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| I. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). |
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| II. Die zulässige Klage ist nicht begründet. |
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| Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 2. September 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2021 ist rechtmäßig. Die vom Kläger bezogene Familienzulage ist nicht im Rahmen des gemäß § 31 EStG durchzuführenden Familienleistungsausgleichs steuerfrei zu stellen, da die Familienzulage nicht als eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare ausländische Familienleistung anzusehen ist. |
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| 1. Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG bewirkt. Ist der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld. Dies gilt entsprechend für mit dem Kindergeld vergleichbare Leistungen nach § 65 EStG. Besteht nach einem ausländischen Recht Anspruch auf Leistungen für Kinder, wird dieser insoweit nicht berücksichtigt, als er das inländische Kindergeld übersteigt (§ 31 Sätze 4, 6, 7 EStG). |
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| Dem deutschen Kindergeld vergleichbare ausländische Leistungen i.S. von § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG und ausländische Familienleistungen i.S. der (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG vorgehenden) Prioritätsregelung in Art. 68 der -ab dem 1. April 2012 (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Anhangs II des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 31. März 2012 i.V.m. dem Beschluss Nr. 1/2012 des gemischten Ausschusses, Amtsblatt der Europäischen Union -ABlEU- 2012 Nr. L 103, 51)- auch im Verhältnis zur Schweiz anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2004 Nr. L 166, 1) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (VO Nr. 883/2004) werden im Rahmen des Familienleistungsausgleichs gemäß § 31 EStG berücksichtigt und unterliegen daher nicht der Einkommensteuer. |
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| a) Mit dem deutschen Kindergeld vergleichbare ausländische Leistungen i.S. von § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG liegen vor, wenn diese Leistungen nach ausländischen Rechtsvorschriften zu zahlen sind und ihrem Sinn und Zweck nach ebenfalls dem Familienleistungsausgleich dienen. Da durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur funktionsgleiche staatliche Doppelleistungen verhindert werden sollen, muss die vergleichbare Leistung aufgrund gesetzlicher Vorschriften gezahlt werden. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, folgt jedoch aus dem Regelungszweck (vgl. Wendl in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Dokumentstand 6/2020, § 65 EStG, Rn. 8). |
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| Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet und liegen konkurrierende Ansprüche im Sinne der Verordnung vor, dann sind die Ansprüche ausschließlich nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004 zu koordinieren. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig (BFH-Urteil vom 25. Juli 2019 III 34/18, BStBl II 2021, 20). Nach Art. 3 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 fallen in den sachlichen Geltungsbereich alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis j der VO Nr. 883/2004 aufgeführten Leistungsarten betreffen. Rechtsvorschriften sind nach der Definition in Art. 1 Buchst. l Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 der VO 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. In Art. 1 Buchst. l Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 wird klargestellt, dass der Begriff der Rechtsvorschrift keine tarifvertraglichen Vereinbarungen umfasst, mit Ausnahme derjenigen, durch die eine Versicherungsverpflichtung, die sich aus Gesetzen oder Verordnungen ergibt, erfüllt wird. Zu den relevanten Leistungsarten gehören u.a. Familienleistungen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. j). Als Familienleistungen werden nach Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004 alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, ausgenommen Unterhaltsvorschüsse und besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfe, bezeichnet. |
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| b) Nach diesen Grundsätzen ist die auf Grundlage von Ziff. 2.16.2 „Sozialzulagen“ des Firmenvertrags an den Kläger ausgezahlte Familienzulage weder eine ausländische Familienleistung i.S. der (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG vorgehenden) Prioritätsregelung in Art. 68 der VO Nr. 883/2004 noch eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung i.S. von § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG. |
