Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 110/15

Tatbestand

1

Streitig sind Steuerbescheide, die zum Teil auf Schätzungen gewerblicher Einkünfte beruhen, die die Klägerin in den Streitjahren 2007 bis 2011 aus der Eigenprostitution in sog. Laufhäusern erzielte.

2

Im Zuge von Ermittlungen des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen -Steuerfahndungsstelle- im Jahr 2013 wurde festgestellt, dass die Klägerin seit 2007 in den Laufhäusern A und B eine selbständige Tätigkeit als Prostituierte ausgeübt und im Verlaufe des Jahres 2011 eine nichtselbständige Arbeit aufgenommen hatte. Aufgrund dieser Erkenntnisse erließ der Beklagte unter dem 15. Mai 2013 Schätzungsbescheide für die bis dahin steuerlich nicht geführte Klägerin über Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer der Streitjahre. Dabei legte der Beklagte -u. a. unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats - folgende Parameter zugrunde:

3

2007 

2008 

2009 

2010 

2011 

Betriebseinnahmen 

geschätzte Anzahl Arbeitstage pro Monat

20

20

20

20

20

geschätzte Anzahl Arbeitsmonate pro Jahr

 11

 11

 11

 11

 11

Anzahl Arbeitstage pro Veranlagungszeitraum

220

220

220

220

220

geschätzte Anzahl Kunden pro Arbeitstag

3

3

3

3

3

geschätzte Einnahme pro Kunde

160 €

160 €

160 €

160 €

160 €

Summe der Einnahme pro Arbeitstag

480 €

480 €

480 €

480 €

480 €

geschätzte Betriebseinnahmen pro Jahr

   105.600 €

   105.600 €

   105.600 €

   105.600 €

   105.600 €

Betriebsausgaben

geschätzte Zimmermiete (120 € / Tag)

26.400 €

26.400 €

26.400 €

26.400 €

26.400 €

geschätzte sonst. betriebl. Kosten (pauschal)

 5.000 €

 5.000 €

 5.000 €

 5.000 €

 5.000 €

geschätzte Betriebsausgaben pro Jahr

31.400 €

31.400 €

31.400 €

31.400 €

31.400 €

Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG)

74.200 €

74.200 €

74.200 €

74.200 €

74.200 €

4

Umsatzsteuerberechnung 

 2007

 2008

 2009

 2010

 2011

 Summe

Steuersatz in %

19

 19

 19

 19

 19

(Netto-)Umsatz vor Prüfung

0 €

0 €

 0 €

 0 €

  0 €

(Netto-)Umsatz nach Prüfung

88.739 €

 88.739 €

 88.739 €

 88.739 €

88.739 €

Vorsteuer (entfällt mangels Nachweis)

      0 €

       0 €

       0 €

      0 €

      0 €

Umsatzsteuer nach Prüfung

16.861 €

16.861 €

16.861 €

 16.861 €

 16.861 €

84.303 €

5

Hiergegen richtet sich der Einspruch vom 6. Juni 2013, mit dem die Klägerin vornehmlich die Höhe der Schätzung beanstandete. In den Jahren 2007 und 2008 habe sie nur an den Wochenenden gearbeitet, mithin ergäben sich nur 11 Tage in jeweils 10 Monaten. Die zugrunde gelegte Anzahl von drei Kunden pro Tag sei zu hoch; völlig überhöht sei jedoch der Ansatz von 160 € pro Kunde. Demgegenüber sei der berücksichtigte Zimmerpreis von 120 € pro Tag zu niedrig, richtig seien 140 €. Auf dieser Basis ergäben sich in den Streitjahren 2007 und 2008 Einkünfte aus Gewebebetrieb in Höhe von 6.000 € und in 2009, 2010 und 2011 von jeweils 17.000 €. Am 3. September 2013 übersandte die Klägerin Gewinnermittlungen sowie Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2007 bis 2010, sowie am 9. Oktober 2013 die Umsatzsteuererklärung für 2011. Damit erklärt sie einen Gewerbeertrag von

