Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 6 K 3291/19 F
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Streitig ist, ob zwischen der Klägerin zu 1. als vermeintliche Organträgerin („OT“) und der Klägerin zu 2. als vermeintliche Organgesellschaft („OG“) in den Jahren 2014-2016 (Streitjahre) eine ertragsteuerliche Organschaft bestand.
3Die OT ist zu 79,8% an der OG beteiligt. Die übrigen Anteile an der OG hielten C (10,2%) und D (10%). Der Gesellschaftsvertrag der OG enthält u.a. folgende Regelungen:
4§ 7
5Einschränkung der Geschäftsführung
6Der oder die Geschäftsführer haben in folgenden Fällen die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen:
7a) bei allen Rechtsgeschäften, die einen einmaligen Aufwand von
8voraussichtlich mehr als DM 50.000,00 erfordern,
9b) bei Verträgen, deren Vollzug durch Grundbucheintragung erfolgt,
10c) bei Darlehensaufnahmen und Kreditgewährungen von mehr als DM
1120.000,00.
12§ 8
13Gesellschafterversammlung/Gesellschafterbeschlüsse
14Nr. 4 Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn die erschienenen Gesellschafter 100 % des Stammkapitals vertreten. Kommt eine beschlussfähige Gesellschafterversammlung nicht zustande, so ist eine neue Versammlung einzuberufen, die dann ohne Rücksicht auf die Höhe des vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist; auf diesen Umstand ist bei der 2. Einberufung ausdrücklich hinzuweisen.
15Nr. 6 Beschlüsse der Gesellschaft bedürfen einer Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen, soweit nicht das Gesetz oder die Satzung eine höhere Mehrheit verschreibt.
16OG und OT schlossen in 2013 einen Gewinnabführungsvertrag (GAV) ab, dem alle Gesellschafter der OG mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag zustimmten.
17Für die Streitjahre führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung bei den Klägerinnen steuerliche Außenprüfungen durch. Ausweislich der Betriebsprüfungsberichte (Tz. 2.2 beim BP-Bericht OG bzw. Tz. 2.3 BP-Bericht OT) erkannte die Betriebsprüfung die Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht an. Die abgeführten Gewinne i.H.v. … € (2014), … € (2015) und … € (2016) seien als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu behandeln.
18Der Beklagte folgte der Ansicht der Betriebsprüfung. Mit Bescheid vom 17.6.2019 hob der Beklagte gegenüber beiden Klägerinnen für die Streitjahre die zuvor erlassenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des dem OT zuzurechnenden Einkommens und sonstiger damit im Zusammenhand stehender Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) vom 19.11.2015 (2014), 8.7.2016 (2015) und 8.11.2017 (2016) auf. Zur Begründung wurde angegeben, die Voraussetzungen für ein Organschaftsverhältnis i.S.d. §§ 14 ff. KStG seien nicht erfüllt.
19Hiergegen legten die Klägerinnen Einsprüche ein. Entgegen der Auffassung der Betriebsprüfung seien die Voraussetzungen der Organschaft, insbesondere die finanzielle Eingliederung gegeben.
20Mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2019 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Da laut Gesellschaftsvertrag der OG Beschlüsse der Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von 91% aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen gefasst werden müssten und der OT nur zu 79,8% an der OG beteiligt sei, fehle es an der finanziellen Eingliederung.
21Mit ihren einzeln erhobenen Klagen, die der Senat mit Beschluss vom 21.9.2020 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, wenden sich OG und OT gegen die Aberkennung der Organschaft. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG erfordere, dass dem OT die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der OG zustehe. Dies sei vorliegend der Fall. Der Beklagte vertrete demgegenüber mit Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.11.2001 [V R 50/00, Bundessteuerblatt (BStBl) II 2002, 167] die Auffassung, bei einer sog. qualifizierten Stimmenmehrheit sei weitere Voraussetzung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG, dass auch diese erreicht werde.
22Schon der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG sei verunglückt und gebe den Willen des Gesetzgebers nicht richtig wieder. In BT-Drs. V/3017, 8, die die erstmalige Aufnahme der Organschaft in das KStG (§ 7a KStG a.F.) im Jahre 1968 betreffe, hieße es: „Danach muß die Mehrheit der Anteile an der Organgesellschaft sich in der Hand des Organträgers befinden.“ Dieser Wortlaut der Norm sei mit § 13 Abs. 1 KStG 1976 in der Weise geändert worden, dass der OT für die finanzielle Eingliederung „die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen“ benötige. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs 7/1470, 347 ff.) sei hiermit keine inhaltliche Änderung beabsichtigt gewesen.
