Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 C 33/14

Tatbestand

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Die Kläger, die an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leiden, bestanden 2010 das Abitur an einem staatlich anerkannten Gymnasium in kirchlicher Trägerschaft. Sie wollen Bemerkungen über die Berücksichtigung dieser Störung bei der Notenbildung aus dem Abiturzeugnis entfernt haben.

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Die Kläger nahmen für die schriftlichen Arbeiten in der Oberstufe des Gymnasiums und für die schriftlichen Abiturprüfungen die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes in Anspruch, die Schülern mit fachärztlich festgestellter Legasthenie auf der Grundlage der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. November 1999 gewährt werden. Die Kläger erhielten einen Zeitzuschlag für die Bearbeitung schriftlicher Prüfungsarbeiten (Nachteilsausgleich). Ihre Rechtschreibleistungen flossen nicht in die Notengebung ein. In Fremdsprachen (Abiturfach Englisch) wurden ihre mündlichen und schriftlichen Leistungen mit gleichem Gewicht bewertet (Notenschutz). Die Nichtberücksichtigung der Rechtschreibleistungen wurde mit dem Zusatz "aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie" in den Abiturzeugnissen vermerkt.

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Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, diesen Zusatz zu streichen; im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte verpflichtet, den Klägern Abiturzeugnisse ohne Bemerkungen über den Notenschutz auszustellen.

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In dem Berufungsurteil heißt es im Wesentlichen, die Bemerkungen seien rechtswidrig, weil die erforderliche landesgesetzliche Grundlage für den Notenschutz fehle. Jedenfalls für schulische Abschlussprüfungen, die für den beruflichen Werdegang bedeutsam seien, müsse der Gesetzgeber darüber entscheiden, ob durch die Gewährung von Notenschutz auf allgemein geltende Leistungsanforderungen verzichtet werde und welche Folgen sich daraus ergäben. Dies sei erforderlich, weil auf die Bewertung bestimmter allgemeiner Leistungsanforderungen verzichtet werde. Es sei weder aus Gründen der Chancengleichheit noch der Zeugniswahrheit geboten, den ohne gesetzliche Grundlage gewährten Notenschutz im Abschlusszeugnis zu vermerken. Derartige Bemerkungen seien auch nach der Gymnasialschulordnung des Freistaates Bayern nicht zulässig, weil sie den Übertritt in das Berufsleben erschwerten.

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Mit der Revision will die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Sie macht geltend, Notenschutz stelle eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Bevorzugung dar. Der Gesetzgeber könne ihn gewähren, um behinderten Schülern eine erfolgreiche Schullaufbahn zu ermöglichen. Aufgrund dessen sei es von seinem Einschätzungsspielraum gedeckt, die gewährten Erleichterungen im Zeugnis auszuweisen. Dadurch werde dem Gebot der Chancengleichheit aller Schüler Rechnung getragen. Werde ein ohne gesetzliche Grundlage gewährter Notenschutz nicht rückgängig gemacht, müsse er auch im Abschlusszeugnis vermerkt werden, wenn dies der bisherigen Verwaltungspraxis entspreche.

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Die Kläger machen geltend, die Zeugnisbemerkungen seien rechtswidrig, weil der Notenschutz nicht anders als der Nachteilsausgleich dazu bestimmt sei, die verfassungsrechtlich gebotene Chancengleichheit herzustellen. Schüler dürften nicht deshalb benachteiligt werden, weil es ihnen aufgrund einer Behinderung unmöglich sei, bestimmte Leistungsanforderungen zu erfüllen. Das Abschlusszeugnis müsse lediglich das Bestehen der Prüfung, die Noten und die dadurch erworbene Qualifikation ausweisen. Weitere Angaben seien nicht vorgesehen. Die Zeugnisbemerkungen stellten eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Legasthenikern dar, weil andere Behinderungen nicht vermerkt würden.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses ist zulässig (§ 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die Landesanwaltschaft Bayern vom 29. Juli 2008 ). Die Revision ist auch begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Kläger hätten einen Anspruch darauf, dass ihnen Abiturzeugnisse ohne Bemerkungen zur Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen (Notenschutz) ausgestellt werden, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der geltend gemachte Anspruch lässt sich nicht aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs herleiten. Zwar stellen die angegriffenen Bemerkungen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger dar. Eine Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs folgt aber weder aus dem Gebot der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) noch aus dem Verbot, jemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Dass in Fällen fachärztlich festgestellter Legasthenie die Rechtschreibleistungen auf Antrag nicht und in den Fremdsprachen die schriftlichen und mündlichen Leistungen im Verhältnis 1:1 zu bewerten sind, bedarf allerdings einer gesetzlichen Grundlage, an der es hier fehlt. Die inhaltlich nicht zu beanstandenden Regelungen in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. November 1999 (KWMBl I S. 379) sind jedoch für einen Übergangszeitraum, insbesondere für in der Vergangenheit liegende Abiturprüfungen weiter anzuwenden. Die Notwendigkeit einer solchen übergangsweisen Fortgeltung folgt ebenso wie der Vorbehalt des Gesetzes, auf die sie sich bezieht, aus dem bundesrechtlichen Rechtsstaatsprinzip. Diese Notwendigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt und dadurch Bundesrecht verletzt.

