Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 14 K 292/98

Tatbestand

 
(überlassen von DATEV)
Streitig ist, ob das Finanzamt verpflichtet ist, die durch die Entnahme eines betrieblich genutzten Grundstücksteils entstandene Einkommensteuer 1995 gem. § 227 Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen anteilig zu erlassen, weil der Steuerpflichtigen die Betriebsvermögenseigenschaft bis zur Entnahme nicht bekannt war.
Die Kläger sind als Kinder zu je 1/3 Erben und Gesamtrechtsnachfolger der am 24. Juni 2002 im Alter von 81 Jahren verstorbenen Frau E J (geboren am 19. Oktober 1920), die an der Fa. J J GmbH & Co KG mit Sitz in H als Kommanditistin mit einer Einlage von 900.000 DM (= 45 %) beteiligt war. Als weitere Kommanditistin war die älteste Tochter der Erblasserin, Frau W E geborene J (Klägerin zu 1), mit einer Einlage in Höhe von 1.100.000 DM (= 55 %) beteiligt. Beide waren Gesellschafter-Geschäftsführerinnen der persönlich haftenden Gesellschafterin (Komplementärin) der KG, der J Joos S GmbH.
Die KG betrieb ihr Unternehmen zunächst in S im Gebiet "Uweg 11" auf einem 5276 qm großen Bauhofgelände, das als Lager und Abstellplatz für Materialien, Geräte und Maschinen diente und auf dem sich ein Werkstattgebäude sowie ein Bürogebäude für die technische und kaufmännische Verwaltung befanden. In den Jahren 1978 und 1979 verlagerte die KG ihren Werkstatt- und Bauhofbetrieb nach H.
Die verstorbene Mutter der Kläger war bis Dezember 1995 Alleineigentümerin des 1142 qm großen Grundstücks in S, Sweg (Flurstück Nr.), auf dem sich im vorderen (östlichen) Teil zur Bstraße hin ein Mietwohnhaus befand, das als Privatvermögen der Mutter behandelt wurde. Auf dem hinteren (westlichen) Teil des Grundstücks hatte die KG auf einer Fläche von 225 qm eine LKW-Werkstatt errichtet und die Aufwendungen hierfür in ihren Bilanzen als Gebäude auf fremdem Grund und Boden aktiviert. Der anteilige Grund und Boden war nicht als Betriebsvermögen erfasst worden. Nach der Verlagerung ihres Betriebes nach H vermietete die KG das Werkstattgebäude an einen Getränkehändler.
Durch notariellen Vertrag vom 20. Dezember 1995 schenkte die Mutter der Kläger das Grundstück Sweg unter Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs ihrer jüngsten Tochter M J (Klägerin zu 3), die an der KG nicht beteiligt war.
Im Rahmen einer im Oktober 1995 bei der KG begonnenen Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 1991 bis 1993 vertrat der Prüfer in einem Sonderbericht die Auffassung, der mit dem Werkstattgebäude bebaute Teil des Grund und Bodens des Grundstücks Sweg sei bis zur Schenkung im Dezember 1995 als notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter der Kläger zu behandeln gewesen. Durch die Schenkung sei eine Fläche von 225 qm entnommen worden mit der Folge, dass die Mutter der Kläger im Jahr 1995 einen entsprechenden Entnahmegewinn zu versteuern habe. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Sonderbericht Bezug genommen (Einkommensteuerakte Band VII Blatt 65 f).
