Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 B 11/21

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. September 2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2 232 896,06 € festgesetzt.

Gründe

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Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

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1. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen

Ist ein räumlich isoliert gelegenes vormaliges Kasernengelände, auf welchem eine auf lediglich einen Nutzungszweck beschränkte Nachnutzung realisiert wurde, planungsrechtlich den Bestimmungen über den unbeplanten Innenbereich i.S.d. § 34 BauGB oder denjenigen über den Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB zuzuordnen?

und

Ist eine isoliert im Stadtgebiet liegende großflächige Einrichtung der Bundespolizei, welche dem Regime des § 37 BauGB unterliegt, ein Ortsteil i.S.d. § 34 BauGB?

betreffen allerdings revisibles Bundesrecht, auch wenn der streitgegenständliche Bescheid über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen seine Rechtsgrundlage in landesrechtlichen Vorschriften hat. Denn das Oberverwaltungsgericht (UA S. 11) hat die Anwendbarkeit des § 5 Nr. 3 der Abwasserbeitragssatzung des Beklagten, der die für die Berechnung der Beitragshöhe maßgebende Grundstücksfläche "bei Grundstücken, für die kein Bebauungsplan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§ 34 BauGB)" regelt, davon abhängig gemacht, dass das klägerische Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB liegt. Nach dieser - für das Revisionsgericht bindenden - Auslegung des Landesrechts schließt die Beitragsberechnung an die bundesrechtlich vermittelte bauplanungsrechtliche Situation des Grundstücks an. Die vom Satzungsgeber in Bezug genommene Vorschrift des § 34 BauGB stellt danach mit dem vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Inhalt den Anknüpfungspunkt für die landesrechtliche Beitragsregelung dar, ohne in ihrem Anwendungsbereich erweitert zu werden, und gelangt aufgrund des Normsetzungsbefehls des Bundesgesetzgebers zur Anwendung, weshalb sie den Charakter revisiblen Bundesrechts behält (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 4. November 1976 - 5 C 73.74 - BVerwGE 51, 268 <273>, vom 12. April 1984 - 5 C 95.80 - BVerwGE 69, 146 <148 f.> und vom 9. Juli 2020 - 3 C 20.18 - BVerwGE 169, 142 Rn. 10; Beschlüsse vom 24. März 1986 - 7 B 35.86 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 132 S. 16 f. und vom 7. Juli 2021 - 9 B 33.20 - juris Rn. 8).

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2. Die Fragen zeigen jedoch keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Problemstellung bei der Auslegung und Anwendung des § 34 BauGB auf, die entscheidungserheblich wäre und in einem Revisionsverfahren geklärt werden müsste.

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a) Soweit die Klägerin zur Erläuterung der ersten Fragestellung geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht habe bisher offengelassen, ob ein Kasernengelände bis zur Aufgabe der militärischen Nutzung einen Ortsteil gebildet haben könnte, kommt es darauf nicht an, weil das Oberverwaltungsgericht die Ortsteilqualität nicht aus der vormaligen Nutzung als Kasernengelände abgeleitet, sondern auf die aktuell als Aus- und Fortbildungszentrum genutzte Polizeieinrichtung abgestellt hat. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem von der Beschwerde zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - (BVerwGE 156, 336), das die Beurteilung eines weitgehend ungenutzten Gebäudebestands nach Aufgabe der früheren militärischen Nutzung betraf.

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Im Übrigen sind die Voraussetzungen, unter denen ein Bebauungszusammenhang als Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB anzusehen ist, höchstrichterlich geklärt und auch in der oben zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt worden. Danach ist Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur ein Bebauungskomplex, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, die - anders als eine bloße Splittersiedlung - Maßstab für eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung sein kann (BVerwG, Urteil vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 15, 17; vgl. auch Rubel, DVBl 2018, 403 <406> m.w.N.). Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen (UA S. 13 f.), das aus den tatrichterlichen Feststellungen zur aktuellen Art und zum Maß der baulichen Nutzung der auf dem Grundstück der Klägerin vorhandenen baulichen Anlagen sowie den Vorgaben zur überbaubaren Grundstücksfläche auf eine organische Siedlungsstruktur geschlossen hat, die eine zeitlich nachfolgende Fortentwicklung ermögliche. Ob diese Bewertung im Ergebnis zutrifft, ist keine allgemein klärungsbedürftige Frage, sondern betrifft die Rechtsanwendung im Einzelfall; darauf bezogene Zweifel können die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.

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b) Die zweite aufgeworfene Frage zeigt schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung auf, weil sie zu Unrecht unterstellt, dass das "Regime" des § 37 BauGB für die Beurteilung des Ortsteilcharakters von fallübergreifender Bedeutung sein kann und insoweit allgemeingü;ltige Aussagen möglich sind.

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Die bauliche Nutzung eines Grundstücks zu bestimmten öffentlichen Zwecken - hier insbesondere zu dienstlichen Zwecken der Bundespolizei nach § 37 Abs. 2 Satz 1 BauGB - hat als solches keinen Einfluss auf die bauplanungsrechtliche Zuordnung des Grundstücks zum Innenbereich nach § 34 BauGB oder Außenbereich nach § 35 BauGB. Die Vorschrift des § 37 BauGB regelt vielmehr die Möglichkeit, von den sich aus der bauplanungsrechtlichen Zuordnung jeweils ergebenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Realisierung eines Vorhabens im Einzelfall abzuweichen. Allein die abstrakte Möglichkeit einer solchen Abweichungsentscheidung lässt entgegen der Ansicht der Klägerin die zukunftsgerichtete steuernde Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB im Sinne eines Planersatzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 17) nicht von vornherein entfallen. Das Oberverwaltungsgericht hat hier - unter Zugrundelegung der oben aufgezeigten Grundsätze - den Ist-Zustand des Baukomplexes in Bezug auf Art und Maß der baulichen Nutzung betrachtet und daraus den Rahmen und die Maßst&#228;be für eine Fortentwicklung des Geländes abgeleitet. Dieser Ansatz wird durch den Hinweis der Klägerin auf die Zwecke des § 37 Abs. 2 BauGB nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Ein allgemeines "Regime" des § 37 BauGB gibt es nicht. Die Vorschrift enthält auch keinen umfassenden Dispens von bauplanungsrechtlichen Anforderungen, der eine Fortentwicklung der festgestellten organischen Siedlungsstruktur verhindern würde, sondern ermöglicht nur eine Abweichung von Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelfall. Diese steht auch nicht im Belieben des Vorhabenträgers. Die Anwendung des § 37 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BauGB erfordert vielmehr eine einzelfallbezogene (Zustimmungs-)Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde, die im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung die widerstreitenden öffentlichen Belange zu gewichten hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1991 - 4 C 20.88 - Buchholz 406.11 § 37 BauGB Nr. 4 S. 5).

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Soweit die Beschwerde den Umstand in den Vordergrund stellt, dass es sich bei dem angenommenen Ortsteil um die isolierte Fläche eines einzigen Eigentümers mit einem alleinigen Nutzungszweck handele, legt sie nicht dar, welcher Zusammenhang insoweit mit der zweiten aufgeworfenen Frage bestehen und inwieweit sich daraus ein über den Einzelfall hinausgehender allgemeiner Klärungsbedarf ergeben soll.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

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