6

  4.999 €

in 2007

10.110 €

in 2008

19.800 €

in 2009

13.780 €

in 2010

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 22. April 2015 half der Beklagte dem Einspruch zum Teil ab und setzte die Steuer niedriger fest. Dabei hielt er an der Berechtigung zur Schätzung fest, weil die Klägerin keine Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben vorgelegt habe und ging nunmehr von folgenden Grundannahmen aus:

8

2007 

2008 

2009 

2010 

2011 

Betriebseinnahmen 

geschätzte Anzahl Arbeitstage pro Monat

11

11

20

20

20

geschätzte Anzahl Arbeitsmonate pro Jahr

       10

       10

        11

       11

       10

Anzahl Arbeitstage pro Veranlagungszeitraum

110 

110 

220 

220 

200 

geschätzte Anzahl Kunden pro Arbeitstag

geschätzte Einnahme pro Kunde

130 € 

130 € 

160 € 

160 € 

160 € 

Summe der Einnahmen pro Arbeitstag

650 € 

650 € 

480 € 

480 € 

480 € 

geschätzte Betriebseinnahmen pro Jahr

 71.500 €

71.500 €

105.600 €

105.600 €

96.000 €

Betriebsausgaben 

Zimmermiete pro Tag

120 €

120 €

140 €

140 €

140 €

Zimmermiete pro Jahr

13.200 €

13.200 €

30.800 €

30.800 €

28.000 €

geschätzte sonst. betriebl. Kosten (pauschal)

  5.000 €

  5.000 €

  5.000 €

  5.000 €

  5.000 €

geschätzte Betriebsausgaben pro Jahr

18.200 €

18.200 €

35.800 €

35.800 €

33.000 €

Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG)

53.300 €

53.300 €

69.800 €

69.800 €

63.000 €

Umsatzsteuerberechnung

Steuersatz in %

19

 19 

 19 

19 

19 

(Netto-)Umsatz

60.084 €

60.084 €

88.739 €

88.739 €

80.672 €

Vorsteuer (entfällt mangels Nachweis)

  0 €

 0 €

 0 € 

 0 € 

0 € 

Festzusetzende Umsatzsteuer

11.416 €

11.416 €

16.861 €

16.861 €

 15.328 €

9

Am 26. Mai 2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hält auch die geänderte Schätzung für überhöht. In 2007 und 2008 habe sie nur an den Wochenenden gearbeitet. Drei Gäste pro Tag seien zu hoch angesetzt, ebenso wie der Umsatz von 160 € pro Kunde. Unberücksichtigt bleibe, dass eine Konkurrenzsituation mit sog. Flatrates-Betrieben wie C oder D bestanden habe, die die Preise beeinflusst habe. Eine sexuelle Dienstleistung könne schon für 30 € bis 50 € erbracht werden (Beweis: Zeugnis E und F). Der Beklagte berufe sich insoweit undifferenziert auf pauschale Angaben eines Milieubeamten. Die Tagesmiete habe ausweislich einer Bestätigung des damaligen Geschäftsführers der Laufhauses in den Jahren 2007 bis 2010 tatsächlich 140 € betragen (eidesstattliche Versicherung des G).

10

Anders als in den von dem Beklagten herangezogenen Streitfällen habe sie, die Klägerin, ein Kassenbuch geführt und Quittungen über ihre Mietzahlungen vorgelegt. Die Kassenbuchaufzeichnungen und die Mietbelege seien auch nicht erst im Klageverfahren übersandt worden, sondern bereits mit den Gewinnermittlungen verschickt worden. Den Zugang der Unterlagen räume der Beklagte in der Einspruchsentscheidung (...) selbst ein. Entgegen der Unterstellung des Beklagten handele es sich bei dem Kassenbuch auch nicht um ein nachträglich erstelltes Phantasieprodukt, sondern um eine zeitnahe Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle. Es beruhe auf Notizen über die Anzahl der Freier im Handy, die jeweils am Monatsende übertragen worden seien.

11

In umsatzsteuerlicher Hinsicht beruft sich die Klägerin auf die Kleinunternehmerregelung.