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1. Wird jemand durch (schlichtes) öffentlich-rechtliches Handeln der Verwaltung in seinen Rechten verletzt, kann er verlangen, dass diese die andauernden unmittelbaren Folgen ihres rechtswidrigen Vorgehens rückgängig macht. Dieser Anspruch auf Folgenbeseitigung ergänzt den allgemeinen Anspruch auf Abwehr- bzw. Unterlassung rechtswidrigen hoheitlichen Handelns. Die Ansprüche finden ihre Grundlage in den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (stRspr; vgl. nur BVerwG, Urteile vom 19. Juli 1984 - 3 C 81.82 - BVerwGE 69, 366 <368 ff.> und vom 14. April 1989 - 4 C 34.88 - BVerwGE 82, 24 <25 f.>).

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Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bemerkungen in den Abiturzeugnissen der Kläger über die Maßnahmen des Notenschutzes ohne den Zusatz "aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie". Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts, das den Klägern einen Anspruch auf Entfernung dieses Zusatzes zugesprochen hat, rechtskräftig geworden.

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Bemerkungen über die Gewährung von Notenschutz in einem Zeugnis sind nach ihrer Rechtsnatur schlichthoheitliche Äußerungen. Sie lassen die rechtsverbindlichen Feststellungen des Zeugnisses über den Erwerb des Schulabschlusses, die Gesamtnote, die Noten in den einzelnen Fächern und die durch den Abschluss vermittelte Qualifikation unberührt. Vielmehr geben sie darüber Aufschluss, dass in bestimmter Weise vom allgemein geltenden Maßstab für die Leistungsbewertung abgewichen worden ist. Im vorliegenden Fall weisen die Bemerkungen darauf hin, dass eine bestimmte Leistungsanforderung, nämlich die Rechtschreibung, durchgehend nicht bewertet worden ist.

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Abschlusszeugnisse sind auch dazu bestimmt, bei Bewerbungen um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vorgelegt zu werden. Daher können Bemerkungen über gewährten Notenschutz das Recht des Zeugnisinhabers beeinträchtigen, über die Offenlegung von Vorgängen und Zuständen aus seinem persönlichen Lebensbereich, insbesondere über Krankheiten und Behinderungen, selbst zu bestimmen. Dieses Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person unterfällt als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Schutz besteht auch gegen die Offenlegung oder Verbreitung wahrer Tatsachen über eine Person ohne deren Einwilligung (stRspr; vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 - 1 BvR 536/72 - BVerfGE 35, 202 <219 ff.>; Beschluss vom 3. Juni 1980 - 1 BvR 185/77 - BVerfGE 54, 148 <153 f.>; zum Ganzen: Wanckel, in: Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 19 Rn. 3 ff.).

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Hinweise in einem Abschlusszeugnis über Besonderheiten bei der Notengebung lassen generell auf ein vermindertes Teilleistungsvermögen schließen. Dies liegt auf der Hand, wenn die abweichend bewerteten Fähigkeiten genannt sind, wie dies bei den Hinweisen auf die Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen der Fall ist.

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Die Entscheidung der Sorgeberechtigten der Kläger, den Notenschutz in Kenntnis des damit verbundenen Vermerks im Abiturzeugnis in Anspruch zu nehmen, kann schon deshalb nicht als Einverständnis mit dem Vermerk gewertet werden, weil die Beklagte den Klägern ansonsten auch Schreibzeitverlängerungen in schriftlichen Prüfungen vorenthalten hätte. Hierauf hatten die Kläger aber Anspruch (vgl. unter 2.). Ansprüche auf Entfernung der Zeugnisbemerkungen aus den Abiturzeugnissen unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung bestehen jedoch nicht, weil der Schulträger entsprechend seiner Verwaltungspraxis berechtigt ist, die Bemerkungen beizubehalten.

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2. Bemerkungen im Abschlusszeugnis über die Gewährung von Notenschutz verstoßen nicht gegen das Gebot der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG.

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a) Das Gebot der Chancengleichheit soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Zu diesem Zweck sollen die Bedingungen, unter denen die Prüfung abgelegt wird, für alle Prüflinge möglichst gleich sein. Es müssen grundsätzlich einheitliche Regeln für Form und Verlauf der Prüfungen gelten; die tatsächlichen Verhältnisse während der Prüfung müssen gleichartig sein (stRspr; vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1990 - 7 C 17.90 - BVerwGE 87, 258 <261 f.>).