23Vorliegend hätten die Minderheitsgesellschafter der OG sich mit der Zustimmung zum GAV ihrem Recht auf Gewinnverteilung freiwillig begeben. Der GAV überlagere die Rechte der Gesellschafter und Organe der OG. Es handele sich um eine Satzungsüberlagerung, aufgrund derer der GAV dem Gesellschaftsvertrag für die Dauer des Bestehens des GAV vorgehe. Damit komme es für die Dauer des GAV nicht mehr auf das Stimmrecht der übrigen Gesellschafter der OG an.
24Der OT müsse lediglich eine Einflussnahme auf das Geschehen im täglichen Geschäftsverkehr sicherstellen können. Ausweislich § 7 des Gesellschaftsvertrages der OG seien die Geschäftsführer in den Geschäften des täglichen Lebens in erheblichem Umfang von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung und damit auch dem OT abhängig. Lediglich hinsichtlich der durch das Steuerberatungsgesetz vorgesehenen eigenverantwortlichen Ausübung ihrer Tätigkeit seien die Geschäftsführer in der Ausübung ihrer Tätigkeit frei. Die gesellschaftsvertraglichen Regelungen würden sicherstellen, dass der OT im erheblichen Umfang Einfluss auf die Geschäfte des täglichen Lebens ausüben könne. Dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Regelungen ein wichtiger Grund für die Abberufung der Geschäftsführer darstelle, für die eine einfache Mehrheit ausreiche. Darüber hinaus seien die Regelungen des Gesellschaftsvertrages auch in die Geschäftsführeranstellungsverträge übernommen worden. Damit sichere der OT einen entsprechenden Einfluss auf die Geschäftsleitung der OG.
25Das BFH-Urteil vom 22.11.2001 sei zu altem Recht ergangen und bereits aus diesem Grund nicht mehr einschlägig. Nach dem im Streitjahr des Urteilfalls geltendem Recht sei neben der Stimmenmehrheit eine Beherrschung der OG notwendig gewesen. Diese Beherrschungspflicht sei durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23.10.2000 jedoch abgeschafft worden. Angesichts dieses Hintergrundes erkläre sich die Entscheidung des BFH zur qualifizierten Stimmenmehrheit. Da der Gesetzgeber diese Regelung jedoch aufgehoben habe, um die Möglichkeit der Begründung einer Organschaft zu vereinfachen, könne die Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 22.11.2001 keinen Bestand mehr haben. Darüber hinaus sei das Urteil zur umsatzsteuerlichen Organschaft ergangen. Zur körperschaftsteuerlichen Organschaft bestünden große Unterschiede. Selbst wenn man das Urteil des BFH vom 22.11.2001 auf die Frage nach der finanziellen Eingliederung im Rahmen des § 14 KStG anwenden wolle, sei zu beachten, dass der BFH mittlerweile selbst Zweifel am Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit habe. Mit Beschluss vom 11.12.2019 (XI R 16/18) habe der BFH dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob eine finanzielle Eingliederung verlange, dass der OT seinen Willen bei der OG durchsetzen und eine abweichende Willensbildung verhindern können müsse. Sollte die finanzielle Eingliederung im KStG und die finanzielle Eingliederung im UStG gleich zu beurteilen sein, so wäre die (noch nicht vorliegende) Entscheidung des EuGH im Verfahren C 141/20 im vorliegenden Rechtsstreit von wesentlicher Bedeutung.
26Die Klägerinnen beantragen,
271. den Bescheid für 2014-2016 über die Aufhebung der gesonderten und einheitlichen Feststellung des dem OT zuzurechnenden Einkommens der OG und damit zusammenhängender anderer Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 KStG vom 17.06.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2019 aufzuheben,
282. hilfsweise, die Revision zuzulassen,
293. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
30Der Beklagte beantragt,
311. die Klage abzuweisen,
322. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
33Er verweist auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Das BFH-Urteil vom 22.11.2001 – V R 50/00 sei anwendbar, da es zur finanziellen Eingliederung ergangen sei.
34Das Gericht hat die Steuerakten zum Verfahren beigezogen. Auf den übersandten Verwaltungsvorgang und auf die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
35Entscheidungsgründe
36I.
37Die Klagen sind zulässig.
381.
39Beide Klägerinnen sind klagebefugt.
40Durch das Gesetz zur Änderung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts wurde mit erstmaliger Geltung für nach dem 31.12.2013 beginnende Feststellungszeiträume (s. § 34 Abs. 9 Nr. 9 KStG) in § 14 Abs. 5 KStG eine verfahrensrechtliche Sonderregelung für Organschaften eingeführt. Gemäß § 14 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG werden das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft und damit zusammenhängende andere Besteuerungsgrundlagen gegenüber dem Organträger und der Organgesellschaft gesondert und einheitlich festgestellt, und zwar mit für die Besteuerung des Einkommens des Organträgers und der Organgesellschaft bindender Wirkung.
