Entscheidung vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 1 K 2819/19

Tenor

1. Die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2017 vom 12. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 werden dahin abgeändert, dass die jeweils festgesetzte Umsatzsteuer um die folgenden Beträge vermindert wird:

Jahr   

Umsatzsteuer

2014   

8.968 EUR

2015   

5.742 EUR

2016   

3.907 EUR

2017   

4.296 EUR

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistands für das Vorverfahren war notwendig.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung in Höhe des durch Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Erstattungsbetrags Sicherheit leistet. Ist durch Kostenfestsetzungsbeschluss ein Erstattungsbetrag von insgesamt mehr als 1.500 EUR festgesetzt, hat der Gläubiger in Höhe des durch Kostenfestsetzungsbeschluss insgesamt festgesetzten Erstattungsbetrags Sicherheit zu leisten.

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer.
1. Der Kläger betreibt u.a. eine Landwirtschaft mit Schwerpunkt Spargel- und Beerenanbau. Er versteuert seine (landwirtschaftlichen) Umsätze nach Durchschnittssätzen. Seinen Gewinn er berechnet durch Betriebsvermögensvergleich. Das vom Kalenderjahr abweichende Wirtschaftsjahr läuft vom 1. Juli bis zum 30. Juni des darauffolgenden Kalenderjahres.
Der Kläger beschäftigt rd. 100 Erntehelfer in der Saison, an die er Räumlichkeiten in Wohncontainern vermietet, die auf seinem Betriebsgelände stehen. Es kommen zwei Arten von Wohncontainern zum Einsatz. Beim „Dreierblock“ sind Schlafräume, eine Nasszelle, ein Aufenthaltsraum und eine Küche eingebaut. Sie verfügen über einen Sanitär- und Stromanschluss. Die „Einzelcontainer“ enthalten lediglich drei Schlafplätze; für die Erntehelfer in den Einzelcontainern steht in der Halle des Klägers eine Sanitäreinrichtung und eine zentrale Küchenanlage zur Verfügung. Die Container werden ausschließlich als Wohnunterkunft für die Erntehelfer des Klägers verwendet. Sie sind nicht in das Erdreich eingelassen, sondern stehen auf Sockeln aus Stein und sind über gepflasterte Wege zu erreichen. Auf die mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2019 eingereichten Fotos wird verwiesen. Die Dreierblocks gehören dem Kläger und befinden sich dauerhaft auf dessen Gelände, während die Einzelcontainer vom Kläger angemietet werden und nur während der Saison bei ihm aufgestellt sind.
Zwischen dem Kläger und den Erntehelfern werden neben den Arbeitsverträgen schriftliche „Leistungsverträge“ geschlossen. Darin wird die Miete kalendertäglich vereinbart. Neben der Unterkunft konnten die Erntehelfer auch Verpflegung erwerben, die der Kläger gesondert berechnet hat. Der Vertrag enthält außerdem in § 2 (Aufrechnung) eine Klausel, nach der die Ansprüche aus dem Leistungsvertrag mit Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag aufgerechnet werden können. Die Dauer des Mietverhältnisses beträgt maximal drei Monate.
2. Der Kläger unterwarf die Entgelte aus den Vermietungen in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2017 dem ermäßigten Steuersatz.
Jahr   
Datum 
2014   
8. Juni 2016
2015   
26. Mai 2017
2016   
28. Februar 2018
2017   
26. November 2018
3. Bei einer u.a. für die Jahre 2014 und 2015 durchgeführten Außenprüfung kam der Prüfer unter Hinweis auf Abschn. 12.16 Abs. 5 (der Prüfer meint wohl: 4. Spiegelstrich) des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) zu dem Ergebnis, die Umsätze seien mit dem regulären Steuersatz zu besteuern, weil die Unterkunft keine dauerhaft feste Verbindung zum Grundstück besitze (Bericht vom 8. Januar 2019, Tz. 20 f.). Für die Umrechnung der Umsätze vom ermäßigten auf den regulären Steuersatz übernahm der Prüfer die Entgelte aus den Bilanzen der Klägerin zum 30. Juni des jeweiligen Kalenderjahres. Der Bericht enthält insoweit nachrichtlich auch die Entgelte für das Jahr 2016.
