Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 2618/15 AO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger lieferte von seinem Betrieb im Zwölfmonatszeitraum 2007/2008 der B Milchhandels-GmbH als Käuferin 4.142.110 kg Milch mit einem Fettgehalt von 4,25% an. Aufgrund der ihm zustehenden Anlieferungsreferenzmenge von 3.401.721 kg mit einem Fettgehalt von 4,20% errechnete die Käuferin eine Überlieferung von 777.668 kg und unter Berücksichtigung der Molkerei- und Bundessaldierung eine Abgabe von 123.318,88 €.
3Am 17.07.2008 teilte die Käuferin diese Berechnung dem Kläger mit und meldete am 21.07.2008 dem Beklagten die Abgabe auch für den Kläger an, wobei sie hinsichtlich des Klägers von der ihm mitgeteilten Berechnung ausging.
4Gegen die Abgabeanmeldung der Käuferin legte der Kläger Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 20.02.2009 als unbegründet zurückwies. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht Düsseldorf mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 25.05.2010, 4 K 1048/09 MOG ab. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen.
5Von dem Abgabenbetrag behielt die Käuferin 94.707,00 € vom Milchgeld ein und führte den Betrag an die zuständige Bundeskasse ab.
6Mit Abgabenbescheid vom 06.11.2008 forderte der Beklagte vom Kläger den noch offenen Restbetrag in Höhe von 28.611,88 € an, der zum 30.09.2008 fällig gewesen sei.
7Vom 21.07.2009 bis zum 21.02.2011 zahlte der Kläger im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens monatliche Raten von 500 €. Am 18.03.2011 beglich er den Restbetrag von 18.611,88 €.
8Mit Bescheid vom 16.12.2009 setzte der Beklagte dem Kläger gegenüber für Zeit von Oktober 2008 bis zum erwarteten Ende der Zahlungen am 22.02.2016 Zinsen fest, deren Fälligkeit er jeweils zum 01.11. für den zuvor abgelaufenen Jahreszeitraum festlegte. Den Zinssatz bestimmte er für die gesamte Zeit in Höhe des auf dem am 01.10.2008 geltenden und um 1% erhöhten EURIBOR (Euro interbank borrowing offered rate). Als Rechtsgrundlage gab der Beklagte Art. 15 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 595/2004 der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor – VO 505/2004 – an.
9Zur Begründung des gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, er könne nicht mit Zinsen dafür haften, dass die Molkerei als Verwaltungshelfer die Abgabe pflichtwidrig nicht abgeführt habe.
10Die Zinsforderung beruhe auf Gemeinschaftsrecht, obwohl der Gemeinschaft die Zinsen nicht zugestanden hätten. Auch sei der Gemeinschaft kein Zinsschaden entstanden, weil die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, die Abgabe zu zahlen. Eine Überleitung der Zinsansprüche von der Gemeinschaft auf die Mitgliedstaaten habe nicht stattgefunden.
11Zinsen könnten nur nach ihrer Entstehung berechnet werden. Die Berechnungsmethode des Beklagten berücksichtige keine Änderung im Rahmen der Tilgung. Auch könne der angewandte Zinssatz nicht für spätere Zeiträume ab 2009 gelten.
12Mit Zinsänderungsbescheid vom 11.08.2011 ersetzte der Beklagte den angefochtenen Zinsbescheid und berechnete die Zinsen unter Berücksichtigung der erbrachten Zahlungen bei gleichbleibendem Zinssatz und gleichbleibender Fälligkeit neu.