Das Finanzamt berücksichtigte die darin getroffenen Feststellungen in dem unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Gewinnfeststellungsbescheid der KG für 1995 und im Einkommensteuerbescheid 1995 der Mutter der Kläger. Diese Bescheide wurden nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 1997 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger beim beklagten Finanzamt gem. § 227 AO Erlass der auf den Entnahmegewinn entfallenden Einkommensteuer 1995, die er mit 7.291 DM berechnete. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seinem Urteil vom 2. August 1983, VIII R 15/80 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 1983, 736) im Fall einer ungewollten Entnahme einen Teilerlass der Steuer für geboten gehalten. Die Einziehung der Steuer sei im vorliegenden Fall sachlich unbillig, weil sie dem Gebot des Vertrauensschutzes und dem Erfordernis der Zumutbarkeit widerspreche. Das Steuerrecht müsse für den Steuerpflichtigen kalkulierbar sein, weil ansonsten die steuerlichen Auswirkungen von unternehmerischen Entscheidungen zu unvorhergesehenen Belastungen führen könnten. Der Steuerpflichtige müsse die steuerlichen Konsequenzen der zu treffenden Entscheidungen kennen, um beurteilen zu können, ob die Entscheidung unternehmerisch sinnvoll sei oder unter Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen nicht durchgeführt werden sollte. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Mutter der Kläger habe im Zeitpunkt der Schenkung des Grundstücks im Dezember 1995 keine Kenntnis davon gehabt, dass es sich teilweise um Sonderbetriebsvermögen gehandelt habe. Diese Feststellung sei erst zwei Monate später während der Betriebsprüfung im Februar 1996 getroffen worden.
10 
Die Mutter der Kläger sei im Zeitpunkt der Schenkung davon ausgegangen, dass es sich bei der vermieteten Werkstatt um Privatvermögen gehandelt habe, das ohne einkommenssteuerliche Konsequenzen auf die Tochter habe übertragen werden können. Dass die Werkstatt, die in früheren Jahren durch die KG selbst genutzt - seit 1977 jedoch fremdvermietete worden sei, zum notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter der Kläger zu rechnen sei, sei weder der Mutter noch ihren steuerlichen Beratern und auch nicht den zahlreichen Betriebsprüfungen aufgefallen, die zwischenzeitlich stattgefunden hätten. Die Nichtkenntnis der Verhaftung des Grundstücksteils im Betriebsvermögen sei der Mutter nicht zuzurechnen. Zum einen sei die Verbindung mit dem Betrieb nicht mehr so offensichtlich gewesen, dass man sie nicht habe übersehen können. Zum anderen habe im Rahmen der Übertragung des Grundbesitzes auf die Tochter keine Notwendigkeit bestanden, sämtliche Mietverträge zu überprüfen, da sich durch die Übertragung wegen des zurückbehaltenen Nießbrauchs wirtschaftlich nichts habe ändern sollen. Vor diesem Hintergrund erscheine es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unzumutbar, die vollen steuerlichen Konsequenzen aus dem Vorgang zu ziehen. Es stehe außer Frage, dass die Mutter der Kläger den Werkstattteil nicht übertragen hätte, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass dadurch einkommenssteuerliche Konsequenzen ausgelöst würden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Erlassantrag vom 27. Oktober 1997 Bezug genommen (Einkommensteuerakte Band VII Blatt 52 ff).
11 
Das Finanzamt lehnte den Erlassantrag mit Bescheid vom 11. November 1997 ab (Einkommensteuerakte Blatt 57 f).
12 
Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 20. November 1997 Einspruch ein, den das Finanzamt als unbegründet zurückwies. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Einspruchsentscheidung vom 29. September 1998 Bezug genommen (Einkommensteuerakte Band VII Blatt 88 ff).
13 
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage vom 2. November 1998 (= Montag), die am selben Tag bei Gericht einging. Zur Begründung wiederholt der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 27. April 1999 Bezug genommen (Gerichtsakte Blatt 13 ff). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt sinngemäß,
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den den Teilerlass der Einkommensteuer 1995 ablehnenden Bescheid vom 11. November 1997 sowie die Einspruchsentscheidung vom 29. September 1998 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Einkommensteuer 1995 der Mutter der Kläger in Höhe von 7.291 DM = 3.727,83 EUR zu erlassen;
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hilfsweise, das Finanzamt zu verpflichten, den Erlassantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
16 
Das beklagten Finanzamt beantragt,
17 
die Klage abzuweisen.
18 
Es hält an der in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung fest.
19 
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 9. April 2003 und 30. April 2003 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
20 
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten der Mutter der Kläger für 1995, die Gewinnfeststellungsakten der Fa. J J GmbH & Co KG für die Jahre 1994 bis 1999, die Betriebsprüfungsakten und eine Sonderakte "Entnahme des Grundstücks Sweg" vorgelegen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die Klage ist unbegründet.