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) folgte dem Prüfer in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2014 und 2015 vom 12. April 2019; die Vorbehalte der Nachprüfung wurden aufgehoben.
Für die (Kalender-)Jahre 2016 und 2017 teilte der Kläger dem FA mit Schriftsatz vom 18. Februar 2019 die Entgelte aus der Vermietung mit. Das FA folgte der Rechtsauffassung des Prüfers auch in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2016 und 2017 ebenfalls vom 12. April 2019; diese Bescheide stehen noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In den Erläuterungen zum Bescheid für das Jahr 2016 nahm das FA auf die Außenprüfung Bezug, in den Erläuterungen zum Bescheid für das Jahr 2017 auf die vom Kläger eingereichte Aufstellung (gemeint ist wohl der Schriftsatz vom 18. Februar 2019).
10 
4. Der Einspruch des Klägers vom 26. April 2019 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 als unbegründet zurückgewiesen. Das FA meinte, die in § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG bezeichneten ermäßigt besteuerten Umsätze würden nach Abschn. 12.16 Abs. 1 UStAE zu den nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG von der Steuerbefreiung ausgenommenen Umsätzen gehören. Die Vermietung von Wohncontainern falle nicht unter die Vermietung eines Grundstücks.
11 
5. Mit der Klage vom 7. November 2019 begehrt der Kläger weiter die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Nach der eindeutigen Regelung § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG unterliege die Vermietung von Unterkünften dem ermäßigten Steuersatz.
12 
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2017 vom 12. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 dahin abzuändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer wie folgt herabgesetzt wird:
13 
Jahr   
Umsatzsteuer
2014   
8.968 EUR
2015   
5.742 EUR
2016   
3.907 EUR
2017   
4.296 EUR
14 
Das FA bleibt bei seiner Auffassung und beantragt,
die Klage abzuweisen.
15 
6. Die zuvor erhobene Sprungklage (Az. 1 K 1454/19) hatte der Senat an das FA zurückgegeben, weil der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt war.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2017 vom 12. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Vermietung der Wohncontainer an Erntehelfer unterliegt dem ermäßigten Steuersatz.
17 
1. Die Leistungen des Klägers an die Erntehelfer sind steuerbar.
18 
Der Kläger hat durch die Gewährung von Unterkunft gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG entgeltliche Leistungen an die Erntehelfer erbracht, auch soweit die Miete mit dem Lohn verrechnet worden ist. Der nach dieser Vorschrift erforderliche Leistungsaustausch ergibt sich daraus, dass der Lohneinbehalt zu Lasten des Erntehelfers wie eine Zahlung durch diesen wirkt (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 11, mit Verweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union -EuGH- vom 29. Juli 2010 C-40/09, Astra Zeneca, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2010, 1116; Hessisches Finanzgericht -FG-, Urteil vom 7. April 2014 6 K 1612/11, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2014, 1729).
19 
2. Die Vermietung der Wohncontainer ist -wovon auch die Beteiligten ausgehen- nicht steuerfrei.
20 
a) Gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist u.a. steuerfrei die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Nicht befreit sind die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, die kurzfristige Vermietung auf Campingplätzen und die Vermietung und die Verpachtung von Maschinen und sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG).
21 