41Aus der jeweiligen Feststellungsbeteiligung folgt jedenfalls für den Fall eines negativen Feststellungsbescheids eine Klagebefugnis sowohl für den OT als auch für die OG (BT-Drs. 17/10774, 20; R 14.6 Abs. 6 Satz 2 Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) 2015; Finanzgericht (FG) Hessen, Gerichtsbescheid vom 14.5.2020 4 K 412/19, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2020, 1344, Revision anhängig Az. BFH: I R 21/20; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4.9.2020 6 K 150/18, Rn. 25, juris; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rn. 1142 f. (Stand: Juni 2020); Dorenkamp in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Rn. 380 (Februar 2020); Walter in Bott/Walter, KStG, § 14 Rn. 805.0.4 (Juni 2020); einschränkend hingegen Neumann in: Gosch, KStG, 4. Aufl., 2020, § 14 Rn. 529g für positive Feststellungsbescheide mit Blick darauf, dass die OG wegen der Einkommenszurechnung beim OT in der Regel nicht beschwert sei).
422.
43Ferner folgt der Senat der h.M. darin, dass in der einheitlichen und gesonderten Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG neben der Einkommenszurechnung auch über das Bestehen einer Organschaft als solches, als Grund der Einkommenszurechnung, entschieden wird. Zwar sieht § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG lediglich vor, dass die Einkommenszurechnung gesondert und einheitlich festgestellt wird. Doch ergibt sich daraus auch, dass damit über den Grund der Einkommenszurechnung, nämlich die Organschaft an sich, zu entscheiden ist. Gesetzeshistorie und Gesetzeszweck sprechen dafür, die Feststellung auch auf die Organschaft an sich und damit auch die Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für eine Organschaft im Rahmen eines negativen Feststellungsbescheids zu erstrecken (FG Hessen, Gerichtsbescheid vom 14.5.2020 4 K 412/19, EFG 2020, 1344, Revision anhängig Az. BFH: I R 21/20; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4.9.2020 6 K 150/18, Rn. 52, juris; Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann; KStG, 2015, § 14 Rn. 763; Dötsch/Pung, DB 2013, 305 (313); Stangl/Brühl, Der Konzern 2013, 77 (104); Walter, Anm. zu FG Hessen, Gerichtsbescheid vom 14.5.2020 4 K 412/19, GmbHR 2020, 1098 (1099); bisher eher zweifelnd Walter in Bott/Walter, § 14 KStG Rz. 805.0.2 (Juni 2020); zweifelnd Drüen, Der Konzern 2013, 433 (446 f.); a.A.: Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG Rn. 305 (Mai 2020)). Dies muss aus Sicht des Senats erst recht gelten, wenn – wie vorliegend – zunächst ein positiver Bescheid gemäß § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG vorlag, der durch einen folgenden Bescheid aufgehoben wird, weil aus Sicht des Finanzamtes die Voraussetzungen einer Organschaft nach §§ 14 ff. KStG nicht gegeben sind.
44II.
45Die Klagen sind jedoch unbegründet.
46Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat in den Streitjahren zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne der §§ 14, 17 KStG nicht vorliegen. Es fehlt an einer finanziellen Eingliederung.
47Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG bedeutet finanzielle Eingliederung, dass der OT an der OG in einem solchen Maße beteiligt sein muss, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der OG zusteht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine finanzielle Eingliederung vor, wenn der OT unmittelbar oder mittelbar in einer Weise an der OG beteiligt ist, dass er seinen Willen durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 20.1.1999 XI R 69/97, Sammlung der Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 1999, 1136; vom 26.2.1998 V B 97/97, BFH/NV 1998, 1267). Maßgeblich für die finanzielle Eingliederung ist die Höhe des Stimmrechts, nicht die Beteiligung am Nennkapital. Die Mehrheit der Stimmrechte steht dem OT zu, wenn er in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung seinen allgemeinen Willen bei allgemeinen Beschlüssen (nicht bei Sondertatbeständen wie Satzungsänderungen, Umwandlungen usw.) durchsetzen kann. Hierzu genügt i.d.R. die einfache Mehrheit, also mehr als 50% der Stimmen. Das gilt auch, wenn kraft Gesetz oder Satzung für einzelne Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Bloß schuldrechtlich vereinbarte Ausweitungen bzw. Einschränkungen des Stimmrechts sind für die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG unmaßgeblich (BFH-Urteil vom 10.5.2017 I R 51/15, BStBl II 2018, 30).
