Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 3247/19 VSt
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin ist ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes nach Abschnitt D Unterklasse 15.11 der Klassifikation der Wirtschaftszweige Ausgabe 2003 (WZ 2003). Unternehmensgegenstand ist die Schlachtung von Schweinen und Großvieh sowie die Zerlegung im weiteren Produktionsprozess.
3Die Produktion und Verladung der hergestellten Waren erfolgte an den Produktionsstandorten der Klägerin in A-Stadt, B-Stadt, C-Stadt und D-Stadt durch eigenes Personal. Für den Transport ihrer Produkte sowohl auf den Firmengeländen als auch zu den Kunden bediente sich die Klägerin auf Grund eines … abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags der Dienste der T . …. Die T gehörte zum Unternehmensbereich der Klägerin. Die Klägerin besaß selbst weder einen Fuhrpark noch Fahrpersonal. Nach § 2 des Geschäftsbesorgungsvertrags vom 14. Oktober 2003 hatte die Klägerin der T die gesamte Distributionslogistik übertragen, während diese das gesamte Logistik-Personal der Klägerin übernommen hatte. Die T erteilte der Klägerin Rechnungen über „Rangierleistungen“ bzw. „Rangiertätigkeiten“. Grundlage für die Berechnung der Rangierleistungen waren die der T entstandenen Personalkosten (Anlage 7 zum Schriftsatz der Klägerin vom 2. Juli 2021). Eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und der T über eine Arbeitnehmerüberlassung wurde nicht getroffen.
4Der Verladungsprozess wurde von der Logistik-Abteilung der Klägerin geplant und gesteuert. Die Klägerin bediente sich bei entsprechendem Bedarf aus dem von der T zur Verfügung gestellten Pool von Kühlfahrzeugen. Die Sattelauflieger wurden vom sog. Rangierdienst zu den von der Klägerin vorgegebenen Zeiten an den Verladestationen des Produktionsgebäudes bereitgestellt. Dort wurden die Auflieger ausschließlich durch das Verladepersonal der Klägerin mit den Waren beladen, was auf Grund der Besonderheiten des Schlachtprozesses und der begrenzten Lagerkapazitäten der Klägerin in der Regel unmittelbar nach der Fertigstellung der Produkte erfolgte. Da Kundenbestellungen regelmäßig mehrere unterschiedliche Fleischprodukte umfassten, standen alle georderten Produkte der einzelnen Bestellungen erst im Verlauf der Produktion zur Verfügung. Es fehlte an ausreichenden Zwischenlagerkapazitäten in den Produktionsgebäuden, um sämtliche Kühlauflieger für den Transport zum Kunden ohne zwischenzeitliches Rangieren beladen zu können. Daher wurden manche Kühlauflieger in mehreren Teilbeladungsvorgängen beladen, so dass diese Auflieger immer wieder zwischen Verladestation und Parkfläche „pendelten“. In diesen Fällen wurden die Kühlauflieger zwischen den einzelnen Verladeschritten auf Parkflächen auf dem Firmengelände der Klägerin abgestellt und verblieben dort vorübergehend. Auf der Parkfläche, die mit Stromanschlüssen der Klägerin ausgestattet war, erfolgte die Kühlung der Ware durch direkt an den Tiefkühlaufliegern angebrachte Kühlaggregate. Diese wurden mit Strom aus den Anschlüssen der Klägerin betrieben, ohne dass diese den Strom der T berechnete. Der Anschluss an die Stromleitungen erfolgte durch das Rangierpersonal der T.
