Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 297/16

Tatbestand

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Streitig ist die Berücksichtigung von Vorsteuer aus einer berichtigten Rechnung.

2

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft, an der u. a. bis 2004 der Gründungsgesellschafter (E) beteiligt war, der auch bis September 2008 ihr Geschäftsführer war. Gemäß Beratervertrag vom ... 2008 verpflichtete sich E seine "in Jahrzehnten gewachsenen Erfahrungen, Kunden- und Lieferantenbeziehungen sowie sein gesamtes Know-how im XXX auf einseitiges Anfordern der Gesellschaft zu Verfügung zu stellen". Das Beratungsverhältnis wurde für die Dauer von vier Jahren fest vereinbart und endete mit Ablauf des 31. August 2012. Als Honorar wurde eine jährliche Zahlung von 380.000 € zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer vereinbart. Das Honorar wurde jeweils am 10. September 2008, 2009, 2010 und 2011 fällig (§§ 1 und 2 des Beratervertrages). Auf dieser Grundlage erteilte E der Klägerin am 11. September 2008, 4. September 2009 und jeweils am 1. September 2010 und 2011 Rechnungen über das Jahreshonorar von insgesamt 452.200 €. In der das Streitjahr 2009 betreffenden Rechnung heißt es -ähnlich wie in den anderen Jahren- zum Leistungsgegenstand: "Honorar für Beratungstätigkeit gemäß Beratervertrag vom ... 2008".

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Der aus den Rechnungen geltend gemachte und zunächst anerkannte Abzug der Vorsteuer wurde im Rahmen einer ab dem 19. November 2012 durchgeführten Außenprüfung beanstandet, weil der Leistungsgegenstand mit "Beratungsleistungen" auch unter Bezugnahme auf den Beratervertrag nicht hinreichend konkret bezeichnet worden sei. Nach streitiger Korrespondenz über die Beurteilung der Rechnungen, in deren Zuge die Klägerin auch eine Anlage zum Beratervertrag vom ... 2008 mit einer Aufschlüsselung von Projekten, die Gegenstand des Beratervertrages seien, einreichte, legte die Klägerin schließlich korrigierte Rechnungen mit Datum vom 19. Februar 2014 vor, in denen der Gegenstand der Beratungsleistungen detailliert aufgelistet wurde. Diese berichtigte Fassung der Rechnung sah der Beklagte als ordnungsgemäß an, lehnte aber eine Berücksichtigung der Vorsteuer im Streitjahr 2009 ab, weil die Berichtigung erst in 2014 erfolgt und nach Verwaltungsauffassung daher auch erst im Veranlagungszeitraum 2014 in Abzug zu bringen sei. Gegen den nach der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheid zur Umsatzsteuer 2009 vom 7. August 2014, mit dem der Vorsteuerabzug über 72.200 € rückgängig gemacht wurde, legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein, mit dem sie die rückwirkende Rechnungsberichtigung für das Streitjahr begehrte. Mit Entscheidung vom 21. November 2014 hielt der Beklagte an seiner Auffassung fest und wies den Einspruch zurück. Am 27. November 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Die Klägerin ist der Auffassung, dass schon die ursprüngliche Rechnung zum Vorsteuerabzug berechtigt habe. Aufgrund des Beratervertrages sei von Beginn an eindeutig geregelt gewesen, dass E ein festes jährliches Entgelt habe erhalten sollen. Es habe weder eine Verwechselungsgefahr bezogen auf die Beratungsleistungen, noch die Möglichkeit einer mehrfachen Geltendmachung der Vorsteuerbeträge bestanden.

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Jedenfalls sei die unzweifelhaft ordnungsgemäß korrigierte Rechnung für 2009 bereits im Streitjahr zu berücksichtigen. Dies ergebe sich zum einen bereits aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats in der Sache 2 V 214/14 (Beschluss vom 20. Oktober 2014, EFG 2015, 254). Zum anderen habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwischenzeitlich am 15. September 2016 in der Sache C-518/14 Senatex (DStR 2016, 2211) entschieden und eine rückwirkende Rechnungsberichtigung bestätigt.