12

Die Klägerin beantragt,
die Bescheide für 2007 bis 2011 über Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag, jeweils vom 15. Mai 2013, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. April 2015 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Gewinn aus Gewerbebetrieb wie erklärt zugrunde gelegt wird, sowie die Bescheide für 2007 bis 2011 über Umsatzsteuer, jeweils vom 15. Mai 2013, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. April 2015 aufzuheben.

13

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

14

Die Voraussetzungen für eine Schätzung seien gegeben. Die Kopien des Kassenbuches seien erst während des Klageverfahrens eingereicht worden und erfüllten auch nicht die Anforderungen an ordnungsgemäß zu führende Aufzeichnungen im Sinne von §§ 140 ff. der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 22 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und könnten der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Es sei zudem zweifelhaft, ob es sich überhaupt um die zeitnahe Aufzeichnung von Geschäftsvorfällen handele, wahrscheinlicher sei, dass es ein nachträglich verfasstes Phantasieprodukt sei, das keinerlei Beleg für die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Streitzeitraum erbringe. Dafür spreche auch die Vorlage erst im Klageverfahren, nachdem in der Einspruchsentscheidung die Berechtigung zur Schätzung im Wesentlichen auf das Fehlen eines Kassenbuchs gestützt worden war.

15

Die Schätzung sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Er, der Beklagte, habe die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten genutzt und die Einwendungen der Klägerin soweit sie plausibel gewesen seien, beachtet, um ein möglichst individuelles Schätzungsergebnis zu erhalten.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschriften über den Erörterungstermin vom 11. November 2015 sowie die Senatssitzung vom 16. November 2016 Bezug genommen.

...

Entscheidungsgründe

I.

17

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

18

Die angegriffenen Steuerbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte war befugt zu schätzen (dazu 1.), die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden (dazu 2.).

19

1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sind Besteuerungsgrundlagen durch das Gericht - wie durch die Finanzbehörde - zu schätzen, soweit es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies ist dann der Fall, wenn die Buchführung den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO nicht entspricht oder im Einzelfall ein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit anzuzweifeln.

20

a) Die Klägerin hat in den Streitjahren -unstreitig- gewerbliche Einkünfte erzielt und ihren Gewinn entsprechend den während des Einspruchs- und -betreffend den Veranlagungszeitraum 2011- während des Klageverfahrens eingereichten Gewinnermittlungen durch Einnahme-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Die Klägerin war im Rahmen dieser von ihr zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG vorgenommenen Gewinnermittlung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen verpflichtet. Die Pflicht zur Einzelaufzeichnung ergibt sich für Unternehmen aus § 22 UStG i. V. m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen "nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen" i. S. des § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das Einkommensteuergesetz (Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) - Urteil vom 2. März 1982 VIII R 225/80, BStBl II 1984, 504). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u. a. auch die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.

21

Betriebseinnahmen sind danach einzeln aufzuzeichnen. Dem Grundsatz nach gilt das auch für Bareinnahmen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen. Grundsätzlich bedeutet dies nicht nur die Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens oder der Firma und der Anschrift des Vertragspartners (vgl. Bundesministerium der Finanzen (BMF) Schreiben vom 5. April 2004, BStBl I 2004, 419; BFH Urteil vom 12. Mai 1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 371). Aus Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität sind bestimmte Berufsgruppen (wie z. B. Einzelhändler) von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung in bestimmten Grenzen entbunden (BMF-Schreiben am a. a. O.; Seiler in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. D 76).