5Die Kühlaggregate der Tiefkühlauflieger wurden durch Sensoren gesteuert, welche die Temperatur im Auflieger maßen. Beim Überschreiten einer bestimmten Höchsttemperatur wurden die Kühlaggregate eingeschaltet, beim Unterschreiten einer bestimmten Tiefsttemperatur wieder ausgeschaltet. Auf dem Betriebshof der Klägerin wurden Tiefkühlauflieger und LKW ausschließlich durch den sog. Rangierdienst bewegt. Das Rangierpersonal war bei der T angestellt. Die Klägerin hatte gegenüber dem Rangierpersonal ein Weisungsrecht. Erst nach Abschluss des Verladevorgangs und der Übernahme durch einen Fahrer mit einer besonderen Fahrberechtigung verließ das Fahrzeug das Betriebsgelände. Dies konnte mitunter erst nach mehreren Stunden bzw. am nachfolgenden Morgen geschehen. Zur Vermeidung unnötiger Wartezeiten des Fahrpersonals der T erschienen die Fahrer erst zum Zeitpunkt des rechnerisch notwendigen Transportbeginns. Die Fahrer meldeten sich je nach Uhrzeit im Verladebüro bzw. beim Pförtner der Klägerin und erhielten die Transportpapiere für das betreffende Fahrzeug. Im Zuge der technischen Kontrolle des Fahrzeugs quittierte der Fahrer die Übernahme der Ware und nahm die Kühlanlage vom Strom. Die weitere Kühlung erfolgte danach im Dieselbetrieb. Im unmittelbaren Anschluss fuhr der Fahrer mit dem Fahrzeug zur Bodenwaage. Nach Abgleich des Gesamtgewichts mit dem Leer- und Zuladungsgewicht an der Ausfahrt verließ das Fahrzeug das Betriebsgelände.
6Die Klägerin beantragte am 18. Dezember 2015 die Entlastung von Stromsteuer gemäß § 9b des Stromsteuergesetzes (StromStG) für das Kalenderjahr 2014. Sie führte aus, … MWh Strom für betriebliche Zwecke entnommen zu haben. Es ergab sich nach ihrer Berechnung ein Entlastungbetrag in Höhe von … EUR.
7Davon abweichend setzte das beklagte Hauptzollamt (HZA) mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 eine Steuerentlastung in Höhe von … EUR fest. Zur Begründung führte es aus, dass Strom, der während des Verladevorgangs in Kühlaufliegern externer Speditionsunternehmen für die Kühlung entnommen werde, nicht zu eigenbetrieblichen Zwecken der Klägerin entnommen werde. Das beklagte HZA bezifferte den entsprechenden Stromverbrauch mit 592,913 MWh.
8Dagegen legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Das beklagte HZA führte zur Begründung der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2019 aus: Die Stromentnahme durch das Rangierpersonal bzw. die Fahrer der T könne der Klägerin nicht zugerechnet werden. Im Gegensatz zum Schlachtbetrieb seien Speditionen wie die T nicht nach § 9b StromStG begünstigt. Die T stelle zudem die kleinste rechtlich selbständige Einheit im Sinne des § 2 Nr. 4 StromStG dar. Selbst wenn man der Klägerin die Stromentnahme durch Beschäftigte der T gemäß § 9b Abs. 1 Satz 2 StromStG zurechnen würde, bleibe diese Nutzerin der mittels des Stroms erzeugten Kälte. Die T sei jedoch selbst nicht begünstigt.
9Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Sie sei auch in Bezug auf die Stromentnahme zur Kühlung der Auflieger als die entlastungsberechtigte Verwenderin anzusehen. Die Stromentnahme sei ihr zuzurechnen, weil sie während der Stromentnahme die unmittelbare Sachherrschaft über das Energieerzeugnis ausgeübt habe. Sie habe die Auflieger von der T geliehen, sei insoweit deren Besitzerin gewesen und habe den Strom für ihre eigenen betrieblichen Zwecke verbraucht. Die Stromentnahme sei ihr auch deshalb zuzurechnen, weil ihr die T das Rangierpersonal überlassen habe. Der Vertrag zwischen ihr und der T sei nicht als Werkvertrag, sondern als Dienstverschaffungsvertrag in der Form der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) zu qualifizieren. Die diesbezüglichen Absprachen zwischen ihr und der T seien mündlich oder konkludent getroffen worden. Bei einer Gesamtbetrachtung sämtlicher zwischen den Gesellschaften in Einzelheiten abgestimmten Rechte und Pflichten bezüglich der Arbeitnehmerüberlassung seien folgende vertraglichen Absprachen zu erkennen:
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Die T habe die Aufgaben des Verleihers und sie - die Klägerin - die des Entleihers übernommen.
