Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 54/15
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft.
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Die Klägerin beantragte die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft für eine Ware mit der Handelsbezeichnung "A Multimediazentrum für Kraftfahrzeuge". Sie schlug eine Einreihung in die Warennummer 8528 5931 vor.
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Am 13.02.2014 erteilte der Beklagte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft, mit der die Ware in die Warennummer 8528 5970 90 eingereiht wurde. Zur Warenbeschreibung heißt es:
Multimediazentrum für Kraftfahrzeuge A
- aus einem GPS-Funknavigationsmodul, Radio-Tuner, Tonfrequenzverstärker und Bluetooth-Modul in einem Kfz-Einbaugehäuse mit einem berührungsempfindlichen 6,2 Zoll Display (Bildschirmdiagonale: 15,7 cm, Bedienelemente, DAB+ oder DVB-T Tuner-, Audio-, Video-, Rückfahrkamera- und Systemanschlüsse sowie USB-Anschluss für Massenspeicher,
- nicht zur Darstellung von Signalen von automatischen Datenverarbeitungsmaschinen,
- zur Anzeige von Bildern und Videos nach Anschluss einer Rückfahrkamera und anderen Videoquellen, zur Tonwiedergabe von USB-Speichermedien, zum Empfang von Rundfunksignalen im UKW/MW-Bereich und von Zusatzinformationen (RDS-Signale), zum Empfang der von Satelliten orts- und zeitgenau abgestrahlten Funksignalen für die Positionsbestimmung und Navigation sowie zum Senden und Empfangen von Funksignalen im Bluetooth-Standard für die Freisprechfunktion mit kompatiblen Mobiltelefonen in einem Kraftfahrzeug und Audiostreaming (A2DP) - ohne charakterbestimmendem Bestandteil -
- zusammen mit Beipack (Kabel, Montagematerial, Montageanleitung, Infrarot-Fernbedienung, Garantiekarte, Speicherkarte mit Software) in einer gemeinsamen Verkaufsumschließung.
Das Multimediazentrum für Kraftfahrzeuge bestimmt den Charakter des Ganzen.
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"Monitor, ohne eingebautes Fernsehempfangsgerät, mit Flüssigkristallanzeige, nicht von der ausschließlich oder hauptsächlich in einem automatischen Datenverarbeitungssystem der Position 8471 verwendeten Art, kein Flachbildschirm, der mit einem akzeptablen Funktionalitätsgrad Signale von automatischen Datenverarbeitungsmaschinen darstellen kann, Farb-Videomonitor mit anderen Geräten kombiniert - zusammengesetzte Ware aus Monitor, Tonwiedergabegerät, Freisprecheinrichtung, Funknavigationsgerät und Rundfunkempfangsgerät - ohne charakterbestimmendem Bestandteil, in Warenzusammenstellung mit nicht charakterbestimmendem Beipack"
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Am 25.03.2014 legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung beschrieb sie das Gerät und trug vor, es könne gegen ein im PKW eingebautes CD-Radio ausgetauscht werden. Es handele sich um eine Multifunktionsmaschine und müsse daher nach der Hauptfunktion als Funknavigationsempfangsgerät der Position 8526 zugewiesen werden. Dies ergebe sich auch aus der Handelsbezeichnung und dem Grund, weshalb Verbraucher das Gerät kaufen würden.
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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 03.03.2015 zurück. Es handele sich um ein Multimediazentrum für Kraftfahrzeuge, bestehend aus den in der verbindlichen Zolltarifauskunft beschriebenen Bestandteilen. Es könne nicht von einer Multifunktionsmaschine im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI ausgegangen werden, da es sich nicht um eine einzige Maschine handele, die mehrere Funktionen ausüben könne, sondern um mehrere einzelne Maschinen, die sich in einem gemeinsamen Gehäuse befänden. Daher handele es sich um eine zusammengesetzte Ware, die als Multimediazentrum aus einem Monitor (Position 8528), einem Tonwiedergabegerät (Position 8519), einem Funknavigationsgerät (Position 8526), einer Freisprecheinrichtung (Position 8517) und einem Rundfunkempfangsgerät (Position 8527) bestehe. Zusammengesetzte Waren seien gemäß der Allgemeinen Vorschrift 3 b) nach dem Bestandteil einzureihen, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleihe. Abzustellen sei auf die Bedeutung der Komponenten im Hinblick auf den Verwendungszweck der Ware. Da die Bedeutung der Komponenten gleich sei, sei nach der Allgemeinen Vorschrift 3 c) in die numerisch zuletzt genannte Position einzureihen. Dies sei die Position 8528 für den Monitor. Etwaige Kaufmotive seien keine für die Einreihung maßgeblichen objektiven Beschaffenheitsmerkmale. Zwar könne auch der Wert der Navigationsfunktion berücksichtigt werden, entscheidend sei jedoch die Bedeutung in Bezug auf die Verwendung. Der Nutzer könne aus den verschiedenen gleichrangigen Funktionen frei wählen. Dies bestätige sich auch durch die VO Nr. 698/2012. Innerhalb der Position 8528 scheide die Unterposition 8528 5100 wegen des fehlenden charakteristischen EDV-Anschlusses aus. Ebenfalls ausgeschlossen sei daher die Unterposition 8528 5920. Es verbleibe die Unterposition 8528 5970 und darin wegen der Kombinierbarkeit mit anderen Geräten der Tarik-Code 8528 5970 10 [Berichtigungsbeschluss vom 21.07.2015: statt "Tarik-code 8528 5970 10" heißt es "Tarik-code 8528 5970 90"].
