. September 1996 in Gestalt der Unterbringung des Kindes in einem Kinderheim. Für diese von der Beklagten erbrachte Leistung war diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII örtlich zuständig. Denn nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, wobei nach § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Mutter an die Stelle der Eltern tritt, wenn und solange - wie hier zu diesem Zeitpunkt - die Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist. Den gewöhnlichen Aufenthalt hatte die Mutter nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in K. An dieser Zuständigkeit hat sich weder dadurch etwas geändert, dass das Kind ab 11. Dezember 1996 in eine Pflegefamilie gegeben wurde und die Beklagte fortan Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege geleistet hat, noch dadurch, dass der Mutter am 21. März 1997 das Sorgerecht entzogen wurde.

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Mit der Anerkennung der Vaterschaft am 27. März 1997 richtete sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten nach dem gewöhnlichen Aufenthalt beider Elternteile (§ 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII), den diese im Zuständigkeitsbereich der Beklagten hatten. Die Entziehung des Sorgerechts des Vaters änderte nichts an der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, weil hierfür allein maßgeblich ist, dass beide Elternteile (weiterhin) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten hatten. Auch durch die Inhaftierung des Vaters in der Justizvollzugsanstalt S. ab April 1998 sind keine für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Veränderungen eingetreten. Denn dieser hat, wovon sowohl die Vorinstanzen als auch die Beteiligten zu Recht übereinstimmend ausgegangen sind, während der Haftzeit am Haftort nur einen tatsächlichen Aufenthalt begründet und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. nicht aufgegeben. Dies hat sich daran gezeigt, dass er nach Verbüßung der Haft im April 1999 wieder an seinen bisherigen Lebensmittelpunkt in K. zurückgekehrt ist.

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Mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter am 2. November 1998 in den Raum H. richtete sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Denn damit haben die Elternteile - der Vater hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. beibehalten - erstmals nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründet (§ 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII). Da die Personensorge für das Kind keinem Elternteil zustand, ist § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII einschlägig, der als Rechtsfolge anordnet, dass die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt.

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Ab dem 11. Dezember 1998 richtete sich die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII. Denn zu diesem Zeitpunkt hielt sich das Kind seit zwei Jahren in der Pflegefamilie auf, wo sein weiterer Verbleib zu erwarten war. Da die Pflegefamilie zu diesem Zeitpunkt in M. wohnte, ist der dortige Jugendhilfeträger örtlich zuständig geworden. Mit dem Umzug der Pflegefamilie nach K. am 14. September 2000 ging die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII auf die Beklagte über. Da diese zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus bei Außerachtlassung des § 86 Abs. 6 SGB VIII die nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII zuständige örtliche Trägerin war, fehlte es an der Trägerverschiedenheit im Sinne von § 89a Abs. 1 SGB VIII, so dass kein Kostenerstattungsanspruch der Beklagten nach dieser Vorschrift (i.V.m. § 89a Abs. 2 SGB VIII) entstehen konnte.

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3. Ein Kostenerstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger ergibt sich auch nicht aus § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII analog.

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Eine analoge Anwendung des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auf Fälle, in denen der Träger, der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig wird, mit dem Träger, der zuvor nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständig war, identisch ist, scheidet aus. Die Analogie setzt eine Gesetzeslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus, die plangemäß durch die herangezogene Norm geschlossen werden kann (vgl. Urteile vom 12. September 2013 - BVerwG 5 C 35.12 - UA Rn. 27 m.w.N. und vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78 Rn. 19). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

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Es fehlt bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Die von § 89a Abs. 2 SGB VIII in Bezug genommene Regelung des § 89a Abs. 1 SGB VIII dient nicht dem Ausgleich zwischen Pflegestellenorten und überörtlichen Trägern, sondern dem Ausgleich zwischen örtlichen Trägern. Die Vorschrift bezweckt den Schutz der Pflegestellenorte, die Kinder oder Jugendliche aus dem Zuständigkeitsbereich anderer Jugendhilfeträger aufnehmen. Es ging dem Gesetzgeber insbesondere darum, dass die Bereitschaft von Landkreisen im Umfeld großer Städte, Pflegefamilien zu finden und zu vermitteln, nicht wegen drohender Kostennachteile verloren geht (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 5 C 25.11 - BVerwGE 145, 257 Rn. 21 unter Bezugnahme auf BTDrucks 12/2866 S. 24). Demzufolge erkennt § 89a Abs. 1 SGB VIII nur denjenigen als Pflegestellenorte nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig werdenden Trägern, die nicht ohnehin nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII örtlich zuständig wären, einen Erstattungsanspruch gegen einen anderen örtlichen Träger zu. § 89a Abs. 2 SGB VIII dient in Ergänzung dieser Regelung dazu, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung Erstattungsketten abzukürzen. Beide Vorschriften bezwecken nicht den Schutz derjenigen Pflegestellenorte, die - wie hier - Kinder oder Jugendliche aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich betreuen.