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Die T habe sich ihr gegenüber zur Bereitstellung von Personal verpflichtet, das innerhalb ihrer betrieblichen Organisation nach Weisungen ihrer Arbeitnehmer auf ihrem Betriebsgelände tätig geworden sei.
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Zwischen den Gesellschaften sei die Anforderung des bereitzustellenden Personals nach Anzahl und Einsatzzeitraum anhand entsprechender Schichtpläne zwischen den Parteien abgestimmt worden.
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Hinsichtlich der Qualifikation des zu überlassenden Personals sei zwischen den Gesellschaften vereinbart worden, dass sämtliche Rangierer über eine entsprechende Fahrerlaubnis hätten verfügen müssen.
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Ihr habe das Recht zugestanden, die zur Überlassung bereitgestellten Arbeitnehmer der T abzulehnen und zurückzuweisen, wenn diese die zum vertragsgemäßen Einsatz erforderlichen Qualifikationen nicht aufgewiesen hätten oder sonstige Gründe im Verhalten des jeweiligen Arbeitnehmers eine Zurückweisung begründet hätten. Von diesem Recht habe sie in Einzelfällen Gebrauch gemacht.
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Die T sei verpflichtet gewesen, bei etwaigen Personalausfällen beispielsweise auf Grund von Urlaub oder Krankheit entsprechenden Personalersatz bereitzustellen.
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Sie sei als Entleiherin verpflichtet gewesen, gegenüber der T die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Hierbei seien für die Bereitstellung des jeweiligen Personals die entstandenen Kosten in Rechnung gestellt worden. Der Rechnungsbetrag habe sich anhand der von den überlassenen Arbeitnehmern erfassten Einsatzzeiten bemessen. Es seien weder eine Pauschale für Rangiertätigkeiten, noch für eingesetzte Betriebsmittel, noch sonstige Positionen, die bei einer Dienstleistung üblich gewesen wären, in Rechnung gestellt worden.
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Hinsichtlich der Haftung sei zwischen den Gesellschaften vereinbart worden, dass die T nicht für Warenschäden hafte, die sich aus den Rangiertätigkeiten ergeben hätten. Unter diesen Haftungsausschluss seien auch etwaige Warenschäden durch falsche Einstellungen der Kühlaggregate gefallen.
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Ihr habe als Entleiherin oblegen sicherzustellen, dass die Vorgaben des Arbeitsschutzes auf dem Betriebsgelände eingehalten worden seien.
Verbrauchsteuerrechtlich komme es nur darauf an, dass tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung stattgefunden habe, nicht auch darauf, ob diese den formalen Anforderungen des AÜG entsprochen habe. Im Übrigen müsse insoweit auf die im Streitjahr geltende Fassung des AÜG abgestellt und berücksichtigt werden, dass das Gesetz nicht für die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen gegolten habe, wenn die Arbeitnehmer - wie hier - nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden seien. Die formal bei der T angestellten Mitarbeiter des Rangierpersonals hätten keinen Entscheidungsspielraum gehabt und seien weisungsgebunden gewesen. Demgegenüber hätten ihre Arbeitnehmer den Verladungsprozess bis zur Übergabe der Frachtpapiere gesteuert. Es habe sich dabei nicht um werkbezogene Weisungen, sondern um die Ausübung des Direktionsrechts gehandelt. Führungskräfte der T seien nicht vor Ort gewesen. Da die Kühlaggregate durch Sensoren gesteuert worden seien und keine manuelle Tätigkeit des Rangierpersonals erforderlich gewesen sei, habe das Rangierpersonal der T die Kühlaggregate nicht in Betrieb genommen. Mit der Anweisung, die Auflieger nach einem Verladeschritt auf dem Werksgelände zu parken, sei die Weisung einhergegangen, die Kühlaggregate an das Stromnetz anzuschließen. Die Stromentnahme habe mithin durch von ihr abhängiges, von der T überlassenes Personal stattgefunden. Das Handeln dieses Personals sei ihr wie das eigener Beschäftigter zuzurechnen. Dies ergebe sich auch aus § 15 Abs. 7 Satz 2 Nr. 4 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV).
21Die T habe die Kühlaggregate nicht betrieben. Der Betrieb von Kühlaggregaten habe auch nicht zu deren vertraglichen Pflichten gehört. Die T habe die Tiefkühlauflieger vielmehr erst übernommen, nachdem ihre Fahrer die Frachtpapiere und die Schlüssel für die Zugmaschine im Verladebüro abgeholt hätten. Sie habe den Strom im eigenen betrieblichen Interesse verwendet, nämlich zur Kühlung ihrer Waren im Verladungsprozess. Sie habe Kälte nicht für das Transportunternehmen, sondern für ihren eigenen Betrieb erzeugt. Die Kühlung sei insoweit Teil ihres Produktionsprozesses gewesen.
22Die Klägerin beantragt,
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1. den Bescheid vom 19. Oktober 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2019 dahingehend zu ändern, dass eine Steuerentlastung gemäß § 9b StromStG in Höhe von 403.604,99 EUR festgesetzt wird;
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2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte HZA beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Zur Begründung trägt es vor: Der Anschluss der Kühlaggregate an das Stromnetz sei durch das Personal der T erfolgt. Gleiches gelte für das Abkoppeln der Kühlaggregate von dem Stromnetz. Dass das Personal auf Kosten und Weisung der Klägerin tätig geworden sei, sei für die Frage der Zurechnung der Stromentnahme unerheblich. Ebenso sei es unerheblich, ob die Stromentnahme im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages erfolgt und wie das wirtschaftliche Risiko verteilt gewesen sei. Die Zurechnung der Stromentnahme könne nicht durch vertragliche Gestaltungen geregelt werden. Es könne daher offen bleiben, ob ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliege. Unabhängig davon habe aber auch keine wirksame Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Diese hätte gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG einer Erlaubnis bedurft. Verleiher und Entleiher hätten die Überlassung von Arbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnen müssen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen hätten oder hätten tätig werden lassen (§ 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher habe der Schriftform bedurft (§ 12 Abs. 1 AÜG). Die Erlaubnis hätte auf schriftlichen Antrag hin erteilt werden müssen (§ 2 Abs. 1 AÜG). Vorliegend habe es sich deshalb um eine Dienstleistung der T gehandelt. Dies sei insbesondere daran zu erkennen, dass der Klägerin lediglich Rangiertätigkeiten berechnet worden seien, während im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung die entliehenen Arbeitnehmer nach Stunden abgerechnet würden. Das AÜG sei im Übrigen auch deshalb nicht anwendbar, weil die Stellung eines bemannten Kraftfahrzeugs durch einen Unternehmer nach Weisung eines Auftraggebers den Regelungen des Güterkraftverkehrsgesetzes unterliege. Die Klägerin habe den Arbeitnehmern der T allenfalls projektbezogene Weisungen im Rahmen der auszuführenden Rangiertätigkeiten erteilt, die sich nicht als Ausübung einer arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnis dargestellt hätten.
29Die Regelung des § 17b Abs. 4 StromStV gelte für das Streitjahr noch nicht, konkretisiere aber den Zweck des § 9b StromStG. Die Entnahme von Strom für den Betrieb der Kühlaggregate stelle eine Leistung von Strom an Dritte und nicht den Verbrauch für eigenbetriebliche Zwecke der Klägerin dar. Andernfalls würde ein steuerlich nicht begünstigter Wirtschaftszweig von der Stromsteuer entlastet.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
31Der Bescheid vom 19. Oktober 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte HZA hat es zu Recht abgelehnt, die Steuerentlastung nach § 9b StromStG auf … EUR festzusetzen.
32Nach § 9b Abs. 1 Satz 1 StromStG in der Fassung des Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I, 1885) wird auf Antrag eine Steuerentlastung für nachweislich nach § 3 StromStG versteuerten Strom gewährt, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft für betriebliche Zwecke entnommen hat und der nicht nach § 9 Abs. 1 StromStG von der Steuer befreit ist. Entlastungsberechtigt in derjenige, der den Strom entnommen hat (§ 9b Abs. 3 StromStG). Die Steuerentlastung wird für die Entnahme von Strom zur Erzeugung von Licht, Wärme, Kälte, Druckluft und mechanischer Energie zudem nur gewährt, soweit die vorgenannten Erzeugnisse nachweislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft genutzt worden sind (§ 9b Abs. 1 Satz 2 StromStG).