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Allerdings sind einheitliche Prüfungsbedingungen geeignet, die Chancengleichheit derjenigen Prüflinge zu verletzen, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt ist. Daher steht diesen Prüflingen ein Anspruch auf Änderung der einheitlichen Prüfungsbedingungen im jeweiligen Einzelfall unmittelbar aufgrund des Gebots der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG zu. Den Schwierigkeiten des Prüflings, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung der einheitlichen Bedingungen darzustellen, muss durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden. Dieser Nachteilsausgleich ist erforderlich, um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen. Aus diesem Grund muss die Ausgleichsmaßnahme im Einzelfall nach Art und Umfang so bemessen sein, dass der Nachteil nicht "überkompensiert" wird. Die typische Ausgleichsmaßnahme in schriftlichen Prüfungen ist die Verlängerung der Bearbeitungszeit; in Betracht kommt auch die Benutzung technischer Hilfsmittel.

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Der verfassungsunmittelbare Anspruch auf Herstellung chancengleicher Prüfungsbedingungen darf nicht dadurch konterkariert werden, dass die in Anspruch genommenen Ausgleichsmaßnahmen im Prüfungszeugnis vermerkt werden. Es gibt keinen Grund, der es rechtfertigen könnte, die Beachtung des Gebots der Chancengleichheit in der Prüfung im Zeugnis zu dokumentieren (Langenfeld, RdJB 2007, 211 <226>; Ennuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166 <167>; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Auflage, Art. 3 Rn. 245; Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Auflage 2013, Rn. 514).

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b) Nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand handelt es sich bei der Legasthenie um eine dauerhafte Lese- und Schreibstörung aufgrund einer neurobiologischen, entwicklungsbiologisch und zentralnervös begründeten Störung der Hirnfunktion. Davon zu unterscheiden sind Lese- und Rechtschreibschwächen, die andere Ursachen haben und erfolgversprechend behandelt werden können. Legasthenie lässt Begabung und Intelligenz unberührt; die intellektuelle Erfassung von Sachverhalten ist nicht beeinträchtigt. Jedoch ist die Lese- und Schreibgeschwindigkeit verringert; Legastheniker benötigen überdurchschnittlich viel Zeit, um schriftliche Texte aufzunehmen und zu verarbeiten und um ihre Gedanken aufzuschreiben. Aufgrund dessen sind sie beeinträchtigt, ihre als solche nicht eingeschränkte intellektuelle Befähigung darzustellen, d.h. ihre tatsächlich vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten in schriftlichen Prüfungen nachzuweisen. Hinzu kommt eine Rechtschreibschwäche; die Rechtschreibung von Legasthenikern ist überdurchschnittlich fehlerbehaftet (zum Ganzen: Langenfeld, RdJB 2007, 211 <212 f.>; Ennuschat, Rechtsgutachten für den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie, 2008, S. 4 f.).

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Dementsprechend können Prüflinge, die an Legasthenie leiden, zur Herstellung der Chancengleichheit in schriftlichen Prüfungen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs, insbesondere die angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit, beanspruchen, sofern die Feststellung der Rechtschreibung nicht Prüfungszweck ist. Damit kann die langsamere Lese- und Schreibgeschwindigkeit, nicht aber die Rechtschreibschwäche kompensiert werden (VGH Kassel, Beschlüsse vom 3. Januar 2006 - 8 TG 3292/05 - NJW 2006, 1608 und vom 5. Februar 2010 - 7 A 2406/09.Z - NVwZ-RR 2010, 767; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68 und vom 10. März 2015 - 2 ME 7/15 - NVwZ-RR 2015, 574; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 M 16.09 - juris Rn. 4; BFH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - VII B 241/07 - juris Rn. 5; Langenfeld, RdJB 2007, 211 <218 ff.>; Ennuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166 <167>; Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333 <336 f.>). Die Kläger haben in den schriftlichen Prüfungen Nachteilsausgleich durch Verlängerung der Bearbeitungszeit erhalten, der in den Abiturzeugnissen zu Recht nicht vermerkt wurde.

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c) Das Gebot der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf Notenschutz, d.h. auf eine Leistungsbewertung, die das individuelle Leistungsvermögen berücksichtigt. Daher begegnet es unter dem Aspekt der Chancengleichheit keinen Bedenken, Notenschutz im Zeugnis zu vermerken.

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Schulische Abschlussprüfungen sind regelmäßig dazu bestimmt festzustellen, ob die Prüflinge über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die zum Besuch einer weiterführenden Schule, zur Aufnahme einer Berufsausbildung oder zur Ausübung eines Berufs erforderlich sind. Aus diesem Prüfungszweck folgt, dass der Prüfungserfolg davon abhängt, ob und in welchem Maß bestimmte allgemein gültige Leistungsanforderungen erfüllt werden. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist die Prüfung nicht bestanden, ohne dass es auf die Gründe ankommt. Dementsprechend werden die Prüfungsleistungen nach einem Maßstab bewertet, der keine Rücksicht darauf nimmt, aus welchen Gründen allgemein geltende Leistungsanforderungen nicht erfüllt werden. Es dient der Wahrung der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG, diesen Maßstab einheitlich an alle Prüfungsleistungen anzulegen, um aufgrund von Bewertungsrelationen zwischen den Leistungen die für die Notenbildung unverzichtbaren Mindest- und Durchschnittsanforderungen zu bestimmen.

