Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 88/16

Tatbestand

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I. Der Antragsteller begehrt die Fortsetzung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens.

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Am 31.08.2015 beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einfuhrabgabenbescheides Nr. XXX vom 16.11.2011, mit dem der Antragsgegner gegen ihn Abgaben in Höhe von insgesamt 3.287.764,10 € festgesetzt hatte.

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Am 02.02.2016 informierte der Berichterstatter den Antragsteller-Vertreter telefonisch darüber, dass der Antrag bereits unzulässig sei, weil die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 S. 1 FGO nicht erfüllt sei. Ferner wies er darauf hin, dass über den Prozesskostenhilfeantrag in der Hauptsache (4 K 123/15) bald entschieden werden würde. Vor diesem Hintergrund regte er an, den AdV-Antrag aus Kostengründen zurückzunehmen. Den Inhalt dieses Telefonats hielt er in einem Schreiben an den Antragsteller-Vertreter vom 02.02.2016 (Bl. 74 der Akte 4 V 124/15) fest.

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Daraufhin nahm der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.02.2016 den AdV-Antrag zurück. Er verwies hierbei auf das Schreiben des Berichterstatters vom 02.02.2016. Weiter führte er aus, dass die Eilentscheidung "im Rahmen des von [dem Antragsteller] geltend gemachten Halbstrafenverfahrens und des nachfolgenden Gnadenverfahrens wegen Zeitablaufes nicht mehr von Bedeutung" sei. Der Berichterstatter stellte das Verfahren mit Beschluss vom 04.02.2016 ein.

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Mit Schriftsatz vom 10.03.2016 hat der Antragsteller die Rücknahme des AdV-Antrags wegen arglistiger Täuschung angefochten; auf den Inhalt des Schriftsatzes wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Anfechtung der Rücknahme des AdV-Antrags ist als Antrag auf Fortführung des AdV-Verfahrens zu verstehen. Entsteht nämlich - wie hier - nach Ergehen eines Einstellungsbeschlusses Streit darüber, ob ein vorläufiger Rechtsschutzantrag wirksam zurückgenommen worden ist, kann der Antragsteller die Fortsetzung des Verfahrens beantragen. Das Gericht hat dann das Verfahren fortzusetzen und durch Beschluss über die Wirksamkeit der Rücknahme und gegebenenfalls über die Sache selbst zu entscheiden (vgl. BFH, Beschluss vom 13.01.2010, IX B 109/09, BFH/NV 2010, 917; Beschluss vom 23.12.2005, VIII B 61/05, BFH/NV 2006, 788).

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Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg. Denn der Antragsteller hat den AdV-Antrag mit Schriftsatz vom 03.02.2016 wirksam zurückgenommen.

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Die Rücknahme eines vorläufigen Rechtsschutzantrags ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht - etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Anfechtung von Willenserklärungen - angefochten werden (vgl. nur BFH, Beschluss vom 12.08.2009, X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1997 m. w. N.). Die Finanzgerichtsordnung geht aber gleichwohl in § 72 Abs. 2 S. 3 FGO davon aus, dass in einem gerichtlichen Verfahren die Unwirksamkeit der Klagerücknahme - bzw. entsprechend die Unwirksamkeit der Rücknahme eines vorläufigen Rechtsschutzantrags - geltend gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund nimmt die Rechtsprechung an, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit offen halten wollte, insbesondere in Fällen, in denen ein rechtsunkundiger Kläger in unzulässiger Weise - etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder unbewusste Irreführung - zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden ist, die Unwirksamkeit einer Klagrücknahme - bzw. einer Antragsrücknahme - anzunehmen (vgl. BFH, Beschluss vom 12.08.2009, X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009/1997; Urteil vom 06.07.2005, XI R 15/04, BFH/NV 2005, 1943). Diese Regeln sind grundsätzlich auch auf Fallgestaltungen anwendbar, in denen die Rücknahme der Klage bzw. des Antrags nicht von einem rechtsunkundigen Kläger bzw. Antragsteller, sondern von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten erklärt worden ist. Denn auch bei einem Angehörigen der steuer- und rechtsberatenden Berufe ist eine unzulässige Beeinflussung durch das Gericht, die eine Unwirksamkeit der Klage- bzw. Antragsrücknahme zur Folge haben kann, denkbar, bleibt aber auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BFH, Urteil vom 06.07.2005, XI R 15/04, BFH/NV 2005, 1943). Ein solcher Ausnahmefall ist im Streitfall ersichtlich nicht gegeben:

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Der Berichterstatter hat die Gründe für die Anregung zur Klagrücknahme im Schreiben vom 02.02.2016 ausführlich und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt. Die Rücknahme des Antrags erfolgte ausdrücklich in Kenntnis dieses Schreibens. In dem Schriftsatz, mit dem die Rücknahme des Antrags erklärt wurde, hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers auch die maßgeblichen weiteren Gründe dargelegt, warum die Fortführung des Eilverfahrens für den Antragsteller keinen Sinn mehr ergab.

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Der Vorhalt des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, die Anregung zur Rücknahme des Antrags habe im "bekannten Durchverurteilungsinteresse" des Senats gelegen (Schriftsatz vom 10.03.2016), entbehrt jeder Grundlage. Der Berichterstatter hat die Rücknahme des Antrags ausschließlich unter Hinweis auf die Unzulässigkeit des Antrags im Hinblick auf die Vorschrift des § 69 Abs. 4 FGO angeregt. Dieser rechtliche Hinweis des Berichterstatters war zutreffend, was der Prozessbevollmächtigte verkennt. Dass der Senat bei einem mit Blick auf die Vorschrift des § 69 Abs. 4 FGO unzulässigen Antrag gegen den ablehnenden Beschluss die Beschwerde zugelassen hätte, ist ebenso fernliegend. Angesichts dessen geht auch der weitere Vorhalt des Prozessbevollmächtigten, die Rücknahme des Antrags habe zu einem "Verlust des Rechtsbehelfs im AdV-Verfahren" geführt (Schriftsatz vom 11.3.2016), völlig ins Leere.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 FGO).

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