Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO) - 20 F 5/13

Gründe

I.

1

Der Kläger, der der sogenannten "linken Szene" in Heidelberg angehört, begehrt - wie auch sechs weitere Kläger in gleich gelagerten Verfahren - in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Feststellung, dass ein (auch) gegen ihn gerichteter Einsatz eines Polizeibeamten als Verdeckter Ermittler (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 PolG Baden-Württemberg) rechtswidrig war.

2

Nachdem das Verwaltungsgericht mit der Eingangsverfügung den Beklagten zur vollständigen Vorlage der Akten aufgefordert hatte, gab das Innenministerium Baden-Württemberg als oberste Aufsichtsbehörde eine Sperrerklärung hinsichtlich eines Teils der einschlägigen Akten ab; die angeforderten Akten wurden dementsprechend entweder gar nicht oder nur in Kopie mit Schwärzungen oder in Form von Austauschblättern vorgelegt. Zur Begründung führte das Innenministerium aus: Eine vollständige Vorlage der angeforderten Akten komme nicht in Betracht. Ein Bekanntwerden der betreffenden Aktenbestandteile würde dem Wohl des Landes Nachteile bereiten, weil dies die Erfüllung der Arbeit der Polizeibehörden erschwere. Die Offenlegung von Namen Dritter würde deren Persönlichkeitsrecht verletzen. Im Rahmen der Ermessensausübung sei den Informationsinteressen des Klägers durch bloße Schwärzung Rechnung getragen worden.

3

Auf Antrag des Klägers legte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. April 2012, in dem die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten dargelegt wurde, das Verfahren dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung vor.

4

Mit Beschluss vom 14. Januar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass die Sperrerklärung in Bezug auf im Einzelnen benannte Blätter rechtswidrig ist; im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt. Bezüglich der Einsatzberichte des Verdeckten Ermittlers und der damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Behördenkorrespondenz lägen die geltend gemachten Geheimhaltungsgründe insgesamt vor. Hinsichtlich der internen Polizeiberichte nach der Enttarnung des Verdeckten Ermittlers seien zwar auch Geheimhaltungsgründe gegeben, jedoch könne dem durch Schwärzung der betreffenden Passagen hinreichend Rechnung getragen werden. Die vollständige Nichtvorlage der Akten sei insofern nicht gerechtfertigt. Aus dem übrigen Teil der Akten, der die Einsatzanordnungen betreffe, seien Seiten zu Recht zum Schutz dienststelleninterner Kommunikationsdaten entfernt worden. Auch im Übrigen seien in den mit Schwärzungen vorgelegten Akten nur Schriftstücke oder Eintragungen zurückgehalten worden, die nach Maßgabe des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig seien. Das Ermessen sei jedoch insoweit nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt worden, als sie die Schwärzung der Namen derjenigen Personen beträfen, gegen die der Einsatz des Verdeckten Ermittlers sich gerichtet habe.

5

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

6

1. Das Innenministerium Baden-Württemberg als oberste Aufsichtsbehörde ist gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO zum Verfahren beizuladen. Dies ist auch noch mit der Entscheidung über die Beschwerde möglich. Das rechtliche Gehör wird nicht abgeschnitten, da der Vertreter des Beklagten das Verfahren soweit ersichtlich in enger Abstimmung mit dem Beigeladenen führt.

7

2. Die Beschwerde des Klägers ist nur zum geringeren Teil begründet. Über die Entscheidung des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofs hinaus ist die Sperrerklärung auch insoweit rechtswidrig, als sie sich auf weitere Unterlagen bezieht. Im Übrigen hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung zu Recht abgelehnt.

8

a) Der Antrag des Klägers ist zulässig. Anlässlich der Vorlage der Akten an den Verwaltungsgerichtshof hat das Verwaltungsgericht - wie in der Regel geboten - in einem begründeten Beschluss die Entscheidungserheblichkeit der zunächst formularmäßig angeforderten Unterlagen näher dargelegt. An diese Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache ist der Fachsenat grundsätzlich gebunden. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Bindungswirkung entfällt auch dann, wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. zuletzt Beschluss vom 3. Juni 2013 - BVerwG 20 F 9.13 - juris Rn. 8 m.w.N.). Zweifel daran, ob das Verwaltungsgericht in dieser Hinsicht seinen Pflichten nachgekommen ist, können sich insoweit ergeben, als es um die Frage geht, ob der Einsatz des Verdeckten Ermittlers gegen den Kläger als Ziel- bzw. Kontaktperson im Sinne von § 22 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 3 Nr. 1 und 2 PolG BW gerichtet war und der Kläger deswegen klagebefugt ist. Denn insoweit mag die Antwort des Innenministeriums vom 27. September 2011 auf eine Kleine Anfrage vom 26. September 2011 - Nachfragen zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern in Heidelberg - (LTDrucks 15/600) zu berücksichtigen sein. Darin hat der Innenminister erklärt, dass die vier Ziel- und Kontaktpersonen per Einschreiben am 4. August 2011 durch die Polizeidirektion Heidelberg - in Absprache mit dem Landeskriminalamt - nach § 22 Abs. 8 PolG BW über eine polizeiliche Datenerhebung durch einen Verdeckten Ermittler unterrichtet worden seien. Aus einer fehlenden Unterrichtung des Klägers könnten dann Rückschlüsse gezogen werden. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit aber auch insoweit bejaht, als der Kläger geltend macht, jedenfalls Betroffener eines gegen Dritte gerichteten Einsatzes des Verdeckten Ermittlers zu sein. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht auch in dieser Hinsicht die Klagebefugnis des Klägers annimmt mit der Folge, dass es zur Prüfung der Begründetheit der Klage auf die angeforderten Akten ankommt.