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Mit ihrer am 23.03.2015 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholt die Einspruchsbegründung, beschreibt die Ware ausführlich und betont, es handele sich um eine Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b), der der A ihren wesentlichen Charakter verleihe. Anwendung finde die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI. Die Ware könne verschiedene Tätigkeiten ausführen, nämlich Navigation, Freisprechen, Audio-/Video-Wiedergabe und UKW-Radio. Sie beruft sich auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in den verbundenen Rechtssachen C-288/09 und C-289/09 sowie auf die Urteile in den Sachen C-193/10, C-362/07 und C-363/07. In all diesen Fällen sei die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI zur Anwendung gekommen. Demgegenüber sei die Allgemeine Vorschrift 3 b) nicht anwendbar, da diese gemäß der Allgemeinen Vorschrift 1 hinter die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI zurücktrete. Letztlich komme es in jedem Fall auf die Hauptfunktion des Gerätes an. Dies sei der Navigationsempfang, wie bereits in der Bezeichnung der Ware zum Ausdruck komme. Alle anderen Funktionen - Freisprechfunktion, Radio, Audio- und Videofunktion - seien nette Beigaben. Beim Vergleich der Funktionen müsse auf die Augen des Verbrauchers abgestellt werden. Kein Verbraucher würde sich, wenn er in seinem Pkw einen Bildschirm benötige, Radio hören oder Videos anschauen wolle, einen Navireceiver für mindestens 700 € kaufen. Das Gerät werde auch als Navigationsempfänger beworben. Ohne den Navigationsempfang würde die Ware ihre charakteristische Eigenschaft als Navireceiver verlieren, ohne das Radio oder den Videoanschluss wäre dies nicht der Fall. Der wertmäßige Anteil des Navi CPU Boards betrage 48 %. Rechne man noch den Monitor und das Gehäuse hinzu, komme man auf 73 %. Eine britische verbindliche Zolltarifauskunft habe eine vergleichbare Ware (allerdings ohne Touchscreen) der Position 8526 zugewiesen. Auch der Beklagte habe in den Jahren 2011 und 2012 Funknavigationsgeräte unter die Position 8526 eingereiht.
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Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskunft vom 13.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2015 zu verpflichten, das Funknavigationsempfangsgerät in die Warennummer 8526 9120 einzureihen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und betont, das Multimediazentrum stelle zusammen mit dem Kabel, dem Montagematerial, der Montageanleitung, einer Infrarot-Fernbedienung und einer Garantiekarte in einer gemeinsamen Verkaufsumschließung eine Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b) dar, innerhalb derer das Multimediazentrum charakterbestimmend sei. Das Multimediazentrum bestehe aus Bestandteilen, die jeweils für sich vom Wortlaut einzelner Positionen erfasst werde: Monitor (Position 8528), Videowiedergabegerät (Position 8521), Tonwiedergabegerät (Position 8519), Funknavigationsgerät (8526), Rundfunkempfangsgerät (Position 8527) und Telekommunikationsapparat in Form einer Funk-Freisprecheinrichtung (Position 8517). Insofern handele sich um eine zusammengesetzte Ware ohne charakterbestimmenden Bestandteil. Diese Einreihung entspreche der Auffassung der Kommission (VO Nr. 698/2012, geändert durch VO Nr. 459/2014). Daraus folge eine Einreihung nach der Allgemeinen Vorschrift 3 c) in die Position 8528 als Monitor. Es handele sich nicht um eine Multifunktionsmaschine im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI. Multifunktionsmaschinen seien dazu bestimmt, zwei oder mehrere verschiedene, sich abwechselnd oder ergänzende Tätigkeiten (Funktionen) auszuüben. Dabei müsse es sich, wie das Beispiel unter Rz. 57.0 der Erläuterungen zur Abschnitt XVI zeige, um eine Maschine im zolltariflichen Sinne (Anmerkung 5 zu Abschnitt XVI) handeln, die mehrere Funktionen ausüben könne. Bei der streitbefangenen Ware handelt es sich jedoch um mehrere einzelne Maschinen, die sich in einem gemeinsamen Gehäuse befänden. Es handele sich auch nicht um eine kombinierte Maschine im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI, da nicht alle Maschinen zusammen arbeiteten. Da eine Anwendung der Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI ausscheide, verbleibe die Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b). Ein charakterbestimmender Bestandteil sei nicht festzustellen. Abzustellen sei auf die objektiven Beschaffenheitsmerkmale und nicht auf subjektive Kaufentscheidungen. Objektiv könne festgestellt werden, dass das Gerät in Kraftfahrzeuge eingebaut werde und dort verschiedene Zwecke - etwa die Navigation, das Hören von Radiosendung, die Wiedergabe von Musikdateien aus unterschiedlichen Quellen, das Rückwärtsfahren mit Bildunterstützung, das Betrachten von Videos und das drahtlose Telefonieren im Fahrzeug - erfüllen solle. Diese Funktionen seien gleichrangig und würden abhängig von den persönlichen Ansprüchen des Fahrzeugführers genutzt. Auf das Auge des Verbrauchers sei es im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-288/09 nur angekommen, weil es sich um ein Gerät gehandelt habe, das ausschließlich im Zusammenhang mit einem Abonnement für den Verbraucher nutzbar gewesen sei, um Zugang zu den angebotenen Fernsehprogrammen zu erhalten. Anders als dies beim Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache T- 243/01 der Fall gewesen sei, werde im Prospekt zur streitgegenständlichen Ware auf alle Funktionen hingewiesen, ohne eine in den Vordergrund zu stellen.
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Im Erörterungstermin vom 10.07.2015 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
I.
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Die verbindliche Zolltarifauskunft vom 13.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft, mit der die streitgegenständliche Ware in die Unterposition 8526 9120 eingereiht wird, § 101 Abs. 1 S. 1 FGO.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesfinanzhofs (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 20.06.1996, C-121/95; BFH, Urteile vom 18.12.2001, VII R 78/00, vom 09.10.2001, VII R 69/00, vom 14.11.2000, VII R 83/99, vom 05.10.1999, VII R 42/98 und vom 23.07.1998, VII R 36/97) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.12.1997, C-143/96, und vom 19.05.1994, C-11/93). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. BFH, Urteile vom 14.11.2000, VII R 83/99 und vom 05.10.1999, VII R 42/98; Beschluss vom 24.10.2002, VII B 17/02).
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Die objektiven Merkmale und Eigenschaften der von der Klägerin eingeführten Ware sprechen nach Überzeugung des Gerichts für eine Einreihung in die Unterposition 8528 5970. Dies ergibt sich aus Folgendem:
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Die von der Klägerin für richtig gehaltene Unterposition 8526 9120 beschreibt Funknavigationsempfangsgeräte. Die Warennummer 8528 5970 90 0, von der der Beklagte ausgeht, beschreibt andere Monitore. Unstreitig handelt es sich um ein Multimediazentrum, das im Austausch gegen ein vorhandenes Gerät (Radio oder vergleichbar) in ein Kraftfahrzeug eingebaut werden kann. Dort hat es - zum Teil abhängig von der sonstigen Ausstattung des Fahrzeugs - verschiedene Funktionen, wie etwa Navigation, Radioempfang, Wiedergabe von Audio- oder Videodateien (z. B. von einer Rückfahrkamera oder von verschiedenen Datenträgern) und Freisprecheinrichtung insbesondere für Handys. Übereinstimmend gehen die Beteiligten davon aus, dass es sich insoweit um eine Warenzusammenstellung bzw. um eine Ware mit mehreren Tätigkeiten bzw. Funktionen handelt.
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In systematischer Hinsicht sind nach der Allgemeinen Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 1 für die Einreihung der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist - die AV 2 bis 6 maßgebend. Ob die Einreihung der streitgegenständlichen Waren nach der - grundsätzlich vorrangigen - Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI oder nach der AV 3 b) zu erfolgen hat, kann offenbleiben. Sowohl die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI als auch die AV 3 b) geben vor, dass, wenn eine Ware verschiedene Tätigkeiten (Funktionen) ausführt bzw. aus mehreren Stoffen oder Bestandteilen besteht, nach der kennzeichnenden Haupttätigkeit bzw. dem charakterbestimmenden Stoff oder Bestandteil eingereiht wird und dass, wenn eine derartige Bestimmung nicht möglich ist, die AV 3 c) zur Anwendung kommt.