Die Regelungen beruhen unionsrechtlich auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (MwStSystRL). Danach sind steuerfrei die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (bis 2006: Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 1 der 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977). Davon sind nach Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a MwStSystRL ausgeschlossen die Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf Grundstücken, die als Campingplätze erschlossen sind. Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL weitere Ausnahmen von der Befreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL vorsehen.
22 
b) Die Wohncontainer sind keine Teile eines Grundstücks. Für den unionsrechtlichen Begriff des Grundstücks ist entscheidend, ob ein darauf errichtetes Bauwerk in den Boden eingelassen ist und nicht leicht abgebaut oder bewegt werden kann (vgl. zur Vermietung von „Mobilheimen“: EuGH-Urteil vom 3. Juli 1997 C-60/96, Kommission/Frankreich, HFR 1997, 780; bestätigt durch EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 C-315/00, Maierhofer, HFR 2003, 528, Rn 31; vgl. auch Abschn. 4.12.1 Abs. 4 Satz 2 und Abschn. 13b.5 Abs. 1 Satz 3 UStAE). Das trifft auf die beim Kläger verwendeten Wohncontainer nicht zu, die lediglich auf Steinsockeln abgestellt sind.
23 
3. Die Vermietung der Wohncontainer unterliegt jedoch dem ermäßigten Steuersatz.
24 
a) Die Steuer beträgt nach § 12 Abs. 1 UStG regulär für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 Prozent der Bemessungsgrundlage. Sie ermäßigt sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG auf sieben Prozent für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Dies gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG).
25 
Die Vorschrift ist durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl I 2009, 3950, BStBl I 2010, 2) zum 1. Januar 2010 eingeführt worden. Der Gesetzgeber wollte damit von der Option in Art. 98 Abs. 1 und Abs. 2 der MwStSystRL i.V.m. Nr. 12 des Anhangs III Gebrauch machen (vgl. BT-Drucks. 17/15, S. 20).
26 
Nach Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar (Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL). Anhang III Nr. 12 lautet: „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“.
27 
Gemäß Art. 43 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-DVO) umfasst der Begriff „Beherbergung in Ferienunterkünften“ auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen, die auf Campingplätzen aufgestellt sind und als Unterkünfte dienen.“
28 
Mit dem ermäßigten Steuersatz soll der breite Zugang zu den betreffenden Leistungen erleichtert werden, weil mit der Beherbergung einem grundlegenden Bedürfnis eines jeden, der unterwegs ist, entsprochen wird (EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 33; BFH-Urteil vom 1. März 2016 XI R 11/14, BFHE 253, 438, BStBl II 2016, 753, Rn 35).
29 
b) Bei den Räumlichkeiten in den Wohncontainern handelt es sich eindeutig um Wohn- und Schlafräume. Die Erntehelfer hielten sich dort nur zum Wohnen und Schlafen auf.
30 
aa) Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FA, der ermäßigte Steuersatz gelte nur für solche Wohn- und Schlafräume, die in Gebäuden liegen (wie hier Klenk, Umsatzsteuerrundschau -UR- 2010, 727, zu II.2.; Widmann, UR 2010, 8, zu II.; Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 8). Zwar entspricht die Formulierung in § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG derjenigen in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG, der eine Ausnahmevorschrift zu § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist (BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 16). Gleichwohl enthält der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG kein Erfordernis, dass die Wohn- und Schlafräume Teile von Gebäuden sein müssen und nimmt auch sonst nicht direkt auf § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG Bezug.
31 