22

Nach § 147 Abs. 1 AO müssen überdies die Unterlagen geordnet aufbewahrt werden. Diese Aufbewahrungspflicht ist akzessorisch und setzt eine Aufzeichnungspflicht voraus (vgl. BFH Urteil vom 26. Februar 2004, XI R 25/02, BStBl II 2004, 599 m. w. N.). Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen ist dann nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird (BFH-Urteil vom 13. Juli 1971 VIII 1/65, BFHE 103, 34, BStBl II 1971, 729). Den Steuerpflichtigen trifft auch eine allgemeine Obliegenheit, die geltend gemachten Betriebsausgaben, aber auch die Vollständigkeit der Gewinne und die Zuordnung der einzelnen Wirtschaftsgüter nachvollziehbar darzulegen und durch die entsprechenden Belege vollständig und geordnet vorzulegen (BFH Urteil vom 15. April 1999 IV R 68/98, BStBl II 1999, 481; z. B. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 35. Aufl., 2016, § 4 Rz. 374 f.).

23

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin gegen ihre Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten verstoßen.

24

aa) Die Klägerin hatte ihre Einnahmen aufzuzeichnen. Auf die Befreiung von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung im Einzelhandel kann sich die Klägerin nicht berufen. Denn die Situation bei Einzelhandelsunternehmen ist mit der bei Ausübung der Prostitution nicht vergleichbar. Anders als im Einzelhandel erbringt eine Prostituierte nicht Leistungen an eine Vielzahl nicht bekannter oder auch nicht feststellbarer Personen. Der Kreis der Dienstleistungsempfänger eines Arbeitstages ist vielmehr begrenzt und individuell bestimmt. Auch wenn die branchenspezifischen Besonderheiten dieses Gewerbes eine individuelle Quittierung der erbrachten Leistungen und deren Entlohnung sowie die namentliche Erfassung des Freiers in der Praxis möglicherweise als schwer praktikabel erscheinen lassen, rechtfertigen sie es nicht, die einzelnen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen mit der Benennung jedenfalls der Art der Tätigkeit bzw. der erbrachten Leistung und der Aufzeichnung der Bareinnahme. Hierdurch kann den sich aus der Einzelaufzeichnungspflicht ergebenden Mindestanforderungen genügt werden (vgl. hierzu z. B. BFH-Urteil vom 12. Mai 1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 371, 373 betreffend Nachweise durch Schichtzettel im Taxigewerbe). Ob darüber auch zu verlangen ist, die Identität des Kunden festzuhalten, kann im Streitfall auf sich beruhen, weil die Klägerin -unter Zugrundelegung der zweifelhaften Aufzeichnungen in den Kassenbuchseiten- schon nicht die Mindestanforderungen an die Aufzeichnung der einzelnen Leistungen und der individuellen Bareinnahmen erfüllt hat.

25

bb) Ursprungsbelege fehlen -wie dargestellt- für die Streitjahre 2007 bis 2010 vollständig. Als Ursprungsaufzeichnungen waren nur die Notizen über die Anzahl der Freier im Handy vorhanden, die später gelöscht worden sind. Im Übrigen liegen nur die als Kassenbuch bezeichneten Kopien von einzelnen Seiten eines Kassenbuchvordrucks vor (...) vor, in die die Klägerin, wie sie im Erörterungstermin erläutert hat, auf Basis ihrer Handy-Eingaben die Anzahl der Gäste mit einem Gesamtpreis eingetragen hat.

26

Abgesehen davon, dass diese Aufzeichnungen angesichts des gleichförmigen Schriftbildes und des durchgehend offensichtlich identisches Schreibgerätes die Annahme nahelegen, dass sie nicht authentisch und zeitnah, sondern in einem "Arbeitsgang" nachträglich für das gerichtliche Verfahren erstellt worden sind, genügen sie -wie vorstehend dargestellt- nicht den Anforderungen an eine Aufzeichnung der einzelnen Geschäftsvorfälle. Sie enthalten lediglich verdichtete Zahlen über die Anzahl der Gäste mit dem Gesamtentgelt. Zudem fehlen jegliche Angaben zu den Betriebsausgaben.