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So liegt es hier. Die streitgegenständliche Ware verfügt über zahlreiche Funktionen, die sich aus der verbindlichen Zolltarifauskunft ergeben und die auch von den Beteiligten im Wesentlichen übereinstimmend dargestellt werden. Eine Hauptfunktion bzw. ein charakterbestimmender Bestandteil (vgl. zur Auslegung dieses Begriffs die Erläuterungen zum Harmonisierten System AV 3 Rn. 19.1) lässt sich nicht feststellen. Die Funktionen des Gerätes stehen mit Blick auf dessen objektive Beschaffenheit gleichwertig nebeneinander und decken die Funktionen ab, deren Vorhandensein heutzutage in einem PKW erwartet wird und die in neuen PKW jedenfalls ab einer bestimmten Klasse bzw. einem bestimmten Ausstattungsniveau gängig sind. Dass dabei die Navigationsfunktion etwa gegenüber dem Radioempfang und der Möglichkeit, Audiodateien von unterschiedlichen Datenträgern wie etwa Smartphones abzuspielen, als Haupttätigkeit angesehen werden können soll, kann das Gericht nicht nachvollziehen. Dies gilt insbesondere auch, wenn man - worauf die Klägerin wiederholt hinweist - auf "die Augen des Verbrauchers" abstellt. Es handelt sich um ein Gerät, das im Austausch gegen ein vorhandenes Autoradio verbaut wird, dessen Funktionen übernehmen und um weitere Funktionen ergänzen soll. Lebensnah kann davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Verbraucher das streitgegenständliche Gerät nicht kauft, um auf das Autoradio zu verzichten, sondern um ergänzende Funktionen zu erhalten. Er möchte gerade nicht nur ein Navigationsgerät kaufen, sondern ein Gerät, das all das abbildet, was das streitgegenständliche Gerät leistet. Andernfalls könnte er auch ein mobiles Navigationsgerät nutzen und auf diese Weise sehr viel Geld sparen. Darauf, wie die Klägerin das Gerät bezeichnet oder gar wie sie es bewirbt, kann es nicht ankommen. Einreihungsentscheidend ist die objektive Beschaffenheit und nicht die Handelsbezeichnung des Gerätes oder die Werbung für dieses. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass in dem als Anlage K 9 eingereichten Prospekt der Klägerin, auf dessen Seite 10 das Gerät beschrieben ist, besonders auf die unterschiedlichen Funktionen hingewiesen wird. So heißt es, es handele sich um ein Rundum-Komfortgerät, das verschiedene Fahrzeugfunktionen unterstütze. Besonders betont wird, dass das Gerät für "Ihre Unterhaltung" entwickelt worden sei und dass sich "Ihre Mediathek im Auto sehr bequem verwalten lasse". Zudem wird auf die Weiterentwicklung des UKW-Tuners und den klaren Senderempfang hingewiesen. Dass es sich bei den neben der Navigation vorhandenen Funktionen lediglich um, wie die Klägerin formuliert, "nettes Beiwerk" handeln soll, überrascht vor dem Hintergrund dieses Verkaufsprospekts.
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Ein charakterbestimmender Bestandteil lässt sich auch nicht aus dem Wert der für die Navigation erforderlichen Bestandteile der Ware ermitteln. Es mag sein, dass, wie die Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 20.03.2015 ausgeführt hat, das Navi CPU Board mit 48 % des Gesamtwerts zu Buche schlägt. Den Monitor und das Gehäuse darf man indes wertmäßig nicht berücksichtigen, da beides für die anderen Funktionen des Geräts ebenfalls zwingend erforderlich ist. Der materielle Wert der ausschließlich für die Navigation erforderlichen Bauteile überwiegt mithin nicht in einer Weise, dies es sachgerecht erschienen ließe, ihn anstelle der Beschaffenheit der Ware im Hinblick auf die verschiedenen Funktionen als Abgrenzungskriterium in den Vordergrund zu stellen.
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Nach der daher anzuwendenden AV 3 c) wird die Ware dann der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen. Dies ist die Position 8528. Das Multimediazentrum besteht aus Bestandteilen, die jeweils für sich vom Wortlaut einzelner Positionen erfasst werden: Monitor (Position 8528), Videowiedergabegerät (Position 8521), Tonwiedergabegerät (Position 8519), Funknavigationsgerät (8526), Rundfunkempfangsgerät (Position 8527) und Telekommunikationsapparat in Form einer Funk-Freisprecheinrichtung (Position 8517). Innerhalb der zuletzt genannten Position 8528 scheidet die Unterposition 8528 5100 wegen des fehlenden charakteristischen EDV-Anschlusses aus. Ebenfalls ausgeschlossen ist daher die Unterposition 8528 5920. Es verbleibt die Unterposition 8528 5970 und darin wegen der Kombinierbarkeit mit anderen Geräten der Tarik-Code 8528 5970 10 [Berichtigungsbeschluss vom 21.07.2015: statt "Tarik-code 8528 5970 10" heißt es "Tarik-code 8528 5970 90"].
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Die hier vertretene Auffassung entspricht auch der der Kommission. Dies ergibt sich aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 698/2012 der Kommission vom 25.07.2012 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 459/2014 der Kommission vom 29.04.2014 zur Änderung bestimmter Verordnungen zur Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur (VO Nr. 459/2014). In Anhang IV der VO Nr. 459/2014 ist unter 3. ein Multifunktionsgerät beschrieben, in dem u. a. ein Rundfunkempfangsgerät, ein Ton- und Videowiedergabegerät, ein Funknavigationsgerät und ein Farbmonitor mit Flüssigkristallanzeige kombiniert sind. Dieses, mit dem streitgegenständlichen Gerät - soweit für die Einreihung erheblich - vergleichbare Gerät, weshalb die VO Nr. 459/2014 jedenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden kann, wird in Anwendung der AV 3 c in die Unterposition 8528 5970 eingereiht. Zur Begründung heißt es, keine der Funktionen verleihe dem Gerät angesichts seines Designs und seiner Konzeption sein wesentliches Beschaffenheitsmerkmal. Nichts anderes kann im Streitfall gelten.
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Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass der Gerichtshof der Europäischen Union etwa in seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-288/09 und C-289/09 im Zusammenhang mit der Einreihung von Satellitenfernsehempfängern ("Sky+"-STB) auf den Verwendungszweck abgestellt hat, der ein objektives Tarifierungskriterium sein könne, sofern er der Ware innewohne, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lasse. Dabei müsse berücksichtigt werden, was in den Augen des Verbrauchers die Haupt- oder die Zusatzfunktion ausmache. Dies bestätigt indes nur die im Streitfall vertretene Rechtserfassung des Gerichts, weil das Auge des Verbrauchers - wie bereits dargelegt - gerade nicht die Navigation als Hauptfunktion in den Blick nimmt. Auch die weiteren von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union führen nicht zu einer anderen Betrachtung, da sie Waren zum Gegenstand hatten, bei denen sich eine diese Geräte kennzeichnende Hauptfunktion feststellen ließ (C-193/10) bzw. bei denen für den Fall der gleichrangigen Bedeutung mehrerer Funktionen ebenfalls der Weg zur AV 3 c) aufgezeigt wurde (C-362/07 und C-363/07).
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Inwieweit die britische Zollverwaltung die nämliche bzw. eine vergleichbare Ware in die Position 8526 eingereiht hat, kann offenbleiben. Auf eine derartige verbindliche Zolltarifauskunft könnte sich die Klägerin jedenfalls nicht stützen. Bindungswirkung entfaltet eine verbindliche Zolltarifauskunft nur gegenüber dem Berechtigten. Dritte - hier die Klägerin - können nicht verlangen, dass die für die Einreihung ihrer Ware zuständige Zollstelle - hier der für die Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskunft zuständige Beklagte - die in einer verbindlichen Zolltarifauskunft zum Ausdruck kommende Einreihungsauffassung übernimmt (Schulmeister in Witte, Art. 12 Zollkodex, Rn. 19); der Beklagte - und erst recht das erkennende Gericht - ist an die verbindliche Zolltarifauskunft nicht gebunden (vgl. BFH, Beschluss vom 10.03.2011, VII B 133/10). Die gebotene einheitliche Auslegung der streitigen Zolltariffragen kann durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union bzw. durch Maßnahmen der Europäischen Kommission erfolgen. Das Gericht hält die Entscheidung des Streitfalls indes für zweifelsfrei, so dass kein Anlass für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Gründe des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
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Referenzen
- FGO § 90 1x
- FGO § 101 1x
- FGO § 135 1x
- FGO § 115 1x
- VII R 78/00 1x (nicht zugeordnet)
- VII R 69/00 1x (nicht zugeordnet)
- VII R 83/99 2x (nicht zugeordnet)
- VII R 42/98 2x (nicht zugeordnet)
- VII R 36/97 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 17/02 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 133/10 1x (nicht zugeordnet)