Den Gesetzesmaterialien lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber nur Wohn- und Schlafräume in Gebäuden begünstigen wollte (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/15, S. 11; Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/138, S. 2; Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/147, S. 6).
32 
Schließen tragen selbst die vom FA zitierten Verwaltungsvorschriften dessen Auslegungsergebnis nicht. Nach Abschn. 12.16 Abs. 1 Satz 1 UStAE gehören zwar die in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG bezeichneten Umsätze zu den nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG von der Steuerbefreiung ausgenommenen Umsätzen (vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 5. März 2010, BStBl I 2010, 259, Tz 3). Konsequenzen aus dieser Bezugnahme werden aber im nachfolgenden Satz nur für das -in beiden Vorschriften enthaltene- Merkmal der Kurzfristigkeit dahingehend gezogen, dass die in den Abschn. 4.12.3 Abs. 2 und 4.12.9 Abs. 1 dargestellten Grundsätze entsprechend gelten sollen (Abschn. 12.16 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 UStAE). Die vom FA vorgetragene Schlussfolgerung, die Wohn- und Schlafräume müssten sich in Gebäuden befinden, trifft die Verwaltungsvorschrift nicht.
33 
bb) Eine solche Einschränkung wäre ohnehin kein richtlinienkonformes Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Ermächtigungen für einen ermäßigten Steuersatz. Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL haben zwar die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, (nur) konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i.S. des Anhangs III MwStSystRL mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (EuGH-Urteil vom 6. Mai 2010 C-94/09, Kommission/Frankenreich, HFR 2010, 781, Rn 26; BFH-Urteil vom 24. April 2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rn 52).
34 
Zur Wendung „Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung“ in der Befreiungsvorschrift des Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a MwStSystRL hat der EuGH bereits entschieden, diese sei weit auszulegen, da sie sicherstellen solle, dass die vorübergehende Beherbergung, die der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe ähnlich ist und potentiell mit dieser konkurriert, der Steuer unterliegt (EuGH-Urteil vom 12. Februar 1998 C-346/95, Elisabeth Blasi, HFR 1998, 505, Rn 20). Ebenso weit ist der Begriff der „ähnlichen Einrichtung“ in Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 12 auszulegen, da dieser wie die Wendung „Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung“ neben die „Hotels“ gestellt wird. Eine weite Auslegung ist beim ermäßigten Steuersatz umso mehr geboten, als dass in Art. 43 MwSt-DVO der Begriff „Beherbergung in Ferienunterkünften“ auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen auf Campingplätzen umfasst, die ebenfalls im Gegensatz zu Grundstücken beweglich sind.
35 
Bei der danach gebotenen weiten Auslegung des Begriffs „ähnliche Einrichtung“ würde eine nationale Einschränkung, dass sich Wohn- und Schlafräume in Gebäuden befinden müssen, gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoßen. Ohne die Unterbringung in den Wohncontainern des Klägers müssten die Erntehelfer in den umliegenden Pensionen, Hotels oder Ferienunterkünften, deren Betreiber ohne Zweifel den ermäßigten Steuersatz anwenden dürfen, unterkommen.
36 
c) Der Kläger hat die Erntehelfer in den Wohncontainern beherbergt. Der Beherbergungsbegriff des Anhangs III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist zwar eng auszulegen und der Anwendungsbereich dieser Bestimmung darf nicht auf Leistungen ausgedehnt werden, die sich weder im Wortlaut der Bestimmung wiederfinden noch begriffsimmanent sind (EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 27, zur Vermietung von Bootsliegeplätzen). Vorliegend ist jedoch ein anderer Zweck als die Überlassung zum Übernachten nicht ersichtlich (vgl. EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 34).