9

b) Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat unter zutreffender Bezugnahme auf die bereits in der Sperrerklärung dargelegten einschlägigen rechtlichen Maßstäbe ausgeführt, dass für den überwiegenden Teil der vom Verwaltungsgericht angeforderten Akten die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verweigerungsgrunds nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 bzw. Alt. 3 VwGO, nämlich Nachteile für das Wohl des Landes durch Beeinträchtigung der Arbeit der Sicherheitsbehörden und wesensmäßige Geheimhaltungsbedürftigkeit bei personenbezogenen Daten, gegeben sind (siehe etwa Beschlüsse vom 21. August 2012 - BVerwG 20 F 5.12 - juris Rn. 4, 10, vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 14, vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 6 ff. sowie vom 9. März 2010 - BVerwG 20 F 16.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 57 Rn. 7). Die Durchsicht der Akten durch den Fachsenat hat diese Einschätzung für die meisten Blätter, die noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind, bestätigt. Eine abweichende rechtliche Bewertung ist allerdings bei einer Reihe von - insoweit nicht inhaltsgleichen - Aktenblättern in den Aktenteilen des Landeskriminalamts und der Polizeidirektion vorzunehmen, die die Einsatzberichte des Verdeckten Ermittlers sowie dazugehörige Korrespondenz der Behörden enthalten. Die Blätter 23, 24, 81, 82, 83 und 91 der Akte des Landeskriminalamts und die Blätter 357, 359, 361, 419 und 421 der Akte der Polizeidirektion betreffen allgemein zugängliche Informationen aus dem Internet bzw. wohl öffentlich verteilte Flugblätter ("Flyer"). Die Sperrerklärung legt insoweit nicht dar, dass und warum diese Aktenbestandteile gleichwohl - etwa wegen ihres Kontextes - geheimhaltungsbedürftig sind.

10

Der Beigeladene hat das ihm in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen erkannt und von diesem hinsichtlich des größten Teils der als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Angaben rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht.

11

Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat indessen im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Ermessenserwägungen, mit denen die Geheimhaltung der Namen der Ziel- und Kontaktpersonen des Einsatzes des Verdeckten Ermittlers begründet wird, rechtsfehlerhaft sind. So will schon nicht überzeugen, dass ungeachtet des inhaltlichen Zusammenhangs der in allen Parallelverfahren gemeinsam anhängig gemachten Klagen eine - wie geschehen - differenzierende Bewertung der Geheimhaltungsbedürftigkeit bezogen auf die jeweils isoliert betrachteten Kläger der Sache nach gerechtfertigt sein könnte. Aber auch soweit der Beigeladene in den beiden auf den gleichen Aktenbestand bezogenen Sperrerklärungen übereinstimmend von der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Namen ausgeht, wird zu erwägen sein, wie in der gegebenen Fallkonstellation angesichts einer etwa gegebenen inhaltlichen und organisatorischen Verbundenheit der Personenkreise die Schutzwürdigkeit der persönlichen Belange zu bewerten ist. Auch wird das besondere öffentliche und private Interesse an der Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers, die zuvörderst von der Kenntnis dieser Daten abhängt, zu würdigen sein. Dieser Ermessensfehler bezieht sich nicht nur auf die vom Verwaltungsgerichtshof insoweit bezeichneten Stellen in den von ihm genannten Aktenseiten in den jeweils auf die einzelnen Ziel- und Kontaktpersonen bezogenen Aktenteilen, sondern auch auf die weitere Erwähnung der Namen auf diesen und jeweils folgenden Aktenseiten (Akten der Polizeidirektion Heidelberg: Seiten 27, 29, 31, 35, 37, 39, 41, 45, 47, 51, 53, 55, 57, 83, 85, 87, 89, 93, 95, 97, 103, 105, 111, 113, 115, 117, 143, 145, 147, 149, 153, 155, 157, 159, 163, 165, 167, 169, 175, 177, 179, 209, 211, 213, 215, 219, 221, 223, 225, 229, 231, 233, 235, 237, 241, 243, 245; inhaltsgleich mit den Akten des Landeskriminalamts: Seiten 121, 122, 123, 125, 126, 128, 129, 130, 131, 133, 134, 135, 136, 149, 150, 151, 152, 154, 155, 156, 159, 160, 163, 164, 165, 166, 179, 180, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 189, 190, 191, 192, 195, 196, 197, 211, 212, 213, 214, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 229) und darüber hinaus auf die jeweils vorangehenden allgemeinen personenübergreifenden Ausführungen zur Begründung der Anordnung bzw. Verlängerung des Einsatzes (Akten der Polizeidirektion Heidelberg: Seiten 11, 15, 17, 21, 67, 71, 73, 79, 131, 133, 139, 191, 193, 195, 197, 199, 203; inhaltsgleich mit den Akten des Landeskriminalamts: Seiten 113, 115, 116, 118, 141, 143, 144, 147, 173, 174, 177, 202, 203, 204, 205, 206, 208). Eine unterschiedliche Bewertung der Geheimhaltungsbedürftigkeit je nach Kontext ist allerdings nicht ausgeschlossen.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen