Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 1280/21 AO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger erzielte als Unternehmer der Umsatzsteuer unterliegende Umsätze. Das Amtsgericht A-Stadt (Amtsgericht) eröffnete mit Beschluss vom 17. Juli 2008 – 00 IN 00/08 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Der Insolvenzverwalter zeigte gegenüber dem Amtsgericht am 23. September 2008 drohende Masseunzulänglichkeit an.
3Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen des Klägers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort. Das beklagte Finanzamt sah die auf Grund dessen entstandene Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit an. Es setzte deshalb gegen den Insolvenzverwalter mit Bescheiden vom 18. November 2014 Umsatzsteuer für das Jahr 2008 von 3.146,65 € nebst 821 € Zinsen sowie für das Jahr 2009 61 € Umsatzsteuer fest. Für das Jahr 2008 setzte das beklagte Finanzamt mit Bescheid vom 16. Januar 2015 die Umsatzsteuer auf 3.944,97 € und die Zinsen auf 1.034 € neu fest, was zu einer Nachforderung von 798,32 € Umsatzsteuer und 213 € Zinsen führte. Ferner setzte es mit Bescheid vom 16. Januar 2015 für das Jahr 2010 450,20 € Umsatzsteuer und 82 € Zinsen fest, was zu einer Nachforderung von 514,52 € Umsatzsteuer und 82 € Zinsen führte.
4Das Amtsgericht erteilte dem Kläger antragsgemäß mit Beschluss vom 15. Juli 2016 Restschuldbefreiung und stellte das Insolvenzverfahren am 28. September 2016 nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein (§ 211 der Insolvenzordnung – InsO –).
5Das beklagte Finanzamt forderte den Kläger mit einer Vollstreckungsankündigung vom 12. August 2020 auf, die für die Jahre 2008 bis 2010 gegen den Insolvenzverwalter festgesetzte und noch rückständige Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen und Säumniszuschlägen von insgesamt 5.885,65 € zu entrichten. Der Kläger berief sich auf die ihm erteilte Restschuldbefreiung. Das beklagte Finanzamt wies ihn darauf hin, dass die Restschuldbefreiung nicht für die vom Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten wirken könne. Der Kläger machte alsdann mit Schreiben vom 8. September 2020 geltend, dass seine Haftung für durch die Handlungen des Insolvenzverwalters begründete Masseverbindlichkeiten nach § 80 Abs. 1 InsO beschränkt sei. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 2017 VII R 1/16 (BFHE 260, 26) habe ausschließlich Einkommensteuerschulden betroffen. Bei Einkommensteuerschulden fehle es an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters, so dass eine Nachhaftung des Schuldners auf Grund seiner Handlungen gerechtfertigt sein könne. Anderes müsse für Umsatzsteuerschulden gelten, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden seien. Insoweit gebe es einen eindeutigen zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters, der letztlich zur Entstehung der Umsatzsteuer geführt habe.
6Das beklagte Finanzamt pfändete die Ansprüche des Klägers aus seiner Geschäftsverbindung mit der ...Bank B-Stadt und ordnete die Einziehung an. Der Kläger kündigte daraufhin mit Schreiben vom 15. September 2020 an, dass er die vom beklagten Finanzamt geltend gemachten Abgabenrückstände zur Abwendung der Vollstreckung zahlen werde. Er werde den Betrag allerdings zurückfordern. Der Kläger entrichtete daraufhin am 23. September 2020 insgesamt 5.938,65 € an das beklagte Finanzamt hinsichtlich der für die Jahre 2008 bis 2010 festgesetzten und rückständigen Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen und Säumniszuschläge. Er forderte den von ihm entrichteten Betrag mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 zurück.
7Das beklagte Finanzamt stellte mit Abrechnungsbescheid vom 2. November 2020 fest, dass die für die Jahre 2008 bis 2010 festgesetzte Umsatzsteuer zuzüglich der Zinsen und Säumniszuschläge durch die Zahlung des Klägers vom 23. September 2020 erloschen sei. Eine „Auskehrung der vereinnahmten Beträge“ werde abgelehnt. Die Nachhaftung des Klägers für die vom Insolvenzverwalter begründeten Umsatzsteuerschulden, die Masseverbindlichkeiten seien, sei nicht beschränkt. Die dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung wirke nicht gegen Massegläubiger.
