Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 1 K 472/22 U
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2015 durch eine Erweiterung der Außenprüfung gehemmt wurde.
3Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Bauleistungen und Bauträgertätigkeiten erbringt. Der Beklagte erteilte ihr am 16.11.2015 eine Bescheinigung zum Nachweis zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten.
4Die Klägerin reichte die Umsatzsteuererklärung 2015 am 21.06.2016 beim Beklagten ein. Diese stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Am 22.08.2016 reichte sie eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein, der der Beklagte zustimmte; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
5Mit Schreiben vom 13.10.2020 ordnete der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung u.a. für die Umsatzsteuer 2016 bis 2018 an.
6Auf einem Arbeitsbogen „Feststellungen im Betrieb“ notierte der Prüfer als Prüfungsbeginn den 01.12.2020 um 08.00 Uhr, als Auskunftsperson Herrn B von A und als vorgelegte Unterlagen die Finanzbuchhaltung Datev als Stick, Bankkontoauszüge und Eingangs-/Ausgangsrechnungen.
7In einem Aktenvermerk vom 14.12.2020 machte der Prüfer Ausführungen zur Anwendung des § 13b UStG im Prüfungszeitraum und notierte u.a., dass die für den Prüfungszeitraum 2016 bis 2018 vorgelegten Unterlagen darauf hindeuten würden, dass für die in 2015 bereits geleisteten Anzahlungen i.H.v. mindestens 85.000 € unzulässigerweise § 13b UStG nicht angewendet worden sei. Da die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2015 m.A.d. 31.12.2020 ablaufe, sei mit der Prüfung noch in 2020 zu beginnen.
8Mit Schreiben vom 15.12.2020 (Eingang laut Kanzleistempel des Prozessbevollmächtigten am 21.12.2020) erweiterte der Prüfer den Prüfungszeitraum u.a. auf die Umsatzsteuer 2015 und begründete dies damit, dass mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei. Als voraussichtlicher Prüfungsbeginn war der 21.12.2020 angegeben.
9Mit Schreiben vom 18.12.2020 (Eingang beim Prozessbevollmächtigten per Fax am 18.12.2020), das auf die Erweiterung der Betriebsprüfung auf das Jahr 2015 vom 15.12.2020 Bezug nahm, bat der Prüfer den Prozessbevollmächtigten um die Vorlage von folgenden Unterlagen für 2015 bis zum 08.01.2021: Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronische FiBu-Daten, Kontennachweis, Sachanlagenverzeichnis, Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten. Zudem bat er um die Beantwortung mehrerer, ausführlich formulierter Fragen für den Zeitraum 2016 bis 2018. Frage 13 betraf ein in 2009 erworbenes und erst 2019 vollständig verkauftes Grundstück in Z-Stadt. Frage 15 betraf die Errichtung und die Veräußerung von Bauten auf einem in 2015 erworbenen Grundstück in Z-Stadt.
10Da mit Schreiben vom 11.01.2021 lediglich Unterlagen zu den Jahren 2016 bis 2018 übermittelt wurden, erinnerte der Prüfer am 18.01.2021 an die Einreichung der weiteren angeforderten Unterlagen und teilte mit, dass er wegen der verschärften Corona-Situation die Prüfung nicht vor Ort fortsetzen werde.
11Im Prüfungsbericht vom 28.06.2021, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, traf der Prüfer u.a. folgende Feststellungen:
12Tz. 2.2.1.2: In 2015 sei keine Aufteilung der nicht direkt zuzuordnenden Vorsteuer vorgenommen worden, obwohl sowohl steuerpflichtige als auch vorsteuerschädliche steuerfreie Umsätze getätigt worden seien. Die Vorsteuer sei daher in 2015 um2.325,45 € zu kürzen.
13Tz. 2.2.3: Die Klägerin habe u.a. umsatzsteuerfreie Bauträgertätigkeiten erbracht, wobei die eigentlichen Bauarbeiten von fremden Unternehmen (u.a. Bietergemeinschaft C GmbH + D GmbH und der Firma E GmbH) ausgeführt worden seien. Diese hätten auch Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, § 13b UStG sei nicht angewendet worden. Vorsteuer habe die Klägerin zutreffend nicht abgezogen. Die Klägerin sei aufgrund der erteilten Bescheinigung Nachweis zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten ein Unternehmen, welches nachhaltig Bauleistungen erbringe und schulde in 2015 Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 5 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 UStG i.H.v. 19.564,05 €.
14Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung, erließ am 14.10.2021 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid 2015 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
15Hiergegen legte die Klägerin am 11.11.2021 Einspruch ein und trug zur Begründung vor: Der Umsatzsteuerbescheid 2015 habe nicht geändert werden dürfen, da die reguläre Festsetzungsfrist m.A.d. 31.12.2020 abgelaufen sei. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife nicht, da nicht erkennbar sei, dass im Jahr 2020 mit der Betriebsprüfung für 2015 begonnen worden sei. Reine Vorbereitungshandlungen wie die Versendung einer Prüfungsanordnung mit Schreiben vom 15.12.2020 bzw. die Anforderung allgemeiner Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 führten noch nicht zu einer Ablaufhemmung. Würden, wie im Schreiben vom 18.12.2020, bloß allgemeine, jeden Fall betreffende Unterlagen, die keinen konkreten Bezug zum prüfenden Betrieb aufwiesen, angefordert, trete keine Ablaufhemmung ein. Ein Aktenstudium an Amtsstelle könne den Beginn einer Außenprüfung nur dann darstellen, wenn dessen Gegenstand nachweislich die konkreten Verhältnisse des zu prüfenden Betriebes seien (Verweis auf FG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2019, 6 K 2302/15 K). In 2020 hätten weder Rechnungsdokumente noch eine Daten-CD und somit keine prüffähigen Unterlagen für das Jahr 2015 vorgelegen. Die Sichtung der bisherigen Amtsakten stelle lediglich eine Vorbereitungshandlung dar, die nicht zu einer Ablaufhemmung führe. Die Anfang Dezember vorgenommenen Ermittlungen seien irrelevant. Vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung durchgeführte Ermittlungshandlungen führten nicht zu einer Ablaufhemmung, da die Prüfungsanordnung für das Vorliegen einer Außenprüfung konstitutiv sei.
16Mit Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus: Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife, da das Schreiben des Außenprüfers vom 18.12.2020 als Beginn der erweiterten Prüfung u.a. zur Umsatzsteuer 2015 zu beurteilen sei (Verweis auf BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93). Der Inhalt des Schreibens beziehe sich auf die erweitere Betriebsprüfung für die Umsatzsteuer 2015 und verdeutliche, dass es sich um Ermittlungen im Rahmen der erweiterten Außenprüfung und nicht um daneben zulässige, den Prüfungszeitraum überschreitende Einzelermittlungen oder Vorbereitungshandlungen handele.
17Abgesehen davon hätten die im Schreiben vom 18.12.2021 gestellten Fragen 13 und 15 auch Bedeutung für den Zeitraum 2015, da diese die bilanzielle Behandlung der Grundstücke auch in 2015 betreffen würden. Für 2015 sei anhand der am 01.12.2020 vorgelegten Schlussrechnungen der Bietergemeinschaft C GmbH + D GmbH und der Firma E GmbH festgestellt worden, dass diese bereits in 2015 Abschlagsrechnungen i.H.v. mindestens 85.000 € erhalten hätten, für die § 13b UStG unzulässigerweise nicht angewendet worden sei.
18Die Voraussetzungen des § 171 Abs. 4 AO, dass eine Betriebsprüfungsanordnung erlassen und tatsächlich, wenn auch nur stichprobenweise, Prüfungshandlungen für die einzelnen Steuerarten vorgenommen worden seien, müssten nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten (Verweis auf BFH, Urteil vom 04.11.1992, XI R 32/91).
19Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 10.03.2022 Klage erhoben, zu deren Begründung sie ergänzend vorträgt: Das vom Beklagten zitierte Urteil des BFH vom 02.02.1994 betreffe die Beantwortung von Fragen und Vorlage bestimmter Abrechnungen im Zusammenhang mit konkreten Auslandsbeziehungen zu geprüften Einkünften. Es stelle daher die Anforderung konkreter, den individuellen Steuerfall betreffender Unterlagen dar und sei nicht mit dem allgemeinen Schreiben vom 18.12.2021 vergleichbar. Zudem ziehe der Inhalt der Prüfungsanordnung, die als Beginn den 21.12.2020 vorsehe, die Grenze für eine mögliche Ablaufhemmung. Der vorliegende Sachverhalt sei mit dem Sachverhalt im Urteil des BFH vom 11.08.1993 (II R 34/90), in dem die Prüfungsanordnung die Angabe enthalten habe, dass die Prüfung erst in der Zukunft beginne, vergleichbar. Anders als bei der Angabe in der Prüfungsanordnung, dass die Prüfung bereits begonnen habe (wie im Sachverhalt des Urteils des BFH vom 02.02.1994), trete im ersten Fall keine Ablaufhemmung vor dem angegebenen Beginn ein. Ein vor dem angegebenen Prüfungsbeginn, dem 21.12.2021, durchgeführtes Aktenstudium und andere bis dahin durchgeführte Tätigkeiten seien als Prüfungsvorbereitungen zu bewerten (Verweis auf BFH, Urteil vom 08.07.2009, XI R 64/07). Nach dem 21.12.2021 bis zum Jahresende seien keine Prüfungshandlungen vorgenommen worden.
20Die Klägerin beantragt,
21den Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 aufzuheben.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Er nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er vor: Der Beginn der erweiterten Außenprüfung sei nicht mit dem Aktenstudium im Rahmen der Prüfungsvorbereitung begründet worden.
25Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten.
26Entscheidungsgründe
27A. Die Klage ist unbegründet.
28Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FGO). Der Beklagte war formell (hierzu I.) und materiell (hierzu II.) berechtigt, den geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 14.10.2021 zu erlassen.
29I.
30Der Beklagte war formell berechtigt, den Umsatzsteuerbescheid vom 14.10.2021 zu erlassen.
311. Die Änderungsbefugnis folgt aus § 164 Abs. 2 AO. Die am 22.08.2016 eingereichte Umsatzsteuererklärung 2015 stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
322. Im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides am 14.10.2021 war keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
33Da die Klägerin die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2015 im Jahr 2016 abgegeben hatte, endete die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2020 (§§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO).
34Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde jedoch durch die am 18.12.2020 begonnene Außenprüfung für das Jahr 2015 nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt. Die Anforderung von Unterlagen durch den Beklagten mit Schreiben vom 18.12.2020 stellt eine Prüfungshandlung dar. Dieses Schreiben nahm auf die Erweiterung der Betriebsprüfung auf das Jahr 2015 vom 15.12.2020 Bezug. Bei der Bekanntgabe der Erweiterung der Betriebsprüfung am 21.12.2020 war für die Klägerin erkennbar, dass die Prüfung mit der Anforderung der Unterlagen am 18.12.2020 bereits begonnen hatte.
35a. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO drei Monate verstrichen sind (171 Abs. 4 S. 1 AO).
36Voraussetzung für den Beginn einer Außenprüfung ist zum einen, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und zum anderen – wenn auch nur stichprobenweise – tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden. Die Außenprüfung ist ein formalisiertes, den besonderen Bestimmungen der §§ 193 ff. AO unterliegendes Verfahren, das auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist. Es kann daher unter dem Begriff der Außenprüfung, der demjenigen der Betriebsprüfung entspricht, nicht jede, sondern nur eine besonders qualifizierte Ermittlungshandlung des Finanzamtes verstanden werden, die für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet ist, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln oder zu überprüfen. Es muss sich um Maßnahmen handeln, die für den Steuerpflichtigen i.S. der §§ 193 ff. AO als Prüfungshandlungen erkennbar sind und geeignet erscheinen, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.04.2017, I R 76/15, BStBl II 2017, 1159; BFH, Urteil vom 24.04.2003, VII R 3/02, BStBl II 2003, 739 jeweils m.w.N.).
37Mit einer Außenprüfung ist tatsächlich noch nicht begonnen, wenn der Prüfer erscheint und die Prüfungsanordnung übergibt, sondern erst dann, wenn er nach der Übergabe oder Übersendung der Prüfungsanordnung Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalles vornimmt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.04.2017, I R 76/15, BStBl II 2017, 1159). Im Allgemeinen muss davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung eines Steuerfalles Prüfungshandlungen sind, und zwar auch dann, wenn sie "nur" auf die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren u.ä. gerichtet sind. Hierzu können auch Schreiben des Prüfers an den Steuerpflichtigen gehören (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009, IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405; BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93, BStBl II 1994, 377).