33Erforderlich für eine Entlastungsberechtigung nach § 9b Abs. 3 StromStG ist, dass der verwendete Strom von dem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, das den Entlastungsantrag gestellt hat, selbst zu eigenbetrieblichen Zwecken entnommen wird (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 21. August 2014 VII R 11/13, BFH/NV 2015, 62). Entscheidend für die stromsteuerrechtliche Einstufung einer Betriebseinrichtung als begünstigtes Unternehmen ist eine rechtlich selbständige Wahrnehmung von Aufgaben, die mit der betriebsbedingten Verwendung von Strom einhergeht (BFH, Urteil vom 26. Juni 2017 VII R 27/16, ZfZ 2018, 49). Daher scheidet eine Steuerentlastung in den Fällen aus, in denen ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes auf dem eigenen Betriebsgelände einem anderen Unternehmen Strom zur Verfügung stellt, damit Mitarbeiter dieses Unternehmens - etwa im Rahmen eines Werkvertrags - einen Teil der Produktion übernehmen (BFH, Urteil vom 18. März 2014 VII R 12/13, BFH/NV 2014, 1093). Betreibt und unterhält ein anderes Unternehmen als dasjenige, das den Entlastungsantrag gestellt hat, nach den vertraglichen Absprachen Versorgungsanlagen, hat dieses andere Unternehmen auch den zum Betrieb der Anlagen erforderlichen Strom entnommen und die zum Betrieb der Anlagen erforderlichen Energieerzeugnisse verwendet. Dann ist es nicht denkbar, die Stromentnahme einer anderen Person als dem eigentlichen Anlagenbetreiber zuzurechnen (BFH, Beschluss vom 2. September 2015 VII B 18/15, BFH/NV 2016, 246). Denn ein Unternehmen und damit stromsteuerrechtlich begünstigt ist nach § 2 Nr. 4 StromStG nur die jeweils kleinste rechtlich selbständige Einheit. Das schließt es aus, Unternehmenszusammenschlüsse, wie z.B. in einem Organkreis, als ein Unternehmen im Sinne des Stromsteuerrechts anzusehen (BFH, Urteil vom 24. April 2018 VII R 21/17, BFH/NV 2019, 417).
34In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, wie die vertraglichen Beziehungen zwischen dem eigentlichen Betreiber der Anlagen und dem Unternehmen im Einzelnen gestaltet sind, das die Anlagen vereinbarungsgemäß zur Verfügung gestellt hat (BFH, Beschluss vom 2. September 2015 VII B 18/15, BFH/NV 2016, 246). Denn bei der Entnahme von Strom handelt es sich um einen Realakt, der zeitlich mit dem Verbrauch zusammenfällt. Es kommt grundsätzlich darauf an, wer den Strom verbraucht, unabhängig davon, auf welcher vertraglichen Grundlage dies geschieht (BFH, Urteil vom 24. April 2018 VII R 21/17, BFH/NV 2019, 417). Diesen Grundsatz verdeutlicht auch die im Streitfall noch nicht anzuwendende Regelung des § 17b Abs. 4 StromStV, die durch Art. 3 Nr. 3 der Verordnung vom 4. Mai 2016 (BGBl I 2016, 1158) eingeführt worden und mit Wirkung zum 18. Mai 2016 in Kraft getreten ist (Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vom 4. Mai 2016). Danach liegt eine Entnahme für betriebliche Zwecke auch dann vor, wenn Strom durch ein anderes Unternehmen im Betrieb des Antragstellers entnommen wird, sofern dieses Unternehmen dort nur zeitweise eine Leistung erbringt. Die Regelung stützt die Annahme, dass die Entnahme von Strom durch ein Unternehmen, das auf dem Gelände eines anderen Unternehmens tätig ist, nicht ohne Weiteres einem übergeordneten Unternehmen zugerechnet werden kann. Anderenfalls hätte es dieser Ausnahmevorschrift nicht bedurft (BFH, Urteil vom 24. April 2018 VII R 21/17, BFH/NV 2019, 417).