37 
Die Beherbergung war auch kurzfristig. Eine Beherbergung ist regelmäßig kurzfristig, wenn sie nicht länger als sechs Monate andauert (EuGH-Urteil vom 12. Februar 1998 C-346/95, Elisabeth Blasi, HFR 1998, 505, Rn 24; BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 16; Hessisches FG, Urteil vom 7. April 2014 6 K 1612/11, EFG 2014, 1729, alle zur Steuerbefreiung). Nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers betrug die Vermietungsdauer bei ihm maximal drei Monate.
38 
Die Beherbergung erfolgte im Rahmen eines Mietverhältnisses. Der Senat teilt nicht die Zweifel des BFH, ob der Kläger den Erntehelfern jeweils das für eine Vermietung charakteristische Besitzrecht eingeräumt habe (vgl. BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 14, zur Steuerbefreiung). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Arbeitnehmern nicht das vorübergehende Besitzrecht an den Räumlichkeiten in den Wohncontainern eingeräumt hätte. Die niedrige Miete spiegelt den geringen Platz und Komfort wider.
39 
d) Die Erntehelfer waren Fremde. Auch das eigene Personal sind fremde Personen, da dieser Begriff nur der Abgrenzung von Logierbesuchen von Verwandten und Freunden dient (BFH-Urteile vom 6. August 1998 V R 26/98, BFH/NV 1999, 84, zu II.3.; vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 18).
40 
4. Der Ausschluss des ermäßigten Steuersatzes kann -entgegen der Auffassung des Prüfers- schließlich nicht auf Abschn. 12.16 Abs. 5 UStAE (der Prüfer meint wohl: 4. Spiegelstrich) gestützt werden. Es handelt sich um eine die Gerichte nicht bindende Verwaltungsvorschrift (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 1. März 2016 XI R 11/14, BFHE 253, 438, BStBl II 2016, 753, Rn 35). Darüber hinaus sind die Wohncontainer des Klägers nicht mit den darin genannten Wohnmobilen, Caravans, Wohnanhängern, Hausbooten und Yachten vergleichbar, die ohne größeren Aufwand mobil sind und nicht nur dem Wohnen und Übernachten dienen, sondern einen nicht unerheblichen Freizeitwert haben.
41 
5. Der Senat hat keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Kläger in allen Streitjahren die Entgelte für die Unterkunft (ermäßigter Steuersatz von 7 %) und die Verpflegung (regulärer Steuersatz von 19 %) ordnungsgemäß getrennt hat (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86). Das FA hat insofern keine Einwände erhoben.
42 
6. Für die Berechnung der festzusetzenden Umsatzsteuer wird auf die Anlage zu diesem Urteil verwiesen. Die Klageanträge des Klägers entsprechen diesen Beträgen.
43 
Der Prüfer hat für die (Kalender-)Jahre 2014 bis 2016 zu Unrecht bei der Umrechnung der Umsätze vom ermäßigten auf den regulären Steuersatz die Umsätze aus den Bilanzen des Klägers zum 30. Juni des jeweiligen Kalenderjahres zugrunde gelegt. Bei der Veranlagung der Umsatzsteuer ist ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr nicht vorgesehen. Der Prüfer hätte daher die Entgelte aus dem Kalenderjahr heranziehen müssen. Für die Neuberechnung der festzusetzenden Umsatzsteuer wird die Berechnung des Prüfers lediglich „zurückgerechnet“.
44 
7. Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid.
45 
8. Der Kläger beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerin durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
46 
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
47 
Anlage
48 
Jahr   
Entgelt netto
(Kläger)
Entgelt brutto
(Kläger)1
Entgelt netto
(FA)2
Steuer 7 % (Kläger)3
Steuer 19 % (FA)4
Differenz
Steuer
2014   
88.929 EUR5
95.154 EUR
79.961 EUR
6.225 EUR
15.193 EUR
8.968 EUR
2015   
56.947 EUR6
60.933 EUR
51.205 EUR
3.986 EUR
9.728 EUR
5.742 EUR
2016   
38.744 EUR7
41.456 EUR
34.837 EUR
2.712 EUR
6.619 EUR
3.907 EUR
2017   
42.601 EUR8
45.584 EUR
38.305 EUR
2.983 EUR
7.279 EUR
4.296 EUR
1.Berechnung: Entgelt netto (Kläger) x 1,07.
                          