8Den hiergegen vom Kläger eingelegten Einspruch wies das beklagte Finanzamt mit Entscheidung vom 28. April 2021 als unbegründet zurück.
9Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Es sei zwar einzuräumen, dass die Restschuldbefreiung nur gegen die Insolvenzgläubiger wirke. Gleichwohl hafte er nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht mehr für die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Umsatzsteuerschulden. Die Umsatzsteuerschulden seien nicht vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von ihm selbst, sondern von dem Insolvenzverwalter begründet worden. Er selbst habe aus der Insolvenzmasse nichts erlangt. Da ein Insolvenzverwalter den Schuldner nicht über seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinaus verpflichten könne, müsse die Nachhaftung des Schuldners auf die Masse beschränkt sein. Der Insolvenzverwalter habe Einfluss auf die Entstehung und Höhe der Umsatzsteuer, weil er im Rahmen seiner Verfügungsmacht über jedes abzuschließende Geschäft entscheide.
10Der Kläger beantragt,
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1. den Abrechnungsbescheid vom 2. November 2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 2021 dergestalt zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch von 5.908,55 € ausgewiesen wird;
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2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
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1. die Klage abzuweisen;
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2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung trägt es vor: Eine Haftungsbeschränkung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden seien, gebe es nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die Klage ist unbegründet. Der Abrechnungsbescheid des beklagten Finanzamts vom 2. November 2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
21Über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung – AO –). Das gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO).
22Das beklagte Finanzamt hat mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid nicht nur über das Erlöschen der mit den Bescheiden vom 18. November 2014 und 16. Januar 2015 festgesetzten Umsatzsteuer und Zinsen sowie der zur Umsatzsteuer entstandenen Säumniszuschläge durch Zahlung (§ 47 AO) entschieden. Dass diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch die Zahlung des Klägers vom 23. September 2020 erloschen sind, kann zwischen den Beteiligten nicht streitig sein. Denn auch eine Zahlung des Steuerpflichtigen unter Vorbehalt zur Abwendung der Vollstreckung führt gemäß § 47 AO zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (BFH, Beschluss vom 14. Mai 1986 VII B 159/85, BFH/NV 1986, 681; Urteil vom 28. April 1992 VII R 33/91, BFHE 168, 206). Das beklagte Finanzamt hat mit dem Abrechnungsbescheid indes auch eine „Auskehrung der vereinnahmten Beträge“ abgelehnt und damit das Bestehen eines Erstattungsanspruchs des Klägers in Abrede gestellt. Daher hat das beklagte Finanzamt zulässigerweise (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO) über das Nichtbestehen eines vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruchs entschieden (vgl. BFH, Urteil vom 10. November 2015 VII R 35/13, BFHE 252, 201).
23Das beklagte Finanzamt hat zu Recht festgestellt, dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zusteht. Der Kläger hat nicht ohne rechtlichen Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO geleistet, weil er sich nicht mit Erfolg auf eine insolvenzrechtliche Haftungsbeschränkung berufen konnte.
24Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) oder mit dessen Einstellung (§ 211 InsO) endet grundsätzlich auch die Wirkung des § 80 Abs. 1 InsO, so dass der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerhält (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Daher durfte das beklagte Finanzamt den Kläger wieder auf Zahlung in Anspruch nehmen (§ 254 Abs. 1 Satz 3 AO).
25Schuldner der durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach der Eröffnung des Verfahrens begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist der Insolvenzschuldner. Die Haftung des Insolvenzschuldners ist während des Verfahrens jedoch auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkt (vgl. Bundesgerichtshof – BGH –, Teilurteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NJW 2010, 69). Hierbei handelt es sich um eine dem Verfahren immanente Haftungsbeschränkung. Ein Insolvenzverwalter ist daher nicht befugt, den Schuldner persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen zu verpflichten, weil seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist (BGH, Teilurteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NJW 2010, 69).