13Insgesamt berechnete der Beklagte für die jeweils vom 01.10. bis zum 30.09. des Folgejahres dauernde Zeiträume Zinsen, die zu folgenden Zeitpunkte fällig waren:
14Zeitraum |
Zinsbetrag |
Fälligkeit |
2008/2009 |
1.789,75 € |
25.01.2010 |
2009/2010 |
1.523,17 € |
01.11.2010 |
2010/2011 |
578,54 € |
01.11.2011 |
Summe: |
3.891,46 € |
Mit Einspruchsentscheidung vom 23.07.2015 wies der Beklagte den Einspruch gegen den Zinsänderungsbescheid als unbegründet zurück und führte dazu aus: Der Kläger schulde die von der Molkerei nicht abgeführte Milchabgabe selbst, habe sie aber nach Fälligkeit nicht, später zunächst durch Ratenzahlungen, dann durch eine Abschlusszahlung entrichtet.
16Nach Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004 seien bei Nichteinhaltung der Zahlungsfrist Jahreszinsen zu erheben. Auf Grund der erst zum 21.07.2009 aufgenommenen Ratenzahlungen, die zum 21.04.2011 erhöht worden seien, seien für die Vergangenheit Zinsen angefallen und würden auch künftig anfallen. Maßgebender Zinssatz sei der um 1% erhöhte EURIBOR, der statisch auf den Zeitpunkt der ersten Fälligkeit anzuwenden sei.
17Der Zinsänderungsbescheid vom 11.08.2011 sei Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen den Zinsbescheid vom 16.12.2009 geworden, § 365 Abs. 2 AO.
18Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor, der Beklagte sei von unrichtigen EURIBOR-Zinsätzen ausgegangen. Zudem müssten die Zinsen auch gegenüber dem Abnehmer geltend gemacht werden.
19Für die Entscheidung in diesem Rechtsstreit sei nicht das Finanzgericht, sondern das Verwaltungsgericht zuständig.
20Der Kläger beantragt,
21den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen;
22hilfsweise, den Zinsbescheid des Beklagten vom 11.08.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.07.2015 aufzuheben.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen,
25und verweist zur Begründung auf seine Verwaltungsentscheidungen.
26Entscheidungsgründe:
27Die Klage hat keinen Erfolg.
28I. Die Klage ist zulässig.
29Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben. Bei der hier anhängigen öffentlich-rechtlichen Streitigkeit geht es um eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 2 FGO, die der Gesetzgebung des Bundes unterliegt und von Bundesfinanzbehörden verwaltet wird.
30Hinsichtlich der Frage, ob eine Abgabe der Gesetzgebung des Bundes unterliegt, kommt es ausschließlich auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach dem Grundgesetz (GG) an. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG ist der Bund u.a. zuständig für die Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung und die Sicherung der Ernährung. Diese Befugnis umfasst auch Regelungen zur Organisation, Steuerung, Lenkung und Förderung der Agrarwirtschaft einschließlich der Erhebung von Abgaben (BVerfG Beschluss v. 31.05.1990 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 ff., 182). Dass die Abgaben nicht vom Bund, sondern im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften geregelt wurden, ist insoweit unerheblich. Diese Abgaben, zu denen nicht die jeweils hauptsächlich geregelte Abgabe, hier die Milchabgabe, sondern auch Nebenleistungen wie Zinsen (vgl. § 3 Abs. 4 AO) gehören, werden aber durch Bundesfinanzbehörden, zu denen der Beklagte gehört, verwaltet, Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG.
31Darüber hinaus ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO gegeben, weil § 34 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG) in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Maßnahmen zur Durchführung einer gemeinsamen Marktorganisation der Finanzrechtsweg gegeben ist, soweit eine Bundesfinanzbehörde für die Maßnahme zuständig ist.