38Bloße Vorbereitungshandlungen wie die Prüfung, ob der Steuerfall in den Prüfungsplan aufgenommen werden soll, die Kontaktaufnahme mit dem Steuerpflichtigen oder dessen Vertreter zur Absprache des Prüfungsbeginns reichen hingegen nicht aus (vgl. BFH, Urteil vom 24.04.2003, BStBl II 2003, 739, Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 88).
39Scheinhandlungen, die lediglich den Zweck verfolgen, die Ablaufhemmung herbeizuführen, stellen keinen Beginn der Außenprüfung dar und hemmen somit nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl. BFH, Urteil vom 17.03.2010, IV R 54/07, BStBl II 2011, 7). Für die Abgrenzung zwischen ernsthaftem Prüfungsbeginn und einer bloßen Scheinhandlung kommt es auf die Absicht des Prüfers und seines Sachgebietsleiters an (vgl. Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 89; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO Rn. 39).
40Bei einer Erweiterung der Außenprüfung tritt die Ablaufhemmung hinsichtlich der später einbezogenen Steueransprüche nur ein, wenn im Zeitpunkt des Erlasses der erweiterten Prüfungsanordnung die Festsetzungsfrist für diese Steueransprüche noch nicht abgelaufen war und vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist mit der Prüfung tatsächlich begonnen worden ist. Beide Voraussetzungen müssen nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und enthält die Ergänzung der Prüfungsanordnung den Hinweis, dass die Prüfung bereits begonnen hat (vgl. BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93, BStBl II 1994, 377) oder ist das dem Steuerpflichtigen bei Bekanntgabe der Anordnung bekannt (vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2004, X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510), ist es unschädlich, wenn der Prüfer schon vor dem Erlass der ergänzenden Prüfungsanordnung mit der tatsächlichen Prüfung der neu einbezogenen Steueransprüche begonnen hat (vgl. auch Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 108). Richtet sich die ergänzende Prüfungsanordnung hingegen eindeutig nur auf zukünftige Prüfungshandlungen, tritt keine Ablaufhemmung ein, wenn nach Erlass der Anordnung entsprechende Handlungen nicht mehr vorgenommen werden (vgl. BFH, Urteil vom 11.08.1993, II R 34/90, BStBl II 1994, 375).
41Dem BFH-Urteil vom 08.07.2009, XI R 64/07 (BStBl II 2010, 4) ist kein Rechtsgrundsatz des Inhalts zu entnehmen, dass vor dem in der Prüfungsanordnung angegebenen Prüfungsbeginn durchgeführte Tätigkeiten generell als Prüfungsvorbereitung zu werten seien. Vorgelagerte Tätigkeiten lösen nur dann keine Ablaufhemmung aus, wenn ihnen nach den zuvor dargestellten Abgrenzungskriterien nicht die Qualität einer Prüfungshandlung beizumessen ist. Die Abgrenzung, ob eine Handlung als Prüfungsvorbereitung oder als Prüfungshandlung zu beurteilen ist, richtet sich nach der Qualität im Einzelfall, nämlich wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den Gehalt der Ermittlungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 06.07.1999, VIII R 17/97, BStBl II 2000, 306).
42Unerheblich ist, ob und wenn ja, welcher Prüfungszeitpunkt als Beginn der Außenprüfung in der den Prüfungszeitraum erweiternden Prüfungsanordnung genannt wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist auch dann gehemmt, wenn die tatsächliche Prüfungshandlung dem Erlass der Erweiterung der Prüfungsanordnung vorausgeht, sofern die Prüfungsanordnung vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergänzt wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Prüfungsanordnung nicht den Hinweis enthält, dass die Außenprüfung bereits begonnen habe und nicht erst in Zukunft beginnen werde. Ausreichend ist, wenn dem Steuerpflichtigen die Erweiterung des Prüfungszeitraum bekannt ist. Dass für die Abgrenzung nicht auf den in der erweiterten Prüfungsanordnung angegebenen Beginn der Außenprüfung abzustellen ist, findet seine Bestätigung im Beschluss des BFH vom 29.06.2004 (X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510). In diesem bejaht der BFH die Voraussetzungen der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO, obwohl die Erweiterung der Prüfungsanordnung erst nach Vornahme der Prüfungshandlungen bei der Schlussbesprechung übergeben wurde und als Prüfungsbeginn den Tag der Übergabe benennt.