26Nach der Rechtsprechung des BFH kann aus § 80 Abs. 1 InsO allerdings keine Beschränkung der Haftung des Insolvenzschuldners in Bezug auf Einkommensteuerschulden für die Zeit nach der Beendigung eines Insolvenzverfahrens hergeleitet werden (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Der Steuerpflichtige ist als Subjekt der Einkommensteuer (§ 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) grundsätzlich zugleich auch Steuerschuldner. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert hieran nichts. Das öffentlich-rechtliche Steuerschuldverhältnis gegenüber dem Steuerpflichtigen bleibt bestehen (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Die Einkommensteuerschuld des Steuerpflichtigen entsteht kraft Gesetzes durch die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 38 AO) und nicht dadurch, dass der Insolvenzverwalter den insolventen Steuerpflichtigen auf Grund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO zur Zahlung der Steuer verpflichtet. Die Steuer knüpft lediglich mittelbar an die Handlungen des Insolvenzverwalters an, soweit diese zu Einkünften im Sinne der §§ 2 ff. EStG führen, die dem Steuerpflichtigen nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen zuzurechnen sind. Daher kann es hinsichtlich der Frage, mit welchem Vermögen der Steuerpflichtige nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für die noch bestehenden Steuerschulden einstehen muss, nicht auf die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters ankommen (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Darüber hinaus gibt es auch keine gesetzlichen Regelungen, nach denen die Steuerschuld auf das ehemals zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Steuerpflichtigen nach Abschluss des Insolvenzverfahrens beschränkt ist (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26).
27Nach Auffassung des Senats ist diese Rechtsprechung des BFH auf den Streitfall zu übertragen. Die Rechtsprechung des BFH wird überwiegend so verstanden, dass sie allgemein für Steuerschulden gilt, die durch Handlungen eines Insolvenzverwalters begründet wurden und als Masseverbindlichkeiten nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens von der Finanzbehörde geltend gemacht werden (vgl. Loose in Tipke/Kruse, 168. Lieferung, § 226 AO Randnr. 43d und § 251 AO Randnr. 101; Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Auflage, Randnr. 3358a; Kühnen/Seibel in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 129. Lieferung, § 251 AO Randnr. 39). Die Umsatzsteuer knüpft gleichfalls lediglich mittelbar an die Handlungen des Insolvenzverwalters an, soweit diese auf Lieferungen und Leistungen beruhen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b des Umsatzsteuergesetzes – UStG –), die dem Steuerpflichtigen gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG zuzurechnen sind. Daher kann es auch insoweit hinsichtlich der Frage, mit welchem Vermögen der Steuerpflichtige nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für die noch bestehenden Umsatzsteuerschulden einstehen muss, nicht auf die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters ankommen (vgl. BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26).
28Der Senat vermag keine entscheidungserheblichen Unterschiede zwischen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerschulden zu erkennen. Anders als der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, bezog sich das Urteil des BFH vom 28. November 2017 VII R 1/16 (BFHE 260, 26) nicht auf einen Sachverhalt, in dem der Steuerpflichtige selbst noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Abschluss von Verträgen den Rechtsgrund für das Entstehen der Einkommensteuer gesetzt hatte. Vielmehr ist in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt die Einkommensteuer auf Grund der Verwertung von Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter entstanden.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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Referenzen
- InsO § 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts 1x
- 1992 VII R 33/91 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 115 1x
- 2015 VII R 35/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2017 VII R 1/16 8x (nicht zugeordnet)
- § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG 1x (nicht zugeordnet)
- § 251 AO 2x (nicht zugeordnet)
- 2009 IX ZR 234/07 2x (nicht zugeordnet)
- § 47 AO 2x (nicht zugeordnet)
- § 254 Abs. 1 Satz 3 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 218 Abs. 2 Satz 2 AO 2x (nicht zugeordnet)
- FGO § 135 1x
- § 226 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 37 Abs. 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 1986 VII B 159/85 1x (nicht zugeordnet)
- § 37 Abs. 2 Satz 1 AO 1x (nicht zugeordnet)