22 
Das Finanzamt hat den beantragten Teilerlass der Einkommensteuer 1995 ermessensfehlerfrei abgelehnt.
23 
Gem. § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Entscheidung über einen Erlassantrag eine Ermessensentscheidung i.S.v. § 5 AO, die vom Gericht gem. § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Finanzbehörde die Grenzen ihres Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das Gericht ist nicht befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Finanzbehörde zu setzen. Eine Verpflichtung zum Erlass kann es nur aussprechen, wenn der Ermessensspielraum der Behörde im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Maßgebend ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. u.a. Urteil des BFH vom 23. November 1994 - X R 124/92 BStBl II 1995, 824 und BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 - V R 16/95 BStBl II 1997,259 m.w.N.).
24 
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Festsetzung oder Einziehung einer Steuer sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beantragten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen einen Billigkeitserlass nicht (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 25. Januar 1996 - IV R 91/94, BStBl II 1996,289 und BFH Urteil vom 11. Juli 1996 - V R 18/95, BStBl II 1997,259 m.w.N.).
25 
Der Entnahmetatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfordert nach ständiger Rechtsprechung eine Entnahmehandlung, die von einem Entnahmewillen getragen ist. Dazu reicht ein schlüssiges Verhalten des Steuerpflichtigen aus, durch das die Verknüpfung des Wirtschaftsguts mit dem Betriebsvermögen erkennbar gelöst wird. Nicht erforderlich ist der Wille zur Gewinnverwirklichung oder das Bewusstsein einer Gewinnverwirklichung und eine ungefähre Vorstellung über ihr Ausmaß (vgl. u.a. BFH Urteil vom 31. Januar 1985 IV R 130/82, BStBl II 1985, 395; BFH Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, BFH/NV 1987,768 und Beschluss des BFH vom 25. April 2003 IV B 211/01 - nicht veröffentlicht - dokumentiert auf juris CD).
26 
Diese Rechtsprechung des BFH würde unterlaufen, wenn im Rahmen eines Billigkeitserlasses die Vorstellungen des Steuerpflichtigen über die Betriebsvermögenseigenschaft eines Wirtschaftsguts und damit die Vorstellungen darüber, ob eine Gewinnverwirklichung eintritt berücksichtigt würden. Ein Erlass der aus einer Entnahme resultierenden Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen kann daher grundsätzlich nicht mit der Begründung begehrt werden, der Steuerpflichtige habe die Betriebsvermögenseigenschaft des Wirtschaftsguts nicht gekannt.
27 
Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 2. August 1983 VIII R 15/80 (BStBl II 1983, 736) berufen. In diesem Urteil ist der BFH von der früheren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH abgewichen, die es in Ausnahmefällen zugelassen hatte, einen Geschäftsvorfall mit steuerlicher Wirkung rückgängig zu machen, wenn der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seiner Handlungsweise nicht überblicken konnte, diese Folgen ungewöhnlich hart waren, er spätestens bis zur Erstellung der Bilanz den früheren Zustand wieder hergestellt hat und sich aus dem Vorgang noch keine steuerlichen Folgen ergeben haben. In dem genannten Urteil vom 2. August 1983 hat der BFH entschieden, dass der durch die Schenkung eines Betriebsgrundstücks verwirklichte Entnahmetatbestand nicht dadurch rückgängig gemacht werden kann, dass der notarielle Schenkungsvertrag wenige Monate später wieder aufgehoben wird. Die Besteuerung knüpfe an tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge an, die, wenn sie sich einmal ereignet hätten, nicht ungeschehen gemacht werden könnten. Eine vom gesetzlichen Tatbestand abweichende Besteuerung wegen besonderer persönlicher Umstände sehe das Gesetz nur unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit vor. In den von der früheren Rechtsprechung genannten Fällen könne ein Teilerlass der Steuer gem. § 227 AO oder die Nichtberücksichtigung des die Steuer auslösenden Vorgangs gem. § 163 Abs. 1 AO geboten sein (vgl. auch BFH Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1987, 768).