27

Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen war auch nicht deshalb entbehrlich, weil ausgezählte Tageskassenergebnisse in ein Kassenbuch übertragen worden wären. Die Klägerin hat keine einheitliche Tageskasse geführt, deren Ergebnis nach Auszählung unmittelbar in ein Kassenbuch hätte übernommen werden können. Entgegen der Auffassung des Beklagten bestand für die Klägerin allerdings keine Verpflichtung, ein Kassenbuch zu führen, sodass es auf den Streit, ob zu irgendeinem Zeitpunkt ein gebundenes Kassenbuch vorhanden war und dem Beklagten bereits vor dem Klageverfahrens übermittelt wurde, nicht ankommt. Insbesondere kann eine solche Verpflichtung nicht auf die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG gestützt werden, da diese lediglich die Art der Gewinnermittlung bestimmt (BFH-Urteil vom 11. August 1992 VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346). Aus ihr ergibt sich nur eine Verpflichtung zur Führung eines Verzeichnisses über die Wirtschaftsgüter des nicht abnutzbaren Anlagevermögens (§ 4 Abs. 3 Satz 5 EStG). Auch die §§ 145, 146 AO können eine dahin gehende Verpflichtung nicht begründen, da die Anwendung dieser Vorschriften gerade eine ausdrückliche gesetzliche Aufzeichnungsverpflichtung zur Voraussetzung hat (BFH-Urteil vom 11. August 1992 VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346).

28

Eine Regelung, dass vereinnahmte Barentgelte gesondert in einem Kassenbuch aufzuzeichnen sind, enthält weder § 22 UStG noch die UStDV. Zwar sind bei den Aufzeichnungen nach § 22 UStG die §§ 145 und 146 AO zu beachten (Weber-Grellet in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a. a. O., § 4 Rz. D 52). Bei der Einnahmenüberschussrechnung gibt es jedoch keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Vereinnahmtes Geld wird sofort Privatvermögen (BFH-Urteil vom 22. Februar 1973 IV R 69/69, BStBl II 1973, 480). Die Feststellung eines Kassenbestands, für den ein Kassenbuch bei einer Gewinnermittlung nach dem Bestandsvergleich aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung erforderlich ist, kommt nicht in Betracht. Demzufolge hat der BFH erkannt, dass Steuerpflichtige, die ihren Gewinn zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, nicht verpflichtet sind, ein Kassenbuch zu führen (BFH-Urteil vom 10. März 1983 IV R 236/81, nv.). Dies ändert aber, wie bereits dargestellt, nichts daran, dass die Einnahmen und Ausgaben einzeln aufzuzeichnen sind.

29

cc) Lediglich für das Streitjahr 2011 liegen neben den Kassenbuchseiten noch Belege über Betriebsausgaben vor, und zwar Rechnungen der H GmbH über die Zimmermiete in dem Laufhaus B vor, die allerdings im Ergebnis auch nicht zu einer Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung für 2011 führen.

30

dd) Darüber hinaus besteht auch Anlass, die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen anzuzweifeln. Soweit eine konkrete Überprüfungsmöglichkeit besteht, widerlegt sie die Behauptungen der Klägerin. Möglich ist eine derartige Überprüfung nur im Streitjahr 2011, in dem neben den handschriftlichen Listen auch die Rechnungen über die Tagesmieten für die Monate Januar sowie März bis Oktober vorliegen. In allen Monaten hat die Klägerin für mehr Tage das Zimmer ... bzw. ab März das Zimmer ... angemietet, als sie Arbeitstage in ihren Listen aufführt. In ihren Listen unterscheidet die Klägerin zwischen Tagen mit Gästen, Tagen ohne Gäste und Tagen ohne Angaben, die ersichtlich solche Tage betreffen sollen, in denen die Klägerin ihre Dienste nicht angeboten haben will. Beispielsweise im Januar hat die Klägerin 20 Tagesmieten à 150 € sowie 4 Tagesmieten à 50 € (Sonntage) gezahlt. Lt. ihrer Liste hat sie aber nur an 17 Tagen Gäste empfangen und verzeichnet 4 Tage ohne Gäste. Alle vier Sonntage des Januars werden als "Nichtarbeitstage" verzeichnet, gleichwohl ist in diesem Monat viermal die ermäßigte Sonntagsmiete gezahlt worden.