48Streitentscheidend ist vorliegend die Frage, was gilt, wenn laut Satzung der OG –wie hier- generell oder ganz überwiegend für deren Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist.
49Die zur umsatzsteuerlichen Organschaft ergangene Rechtsprechung des BFH nimmt an, dass in diesem Fall der OT für die finanzielle Eingliederung auch über diese qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen muss (BFH-Urteile vom 22.11.2001 V R 50/00, BStBl II 2002, 167; vom 19.5.2005 V R 31/03, BStBl II 2005, 671; vom 22.4.2010 V R 9/09, BStBl II 2011, 597; vom 1.12.2010 XI R 43/08, BStBl II 2011, 600; vom 2.12.2015 V R 25/13, BStBl II 2017, 547; vom 15.12.2016 V R 14/16, BStBl II 2017, 600; siehe auch BFH-Beschluss vom 16.12.2010 V B 46/10, BFH/NV 2011, 857). Diese Urteile sind explizit zum Tatbestandsmerkmal der finanziellen Eingliederung ergangen und daher - anders als die Klägerinnen meinen – nicht überholt.
50Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der aufgeworfenen Frage durch den für die körperschaftsteuerliche Organschaft zuständigen I. Senat des BFH liegt, soweit ersichtlich, nicht vor.
51Die herrschende Ansicht in der Literatur überträgt diese zur umsatzsteuerlichen Organschaft ergangene Rechtsprechung auf die körperschaftsteuerliche Organschaft. Danach muss der OT, wenn laut Satzung der OG für deren Beschlüsse generell oder ganz überwiegend eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, für die finanzielle Eingliederung auch über diese qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen (Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl. 2018, § 14 Rn. 179; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rn. 254 (November 2019); Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 14 Rn. 210 (Juli 2019); Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rn. 111 (September 2016); Krumm in Blümich, KStG, § 14 Rn. 81 (Mai 2020); Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 14 Rn. 131; Olbing in Streck, KStG, 9. Aufl. 2018, § 14 Rn. 42; weitergehend Walter in: Bott/Walter, KStG, § 14 Rn. 274 (Juni 2020), der das Merkmal der finanziellen Eingliederung als erfüllt ansieht, solange Regelungsbereiche vorhanden sind, für die die einfache Mehrheit genügt; a.A. Rödder, JbFSt 2012/13, 126, wonach wohl stets die einfache Mehrheit genügt).
52Der Senat geht mit der h.L. davon aus, dass auch bei der körperschaftsteuerlichen Organschaft die finanzielle Eingliederung erfordert, dass der OT über eine qualifizierte Mehrheit verfügen muss, wenn die Satzung der OG generell für Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit erfordert. Nur dann ist, was der BFH in ständiger Rechtsprechung fordert, der OT in einer Weise beteiligt, dass er seinen Willen durchsetzen kann.
53Aus dem Verweis der Klägerinnen auf den Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG, der eine „Mehrheit der Stimmrechte“ erfordert, folgt nichts Gegenteiliges. Denn der Wortlaut der Vorschrift determiniert die aufgeworfene Frage nicht in eine Richtung, weil er nicht vorgibt, welche Art von Mehrheit – einfache oder qualifizierte – erforderlich ist.
54Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hat die Klage keinen Erfolg, da der Gesellschaftsvertrag der Klägerin zu 2. in § 8 Nr. 6 im Regelfall ein generelles qualifiziertes Stimmenmehrheitserfordernis statuiert, über das die Klägerin zu 1. nicht verfügt. Unerheblich ist insoweit – anders als die Klägerinnen meinen -, dass die Gesellschafter der Klägerin zu 2. dem GAV zugestimmt haben. Insofern vermischen die Klägerinnen in unzulässiger Weise zwei unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft. Somit kann die Klägerin zu 1. nicht ihren Willen bei der Klägerin zu 2. durchsetzen. Ob die Klägerin zu 1. Einfluss auf das Geschehen im täglichen Geschäftsverkehr, etwa durch die Abberufungsmöglichkeit des Geschäftsführers hat, ist nicht entscheidend.
55Schließlich war es auch nicht angezeigt, die Entscheidung des EuGH in dem Verfahren C 141/20 abzuwarten. Denn die Entscheidung des EuGH könnte allenfalls dazu führen, dass – entgegen der hier vertretenden Auffassung – die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung bei umsatzsteuerlicher und körperschaftsteuerlicher Organschaft aufgrund europarechtlicher Vorgaben unterschiedlich verstanden wird. Auswirkungen auf die körperschaftsteuerliche Organschaft haben die europarechtlichen Vorgaben indes nicht.
56III.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
58IV.
59Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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Referenzen
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