2 Berechnung: Entgelt brutto (Kläger) / 1,19.
                          
3 Berechnung: Entgelt netto (Kläger) x 0,07.
                          
4 Berechnung: Entgelt netto (FA) x 0,19.
                          
5 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2014. Vom Prüfer übernommen.
                          
6 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2015. Vom Prüfer übernommen.
                          
7 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2016. Vom Prüfer übernommen.
                          
8 Siehe Schriftsatz des Klägers vom 18. Februar 2019.
                          

Gründe

 
16 
Die Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2017 vom 12. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Vermietung der Wohncontainer an Erntehelfer unterliegt dem ermäßigten Steuersatz.
17 
1. Die Leistungen des Klägers an die Erntehelfer sind steuerbar.
18 
Der Kläger hat durch die Gewährung von Unterkunft gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG entgeltliche Leistungen an die Erntehelfer erbracht, auch soweit die Miete mit dem Lohn verrechnet worden ist. Der nach dieser Vorschrift erforderliche Leistungsaustausch ergibt sich daraus, dass der Lohneinbehalt zu Lasten des Erntehelfers wie eine Zahlung durch diesen wirkt (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 11, mit Verweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union -EuGH- vom 29. Juli 2010 C-40/09, Astra Zeneca, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2010, 1116; Hessisches Finanzgericht -FG-, Urteil vom 7. April 2014 6 K 1612/11, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2014, 1729).
19 
2. Die Vermietung der Wohncontainer ist -wovon auch die Beteiligten ausgehen- nicht steuerfrei.
20 
a) Gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist u.a. steuerfrei die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken. Nicht befreit sind die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, die kurzfristige Vermietung auf Campingplätzen und die Vermietung und die Verpachtung von Maschinen und sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG).
21 
Die Regelungen beruhen unionsrechtlich auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (MwStSystRL). Danach sind steuerfrei die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (bis 2006: Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 1 der 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977). Davon sind nach Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a MwStSystRL ausgeschlossen die Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf Grundstücken, die als Campingplätze erschlossen sind. Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL weitere Ausnahmen von der Befreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL vorsehen.
22 
b) Die Wohncontainer sind keine Teile eines Grundstücks. Für den unionsrechtlichen Begriff des Grundstücks ist entscheidend, ob ein darauf errichtetes Bauwerk in den Boden eingelassen ist und nicht leicht abgebaut oder bewegt werden kann (vgl. zur Vermietung von „Mobilheimen“: EuGH-Urteil vom 3. Juli 1997 C-60/96, Kommission/Frankreich, HFR 1997, 780; bestätigt durch EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 C-315/00, Maierhofer, HFR 2003, 528, Rn 31; vgl. auch Abschn. 4.12.1 Abs. 4 Satz 2 und Abschn. 13b.5 Abs. 1 Satz 3 UStAE). Das trifft auf die beim Kläger verwendeten Wohncontainer nicht zu, die lediglich auf Steinsockeln abgestellt sind.
23 
3. Die Vermietung der Wohncontainer unterliegt jedoch dem ermäßigten Steuersatz.
24 
a) Die Steuer beträgt nach § 12 Abs. 1 UStG regulär für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 Prozent der Bemessungsgrundlage. Sie ermäßigt sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG auf sieben Prozent für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Dies gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG).
25 
Die Vorschrift ist durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl I 2009, 3950, BStBl I 2010, 2) zum 1. Januar 2010 eingeführt worden. Der Gesetzgeber wollte damit von der Option in Art. 98 Abs. 1 und Abs. 2 der MwStSystRL i.V.m. Nr. 12 des Anhangs III Gebrauch machen (vgl. BT-Drucks. 17/15, S. 20).
26 
Nach Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar (Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL). Anhang III Nr. 12 lautet: „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“.
27 
Gemäß Art. 43 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-DVO) umfasst der Begriff „Beherbergung in Ferienunterkünften“ auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen, die auf Campingplätzen aufgestellt sind und als Unterkünfte dienen.“
28 
Mit dem ermäßigten Steuersatz soll der breite Zugang zu den betreffenden Leistungen erleichtert werden, weil mit der Beherbergung einem grundlegenden Bedürfnis eines jeden, der unterwegs ist, entsprochen wird (EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 33; BFH-Urteil vom 1. März 2016 XI R 11/14, BFHE 253, 438, BStBl II 2016, 753, Rn 35).