43b. In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die ergänzende Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 und die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 als Beginn der Außenprüfung für die Umsatzsteuer 2015 am 18.12.2020 zu beurteilen.
44Das Schreiben des Beklagten vom 18.12.2020 stellte eine Prüfungshandlung dar, die über eine bloße Vorbereitungshandlung hinausgeht. Es enthielt u.a. die Aufforderung zur Vorlage von Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronischen FiBu-Daten, einem Kontennachweis, Sachanlagenverzeichnis und Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten der Klägerin für das Jahr 2015 und hatte aufgrund dessen konkrete Ermittlungsmaßnahmen in Form der Vorlage von Urkunden zum Inhalt. Für die Klägerin war das Schreiben erkennbar darauf gerichtet, den für die Besteuerung der Klägerin im Veranlagungszeitraum 2015 wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und zu überprüfen. Sie musste damit rechnen, dass der Prüfer die angeforderten Unterlagen sichtet, auf die zutreffende steuerliche Behandlung der Sachverhalte überprüft und anhand der Eingangsrechnungen und der Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten die umsatzsteuerliche Behandlung der geleisteten Anzahlungen in 2015 überprüft. Es handelte sich um Unterlagen, die die konkreten Verhältnisse bei der Klägerin wiedergeben und anhand derer der Prüfer die später maßgeblichen Feststellungen auch getroffen hat. Für eine Prüfungshandlung ist hingegen nicht erforderlich, dass der Prüfer auf einen bestimmten Einzelsachverhalt bezogene Unterlagen anfordert oder Fragen stellt. Die Anforderung umfassender Unterlagen verwirklicht den Zweck der Betriebsprüfung, die steuerlichen Verhältnisse insgesamt zu prüfen. Der in der Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 genannte (voraussichtliche) Beginn der Prüfung am 21.12.2020 ist für die vorzunehmende Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Prüfungshandlung nicht maßgeblich.
45Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei der Tätigkeit des Prüfers im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 18.12.2020 um eine Scheinhandlung, die lediglich auf die Herbeiführung der Hemmungswirkung gerichtet war, handelte. Aus dem Aktenvermerk vom 14.12.2020 geht hervor, dass der Prüfer aufgrund der Feststellungen zu den Jahren 2016 bis 2018 die ernsthafte Absicht hatte, die zutreffende umsatzsteuerliche Behandlung der in 2015 geleisteten Anzahlungen zu überprüfen, was er nach Vorlage der Unterlagen auch tat.
46Die Erweiterung der Außenprüfung für die Umsatzsteuer auf das Jahr 2015 ordnete der Beklagte mit Schreiben vom 15.12.2020 an. Dem Beginn der erweiterten Außenprüfung am 18.12.2020 steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Erweiterung der Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 laut Kanzleistempel erst am 21.12.2020 erhalten hat. Durch die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen am 18.12.2020, die auf die Erweiterung der Betriebsprüfung um den Zeitraum 2015 vom 15.12.2020 Bezug nahm, war der Klägerin bei Bekanntgabe der Erweiterung der Prüfungsanordnung am 21.12.2021 bekannt, dass die Außenprüfung für 2015 bereits begonnen hatte. In Fällen, in denen die ergänzende Prüfungsanordnung der Prüfungshandlung nachfolgt, reicht die Kenntnis vom Beginn der Prüfung im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung aus (vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2004, X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510).
47Unerheblich ist schließlich, dass in der Erweiterung der Prüfungsanordnung als voraussichtlicher Prüfungsbeginn der 21.12.2020 genannt ist. Die Angabe des voraussichtlichen Prüfungsbeginns ist ein eigenständiger Verwaltungsakt (vgl. § 197 Abs. 1 S. 1 AO; Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Vorbemerkungen zu §§ 193–203, Rn. 231), der die Wirksamkeit der Erweiterung der Prüfungsanordnung nicht berührt.
48II.
49Der Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Höhe der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung keine Einwände erhoben. Aufgrund des Akteninhalts bestehen auch für den Senat keine Anhaltspunkte für eine unzutreffende Steuerfestsetzung.
50B.
51Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
52C.
53Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.
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