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Davon macht der Notenschutz Ausnahmen: Er trägt dem Umstand Rechnung, dass es Prüflingen subjektiv unmöglich ist, bestimmten Leistungsanforderungen zu genügen. Zu ihren Gunsten wird auf die einheitliche Anwendung des allgemeinen Maßstabs der Leistungsbewertung verzichtet. Entweder werden die subjektiv nicht zu erfüllenden Anforderungen nicht gestellt oder die Nichterfüllung wird nicht bewertet, sodass die Prüflinge insoweit keine Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen müssen. Auch kann der Nichterfüllung bestimmter Anforderungen bei der Leistungsbewertung ein geringeres Gewicht beigemessen werden.

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Maßnahmen des Notenschutzes führen zwangsläufig zu einer erheblichen Verbesserung der Erfolgschancen in der Prüfung. Unter Umständen eröffnet ein individuell angepasster Maßstab Prüflingen erst eine reelle Möglichkeit, die Prüfung zu bestehen oder ein mehr als ausreichendes Ergebnis zu erzielen. Demnach stellt Notenschutz unter dem Aspekt der Chancengleichheit stets eine Bevorzugung derjenigen Prüflinge dar, denen er gewährt wird (BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 1985 - 7 B 210.85 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 223; VGH Kassel; Beschluss vom 5. Februar 2010 - 7 A 2406/09.Z - NVwZ-RR 2010, 767 <769>; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68 und vom 10. März 2015 - 2 ME 7/15 - NVwZ-RR 2015, 574 <576>; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 M 16.09 - juris Rn. 4 f.; Langenfeld, RdJB 2007, 211 <222 f.>; Ennuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166 <167 f.>; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 3 Rn. 245). Der Vermerk einer Bevorzugung bei der Leistungsbewertung im Zeugnis ist nicht geeignet, das Gebot der Chancengleichheit zu beeinträchtigen.

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3. Auch das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthält kein Verbot, den behinderten Schülern bzw. Prüflingen gewährten Notenschutz in deren Zeugnissen zu vermerken.

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a) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Bei der Legasthenie handelt es sich anerkanntermaßen um eine Behinderung im Sinne dieser Bestimmung (BVerwG, Urteil vom 28. September 1995 - 5 C 21.93 - Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 16 S. 10 f.; VGH Kassel, Beschlüsse vom 3. Januar 2006 - 8 TG 3292/05 - NJW 2006, 1608 und vom 5. Februar 2010 - 7 A 2406/09.Z - NVwZ-RR 2010, 767 <769>; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68 und vom 10. März 2015 - 2 ME 7/15 - NVwZ-RR 2015, 574 <576>, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 M 16.09 - juris Rn. 4; Langenfeld, RdJB, 2007, 211 <213 f.>; Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333 <337>).

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Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet Normgebern und Verwaltung, Behinderte gezielt schlechter zu stellen, sofern dies nicht aus zwingenden Gründen geboten ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 1999 - 1 BvR 2161/94 - BVerfGE 99, 341 <357>). Darüber hinaus ist der Schutzbereich des Grundrechts berührt, wenn Rechtsnormen oder Verwaltungspraxis zwar für Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen gelten, Behinderte aber wegen der unterschiedlichen Auswirkungen der Rechtsanwendung faktisch (mittelbar) benachteiligt werden, etwa weil sie eine bestimmte rechtliche Gewährleistung aus tatsächlichen Gründen nicht in Anspruch nehmen können. Insoweit enthält Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG den Auftrag an Gesetzgeber und Verwaltung, die Stellung von Behinderten in Staat und Gesellschaft zu stärken (BT-Drs. 12/8165 S. 28 f.).

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Allerdings folgt daraus im Allgemeinen kein Anspruch darauf, dass eine konkrete mittelbare Benachteiligung unterbleibt oder beseitigt wird. Vielmehr steht Normgebern und Verwaltung bei ihrer Entscheidung darüber, ob und inwieweit sie dem grundgesetzlichen Fördergebot Rechnung tragen, regelmäßig ein Einschätzungsspielraum zu. Einerseits müssen sie die Auswirkungen einer behindertenbedingten Benachteiligung für die Betroffenen in den Blick nehmen. Andererseits haben sie rechtlich schutzwürdige gegenläufige Belange, aber auch organisatorische, personelle und finanzielle Gegebenheiten in die Entscheidungsfindung über die Förderung einzubeziehen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288 <304 ff.>; BVerwG, Urteil vom 5. April 2006 - 9 C 1.05 - BVerwGE 125, 370 Rn. 43). Unmittelbar aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann sich ein Anspruch auf Beseitigung einer konkreten mittelbaren Benachteiligung allenfalls ergeben, um behinderungsbedingte schwerwiegende Nachteile für die Betroffenen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsverwirklichung, abzuwenden oder wenn keine schutzwürdigen Belange entgegenstehen.