28 
Der vorliegende Fall ist mit den vom BFH in dem o.a. Urteil vorm 2. August 1983 angesprochenen Fällen der früheren Rechtsprechung des RFH und des BFH, in denen nach dem o.a. Urteil des BFH ein Teilerlass in Betracht kommt, nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu diesen Fällen wurde im vorliegenden Fall der die Entnahme auslösende Vorgang - die Schenkung des betrieblich genutzten Grundstücksteils - nicht bis zur Erstellung der Bilanz des betreffenden Jahres rückgängig gemacht. Außerdem war für die steuerlich beratene KG und die ebenfalls steuerlich beratene Mutter der Kläger durchaus erkennbar, dass der mit der betrieblich genutzten Werkstatt bebaute Grund und Boden notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter der Kläger war. Er hätte bereits im Zeitpunkt der Errichtung der Werkstatt als notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter behandelt werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 1988 IV R 160/84, BFH/NV 1989, 95). Dass dies nicht geschehen ist, liegt im Verantwortungsbereich der steuerlich beratenen KG und der ebenfalls steuerlich beratenen Mutter der Kläger und nicht im Verantwortungsbereich des Finanzamts, selbst wenn mehrere Betriebsprüfungen die unzutreffende bilanzsteuerliche Behandlung dieses Grundstücksteils nicht bemerkt haben sollten. Spätestens vor Abschluss des notariellen Schenkungsvertrages vom 20. Dezember 1995 hätte - wie in solchen Fällen allgemein üblich - durch die Steuerberatung der Mutter der Kläger eine sorgfältige steuerrechtliche Prüfung stattfinden müssen, ob durch die Schenkung ein Entnahmetatbestand oder andere nachteilige steuerliche Folgen ausgelöst werden. Offenbar hat eine solche Prüfung nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen ist daher nicht gerechtfertigt.
29 
Die Klage ist daher abzuweisen.
30 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO und die Streitwertfestsetzung aus § 13 und § 25 Gerichtskostengesetz.
31 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

Gründe

 
21 
Die Klage ist unbegründet.
22 
Das Finanzamt hat den beantragten Teilerlass der Einkommensteuer 1995 ermessensfehlerfrei abgelehnt.
23 
Gem. § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Entscheidung über einen Erlassantrag eine Ermessensentscheidung i.S.v. § 5 AO, die vom Gericht gem. § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Finanzbehörde die Grenzen ihres Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das Gericht ist nicht befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Finanzbehörde zu setzen. Eine Verpflichtung zum Erlass kann es nur aussprechen, wenn der Ermessensspielraum der Behörde im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Maßgebend ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. u.a. Urteil des BFH vom 23. November 1994 - X R 124/92 BStBl II 1995, 824 und BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 - V R 16/95 BStBl II 1997,259 m.w.N.).
24 
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Festsetzung oder Einziehung einer Steuer sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beantragten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen einen Billigkeitserlass nicht (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 25. Januar 1996 - IV R 91/94, BStBl II 1996,289 und BFH Urteil vom 11. Juli 1996 - V R 18/95, BStBl II 1997,259 m.w.N.).
25 
Der Entnahmetatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfordert nach ständiger Rechtsprechung eine Entnahmehandlung, die von einem Entnahmewillen getragen ist. Dazu reicht ein schlüssiges Verhalten des Steuerpflichtigen aus, durch das die Verknüpfung des Wirtschaftsguts mit dem Betriebsvermögen erkennbar gelöst wird. Nicht erforderlich ist der Wille zur Gewinnverwirklichung oder das Bewusstsein einer Gewinnverwirklichung und eine ungefähre Vorstellung über ihr Ausmaß (vgl. u.a. BFH Urteil vom 31. Januar 1985 IV R 130/82, BStBl II 1985, 395; BFH Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, BFH/NV 1987,768 und Beschluss des BFH vom 25. April 2003 IV B 211/01 - nicht veröffentlicht - dokumentiert auf juris CD).
26 
Diese Rechtsprechung des BFH würde unterlaufen, wenn im Rahmen eines Billigkeitserlasses die Vorstellungen des Steuerpflichtigen über die Betriebsvermögenseigenschaft eines Wirtschaftsguts und damit die Vorstellungen darüber, ob eine Gewinnverwirklichung eintritt berücksichtigt würden. Ein Erlass der aus einer Entnahme resultierenden Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen kann daher grundsätzlich nicht mit der Begründung begehrt werden, der Steuerpflichtige habe die Betriebsvermögenseigenschaft des Wirtschaftsguts nicht gekannt.
27 
Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 2. August 1983 VIII R 15/80 (BStBl II 1983, 736) berufen. In diesem Urteil ist der BFH von der früheren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH abgewichen, die es in Ausnahmefällen zugelassen hatte, einen Geschäftsvorfall mit steuerlicher Wirkung rückgängig zu machen, wenn der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seiner Handlungsweise nicht überblicken konnte, diese Folgen ungewöhnlich hart waren, er spätestens bis zur Erstellung der Bilanz den früheren Zustand wieder hergestellt hat und sich aus dem Vorgang noch keine steuerlichen Folgen ergeben haben. In dem genannten Urteil vom 2. August 1983 hat der BFH entschieden, dass der durch die Schenkung eines Betriebsgrundstücks verwirklichte Entnahmetatbestand nicht dadurch rückgängig gemacht werden kann, dass der notarielle Schenkungsvertrag wenige Monate später wieder aufgehoben wird. Die Besteuerung knüpfe an tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge an, die, wenn sie sich einmal ereignet hätten, nicht ungeschehen gemacht werden könnten. Eine vom gesetzlichen Tatbestand abweichende Besteuerung wegen besonderer persönlicher Umstände sehe das Gesetz nur unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit vor. In den von der früheren Rechtsprechung genannten Fällen könne ein Teilerlass der Steuer gem. § 227 AO oder die Nichtberücksichtigung des die Steuer auslösenden Vorgangs gem. § 163 Abs. 1 AO geboten sein (vgl. auch BFH Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1987, 768).
28 
Der vorliegende Fall ist mit den vom BFH in dem o.a. Urteil vorm 2. August 1983 angesprochenen Fällen der früheren Rechtsprechung des RFH und des BFH, in denen nach dem o.a. Urteil des BFH ein Teilerlass in Betracht kommt, nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu diesen Fällen wurde im vorliegenden Fall der die Entnahme auslösende Vorgang - die Schenkung des betrieblich genutzten Grundstücksteils - nicht bis zur Erstellung der Bilanz des betreffenden Jahres rückgängig gemacht. Außerdem war für die steuerlich beratene KG und die ebenfalls steuerlich beratene Mutter der Kläger durchaus erkennbar, dass der mit der betrieblich genutzten Werkstatt bebaute Grund und Boden notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter der Kläger war. Er hätte bereits im Zeitpunkt der Errichtung der Werkstatt als notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Mutter behandelt werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 1988 IV R 160/84, BFH/NV 1989, 95). Dass dies nicht geschehen ist, liegt im Verantwortungsbereich der steuerlich beratenen KG und der ebenfalls steuerlich beratenen Mutter der Kläger und nicht im Verantwortungsbereich des Finanzamts, selbst wenn mehrere Betriebsprüfungen die unzutreffende bilanzsteuerliche Behandlung dieses Grundstücksteils nicht bemerkt haben sollten. Spätestens vor Abschluss des notariellen Schenkungsvertrages vom 20. Dezember 1995 hätte - wie in solchen Fällen allgemein üblich - durch die Steuerberatung der Mutter der Kläger eine sorgfältige steuerrechtliche Prüfung stattfinden müssen, ob durch die Schenkung ein Entnahmetatbestand oder andere nachteilige steuerliche Folgen ausgelöst werden. Offenbar hat eine solche Prüfung nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen ist daher nicht gerechtfertigt.
29 
Die Klage ist daher abzuweisen.
30 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO und die Streitwertfestsetzung aus § 13 und § 25 Gerichtskostengesetz.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

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