31

Ähnliche Abweichungen ergeben sich auch in den anderen Monaten. Von April bis Oktober -mit Ausnahme des Monats Mai, in den 12 Urlaubstage fallen- ist das Zimmer jeweils für 26 Tage zzgl. 4 Sonntage gemietet worden, mithin 30 bzw. im Juli und Oktober 31 Tage. Dafür, dass die Klägerin die hohe Tagesmiete zahlt, ohne die Räumlichkeiten für das Anbieten ihrer Dienste zu nutzen, spricht nichts. Zudem haben auch die Betreiber eines Laufhauses mutmaßlich ein hohes Interesse daran, dass die Räume für das Anbieten sexueller Leistungen genutzt werden und nicht verwaist sind, weil gerade das Angebot einer größeren Auswahl von Prostituierten Teil des Konzeptes eines Laufhauses ist.

32

Die Voraussetzungen für eine Schätzung sind danach erfüllt.

33

2. Die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich ihr insoweit an, als er gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes an einer Verböserung gehindert ist.

34

Im Einzelnen gilt folgendes:

35

a) Der Beklagte hat in den Streitjahren 2007 und 2008 nur jeweils 11 Arbeitstage zugrunde gelegt und entspricht damit den eigenen Angaben der Klägerin im Einspruchsverfahren. Die in den Folgejahren 2009 bis 2011 angesetzten 20 Arbeitstage decken sich ebenfalls im Wesentlichen mit den von der Klägerin angegebenen 20 Tagen. Zweifel an einer nur auf die Wochentage beschränkten Tätigkeit bestehen allerdings deshalb, weil die Wochenenden nach den eigenen Angaben der Klägerin ertragreicher sind, weil an den Wochenenden Touristen die Etablissements aufsuchen. Zudem hat die Klägerin in dem Jahr, in dem als einzigem Belege vorliegen, und zwar Jahr 2011, durchgehend auch am Wochenende ein Zimmer angemietet.

36

Die Anzahl der zugrunde gelegten Monate dürfte ebenfalls an der untersten Grenze des Schätzungsrahmens liegen. Für 2007 und 2008 hat der Beklagte nur jeweils 10 Monate berücksichtigt, obwohl dem Umstand des behaupteten zögerlichen Beginns der Prostitutionstätigkeit bereits durch die geringe Tagezahl Rechnung getragen worden ist. Auch für die Folgejahre sind lediglich 11 bzw. im letzten Jahr 2011 wiederum nur 10 Monate (bis Oktober) angesetzt worden. Angesichts der Mietabrechnungen aus 2011 dürfte die Klägerin tatsächlich aber wohl nicht in jedem Jahr einen vierwöchigen Urlaub gemacht haben, vielmehr ergaben sich für 2011 nur 12 Urlaubstage.

37

Auch die geschätzte Höhe der Betriebseinnahmen begegnet keinen derartigen Beanstandungen, die eine Herabsetzung rechtfertigen könnten. Die Annahme von jeweils fünf Kunden mit einer Einnahme von 130 € pro Kunde, mithin 650 € pro Tag für die Jahre 2007 und 2008, stimmt mit der Rechtsprechung des Senats überein und ist in sich nachvollziehbar. Gerade wenn die Klägerin nur an wenigen Tagen gearbeitet haben will, liegt es nahe, an diesen Tagen die Zeit möglichst effektiv durch eine größere Anzahl von Freiern zu nutzen. Ein Entgelt von 130 € pro Kunde erscheint ebenfalls nicht überhöht und stellt einen durchschnittlichen Wert dar. Derartige Preise ergeben sich zum Teil auch aus den von der Klägerin erstellten Listen. Für die Folgejahre ist der Beklagte von nur noch drei Freiern pro Tag mit einer -ebenfalls als Durchschnittswert angenommenen- Einnahme von 160 € pro Kunde ausgegangen. Auch diese Annahmen liegen für eine "Vollzeitbeschäftigung" eher im unteren Schätzungsrahmen mit Blick auf die gefestigte Rechtsprechung des Senats (z. B. Urteil vom 20. Februar 2013, 2 K 169/11, EFG 2013, 907).