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b) Die einheitliche Anwendung des allgemeinen, auf objektive Leistungsanforderungen abstellenden Maßstabs für die Bewertung von Prüfungsleistungen kann sich als mittelbare, von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erfasste Benachteiligung behinderter Prüflinge auswirken. Diese werden zwar rechtlich gleich behandelt, können aber faktisch schlechtere Erfolgschancen haben, weil sie bestimmte Anforderungen aufgrund ihrer Behinderung gar nicht oder nur eingeschränkt erfüllen können. Daher ist es von dem Fördergebot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gedeckt, wenn behinderten Prüflingen Notenschutz gewährt wird. Ihre Prüfungsleistungen können abweichend vom allgemeinen Maßstab nach einem besonderen Maßstab bewertet werden, der behindertenbedingte Leistungsdefizite ganz oder teilweise ausblendet. Auch können Prüfungsleistungen, in denen sich die Behinderung nachteilig auswirken kann, mit einem geringeren Gewicht in die Notengebung einfließen (OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68 <69> und vom 10. März 2015 - 2 ME 7/15 - NVwZ-RR 2015, 574 <576>; Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333 <337>).

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Die Versagung von Notenschutz kann die durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Möglichkeiten behinderter Schüler, sich schulisch und beruflich begabungsgerecht zu entfalten und zu betätigen, gefährden oder beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schulabschluss Voraussetzung für die Aufnahme eines Berufs oder einer beruflichen Ausbildung ist, in denen die Behinderung nicht erschwerend ins Gewicht fällt. So ist es möglich, eine Vielzahl von Berufen trotz einer Rechtschreibstörung ungehindert auszuüben (Langenfeld, RdJB 2007, 211 <223 f.>; Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333 <339 f.>).

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Ungeachtet dessen folgen aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG generell keine Ansprüche auf behindertengerechten Notenschutz für berufsbezogene Prüfungen, weil die dadurch herbeigeführte Bevorzugung behinderter Prüflinge mit verfassungsrechtlichen Schutzgütern kollidiert (für Legasthenie: OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68 und vom 10. März 2015 - 2 ME 7/15 - NVwZ-RR 2015, 574 <576>; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 M 16.09 - juris Rn. 4; VGH Kassel, Beschluss vom 5. Februar 2010 - 7 A 2406/09.Z - NVwZ-RR 2010, 767 <769>; BFH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - VII B 241/07 - juris Rn. 5).

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Die Anwendung eines behindertengerechten Maßstabs für die Leistungsbewertung wirkt sich zwangsläufig auf die Chancengleichheit aller Prüflinge aus. Dies gilt insbesondere für diejenigen, deren schwaches Leistungsvermögen, etwa im Bereich der Rechtschreibung, auf einer persönlichen Eigenschaft oder Veranlagung beruht, die keine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt. Die Leistungen dieser Prüflinge werden am allgemeinen Bewertungsmaßstab gemessen; Notenschutz kommt hier aus Gründen der Chancengleichheit nicht in Betracht (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 1985 - 7 B 210.85 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 223).

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Vor allem aber ließe ein aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hergeleiteter Anspruch auf behindertengerechten Notenschutz für schulische Prüfungen außer Betracht, dass sich im Schulwesen die Grundrechte und die staatliche Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG gleichrangig gegenüber stehen. Nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz müssen beide Verfassungspositionen schon auf abstrakt-genereller Ebene nach Möglichkeit schonend ausgeglichen werden (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 <21>; Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <244 f.>; BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 25.12 - BVerwGE 147, 362 Rn. 11).

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Aus Art. 7 Abs. 1 GG folgt ein umfassend zu verstehender staatlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag. Danach ist es Sache des Staates, d.h. der Länder, die Schulformen und die dafür geltenden Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele festzulegen. Dies umfasst die Befugnis, die für einen Schulabschluss erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bedingungen für deren Nachweis und die durch den Abschluss vermittelte Qualifikation zu bestimmen (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1977 - 1 BvR 799/76 - BVerfGE 45, 400 <415>; Urteil vom 9. Februar 1982 - 1 BvR 845/79 - BVerfGE 59, 360 <377> und Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288 <303 f.>; BVerwG, Urteile vom 17. Juni 1998 - 6 C 11.97 - BVerwGE 107, 75 <78 f.> und vom 11. September 2013 - 6 C 25.12 - BVerwGE 147, 362 Rn. 11).

34

Davon ausgehend kann die Schulaufsicht den Erwerb eines Schulabschlusses und der dadurch vermittelten berufsbezogenen Qualifikation, insbesondere den Erwerb des die allgemeine Hochschulreife vermittelnden Abiturs, an den Nachweis eines allgemeinen Ausbildungs- und Kenntnisstandes knüpfen. Dies bedingt die Anwendung eines allgemeinen, an objektiven Leistungsanforderungen ausgerichteten Bewertungsmaßstabs für die Notengebung in einzelnen Prüfungen (vgl. unter 2.c, S. 9). Abweichungen von diesem Maßstab beeinträchtigen die Aussagekraft der Noten und letztlich des Schulabschlusses. Je größeres Gewicht individuellen Besonderheiten für die Bewertung zukommt, desto weniger ist der Schluss gerechtfertigt, dass die Noten und der Schulabschluss eine allgemein gültige Qualifikation vermitteln. Mit der Einführung von Bewertungsmaßstäben, die dem individuellen Leistungsvermögen durch Notenschutz Rechnung tragen, können je nach Reichweite Änderungen der Lernziele und ein schulischer Systemwechsel verbunden sein.