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Entgegen der Ansicht der Beklagten geht der Zweck des § 89a SGB VIII nicht dahin, die Pflegestellenorte in allen Fällen von den Kosten freizustellen. Anderes könnte nur angenommen werden, wenn der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung getroffen hätte, wonach sich der Pflegestellenort, sofern kein (anderer) örtlicher Träger kostenerstattungspflichtig ist, immer an den überörtlichen Träger halten kann. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber jedoch in § 89a SGB VIII gerade nicht vorgesehen, während er in § 89b Abs. 2, § 89c Abs. 3 und § 89e Abs. 2 SGB VIII ausdrücklich normiert hat, dass in den dortigen Fällen die Kosten vom überörtlichen Träger zu erstatten sind, wenn ein kostenerstattungspflichtiger örtlicher Träger nicht vorhanden ist. Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber die Problematik der (hilfsweisen) Inanspruchnahme des überörtlichen Trägers auch im Bereich der Pflegestellenorte gesehen, dort aber eine andere, diese nicht umfassend absichernde (bzw. von Kosten freistellende) Regelung getroffen hat.

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Dies mag zwar vor dem Hintergrund der Befürchtung der Beklagten, dass es in bestimmten Konstellationen für einen örtlichen Träger finanziell günstiger sein könnte, den Sorgeberechtigten eines Kindes oder Jugendlichen im eigenen Zuständigkeitsbereich Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung anstatt der Vollzeitpflege zu gewähren, zu bemängeln sein. Diese rechtspolitische Erwägung rechtfertigt jedoch angesichts der geltenden Rechtslage kein anderes Ergebnis. Entsprechende Änderungen vorzunehmen, obläge nicht der Rechtsprechung, sondern wäre dem Gesetzgeber vorbehalten.

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4. Der Kläger war der Beklagten auch nicht in analoger Anwendung des § 89a Abs. 2 i.V.m. § 89a Abs. 3 SGB VIII erstattungspflichtig.

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Der Anwendungsbereich des § 89a Abs. 2 SGB VIII ist zwar im Wege der Analogie auf die Fälle zu erstrecken, in denen dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Träger gegen einen anderen örtlichen Träger ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII zusteht (a). Der Beklagten stand für die streitgegenständlichen Zeiträume jedoch kein Anspruch gegen einen anderen örtlichen Träger nach § 89a Abs. 3 SGB VIII auf Erstattung der Kosten zu, die sie aufgrund ihrer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII für die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege aufgewendet hat (b).

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a) Die für eine analoge Anwendung des § 89a Abs. 2 SGB VIII erforderliche Gesetzeslücke liegt vor (aa). Die Fälle des Kostenerstattungsanspruchs nach § 89a Abs. 3 SGB VIII sind auch mit dem von § 89a Abs. 2 SGB VIII erfassten Fall des § 89a Abs. 1 SGB VIII sachlich vergleichbar (bb).

