Urteil vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 K 1223/12

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit eines Umsatzsteuerbescheides.

2

Die Klägerin, an der A und B zu je 50% beteiligt sind, betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Tischlerei.

3

Die Herren A und B waren auch Gesellschafter und Geschäftsführer der A und B GmbH, deren Gegenstand des Unternehmens die Ausführung von Tischlerarbeiten aller Art war und der die Klägerin Maschinen und Anlagen zum Betrieb einer Tischlerei sowie das Betriebsgrundstück vermietete.

4

Über das Vermögen der GmbH wurde am 31. Januar 2006 ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt, der mit Beschluss vom 15. März 2006 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt wurde.

5

Weil die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärung für 2006 trotz Erinnerung nicht abgegeben hatte, schätzte der Beklagte zunächst die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer für 2006 mit Bescheid vom 18. April 2008 in Höhe von 4.300 EUR fest. Dabei ging der Beklagte wie in den Vorjahren davon aus, dass zwischen der Klägerin als Organträger und der GmbH eine umsatzsteuerliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) bestanden habe.

6

Auf die daraufhin am 22. April 2008 eingegangene und am 21. Mai 2008 nochmals berichtigte Umsatzsteuererklärung für 2006, die mit dem Hinweis "Organträger bis 31.01.2006" versehen war, wurde die Umsatzsteuerfestsetzung für 2006 mit Bescheid vom 19. August 2008 erklärungsgemäß geändert und die Umsatzsteuer auf 3.384,19 EUR herabgesetzt.

7

Mit streitgegenständlichem Änderungsbescheid vom 11. August 2010, der auf § 174 Abgabenordnung (AO) gestützt ist, erhöhte der Beklagte sodann die Umsatzsteuer für 2006 auf 14.640,80 EUR mit der Begründung, dass bei der Organgesellschaft eine Vorsteuerkorrektur nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG in Höhe von 11.256,61 EUR zu erfolgen habe, die aufgrund der umsatzsteuerlichen Organschaft zu einer entsprechenden geänderten Festsetzung bei der Klägerin als Organträgerin führe. Auf den zugrundeliegenden Sachverhalt war der Beklagte durch eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes Minden vom 27. Juni 2008 aufmerksam geworden.

8

Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren zum Az. 1 K 1670/10 erhobene Klage hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2012 zurückgenommen, weshalb das Verfahren eingestellt worden ist. In der Klageschrift war angekündigt gewesen, unter anderem beantragen zu wollen, den Umsatzsteuerbescheid für 2006 aufzuheben, hilfsweise, den Umsatzsteuerbescheid für 2006 für nichtig zu erklären.

9

Nachdem ein Antrag der Klägerin gemäß § 125 Abs. 5 AO vom 16. März 2012, die Nichtigkeit des streitgegenständlichen Bescheides festzustellen, erfolglos geblieben war, hat die Klägerin hier am 27. November 2012 Klage erhoben wegen Feststellung der Nichtigkeit des streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheides.

10

Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteile vom 22. April 2010 – V R 9/09, BStBl. II 2011, 597, und vom 01. Dezember 2010 – XI R 43/08, BStBl. II 2011, 600), der sich zwischenzeitlich auch die Finanzverwaltung angeschlossen habe, eine umsatzsteuerliche Organschaft vorliegend weder bestehe noch jemals bestanden habe. Zudem habe zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Klägerin für Steuerschulden der GmbH letztere nicht mehr existiert.

11

Da sich der streitgegenständliche Verwaltungsakt nicht nur gegen den falschen Bekanntgabeadressaten richte, was zur Rechtswidrigkeit führe, sondern auch den falschen Inhaltsadressaten in Anspruch nehme, sei er nichtig im Sinne von § 125 Abs. 1 AO. Der Bescheid leide unter einem besonders schwerwiegenden Fehler, was bei vollständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig sei.

12

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass der Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 11. August 2010 nichtig ist,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

13

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

14

Der streitgegenständliche Umsatzsteuerbescheid sei durch die Klagerücknahme zum Aktenzeichen 1 K 1670/10 bestandskräftig geworden, weshalb es auf die Rechtsfrage, ob eine umsatzsteuerliche Organschaft vorgelegen habe oder nicht, nicht mehr ankomme.

15

Denn Fehler bei der Auslegung materiellen Rechts (Auslegungs- und Subsumtionsirrtümer) führten nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Auch könnten Steuerbescheide nicht aufgrund einer Rechtsprechungsänderung nichtig im Sinne von § 125 Abs. 1 AO werden.

16

Dem Senat haben zwei Bände der vom Beklagten für die Klägerin geführten Steuerakten vorgelegen (Umsatzsteuer und Einspruchsheftung).

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Klage ist unbegründet.

18

Der Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 11. August 2010 ist nicht nichtig im Sinne von § 125 Abs. 1 AO.

19

Als nichtig kann nach § 125 Abs. 1 AO ein Verwaltungsakt ― und damit auch ein Steuerbescheid ― nur angesehen werden, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH-Beschluss vom 1. Oktober 1981 - IV B 13/81, BStBl. II 1982, 133; BFH-Urteile vom 11. Juli 1986 - VI R 105/83, BStBl. II 1986, 775; vom 22. November 1988 - VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220; BFH-Beschluss vom 14. April 1989 - III B 5/89, BStBl. II 1990, 351). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden.

20

Ein Steuerbescheid ist grundsätzlich unwirksam, wenn er sich gegen eine Personenvereinigung richtet, die offensichtlich nicht (oder nicht mehr) als Steuerschuldnerin der festzusetzenden Steuer in Betracht kommt. Hat das Finanzamt hingegen eine Person oder Personenvereinigung eindeutig als Steuerschuldner bezeichnet und ist diese Person oder Personenvereinigung möglicher Adressat des betreffenden Verwaltungsakts, so ist der Steuerbescheid auch dann rechtswirksam, wenn die angegebene Person tatsächlich nicht der richtige Steuerschuldner sein sollte; der Bescheid ist in diesem Fall zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1997 – VIII R 32/90, BStBl. II 1998, 480 m.w.N.).

21

So verhält es sich im Streitfall. Die Klägerin ist im streitgegenständlichen Bescheid eindeutig bezeichnet und war auch möglicher Adressat eines an sie als Organträger gerichteten Umsatzsteuerbescheides, was sich nicht zuletzt schon daraus ergibt, dass sie selbst als (vermeintlicher) Organträger die Umsätze und die Vorsteuern der GmbH erklärt hat.

22

Insoweit ist dem Beklagten zuzugeben, dass es auf die Rechtsfrage, ob eine umsatzsteuerliche Organschaft vorgelegen hat oder nicht, hier nicht mehr ankommt. Denn Fehler bei der Auslegung materiellen Rechts führen nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (Tipke in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 125 Rn. 7 m.w.N.).

23

Die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides kann jedoch im vorliegenden Verfahren nicht mehr überprüft werden, weil er durch die Klagerücknahme zum Az. 1 K 1670/10 bestandskräftig geworden ist.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

25

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO vermag der Senat nicht zu erkennen. Dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Darüber hinaus folgt der Senat mit seiner Entscheidung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.


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