35

c) Aufgrund dessen ist es grundsätzlich Aufgabe des für die Schulaufsicht zuständigen Organs, darüber zu entscheiden, ob und auf welche Weise behinderte Schüler durch Notenschutz gefördert werden. Dabei muss in die Entscheidungsfindung einfließen, welche Folgen die Versagung von Notenschutz auf deren schulischen und beruflichen Werdegang voraussichtlich haben wird. Die Schwere der Nachteile, die ohne Notenschutz drohen, und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts muss in das Verhältnis zu den Auswirkungen des Notenschutzes auf die Chancengleichheit und die Aussagekraft der Notengebung und des Schulabschlusses gesetzt werden.

36

Dies gilt auch für die Entscheidung über Notenschutz wegen Legasthenie in schulischen Abschlussprüfungen, insbesondere im Abitur. Schüler mit dieser Behinderung werden ohne Notenschutz in Bezug auf die Rechtschreibung in den schriftlichen Prüfungen, insbesondere in den Fächern Deutsch und Fremdsprachen, regelmäßig schlechtere Ergebnisse erzielen. Es besteht aber kein Grund zu der Annahme, ohne Notenschutz werde ihnen das Bestehen des Abiturs unmöglich gemacht oder gravierend erschwert.

37

d) Handelt es sich bei der Gewährung von Notenschutz um eine durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gedeckte, aber nicht gebotene Förderungsmaßnahme, kann der Vermerk des Notenschutzes im Abschlusszeugnis keinen grundrechtlich gewährleisteten Anspruch konterkarieren. Der Schulaufsicht obliegt im Rahmen ihres Einschätzungsspielraums auch die Entscheidung darüber, ob ein solcher Vermerk anzubringen ist. Hierfür spricht, dass der Hinweis auf den Notenschutz die Aussagekraft des Zeugnisses erhöht. Er stellt klar, inwieweit die Noten des Zeugnisinhabers nicht nach den allgemeinen Bewertungskriterien zustande gekommen sind (vgl. Langenfeld, RdJB 2007, 211 <226>; Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333 <337>; Ennuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166 <168 f.>; Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Auflage 2013, Rn. 518).

38

4. Die Unterlassung bzw. Entfernung von Zeugnisbemerkungen über gewährten Notenschutz ist weder nach Art. 24 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) noch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz - AGG - vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) geboten.

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Art. 24 Abs. 1 und 2 BRK erkennt ein diskriminierungsfreies Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung an. Zu diesem Zweck werden die Vertragsstaaten u.a. verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt Zugang zu einem integrativen Unterricht an weiterführenden Schulen zu ermöglichen, angemessene Vorkehrungen für ihre Bedürfnisse zu treffen und ihnen die notwendige Unterstützung zur Erleichterung einer erfolgreichen Bildung zu gewähren. Diese Regelungen sind hier jedenfalls deshalb nicht unmittelbar anwendbar, weil ihnen die erforderliche Bestimmtheit fehlt. Sie enthalten Zielvorgaben für die Integration behinderter Menschen in das staatliche Schulsystem, verpflichten aber nicht zu konkreten behindertengerechten Modalitäten der Bewertung schulischer Leistungen und deren Dokumentation im Abschlusszeugnis. Daher kann dahingestellt bleiben, ob Art. 24 Abs. 1 und 2 BRK schon aufgrund des Zustimmungsgesetzes des Bundes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. II S. 1419) Bestandteil der deutschen Rechtsordnung ist oder ob es hierfür der Zustimmung der für das Schulwesen zuständigen Landesgesetzgeber bedarf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - 6 B 33.06 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 163 Rn. 4; VGH Kassel, Urteil vom 12. November 2009 - 7 B 2763/09 - NVwZ-RR 2010, 602 <603 f.>).

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Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung im Arbeitsleben einschließlich Stellenbewerbungen unzulässig (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Das Gesetz beansprucht keine Geltung für das Schulwesen.

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5. Die grundlegenden Entscheidungen über die Gewährung von Notenschutz für behinderte Schüler sind dem Landesgesetzgeber vorbehalten. Da das Landesrecht die erforderliche gesetzliche Grundlage nach der bindenden, weil nach § 137 Abs. 1 VwGO irrevisiblen Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs nicht enthält, steht fest, dass sowohl die Gewährung von Notenschutz für die Kläger als auch die Notenschutzvermerke in deren Abiturzeugnissen rechtswidrig waren.