33

(aa) Die Regelung des § 89a Abs. 2 SGB VIII erweist sich insoweit als lückenhaft, als sie nicht auf die Vorschrift des § 89a Abs. 3 SGB VIII Bezug nimmt. Mit der Bestimmung des § 89a SGB VIII verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Pflegestellenorte von den Kosten zu entlasten, die durch die Aufnahme von Kindern oder Jugendlichen aus dem Zuständigkeitsbereich eines anderen örtlichen Trägers verursacht werden, und hierdurch die finanziellen Rahmenbedingungen für die Sicherstellung eines ausreichenden Angebotes an Pflegestellen zu schaffen sowie im Falle einer möglichen Erstattungskette einen Durchgriff zu ermöglichen. Diesem Ziel liefe es zuwider, örtliche Träger, die zunächst nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII leistungspflichtig waren und infolge der Vermittlung eines Kindes oder Jugendlichen in eine Pflegestelle innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches nach § 86 Abs. 6 SGB VIII leistungspflichtig blieben, bei einem bestehenden Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII von dem Anwendungsbereich des § 89a Abs. 2 SGB VIII auszunehmen und ihnen damit die Finanzierungslast für einen Zeitraum aufzubürden, in dem sie - ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII - wegen der Änderung des nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts nicht mehr zur Leistung verpflichtet wären (vgl. zu § 89a Abs. 3 SGB VIII bereits Urteil vom 13. Dezember 2012 a.a.O.).

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(bb) In Anbetracht des angestrebten weitreichenden Schutzes der Pflegestellenorte (für die Fälle der Trägerverschiedenheit) entspricht es dem Plan des Gesetzgebers, die von ihm in § 89a Abs. 2 SGB VIII angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt zu erstrecken. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertung, die Pflegestellenorte vor einer unangemessenen Kostenbelastung zu schützen, besteht kein sachlicher Unterschied, ob im Zeitpunkt der Begründung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII entsteht, oder ob ein Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII während der Leistungsgewährung nach § 86 Abs. 6 SGB VIII begründet wird. In beiden Fällen rechtfertigt der Grundgedanke, dass der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Träger nach der Vorstellung des Gesetzgebers von den Kosten zu befreien ist, die er - ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII - in Anknüpfung an den nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt nicht zu tragen hätte, den Erstattungsdurchgriff nach § 89a Abs. 2 SGB VIII.

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b) Nach § 89a Abs. 3 SGB VIII wird, wenn sich während der Gewährung der Leistung nach Absatz 1 der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert, der örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre. Die Vorschrift setzt daher - vergleichbar mit § 89a Abs. 1 SGB VIII - ebenfalls voraus, dass es sich bei dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Pflegestellenort und einem später fiktiv nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständig werdenden Träger um verschiedene Träger handelt. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr bestand durchweg Trägeridentität. Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass es an einem nach § 89a Abs. 3 SGB VIII nachträglich erstattungspflichtig gewordenen anderen örtlichen Träger fehlt, weil die Beklagte auch nach Eintritt der Voraussetzungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII die (fiktiv) nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII örtlich zuständige Trägerin der Jugendhilfe geblieben ist.

36

Nach der am 11. Dezember 1998 (zunächst in M.) begründeten örtlichen Zuständigkeit des Pflegestellenortes nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ist die Beklagte - ohne Anwendung dieser Vorschrift - zunächst nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII weiter (fiktiv) örtlich zuständig gewesen. Denn auch in der Zeit von April bis Juli 1999, als der Vater nach der Haftentlassung wieder in K. wohnte, blieb es - da weiterhin keinem Elternteil die Personensorge zustand - bei der bisherigen örtlichen Zuständigkeit der Beklagten (§ 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII).

37

Daran änderte sich auch dadurch nichts, dass der Aufenthaltsort der Mutter ab 31. Juli 1999 unbekannt war. Denn die Grundkonstellation verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Eltern, die hier nach Beginn der Leistung begründet worden sind, blieb weiter erhalten. Eine rechtlich maßgebliche Veränderung, die nach § 86 Abs. 5 SGB VIII zu einer Neubewertung der örtlichen Zuständigkeit führen müsste, ist nicht eingetreten.

38

Die Beteiligten gehen weiterhin zu Recht davon aus, dass durch die erneute Haft des Vaters des Kindes in der Justizvollzugsanstalt S. (bis Februar 2002) sowie durch dessen Aufenthalt in einer Drogeneinrichtung in A. bis Januar 2004 keine zuständigkeitsrechtlich bedeutsame Änderung eingetreten ist. Auch für diese Zeit gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. aufgegeben hat. Vielmehr spricht für die Beibehaltung seines dortigen gewöhnlichen Aufenthalts, dass er im Anschluss an die vorgenannten, von vornherein zeitlich begrenzten Unterbringungen in den besagten Einrichtungen wieder nach K. zurückgekehrt und dort seinen Wohnsitz genommen hat. Weil er dort von Januar bis Juni 2004 wieder eine Meldeadresse hatte, richtete sich die (fiktive) Zuständigkeit der Beklagten weiter nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII.

39

In dem streitigen Zeitraum vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005, als sowohl der Aufenthalt des Vaters als auch derjenige der Mutter unbekannt und damit ein gewöhnlicher Aufenthalt beider Elternteile nicht feststellbar war, richtete sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten nach § 86 Abs. 4 SGB VIII. Diese Vorschrift, die eingreift, wenn die Eltern im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist oder sie verstorben sind, ist hier über die Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII entsprechend anwendbar.

40

Das Oberverwaltungsgericht hat zwar unter Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass nach § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit nach dem (gewöhnlichen oder tatsächlichen) Aufenthalt zu bestimmen ist, den das Kind oder der Jugendliche bei Eintritt eines der in Absatz 4 erfassten Sachverhalte hat. Denn auch bei der in § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII angeordneten entsprechenden Geltung des § 86 Abs. 4 SGB VIII ist - wie die Beklagte zu Recht geltend macht - auf die Aufenthaltsverhältnisse des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung abzustellen (aa). Auf dieser Rechtsverletzung beruht das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts jedoch nicht. Sie wirkte sich im Ergebnis nicht aus, weil die (fiktive) örtliche Zuständigkeit der Beklagten auch nach Maßgabe des durch § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII voll in Bezug genommenen § 86 Abs. 4 SGB VIII gegeben war (bb).

41

(aa) Für eine unveränderte Übertragung der in § 86 Abs. 4 SGB VIII angeordneten Rechtsfolge im Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII spricht in gewichtiger Weise bereits der Gesetzeswortlaut. Entsprechende Geltung bedeutet, dass die örtliche Zuständigkeit nach dem Maßstab der herangezogenen Norm zu bestimmen ist. Nach § 86 Abs. 4 SGB VIII ist dies der Ort des gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalts des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung.

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Die klare Tendenz der Wortlautauslegung wird durch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen gestützt. § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII knüpft die örtliche Zuständigkeit, ausgehend davon, dass ein Kind oder Jugendlicher aus rechtlicher und pädagogischer Sicht im Zusammenhang mit den Personen zu sehen ist, die für es oder ihn die Erziehungsverantwortung innehaben, grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt(sort) der Eltern bzw. des maßgeblichen Elternteils (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII lässt darüber hinaus die örtliche Zuständigkeit dem Grundsatz der dynamischen Verweisung entsprechend im Regelfall mit den Eltern bzw. dem maßgeblichen Elternteil "mitwandern", wenn diese bzw. dieser ihren bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt wechseln bzw. wechselt. Denn die Eltern bzw. der maßgebliche Elternteil vermitteln bzw. vermittelt im Regelfall auch die Nähe zur Lebenswelt des Kindes oder Jugendlichen. Die Vorschrift des § 86 Abs. 6 SGB VIII unterstreicht dieses Regelungskonzept, indem sie anerkennt, dass sich bei einer fortdauernden Vollzeitpflege ab einem bestimmten Zeitpunkt die psychosoziale Realität ändert und nicht mehr die Eltern oder der maßgebliche Elternteil die Nähe zur Lebenswelt des Kindes oder Jugendlichen vermitteln, sondern die Pflegeperson, und infolgedessen die örtliche Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson und dessen Veränderungen knüpft (vgl. Urteil vom 1. September 2011 - BVerwG 5 C 20.10 - BVerwGE 140, 305 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 14 jeweils Rn. 14 m.w.N.). Ist eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern bzw. des maßgeblichen Elternteils oder einer etwaigen Pflegeperson nicht möglich, richtet sich sie örtliche Zuständigkeit nach dem Aufenthalt des Kindes vor Leistungsbeginn (vgl. § 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII, § 86 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 SGB VIII). Dementsprechend ist auch für den Fall, dass die Eltern oder der nach § 86 Abs. 1 bis 3 SGB VIII maßgebliche Elternteil im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder hat oder ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist oder sie verstorben sind, für die örtliche Zuständigkeit der gewöhnliche oder tatsächliche Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung maßgeblich (§ 86 Abs. 4 SGB VIII). Nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 86 SGB VIII kommt somit dem (gewöhnlichen oder tatsächlichen) Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen nach Beginn der Leistung für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit keine Bedeutung zu.