29 
b) Bei den Räumlichkeiten in den Wohncontainern handelt es sich eindeutig um Wohn- und Schlafräume. Die Erntehelfer hielten sich dort nur zum Wohnen und Schlafen auf.
30 
aa) Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FA, der ermäßigte Steuersatz gelte nur für solche Wohn- und Schlafräume, die in Gebäuden liegen (wie hier Klenk, Umsatzsteuerrundschau -UR- 2010, 727, zu II.2.; Widmann, UR 2010, 8, zu II.; Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 8). Zwar entspricht die Formulierung in § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG derjenigen in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG, der eine Ausnahmevorschrift zu § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist (BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 16). Gleichwohl enthält der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG kein Erfordernis, dass die Wohn- und Schlafräume Teile von Gebäuden sein müssen und nimmt auch sonst nicht direkt auf § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG Bezug.
31 
Den Gesetzesmaterialien lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber nur Wohn- und Schlafräume in Gebäuden begünstigen wollte (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/15, S. 11; Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/138, S. 2; Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/147, S. 6).
32 
Schließen tragen selbst die vom FA zitierten Verwaltungsvorschriften dessen Auslegungsergebnis nicht. Nach Abschn. 12.16 Abs. 1 Satz 1 UStAE gehören zwar die in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG bezeichneten Umsätze zu den nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG von der Steuerbefreiung ausgenommenen Umsätzen (vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 5. März 2010, BStBl I 2010, 259, Tz 3). Konsequenzen aus dieser Bezugnahme werden aber im nachfolgenden Satz nur für das -in beiden Vorschriften enthaltene- Merkmal der Kurzfristigkeit dahingehend gezogen, dass die in den Abschn. 4.12.3 Abs. 2 und 4.12.9 Abs. 1 dargestellten Grundsätze entsprechend gelten sollen (Abschn. 12.16 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 UStAE). Die vom FA vorgetragene Schlussfolgerung, die Wohn- und Schlafräume müssten sich in Gebäuden befinden, trifft die Verwaltungsvorschrift nicht.
33 
bb) Eine solche Einschränkung wäre ohnehin kein richtlinienkonformes Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Ermächtigungen für einen ermäßigten Steuersatz. Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL haben zwar die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, (nur) konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i.S. des Anhangs III MwStSystRL mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (EuGH-Urteil vom 6. Mai 2010 C-94/09, Kommission/Frankenreich, HFR 2010, 781, Rn 26; BFH-Urteil vom 24. April 2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rn 52).
34 
Zur Wendung „Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung“ in der Befreiungsvorschrift des Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a MwStSystRL hat der EuGH bereits entschieden, diese sei weit auszulegen, da sie sicherstellen solle, dass die vorübergehende Beherbergung, die der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe ähnlich ist und potentiell mit dieser konkurriert, der Steuer unterliegt (EuGH-Urteil vom 12. Februar 1998 C-346/95, Elisabeth Blasi, HFR 1998, 505, Rn 20). Ebenso weit ist der Begriff der „ähnlichen Einrichtung“ in Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 12 auszulegen, da dieser wie die Wendung „Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung“ neben die „Hotels“ gestellt wird. Eine weite Auslegung ist beim ermäßigten Steuersatz umso mehr geboten, als dass in Art. 43 MwSt-DVO der Begriff „Beherbergung in Ferienunterkünften“ auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen auf Campingplätzen umfasst, die ebenfalls im Gegensatz zu Grundstücken beweglich sind.
35 
Bei der danach gebotenen weiten Auslegung des Begriffs „ähnliche Einrichtung“ würde eine nationale Einschränkung, dass sich Wohn- und Schlafräume in Gebäuden befinden müssen, gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoßen. Ohne die Unterbringung in den Wohncontainern des Klägers müssten die Erntehelfer in den umliegenden Pensionen, Hotels oder Ferienunterkünften, deren Betreiber ohne Zweifel den ermäßigten Steuersatz anwenden dürfen, unterkommen.
36 