32Zu den Gemeinsamen Marktorganisationen im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 MOG gehört auch die Marktorganisation für Milch, auf Grund derer die Milchabgabe 1984 eingeführt worden ist (s. 1. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 17888/2003 des Rates vom 20.09.2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor – VO 1788/2003 –). Hauptziel der Milchabgabe bei Erlass der VO 1788/2003 war wie schon bei ihrer Einführung 1984, das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und Milcherzeugnissen und die daraus resultierenden strukturellen Überschüsse zu verringern und so ein besseres Marktgleichgewicht zu erreichen. Dazu sollte die bestehende Milchabgabenregelung ab dem 01.04.2008 für weitere sieben Zwölfmonatszeiträume beibehalten werden (3. Erwägungsgrund der VO 1788/2003). Die hier streitige Verzinsung beruht auf den in der VO 595/2004 enthaltenen Ausführungsbestimmungen zur VO 1788/2003. Für deren Verwaltung ist die Bundesfinanzverwaltung zuständig, Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG zuständig.
33II. Die Klage ist unbegründet.
34Mit dem Zinsänderungsbescheid vom 11.08.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.06.2015 hat der Beklagte den Kläger zu Recht für die festgesetzten Zinsen in Anspruch genommen. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
35Die in diesem Verfahren streitigen Zinsen nach Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004 sind Abgaben zu Marktordnungszwecken im Sinne des § 12 Abs. 1 MOG, auf die bis auf die durch Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004 in Verbindung mit Anhang II VO 595/2004 geregelten Zinssätze die Vorschriften der AO für Säumniszuschläge entsprechend anzuwenden sind. Auf Grund der durch § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG bestimmten Rechtsfolge war die AO im Streitfall bis auf die Zinssätze und die Berechnung der Zinsen in vollem Umfang anzuwenden, da weder das MOG noch die Verordnung zur Durchführung der EG-Milchabgabenregelung (Milchabgabenverordnung – MilchAbgV) abweichende Bestimmungen enthielten.
36Die Zinspflicht für die Milchabgaben ergibt sich aus Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004. Die besonderen, höheren Zinsen nach § 14 Abs. 1 Satz 2 MOG sind nicht anzuwenden, weil Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004 den Regelungen des MOG vorgeht, was § 14 Abs. 1 Satz 3 MOG verdeutlicht.
37Der Kläger schuldet die Zinsen nach Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004, denn für die Milchabgabe des Zwölfmonatszeitraums 2007/2008 hat er hinsichtlich eines Teilbetrags von 28.611,88 € dafür gesorgt, dass bei diesem von ihr geschuldete Betrag die nach Art. 15 Abs. 1 VO 595/2004 bestimmte Zahlungsfrist vor dem 01.10.2008 nicht eingehalten worden ist. Die Käuferin verfügte nämlich nicht mehr über einen offenen Kaufpreisanspruch des Klägers, gegen den sie hätte aufrechnen können.
38Als überliefernder Milcherzeuger ist der Kläger Schuldner der Milchabgabe geworden, denn die Milchabgabe ist nach Art. 4 Absatz 1 VO 1788/2003 vollständig auf die Erzeuger aufzuteilen, die zu der Überschreitung der einzelstaatlichen Quoten beigetragen haben. Auch schulden diese Erzeuger dem Mitgliedstaat ihren Beitrag zur fälligen Überschussabgabe allein auf Grund der Überschreitung ihrer verfügbaren Quoten, Art. 4 Absatz 2 VO 1788/2003.
39Ist wie im Streitfall die Milchabgabe nicht von der Käuferin, den der Kläger beliefert hatte, einbehalten worden, hatte der Beklagte nach Art. 4 VO 1788/2003 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 MOG und § 85 AO die Abgabe vom Kläger anzufordern. War nämlich eine Abgabe zu Marktordnungszwecken wie im Streitfall nicht abgeführt worden, hatte der Beklagte als zuständige Finanzbehörde (s. § 31 Abs. 1 Nr. 1 MOG) nach § 85 AO die Abgabe zu erheben, und zwar beim Schuldner der Milchabgabe, hier dem Kläger, da er es war, der überliefert hatte. Diese Pflicht verdeutlicht auch Art. 13 Abs. 3 VO 1788/2003.