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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid für 2009 über Umsatzsteuer vom 7. August 2014 und die Einspruchsentscheidung vom 21. November 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass die ursprüngliche Rechnung den Leistungsgegenstand nicht ordnungsgemäß bezeichnet habe. Der in Bezug genommene Beratervertrag habe ebenfalls nur allgemeine Begriffe enthalten. Die Anlage zum Beratervertrag sei weder in den Rechnungen noch in dem Beratervertrag selbst in Bezug genommen worden und könne daher nicht zur Konkretisierung der streitigen ursprünglichen Rechnung herangezogen werden.

9

Der Beklagte hält auch nach Ergehen der Entscheidung des EuGH unter Hinweis auf Abschnitt 15.2 Abs. 2 Satz 8 des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE) an seiner Auffassung fest, dass eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht möglich sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2016 Bezug genommen.

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Dem Gericht haben die die Klägerin betreffenden Steuerakten mit Außenprüfungsakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

I.

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Der Beklagte hat zu Unrecht die Berücksichtigung der Vorsteuer aus der Rechnungsberichtigung vom 19. Februar 2014 in Verbindung mit der Rechnung vom 9. September 2009 in Höhe von 72.200 € im Streitjahr abgelehnt. Es kann dahin stehen, ob die ursprüngliche Rechnung den Leistungsgegenstand - unter Einbeziehung des Beratervertrages und ggf. einer Anlage zu diesem Vertrag- bereits hinreichend bezeichnet hat. Jedenfalls wirkt die Korrektur der Rechnung auf das Streitjahr zurück.

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a) Der Unternehmer kann gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Dies setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG muss die Rechnung u. a. den Umfang und die Art der sonstigen Leistung enthalten. Diese Anforderungen stehen im Einklang mit den Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 (Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSysRL - vgl. BFH-Urteil vom 2. September 2010, V R 55/09, BStBl II 2011, 235 zur Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Sechste Richtlinie). Fehlen die für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlichen Rechnungsangaben oder sind sie unzutreffend, besteht für den Leistungsempfänger kein Anspruch auf Vorsteuerabzug. Gem. § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i. V. m. § 31 Abs. 5 Buchst. b) der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung kann eine Rechnung berichtigt werden, und zwar durch Übermittlung eines Dokuments, das die fehlenden oder unzutreffenden Angaben enthält und spezifisch und eindeutig auf die Rechnung bezogen ist.

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b) Die Klägerin hat von E eine Berichtigung der ursprünglichen Rechnung vom 4. September 2009 mit Datum vom 19. Februar 2014 erhalten, mit der die Angaben zum Leistungsgegenstand berichtigt und dezidiert aufgelistet wurden. Dass diese Rechnungsberichtigung die Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

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c) Diese Rechnungsberichtigung wirkt auf das Streitjahr zurück.

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Ob eine Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt, war bislang in Judikatur und Schrifttum umstritten und ist durch die Entscheidung des EuGH vom 15. September 2016 (C-518/14, DStR 2016, 2211) in der Sache Senatex für Konstellationen wie denen des Streitfalls nunmehr geklärt.

18

(aa) Mehrere Finanzgerichte, u. a. auch der erkennende Senat (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25. Oktober 2010 5 K 425/08, DStRE 2011, 1337, bestätigt durch Bundesfinanzhof (BFH) Urteil vom 19. Juni 2013: XI R 41/10, BStBl II 2014, 738; Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 22. Februar 2011 5 V 5004/11, EFG 2011, 1295; Urteil des FG Köln vom 13. Juli 2011 2 K 2695/10, UStB 2012, 67 und Beschluss des FG Hamburg vom 6. Dezember 2011 2 V 149/11, UbG 2013, 122) sowie verschiedene Literaturstimmen (z. B. Huschens, UVR 2010, 333; Meurer, DStR 2010, 2442, Nieskens, UR 2010, 693) gingen bislang davon aus, dass einer Rechnungsberichtigung auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 15. Juli 2010 C-368/09 Pannon Gép (DStR 2010, 1475) keine Rückwirkung zukommt, da sich der EuGH nicht ausdrücklich zur Frage der Rückwirkung geäußert habe (Huschens, UVR 2010, 333, 335, und Meurer, DStR 2010, 2442, 2443).