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| Dies folgt, ohne dass es auf den Zweck der Familienzulage noch ankäme, bereits aus dem Umstand, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Familienzulage (285 CHF/Monat) ausschließlich auf seinem Arbeitsvertrag mit der A AG i.V.m. den „Arbeitsrechtlichen Bestimmungen“ des Firmenvertrags (vgl. Ziff. 9 des Arbeitsvertrags) beruht. Nach Ziff. 2.15.2 des Firmenvertrags setzt sich das Gehalt aus Grundgehalt (vgl. Ziff. 6 des Arbeitsvertrags) und Sozialzulagen zusammen. Als Sozialzulagen erhalten Mitarbeitende mit Anspruch auf eine Kinder- oder Ausbildungszulage gemäß Art. 3 und 5 FamZG nach Ziff. 2.16.2 des Firmenvertrags neben der Kinder- oder Ausbildungszulage gemäß Art. 3 und 5 FamZG eine Familienzulage. Da die Familienzulage nicht in einem Gesetz, wie z.B. § 6 i.V.m. § 19 BesVO, sondern nur in dem Anstellungsreglement des Klägers (bzw. einem Gesamtarbeitsvertrag für andere Mitarbeiter der A AG), dem Firmenvertrag, vorgesehen ist, gilt sie, unabhängig davon, dass die Anspruchsvoraussetzungen denen der Kinder- oder Ausbildungszulage gemäß Art. 3 und 5 FamZG entsprechen, nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 FamZG nicht als Familienzulage i. S. des FamZG. Im Gegensatz zu der Kinder- oder Ausbildungszulage, die dem Kläger aufgrund der gesetzlichen Regelung in Art. 3 und 5 FamZG zusteht und die vom Arbeitgeber (lediglich) mit dem Gehalt ausgezahlt wird, handelt es sich bei der vorliegend streitigen Familienzulage vielmehr um eine Zulage, zu deren Leistung die A AG nicht durch Gesetz verpflichtet ist, sondern die sie freiwillig auf Grundlage einer arbeits- bzw. tarifvertraglichen Vereinbarung gewährt. Derartige arbeits- bzw. tarifvertragliche Zulagen werden nicht von der Prioritätsregelung in Art. 68 der VO Nr. 883/2004 umfasst, da sie nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. l Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 nicht in den sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 fallen. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage der Familienzulage handelt es sich auch nicht um eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare ausländische Leistung i.S. von § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG. |
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| Insoweit unterscheidet sich der hier zu entscheidende Sachverhalt wesentlich von dem mit BFH-Urteil (in BStBl II 2013, 24) entschiedenen Fall einer Familienzulage nach § 6 i.V.m. § 19 BesVO. Denn die BesVO entspricht den in Art. 1 Buchst. l Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 genannten Kriterien, die an eine Rechtsvorschrift über Zweige der sozialen Sicherheit zu stellen sind, so dass der sachliche Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist. Zudem handelt es sich bei der nach § 6 i.V.m. § 19 BesVO zu gewährenden Familienzulage nach Auffassung des BFH auch um eine staatliche Leistung zum Ausgleich von Familienlasten (a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. November 2008 3 K 2540/70, EFG 2009, 853). |
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| c) In der Folge ist die dem Kläger gemäß Ziff. 2.16.2 des Firmenvertrags neben der Kinder- und Ausbildungszulage gezahlte Familienzulage nicht im Rahmen des Familienleistungsausgleichs zu berücksichtigen. Dies bedeutet zum einen, dass die Familienzulage nicht einen Anspruch des Klägers auf Differenzkindergeld nach §§ 62 ff. EStG mindert, und zum andern, dass die Familienzulage nicht als dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung steuerfrei zu stellen ist. |
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| 2. In der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Familienzulagen, die aufgrund einer Rechtsvorschrift i.S. von Art. 1 Buchst. l Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 beruhen und infolgedessen in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 fallen, und solchen, die auf Grundlage einer tarifvertraglichen Vereinbarung gewährt werden und deshalb vom sachlichen Anwendungsbereich von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 ausgenommen sind, vermag das Gericht keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu erkennen. |
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| a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 14. Juni 2016 2 BvR 290/10, BStBl II 2016, 801, m.w.N.). |
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| b) Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze widerspricht die im Streitfall anzuwendende Gesetzeslage nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz. Die von den Klägern dargelegte steuerliche Ungleichbehandlung der an Mitarbeiter des Kantons Thurgau gemäß § 6 i.V.m. § 19 BesVO ausgereichten Familienzulage einerseits und der Mitarbeitern privater Arbeitgeber aufgrund tarifvertraglicher Regelungen gewährten Familienzulage andererseits ist nicht willkürlich. Die durch europäisches Recht vorgegebene Einschränkung des Familienleistungsausgleichs auf dem Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 unterfallende staatliche Rechtsvorschriften ist als sachlicher Differenzierungsgrund anzuerkennen. |
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| Indem die an Mitarbeiter privater Arbeitgeber aufgrund arbeits- bzw. tarifvertraglicher Regelungen (zusätzlich zu der Schweizer Kinder- bzw. Ausbildungszulage gewährte) gezahlte Familienzulage -anders als die Familienzulage nach § 6 i.V.m. § 19 BesVO- nicht auf den Anspruch auf deutsches (Differenz)Kindergeld angerechnet wird, wird die vom Gesetzgeber getroffene Belastungsentscheidung auch folgerichtig umgesetzt. |
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| III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Dass die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Familienzulage nach § 6 i.V.m. § 19 BesVO und arbeits- bzw. tarifvertraglichen Familienzulagen eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Kläger begründet, wurde nicht in hinreichend fundierter Weise dargelegt. |
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