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a) Der im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verankerte Vorbehalt des Parlamentsgesetzes verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert ist. Ob es einer gesetzlichen Regelung bedarf und welche Anforderungen an deren inhaltliche Bestimmtheit zu stellen sind, ist mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes zu beurteilen. Für das Schulwesen besteht ein Gesetzesvorbehalt vor allem für Entscheidungen, die das Verhältnis zwischen der staatlichen Schulaufsicht aus Art. 7 Abs. 1 GG, den Grundrechten der Schüler und dem elterlichen Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG austarieren oder den weiteren schulischen und beruflichen Werdegang der Schüler betreffen (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1976 -1 BvR 2325/73 - BVerfGE 41, 251 <262 f.> und vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 - BVerfGE 58, 257 <268 f.>). Erfasst werden auch Entscheidungen, die Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele in wesentlichen Punkten ändern, insbesondere Neuerungen einführen (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70, 95/71 - BVerfGE 34, 165 <192 f.>; Beschlüsse vom 22. Juni 1977 - 1 BvR 799/76 - BVerfGE 45, 400 <417 f.> und vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 - BVerfGE 47, 46 <78 f.>; BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1982 - 7 C 95.80 - BVerwGE 64, 308 <313>).

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b) Danach unterfallen die Entscheidungen über die Gewährung von Notenschutz und dessen inhaltliche Ausgestaltung jedenfalls für schulische Abschlussprüfungen dem Gesetzesvorbehalt. Einerseits verbessert der Notenschutz die Erfolgschancen von Schülern mit Behinderung; er dient der Förderung ihrer grundrechtlich geschützten schulischen und beruflichen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten (vgl. unter 3.b, S. 12). Andererseits müssen die Auswirkungen des Notenschutzes auf die Chancengleichheit und auf die schulischen Ausbildungsziele in Erwägung gezogen werden. Die Einführung des Notenschutzes hat stets Auswirkungen auf die Aussagekraft des Schulabschlusses, der durch das Abschlusszeugnis dokumentiert wird. Je weiter der Notenschutz reicht, desto mehr wird auf einheitliche Lernziele, Leistungsanforderungen und ein einheitliches Qualifikationsniveau der Schulabschlüsse zugunsten einer begabtengerechten Förderung verzichtet. So wird durch den Verzicht auf die Bewertung von Rechtschreibleistungen in Abiturprüfungen auf den Nachweis einer Fähigkeit verzichtet, die als grundlegend für eine akademische Ausbildung angesehen wird (vgl. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. November 1999, unter II).

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Wegen der weitreichenden Bedeutung des Notenschutzes reicht es nicht aus, dass der Gesetzgeber den Verordnungsgeber ohne inhaltliche Vorgaben zur Regelung dieser Sachmaterie ermächtigt. Er wird zumindest den begünstigten Personenkreis allgemein umschreiben, die erfassten schulischen Abschlussprüfungen anführen und bestimmen müssen, auf welche Weise Notenschutz gewährt wird. Als Maßnahme kommt nicht ausschließlich in Betracht, individuelle Defizite bei der Bewertung von Prüfungsleistungen nicht oder vermindert zu berücksichtigen. Stattdessen können Zu- und Abschläge bei der Notengebung vorgesehen oder abweichende Mindestanforderungen für Versetzung und Schulabschluss festgelegt werden. Auch ist wegen der Grundrechtsrelevanz eine Grundentscheidung des Gesetzgebers darüber geboten, ob der gewährte Notenschutz im Zeugnis zu dokumentieren ist.

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c) Unterliegen Notenschutzregelungen in dem dargestellten Umfang dem Vorbehalt des Parlamentsgesetzes, sind derartige Regelungen in Rechtsverordnungen wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 3 GG nichtig, wenn eine gesetzliche Verordnungsermächtigung fehlt. Dies lässt der Verwaltungsgerichtshof außer Acht, wenn er der Bayerischen Gymnasialschulordnung i.d.F. vom 7. Juli 2009 (GVBl S. 318) ein Verbot von Notenschutzvermerken im Abiturzeugnis entnimmt, obwohl er zuvor bindend feststellt, dass die erforderliche landesgesetzliche Grundlage für die Gewährung von Notenschutz einschließlich der Folgen fehlt.

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6. Für die in der Vergangenheit liegenden Abiturprüfungen stellt die Bekanntmachung vom 16. November 1999 weiterhin die Rechtsgrundlage sowohl für die Gewährung von Notenschutz als auch für dessen Vermerk im Abiturzeugnis dar. Das Fehlen der erforderlichen landesgesetzlichen Regelungen kann nicht dazu führen, dass Schüler den ihnen rechtswidrig gewährten Notenschutz "behalten", aber die Entfernung der Zeugnisbemerkungen verlangen können.

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a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass es unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist, inhaltlich nicht zu beanstandende Regelungen, die einem bereichsspezifischen Gesetzesvorbehalt nicht genügen, für einen Übergangszeitraum weiter anzuwenden. Dies ist der Fall, wenn und soweit die Anwendung unerlässlich ist, um grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu wahren oder die Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung sicherzustellen. Die vorübergehende Fortgeltung der Regelungen wird in Kauf genommen, um noch verfassungsfernere Zustände zu vermeiden (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1976 - 1 BvR 2325/73 - BVerfGE 41, 251 <266 f.>; vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 - BVerfGE 58, 257 <280 f.>; vom 13. Dezember 1988 - 2 BvL 1/84 - BVerfGE 79, 245 <250 f.>; Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673, 2402/04 - BVerfGE 116, 69 <92 f.>; BVerwG, Urteile vom 27. November 1981 - 7 C 57.79 - BVerwGE 64, 238 <244 f.> und vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <111>). Diese Erwägungen müssen erst Recht für die Rückabwicklung von Rechtsbeziehungen mit Wirkung für die Vergangenheit gelten, für die es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt.