40Die Zinsen sind nicht von der Käuferin der vom Kläger angelieferten Milch zu erheben, weil die Käuferin nur für die Erhebung der Milchabgabe zuständig ist, sie aber nicht zu tragen hat, Art. 11 Abs. 1 VO 1788/2003.
41Nach dem ersten Halbsatz des Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004 werden bei Nichteinhaltung der Zahlungsfrist gemäß Art. 15 Abs. 1 VO 595/2004 auf die geschuldeten Beträge Jahreszinsen erhoben. Der Zinssatz richtet sich nach dem Bezugssatz zum 01.10. jeden Jahres, der um einen Prozentpunkt erhöht wird, 2. Halbsatz Art. 15 Abs. 2 VO 595/2004.
42Der Bezugssatz ist der zum 01.10. jeden Jahres gültige dreimonatige Bezugssatz, der für jeden Mitgliedstaat gemäß Anlage II festgesetzt wird. Für die Mitgliedstaaten der Eurozone, zu der Deutschland gehört, ist dies der EURIBOR, so dass der Bezugssatz dem Drei-Monats-EURIBOR zu entnehmen ist. Der Drei-Monats-EURIBOR betrug zum 01.10.2008 5,291 %, so dass der Zinssatz der Jahreszinsen bei 6,291 % lag.
43Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, dass der Satz der Jahreszinsen während der Säumnis dem jeweils zum 01.10. eines jeden Jahres geltenden Drei-Monats-EURIBOR anzupassen ist. Die Jahreszinsen beziehen sich nämlich auf den Tag der ersten Säumnis (s. auch MilchquotenDV Abs. 105).
44Art. 15 Abs. 1 VO 595/2004 bestimmt den Fälligkeitszeitpunkt, hier den 30.09.2008. Wird bis zu diesem Tag nicht gezahlt, entstehen mit dem folgenden Tag die Zinsen, deren Zinssatz sich aus dem um einen Prozentpunkt erhöhten Drei-Monats-EURIBOR für den 01.10 des Jahres ergibt, in dem die Zinsen entstanden sind.
45Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Verzinsung. Diese wurde erstmals in der auch hier vorliegenden Form durch Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1392/2001 der Kommission vom 09.07.2001 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (Abl. EG Nr. L 187/19) – VO 1392/2001 – eingeführt. Ihr Zweck war die Sicherung der effektiven Entrichtung der Abgabe durch die überliefernden Erzeuger und bei Nichterfüllung grundlegender Anforderungen die Einführung von Sanktionen (5. Erwägungsgrund der VO 1392/2001).
46Dem Zweck würde es widersprechen, die Zinsen an einen jährlich schwankenden Zinssatz zu koppeln. Vielmehr wird der Zinssatz seiner Funktion, den Abgabenschuldner zur Zahlung der Milchabgabe zu veranlassen, nur dann gerecht, wenn er mit dem Zinssatz der am Tag der ersten Säumnis des Abgabenschuldners angewandt wird. Von diesem Tag an nimmt sich nämlich der Abgabenschuldner allein durch die Nichtzahlung einen Kredit zu Lasten des jeweiligen Mitgliedstaats in Höhe der noch ausstehenden Abgabe.
47Hätte der Abgabenschuldner zur Zahlung der Abgabe einen seinen Verhältnissen entsprechenden Kredit aufgenommen, hätte er im Regelfall gleichfalls einen von vornherein festgelegten Zins zu zahlen und nicht auf dessen jährliche Anpassung bestehen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Abgabenforderung wie im Streitfall verglichen mit den zunächst monatlich erbrachten Tilgungsleistungen hoch ist und auf eine jahrelange Ratenstundung hinausgelaufen wäre.
48Die Zinsberechnung des Beklagten lässt keinen Rechtsfehler zu Lasten des Klägers erkennen.
49Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht von einem Zinsschaden der Europäischen Union anhängt.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, die Nichtzulassung der Revision aus § 115 Abs. 2 FGO.
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