c) Der Kläger hat die Erntehelfer in den Wohncontainern beherbergt. Der Beherbergungsbegriff des Anhangs III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist zwar eng auszulegen und der Anwendungsbereich dieser Bestimmung darf nicht auf Leistungen ausgedehnt werden, die sich weder im Wortlaut der Bestimmung wiederfinden noch begriffsimmanent sind (EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 27, zur Vermietung von Bootsliegeplätzen). Vorliegend ist jedoch ein anderer Zweck als die Überlassung zum Übernachten nicht ersichtlich (vgl. EuGH-Urteil vom 19. Dezember 2019 C-715/18, Segler-Vereinigung Cuxhaven, HFR 2020, 192, Rn 34).
37 
Die Beherbergung war auch kurzfristig. Eine Beherbergung ist regelmäßig kurzfristig, wenn sie nicht länger als sechs Monate andauert (EuGH-Urteil vom 12. Februar 1998 C-346/95, Elisabeth Blasi, HFR 1998, 505, Rn 24; BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 16; Hessisches FG, Urteil vom 7. April 2014 6 K 1612/11, EFG 2014, 1729, alle zur Steuerbefreiung). Nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers betrug die Vermietungsdauer bei ihm maximal drei Monate.
38 
Die Beherbergung erfolgte im Rahmen eines Mietverhältnisses. Der Senat teilt nicht die Zweifel des BFH, ob der Kläger den Erntehelfern jeweils das für eine Vermietung charakteristische Besitzrecht eingeräumt habe (vgl. BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 14, zur Steuerbefreiung). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Arbeitnehmern nicht das vorübergehende Besitzrecht an den Räumlichkeiten in den Wohncontainern eingeräumt hätte. Die niedrige Miete spiegelt den geringen Platz und Komfort wider.
39 
d) Die Erntehelfer waren Fremde. Auch das eigene Personal sind fremde Personen, da dieser Begriff nur der Abgrenzung von Logierbesuchen von Verwandten und Freunden dient (BFH-Urteile vom 6. August 1998 V R 26/98, BFH/NV 1999, 84, zu II.3.; vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rn 18).
40 
4. Der Ausschluss des ermäßigten Steuersatzes kann -entgegen der Auffassung des Prüfers- schließlich nicht auf Abschn. 12.16 Abs. 5 UStAE (der Prüfer meint wohl: 4. Spiegelstrich) gestützt werden. Es handelt sich um eine die Gerichte nicht bindende Verwaltungsvorschrift (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 1. März 2016 XI R 11/14, BFHE 253, 438, BStBl II 2016, 753, Rn 35). Darüber hinaus sind die Wohncontainer des Klägers nicht mit den darin genannten Wohnmobilen, Caravans, Wohnanhängern, Hausbooten und Yachten vergleichbar, die ohne größeren Aufwand mobil sind und nicht nur dem Wohnen und Übernachten dienen, sondern einen nicht unerheblichen Freizeitwert haben.
41 
5. Der Senat hat keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Kläger in allen Streitjahren die Entgelte für die Unterkunft (ermäßigter Steuersatz von 7 %) und die Verpflegung (regulärer Steuersatz von 19 %) ordnungsgemäß getrennt hat (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86). Das FA hat insofern keine Einwände erhoben.
42 
6. Für die Berechnung der festzusetzenden Umsatzsteuer wird auf die Anlage zu diesem Urteil verwiesen. Die Klageanträge des Klägers entsprechen diesen Beträgen.
43 
Der Prüfer hat für die (Kalender-)Jahre 2014 bis 2016 zu Unrecht bei der Umrechnung der Umsätze vom ermäßigten auf den regulären Steuersatz die Umsätze aus den Bilanzen des Klägers zum 30. Juni des jeweiligen Kalenderjahres zugrunde gelegt. Bei der Veranlagung der Umsatzsteuer ist ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr nicht vorgesehen. Der Prüfer hätte daher die Entgelte aus dem Kalenderjahr heranziehen müssen. Für die Neuberechnung der festzusetzenden Umsatzsteuer wird die Berechnung des Prüfers lediglich „zurückgerechnet“.
44 
7. Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid.
45 
8. Der Kläger beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerin durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
46 
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
47 
Anlage
48 
Jahr   
Entgelt netto
(Kläger)
Entgelt brutto
(Kläger)1
Entgelt netto
(FA)2
Steuer 7 % (Kläger)3
Steuer 19 % (FA)4
Differenz
Steuer
2014   
88.929 EUR5
95.154 EUR
79.961 EUR
6.225 EUR
15.193 EUR
8.968 EUR
2015   
56.947 EUR6
60.933 EUR
51.205 EUR
3.986 EUR
9.728 EUR
5.742 EUR
2016   
38.744 EUR7
41.456 EUR
34.837 EUR
2.712 EUR
6.619 EUR
3.907 EUR
2017   
42.601 EUR8
45.584 EUR
38.305 EUR
2.983 EUR
7.279 EUR
4.296 EUR
1.Berechnung: Entgelt netto (Kläger) x 1,07.
                          
2 Berechnung: Entgelt brutto (Kläger) / 1,19.
                          
3 Berechnung: Entgelt netto (Kläger) x 0,07.
                          
4 Berechnung: Entgelt netto (FA) x 0,19.
                          
5 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2014. Vom Prüfer übernommen.
                          
6 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2015. Vom Prüfer übernommen.
                          
7 Siehe Bilanz auf den 30. Juni 2016. Vom Prüfer übernommen.
                          
8 Siehe Schriftsatz des Klägers vom 18. Februar 2019.
                          

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen