Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 VR 1/14
Tenor
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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 2. April 2014 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:
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a) Der Antragsteller darf der im Libanon ansässigen Shahid Stiftung keine Gelder oder Sachgüter überlassen und in keiner Weise mit dieser Stiftung zusammenarbeiten.
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b) Der Antragsteller hat - beginnend mit dem 20. August 2014 - bis zum zehnten Werktag eines jeden Monats eine Aufstellung der einzelnen Beträge seiner Einnahmen und Ausgaben des Vormonats - bei den Ausgaben unter Angabe des Empfängers und des Verwendungszwecks - bei dem Bundesministerium des Innern vorzulegen.
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2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
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3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
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I
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Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein. Er sieht nach seiner Satzung seinen Zweck darin, die Familien und Kinder von Kriegsgefallenen, Verstorbenen und Körperbehinderten - vor allem solchen im Libanon - zu unterstützen. Weiterer Zweck ist nach der Satzung die Organisation und Schaffung von Nachhilfemöglichkeiten insbesondere für Schüler mit sogenanntem Migrationshintergrund unabhängig vom jeweils besuchten Schultyp.
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Mit Verfügung vom 2. April 2014 stellte das Bundesministerium des Innern unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG fest, dass der Antragsteller sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte, deshalb verboten sei und aufgelöst werde. Zur Begründung führte das Bundesministerium im Wesentlichen aus, der Antragsteller leite seit langem und in beträchtlichem Umfang Spendengelder an die im Libanon ansässige Shahid Stiftung weiter, die Teil der Hizb Allah sei. Die Hizb Allah sei eine gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Organisation, die das Existenzrecht Israels verneine und gewalttätig gegen den israelischen Staat vorgehe. Dadurch, dass der Antragsteller durch das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die Shahid Stiftung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Hinterbliebenen von gefallenen Hizb Allah-Kämpfern beitrage, unterstütze und fördere er zweckgerichtet die gewaltsamen Aktivitäten der Hizb Allah gegen Israel und verstoße damit selbst gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
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Der Antragsteller hat am 6. Mai 2014 Klage gegen die Verbotsverfügung erhoben (Az.: BVerwG 6 A 5.14) und am selben Tag um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nachgesucht.
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II
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Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat mit den aus der Beschlussformel ersichtlichen Maßgaben Erfolg.
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Bei der im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung gebührt dem Interesse des Antragstellers am Aufschub der Vollziehung der Verbotsverfügung bei Beachtung der bezeichneten Maßgaben der Vorrang vor dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung.
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Nach der in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Verbotsverfügung offen.
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Die Tätigkeit des Antragstellers, durch die die Antragsgegnerin den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG durch den Antragsteller verwirklicht sieht, besteht in der Sammlung und Weiterleitung von Spendengeldern, die, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, unmittelbar sozialen bzw. karitativen Zwecken zugute kommen, jedoch deshalb, weil sie einer Stiftung zur Verfügung gestellt werden, die - nach Einschätzung der Antragsgegnerin - Teil einer völkerverständigungswidrigen Organisation ist, mittelbar die von dieser Organisation ausgehende Gewalt unterstützen.
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Die Tragfähigkeit des Verbotsgrunds der Völkerverständigung für ein derart begründetes Verbot hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur unter sehr engen Voraussetzungen und auf einer konsistenten Grundlage von Indizien bejaht (Urteil vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - NVwZ 2005, 1435 und darauf aufbauend: Urteil vom 18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - NVwZ 2012, 648).
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Der Senat hat in der bezeichneten Rechtsprechung, die die Unterstützung der in den palästinensischen Gebieten tätigen HAMAS durch die Förderung der ihr zuzuordnenden Sozialvereine betrifft, im Rahmen des objektiven Tatbestands des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit insbesondere folgende Gesichtspunkte untersucht und unter eingehender Würdigung der dazu von der Verbotsbehörde beigebrachten Indizien bejaht: Den vor allem durch ihren militärisch-terroristischen Bereich begründeten völkerverständigungswidrigen Charakter der HAMAS, die Gleichwertigkeit der militärischen, politischen und sozialen Handlungsebenen der HAMAS und ihre Verschmelzung zu einer Einheit sowie die vor allem durch personelle Verflechtungen und die Übernahme von ideologischen Grundüberzeugungen gewährleistete Einordnung der sogenannten Sozialvereine in das Gesamtgefüge der HAMAS. Nur unter diesen Voraussetzungen hat der Senat mit einer humanitären Zweckbindung versehene und entsprechend verwandte Zuwendungen wegen ihrer die Akzeptanz der HAMAS steigernden und sie finanziell entlastenden Wirkung als zur Ausfüllung des objektiven Tatbestands des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit geeignet angesehen. Hinzukommen muss die Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestands in Gestalt eines vorsätzlichen Handelns hinsichtlich der den Unterstützungsvorwurf begründenden Umstände und einer Identifizierung mit der HAMAS einschließlich der von ihr verübten Gewalttaten. Die abschließende Beurteilung der Frage, ob sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Senat wegen des Umfangs der erforderlichen rechtlichen und vor allem tatsächlichen Überprüfungen durchweg dem jeweiligen Hauptsacheverfahren vorbehalten (Beschlüsse vom 16. Juli 2003 - BVerwG 6 VR 10.02 - juris und vom 27. Juni 2011 - BVerwG 6 VR 4.10 - juris).
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Auch im vorliegenden Fall ist die Frage der Erfüllung des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit nach den Maßstäben des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht eindeutig zu beurteilen, zumal nicht nur wie zuletzt im Verhältnis des Urteils vom 18. April 2012 - BVerwG 6 A 2.10 - zu demjenigen vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - eine bloße Fortschreibung der auf die Organisation der HAMAS und ihre sogenannten Sozialvereine in den palästinensischen Gebieten bezogenen Erkenntnisse, sondern die erstmalige Beurteilung der Hizb Allah und der Shahid Stiftung im Libanon in Rede steht. Ob dies durch eine unveränderte Übertragung der bisher aufgestellten rechtlichen Maßstäbe geschehen kann und ob sich die von der Antragsgegnerin beigebrachten Indizien in jeder Hinsicht als tragfähig erweisen, bedarf der intensiven Prüfung in dem anhängigen Hauptsacheverfahren.
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Die diese Prüfung erfordernde Eigenart des zur Entscheidung stehenden Verfahrens spiegelt sich in den Indizien wider, die die Antragsgegnerin in der angefochtenen Verbotsverfügung und in ihrer Antragserwiderung vom 5. Juni 2014 in beachtlicher Zahl zur Ausfüllung der in der Rechtsprechung des Senats aufgestellten Maßstäbe beigebracht hat. Beispielhaft kann darauf verwiesen werden, dass in den bisher entschiedenen Fällen die Einbindung der sogenannten Sozialvereine in die HAMAS ganz wesentlich in Gestalt von personellen Verflechtungen zum Ausdruck kam. Vergleichbare Verflechtungen zwischen der Hizb Allah und der Shahid Stiftung hat die Antragsgegnerin bisher nicht aufgezeigt. Sie sieht einen entscheidenden Beleg für die Einbindung der Shahid Stiftung in die Hizb Allah vielmehr in dem sowohl von Seiten der Hizb Allah als auch von Seiten der Shahid Stiftung auf die Feindschaft gegenüber Israel ausgerichteten Märtyrergedanken (Verbotsverfügung S. 6 f., 10, 13 ff.; Antragserwiderung S. 28 ff.). Insoweit kann aber jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass, was die Ausrichtung der Hizb Allah anbelangt, in letzter Zeit neben den Konflikt mit Israel die Einbeziehung in die kriegerischen Handlungen in Syrien bzw. in deren Auswirkungen im Libanon getreten ist. Die durch das Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift vom 5. Mai 2014 (S. 10) aufgeworfene Frage, was dieser Umstand für die Frage einer Verbindung zwischen Hizb Allah und Shahid Stiftung bedeutet, bedarf weiterer Untersuchung. Die Antragsgegnerin hat sich hierzu bisher nur im Zusammenhang mit dem subjektiven Tatbestand des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit verhalten (Verbotsverfügung S. 26 f., Antragserwiderung S. 59 ff., 69 ff.). In diesem Zusammenhang hat ferner der Einwand des Antragstellers (Antragsschrift S. 10 f.), die Tätigkeit der Shahid Stiftung sei, wie etwa der Betrieb eines großen Krankenhauses in Beirut belege, nicht auf die Versorgung von Waisenkindern und Hinterbliebenen beschränkt, in den Darlegungen der Antragsgegnerin bislang keine hinreichende Berücksichtigung gefunden.
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Die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten, obwohl die Erfolgsaussichten der Klage offen sind, wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers mit hinreichend gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen wäre. Dies ist nicht der Fall. Dem Anliegen der Antragsgegnerin, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache eine Fortsetzung der Tätigkeiten des Antragstellers zu unterbinden, die Anlass der erlassenen Verbotsverfügung sind, wird vielmehr durch die in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben hinreichend Rechnung getragen. Diese Maßgaben werden wiederum durch den Vortrag des Antragstellers (Antragsschrift S. 16) nahegelegt, er habe die Zusammenarbeit mit anderen Partnerorganisationen im Libanon niemals ausgeschlossen.
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Kommt der Antragsteller den in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben nicht nach oder arbeitet er mit einer Organisation im Libanon zusammen, gegen die die Antragsgegnerin nach ihrer Bewertung durchgreifende Einwände vorzubringen in der Lage ist, kann die Antragsgegnerin einen Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
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Referenzen
- VwGO § 80 3x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 155 1x
- § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG 2x (nicht zugeordnet)