.

38

Dass die Klägerin unter Beweisantritt behauptet hat, dass sexuelle Dienstleistungen bereits für 30 € bzw. 30 € bis 50 € erbracht werden und es im Falle des Scheiterns des Koberns hierbei bleibt, kann als wahr unterstellt werden. Für den Streitfall können hieraus indes keine Rückschlüsse über die konkrete Einnahmesituation der Klägerin gezogen werden. Auch der allgemeine Hinweis auf die Konkurrenzsituation durch Flatrate-Etablissements rechtfertigt keine andere Schätzung der Einnahmen. Denn das Leistungsangebot eines Laufhauses unterscheidet sich von dem Konzept eben "Geizbetriebe", beide Angebote werden ersichtlich nebeneinander genutzt.

39

Bei den Betriebsausgaben hat der Beklagte für 2009, 2010 und 2011 die zunächst von der Klägerin behauptete Miete von 140 € angesetzt. Eine Tagesmiete von 140 € wird auch durch die eidesstattliche Versicherung von G bestätigt. Soweit der Beklagte für 2007 und 2008 eine geringere Tagesmiete von 120 € angesetzt hat, begegnet dies im Rahmen einer Schätzung ebenfalls keinen Bedenken. G hat in seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt, eine Miete von 120 € sei auch möglich gewesen, wenn die Anmietung an umsatzschwachen Tage erfolge. Da die Klägerin nach ihrem Vortrag in diesen Jahren nur vereinzelt an wenigen Tagen gearbeitet haben will, könnte dies die niedrigere Miete rechtfertigen. Weil die Klägerin keinerlei Unterlagen über das Mietverhältnis vorgelegt hat, treffen sie die Folgen der Ungewissheit.

40

Soweit die Klägerin im Klageverfahren die Abrechnungen über die Tagesmieten im B eingereicht hat, wonach eine Tagesmiete von 150 € zu zahlen war, sieht das Gericht davon ab, die Schätzung insoweit zu korrigieren und eine höhere Miete zu berücksichtigen. Denn dann wäre auch die Einnahmeschätzung anhand der in den Rechnungen enthaltenen höheren Anzahl der Miettage zu korrigieren. Dies würde zu einer erheblichen Erhöhung der Schätzung führen. Wie dargestellt, wurde in den Monaten April, Juni bis Oktober das Zimmer für 30 bzw. 31 Tage angemietet. Zudem sind die im Rahmen der Schätzung zugrunde gelegten gesamten Betriebsausgaben von 33.000 € höher als die von der Klägerin in ihrer Gewinnermittlung für 2011 angesetzten Betriebsausgaben von 31.815,12 € (ohne Vorsteuer).

41

Die Schätzung erweist sich nach allem als moderat und bewegt sich eher am untersten Schätzungsrahmen.

42

b) Für die Schätzung der Umsatzsteuer gelten grundsätzlich dieselben Erwägungen, wie vorstehend dargestellt. Allerdings liegen für das Streitjahr 2011 Rechnungen der Vermietungsgesellschaft mit Umsatzsteuerausweis vor, sodass grundsätzlich ein entsprechender Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt 5.412,61 € (Rechnungen für Januar 2011 und März bis Oktober 2011) in Betracht kommt. Allerdings ist dann auch von einem höheren Umsatz auszugehen, weil die Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum an 68 weiteren Tagen -gegenüber den mit der Schätzung zugrunde gelegten 200 Tagen- ein Zimmer angemietet hatte. Selbst wenn die Klägerin nicht an jedem Tag der Anmietung gearbeitet haben sollte, übersteigt bereits bei Zugrundelegung von 60 weiteren Tagen die Umsatzsteuer auf die zusätzlichen Erlöse (5.472 €) den Vorsteuerbetrag von 5.412,61 €. Unter diesen Umständen kommt eine Herabsetzung der Umsatzsteuer für 2011 nicht in Betracht.

II.

43

Die Kostenentscheidung folgt §§ 135 Abs. 1 FGO.

44

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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