35Im Streitfall ist die Klägerin nicht entlastungsberechtigt, weil sie den für den Betrieb der Kühlaggregate der T erforderlichen Strom nicht für eigene betriebliche Zwecke entnommen hat. Bei der Klägerin und der T handelte es sich im fraglichen Kalenderjahr 2014 jeweils um kleinste rechtlich selbständige Einheiten im Sinne des § 2 Nr. 4 StromStG. Das Unternehmen der T war nicht wie dasjenige der Klägerin der Unterklasse 15.11.1 WZ 2003, sondern der Unterklasse 60.24 WZ 2003 zuzuordnen.
36Unstreitig haben zudem nicht Arbeitnehmer der Klägerin, sondern Arbeitnehmer der T deren Kühlaggregate an das Stromnetz angeschlossen. Dabei kann es stromsteuerrechtlich nicht darauf ankommen, dass die Kühlaggregate durch Sensoren gesteuert wurden und für diese Steuerung keine manuelle Tätigkeit des Rangierpersonals der T mehr erforderlich war. Anders als die Klägerin meint, bedeutet das nicht, dass das Rangierpersonal der T die Kühlaggregate nicht in Betrieb genommen hat. Denn die Entnahme ist bereits in dem Anschluss der Kühlaggregate der T durch deren Arbeitnehmer an das Stromnetz zu sehen. Dadurch konnten die Aggregate in Betrieb genommen werden, wenn auch die Steuerung - wie bei einem haushaltsüblichen Kühlschrank - automatisch erfolgte.
37Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung kann ihr die Entnahme des Stroms durch die Arbeitnehmer der T zum Betrieb derer Kühlaggregate auch nicht deshalb zugerechnet werden, weil zwischen ihr und der T ein Arbeitnehmerüberlassungsverhältnis bestanden haben soll. Die Klägerin weist selbst darauf hin, dass die Vorschriften des AÜG auf eine Arbeitnehmerüberlassung durch die konzernangehörige T nicht anwendbar gewesen wären (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 28. April 2011, BGBl I, 642). Es ist auch nicht ersichtlich, dass es überhaupt zu einer Überlassung von Arbeitnehmern gegen Entgelt zwischen der T und der Klägerin gekommen ist. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juni 2017 9 AZR 133/16, juris). Im Streitfall ist Gegenstand der von der T geschuldeten Leistungen nicht gewesen, dass diese Arbeitnehmer der Klägerin zur Förderung ihrer Betriebszwecke zur Verfügung zu stellen hatte. Vielmehr hat die T ausweislich der von der Klägerin übersandten Rechnungen dieser Rangiertätigkeiten belastet. Demgegenüber sind keine Überlassungen von Arbeitnehmern in Rechnung gestellt worden, wenn auch Grundlage für die Berechnung der Rangierleistungen die der T entstandenen Personalkosten waren (Anlage 7 zum Schriftsatz der Klägerin vom 2. Juli 2021; Bl. 168 f. GA). Letzteres bedeutete nicht, dass ein Entgelt für die Überlassung von Arbeitnehmern berechnet wurde. Die Berechnung der Rangierleistungen beruhte lediglich auf den der T entstandenen Personalkosten, ohne dass dem noch ein Gewinnaufschlag hinzugerechnet wurde. Dies ist indes offensichtlich mit der Zugehörigkeit beider Unternehmen zu demselben Konzern zu erklären.