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b) Das Regelungskonzept der Bekanntmachung vom 16. November 1999 sieht vor, legasthenen Schülern Notenschutz auf Antrag nur um den Preis des Vermerks im Abiturzeugnis zu gewähren. Die Schüler bzw. ihre Sorgeberechtigten wurden auf diesen Zusammenhang rechtzeitig hingewiesen. Diese Bestimmungen sind inhaltlich nicht zu beanstanden: Der Notenschutz ist durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gedeckt; es bestehen keine verfassungsunmittelbaren Ansprüche, Hinweise darauf im Abschlusszeugnis zu unterlassen (vgl. unter 2. und 3., Seiten 7 ff.).

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Aufgrund des rechtswidrig gewährten Notenschutzes weisen die Abiturzeugnisse der Schüler, die wie die Kläger Notenschutz in Anspruch genommen haben, Noten aus, die rechtswidrig zustande gekommen sind. Dies zieht zwangsläufig die Rechtswidrigkeit des Notendurchschnitts nach sich. Rechtmäßige Verhältnisse könnten nur dadurch hergestellt werden, dass alle für das Abitur bedeutsamen schriftlichen Prüfungsleistungen nach den allgemeinen Maßstäben ohne Notenschutz erneut bewertet und anschließend die Abiturnoten neu festgesetzt würden. Dies dürfte bereits deshalb nicht in Frage kommen, weil die Schüler die Leistungen in dem Bewusstsein erbracht haben, wegen des Notenschutzes nicht auf Rechtschreibung achten zu müssen. Jedenfalls sind erneute Bewertungen und Notenbildungen wegen der inzwischen vergangenen Zeit und der Vielzahl der schriftlichen Prüfungsleistungen aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich. Da Wiederholungen der schriftlichen Prüfungen offensichtlich nicht in Betracht kommen, kann der Notenschutz, den die Beklagte in der Vergangenheit legasthenen Schülern rechtswidrig gewährt hat, nicht mehr rückgängig gemacht werden.

50

Aufgrund dessen ist die Beklagte aus Gründen der Chancengleichheit und der Aussagekraft der Abiturzeugnisse berechtigt, auch die materiell-rechtlich zulässigen Zeugnisbemerkungen über den Notenschutz beizubehalten. Durch deren Entfernung erhielten die Kläger einen unberechtigten Vorteil insbesondere gegenüber denjenigen Schülern mit Lese- und Rechtschreibstörung, die sich bewusst nicht um Notenschutz bemüht haben.

51

Auch erscheint es gerechtfertigt, die bisherige Verwaltungspraxis des Notenschutzes noch für das Schuljahr 2015/2016 anzuwenden. Die Schüler, die 2016 das Abitur ablegen, bzw. ihre Sorgeberechtigten mussten sich bereits bei Beginn der gymnasialen Oberstufe entscheiden, ob sie Notenschutz mit der Folge des Vermerks im Abiturzeugnis in Anspruch nehmen. Ihr Vertrauen darauf, dass die getroffene Entscheidung bis zum Abitur gilt, ist schutzwürdig. Hinzu kommt, dass die bereits erbrachten schriftlichen Prüfungsleistungen aus den genannten Gründen schwerlich erneut bewertet werden können.

52

c) Durch den Vermerk gewährten Notenschutzes im Zeugnis werden Legastheniker gegenüber Schülern mit anderen Behinderungen nicht gleichheitswidrig benachteiligt. Die darauf bezogenen Ausführungen der Kläger verkennen den Zweck des Vermerks. Es geht nicht darum, eine Behinderung zu dokumentieren, sondern den Verzicht auf allgemein geltende Leistungsanforderungen transparent zu machen. Notenschutz durch Änderung des allgemeinen Maßstabs für die Leistungsbewertung unterscheidet sich grundlegend von der Änderung äußerer Prüfungsbedingungen zur Herstellung gleicher Erfolgschancen (Nachteilsausgleich) sowie von der Befreiung der Teilnahme am Unterricht und dem Verzicht auf die Vergabe von Noten in einzelnen Fächern. Unterrichtsbefreiung und Notenverzicht kommen im Zeugnis zum Ausdruck, ohne dass gesondert darauf hingewiesen werden müsste. Im Übrigen lässt die von den Klägern behauptete Praxis die Berechtigung für Zeugnisbemerkungen über gewährten Notenschutz nicht entfallen.

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d) Die Bemerkungen in den Abiturzeugnissen der Kläger sind inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie enthalten den zutreffenden Hinweis, dass ihre Rechtschreibleistungen in den schriftlichen Prüfungen nicht bewertet wurden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

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