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Dem widerspricht die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, bei § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen im Zeitpunkt der Veränderung (hier der Nichtfeststellung des gewöhnlichen Aufenthalts der Eltern im Inland) abzustellen. Sie führt der Sache nach dazu, dass § 86 Abs. 4 SGB VIII entgegen dem ausdrücklichen Gesetzesbefehl in § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII nicht entsprechend angewandt wird. Denn sie misst dem nach Leistungsbeginn durch die Hilfeleistung des Jugendhilfeträgers bedingten Ortswechsel des Kindes oder Jugendlichen eine zuständigkeitsbestimmende Wirkung zu. Gewichtige Gründe, die dies rechtfertigen, bestehen nicht. Vielmehr ist die gesetzgeberische Entscheidung, auf den Aufenthalt vor Beginn der Leistung abzustellen, auch wenn sie nicht allen Anliegen gerecht zu werden vermag, als solche zu respektieren.

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bb) Nach § 86 Abs. 4 SGB VIII richtet sich die örtliche Zuständigkeit entweder nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung (Satz 1), oder es ist, wenn das Kind oder der Jugendliche während der letzten sechs Monate vor Beginn der Leistung keinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, dessen tatsächlicher Aufenthalt vor Beginn der Leistung maßgeblich (Satz 2). Danach war hier, unabhängig davon, ob auf den gewöhnlichen oder den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes vor Leistungsbeginn abgestellt wird, die Beklagte örtlich zuständig.

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Das Kind M. befand sich vor Beginn der Leistung am 16. September 1996 durchweg (nämlich seit seiner Geburt am 31. Juli 1996) in einem Krankenhaus im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Geht man davon aus, dass es dennoch den gemeinsamen Aufenthalt der in K. lebenden Mutter teilte, so ergab sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten aus § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII entsprechend. Nimmt man an, dass das Kind noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat, sondern nur einen tatsächlichen Aufenthalt im Krankenhaus hatte, ist die Beklagte ebenfalls - und zwar entsprechend § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII - örtlich zuständig gewesen, weil das Krankenhaus in ihrem Zuständigkeitsbereich lag.

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5. Ein Kostenerstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger ergibt sich schließlich auch nicht aus § 89a Abs. 2 analog i.V.m. § 89a Abs. 3 SGB VIII analog.

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Zwar ist - wie soeben (unter 4.a) dargelegt - die Regelung des § 89a Abs. 2 SGB VIII insoweit entsprechend anwendbar, als sie planwidrig den Absatz 3 der Vorschrift nicht in Bezug nimmt. Allerdings kommt die von der Beklagten der Sache nach weiter befürwortete analoge Anwendung des § 89a Abs. 3 SGB VIII auf Fälle der Trägeridentität nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob die von der Beklagten damit eingeforderte doppelte Analogie - nämlich sowohl im Hinblick auf Absatz 2 als auch auf Absatz 3 der Vorschrift - zulässig sein könnte, scheidet in dieser Kombination jedenfalls die entsprechende Anwendung des Absatzes 3 in der von der Beklagten vertretenen Form aus.

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Eine analoge Anwendung des Absatzes 3 auf Fälle, in denen der Träger, der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig ist, mit dem örtlichen Träger, der später fiktiv nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständig wird, identisch ist, kommt aus den gleichen Gründen nicht in Betracht, die gegen eine analoge Anwendung des Absatzes 1 auf Fälle der Trägeridentität sprechen. Auch für eine entsprechende Anwendung des § 89a Abs. 3 SGB VIII fehlt es an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes. Wie oben (3.) dargelegt, ging es dem Gesetzgeber darum, denjenigen als Pflegestellenort nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, die nicht ohnehin nach anderen Vorschriften (§ 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII) örtlich zuständig wären, einen Erstattungsanspruch gegen einen anderen örtlichen Träger zuzuerkennen. Auch der Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII setzt daher nach dem Plan des Gesetzgebers eine Trägerverschiedenheit voraus und ist deshalb nicht auf Fälle anwendbar, in denen - wie hier - der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Träger mit demjenigen örtlichen Träger identisch ist, der ohne Anwendung dieser Vorschrift (nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII) zuständig wäre.

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