38Unbeschadet dessen können die Bestimmungen des AÜG nicht die Frage beantworten, welches Unternehmen im Streitfall entlastungsberechtigt ist, weil es den fraglichen Strom für betriebliche Zwecke im Sinne des § 9b Abs. 3 StromStG entnommen hat. Diese Frage ist nach stromsteuerrechtlichen Grundsätzen zu beantworten. Danach handelt es sich bei der Entnahme von Strom um einen Realakt, der zeitlich mit dem Verbrauch zusammenfällt. Es kommt grundsätzlich darauf an, wer den Strom verbraucht, unabhängig davon, auf welcher vertraglichen Grundlage dies geschieht (BFH, Urteil vom 24. April 2018 VII R 21/17, BFH/NV 2019, 417). Die von der Klägerin dargestellten Absprachen mit der T über eine angebliche Überlassung von Arbeitnehmern können mithin nichts daran ändern, dass die Entnahme des Stroms der T zuzurechnen ist, weil deren Arbeitnehmer den Strom aus dem Netz zum Betrieb der Kühlaggregate entnommen haben. Anders als die Klägerin meint, haben die Arbeitnehmer der T die Kühlaggregate durch den Anschluss an das Stromnetz auch betrieben, weil die Aggregate durch den Stromanschluss in Betrieb genommen wurden.
39Daran vermag auch § 15 Abs. 7 Satz 2 Nr. 4 StromStV nichts zu ändern. Denn diese Vorschrift beantwortet nicht die Frage, welches Unternehmen Strom für betriebliche Zwecke im Sinne des § 9b Abs. 3 StromStG entnommen hat. Vielmehr ist § 15 Abs. 7 Satz 2 Nr. 4 StromStV nur für die Zuordnung eines Unternehmens zu einem Abschnitt oder einer Klasse der WZ 2003 im Rahmen des § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 StromStV von Bedeutung. Einer Anwendung des § 15 Abs. 7 Satz 2 Nr. 4 StromStV bedarf es im Streitfall jedoch nicht, weil die Tätigkeit der Klägerin unstreitig vollumfänglich der Unterklasse 15.11 WZ 2003 zuzuordnen ist.
40Soweit die Klägerin vorträgt, die formal bei der T angestellten Mitarbeiter des Rangierpersonals hätten keinen Entscheidungsspielraum gehabt und seien weisungsgebunden gewesen, vermag auch nicht zu begründen, dass die Klägerin und nicht die T den Strom im Sinne des § 9b Abs. 3 StromStG entnommen hat. Die Klägerin übte nämlich keine unmittelbare Sachherrschaft über den Strom aus, der für den Betrieb der Kühlaggregate der T verwendet wurde (vgl. BFH, Urteil vom 26. Juni 2017 VII R 27/16, ZfZ 2018, 49, 51). Die unmittelbare Sachherrschaft über diesen Strom übten vielmehr die bei der T angestellten Arbeitnehmer aus, indem sie die Kühlaggregate an das Stromnetz angeschlossen haben. Es mag der Klägerin einzuräumen sein, dass die zum Rangierdienst der T gehörenden Arbeitnehmer diese Sachherrschaft über den Strom letztlich auf Grund der ihnen von den Arbeitnehmern der Klägerin erteilten Weisungen ausgeübt haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass die zum Rangierdienst gehörenden Arbeitnehmer bei der T als kleinster rechtlich selbständiger Einheit (§ 2 Nr. 4 StromStG) angestellt waren und ihr deshalb als derjeniger Person, welche die unmittelbare Sachherrschaft über den Strom ausgeübt hat, die Entnahme des Stroms zuzurechnen ist (vgl. auch Senatsurteil vom 2. Oktober 2019 4 K 1713/18 VSt, CuR 2019, 113).
41Unerheblich für die Entlastungsberechtigung der Klägerin nach § 9b Abs. 3 StromStG ist es überdies, ob sie den Strom im eigenen betrieblichen Interesse zur Kühlung ihrer Produkte im Verladungsprozess verwendet hat. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin - wie sie vorträgt - die Kälte nicht für das Transportunternehmen, sondern für ihren eigenen Betrieb erzeugt haben will. Abgesehen davon, dass die Kälte durch die Kühlaggregate der T erzeugt wurde, scheitert eine Entlastungsberechtigung der Klägerin im Streitfall nicht erst an § 9b Abs. 1 Satz 2 StromStG. Vielmehr ist die Klägerin schon deshalb nicht entlastungsberechtigt, weil nicht sie, sondern die T den Strom für den Betrieb der Kühlaggregate im Sinne des § 9b Abs. 3 StromStG entnommen hat.
42Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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