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Auch nach der -bisherigen- Rechtsprechung des BFH kann der Unternehmer Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abziehen, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG insgesamt vorliegen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1994 V R 84/92, BStBl II 1995, 233, m. w. N.; Urteil vom 1. Juli 2004 V R 33/01, BStBl II 2004, 861 (Folgeentscheidung nach EuGH Urteil vom 29. April 2004 C-152/02 Terra Baubedarf). Zu diesen Voraussetzungen gehöre eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1979 V R 46/72, BStBl II 1979, 530; vom 16. April 1997 XI R 63/93, BStBl II 1997, 582).

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Der EuGH hatte mit Urteilen vom 15. Juli 2010 Pannon Gép ( a. a. O. Rn. 43) sowie vom 8. Mai 2013 Petroma Transports (C-271/12, BB 2013, 1365, Rn. 34) zwar bestätigt, dass die Richtlinie 2006/112 es nicht verbietet, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen, offen geblieben war aber die Frage der zeitlichen Auswirkung einer solchen Berichtigung auf die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Mit seinem Urteil vom 15. September 2016 in der Sache Senatex (C-518/14 a. a. O.) hat der EuGH nun entschieden, dass Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, nämlich die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.

21

Insoweit weist der EuGH darauf hin, dass nach Art. 179 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 der Vorsteuerabzug global vorgenommen wird, indem der Steuerpflichtige von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, "für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird". Daraus folgt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben ist, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, C-152/02, Terra Baubedarf-Handel, a. a. O., Rn. 34). Weil das Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist, grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann, verlangt das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität es, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat. Der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Angaben enthält, stelle insoweit eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar. Der Fall einer unvollständigen Rechnung unterscheidet sich insoweit von dem Fall, in dem der Steuerpflichtige überhaupt keine Rechnung besitzt (so Konstellation EuGH Urteil in Sachen Terra Baubedarf Handel a. a. O.). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung von Nachzahlungszinsen im Falle einer nicht rückwirkenden Rechnungsberichtigung eine zusätzliche Belastung darstellt, die mit dem Neutralitätsgebot der Mehrwertsteuer unvereinbar ist (Rn. 38)

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bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Rechnungsberichtigung im Streitfall Rückwirkung beizumessen. Die -möglicherweise- unzulängliche Leistungsbeschreibung in der ursprünglichen Rechnung vom 4. September 2009 betrifft ebenso wie die fehlerhafte Bezeichnung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer eine formelle und keine materielle Frage. Die ursprüngliche Rechnung war auch berichtigungsfähig. Sie enthielt bis auf die Konkretisierung der Leistungsbeschreibung alle erforderlichen Angaben, sodass es auf die Streitfrage, welche Mindestanforderungen an eine Rechnung zu stellen sind, damit sie einer Berichtigung zugänglich ist, nicht ankommt (vgl. dazu BFH Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BStBl II 2012, 809; Wäger, Anm. zu EuGH Urteil Senatex, DStR 2016, 2214).

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Die Berichtigung ist auch bereits erfolgt, bevor eine Entscheidung über die Versagung des Vorsteuerabzugs mit dem geänderten Bescheid vom 7. August 2014 erfolgte. Insoweit hatte der EuGH bereits in der Sache Petroma Transports entschieden, dass eine Berichtigung nicht verwehrt werden kann, wenn die notwendigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet wird (C-271/12, a. a. O., Rn. 34). Somit kommt es auf die ebenfalls umstrittene Frage und vom EuGH in der Sache Senatex offengelassene Antwort auf die dritte Vorlagefrage, ob eine Rechnungsberichtigung noch während des Einspruchsverfahrens vorgenommen werden kann (vgl. FG Niedersachsen Vorlagebeschluss vom 3. Juli 2014 5 K 40/14, DStR 2014, 2389), nicht an. Einer weiteren Vorlage an den EuGH bedarf es danach nicht.

II.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

25

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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