Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 100/17

Tatbestand

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin hatte sich in der Hauptsache gegen die Entrichtung einer Steuer gewandt. Das Hauptsacheverfahren ruhte bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem Normenkontrollverfahren. Noch am selben Tag, an dem der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht wurde, durch den das Gesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt wurde, nahm der Prozessbevollmächtigte telefonisch Kontakt zur Gegenseite auf, um zu besprechen, welche Schritte im Hinblick auf eine möglichst schnelle Erledigung der bei den Finanzgerichten ruhenden Verfahren zu ergreifen seien. Nachdem die beklagte Behörde die angefochtene Steueranmeldung aufgehoben hatte, erklärten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt. Mit Beschluss vom 14.07.2017 legte der Senat der beklagten Behörde die Kosten des Verfahrens auf.

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin wendet sich mit ihrer Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Gerichts, der ihr nicht nur die Festsetzung einer Termins- und Erledigungsgebühr versagte, sondern auch die beantragte Festsetzung der Kosten für ein AdV-Verfahren, welches die Klägerin parallel zum Hauptsacheverfahren geführt hatte, nicht gewährte.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 149 Abs. 2 zulässige Erinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

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Keine Entstehung einer Terminsgebühr nach Nr. 3002 RVG-VV

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Nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG, die auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt, entsteht die Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV-RVG für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder für die Wahrnehmung eines von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumten Termins oder für die Mitwirkung an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung auch ohne Beteiligung des Gerichts ... Die Terminsgebühr ist im Zusammenhang mit dem Erlass des RVG vom 05.05.2004 (BGBl I, S. 718) eingeführt worden. Der Gesetzgeber des RVG wollte durch diese Terminsgebühr einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen schaffen. In der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 15/1971, S. 148) heißt es insoweit:

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"Die außergerichtliche Streiterledigung soll ferner dadurch gefördert werden, dass die Terminsgebühr auch dann anfallen soll, wenn der Rechtsanwalt nach Erteilung des Klagauftrags an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung mitwirkt ... Der Anwalt soll nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt, insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Regelung zielen. Solche Besprechungen sind bisher nicht honoriert worden."

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Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Terminsgebühr das ernsthafte Bemühen des Prozessbevollmächtigten um einen Abschluss des Verfahrens ohne Beteiligung des Gerichts honorieren und damit zugleich die außergerichtliche Streitbeilegung fördern wollte (Niedersächsisches FG, Beschluss vom 29.05.2012, 9 KO 1/12, EFG 2012, 2153). Wenn auch mit Blick auf das gesetzgeberische Anliegen an das Merkmal einer Besprechung keine besonders strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2006, II ZB 6/06, NJW-RR 2007, 286), so müssen die Prozessbeteiligten doch anlässlich einer (auch) fernmündlichen Unterredung zumindest über die Erledigung des Verfahrens verhandelt haben (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2006, II ZB 6/06, NJW-RR 2007, 286). Gemessen an diesen Grundsätzen hat vorliegend keine Besprechung im Sinne der hier einschlägigen Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG stattgefunden.

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Der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführerin hat an keiner Besprechung mit dem Erinnerungsgegner teilgenommen, die auf Erledigung des Klageverfahrens gerichtet war. Weder die im unmittelbaren Anschluss an die Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ... geführten Telefonate ... noch der E-Mail-Austausch mit dem Vertreter der Verwaltung ... erfüllen die Voraussetzungen für das Entstehen der Terminsgebühr. Den entscheidenden Anstoß für die Erledigung des Klageverfahrens gab allein die am ... veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts .... Die Telefonate bzw. die Mails waren nicht auf die Erledigung des Klageverfahrens gerichtet, sondern dienten allein der praktischen Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dem Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführerin ging es ... um "die pragmatische Abwicklung dieser Angelegenheit"; er wollte mit der Verwaltung ausschließlich "besprechen, welche weiteren Schritte im Hinblick auf eine möglichst schnelle Erledigung der bei den Gerichten anhängigen bzw. im Einspruchsverfahren befindlichen Verfahren ... ergriffen werden können." Diese Fragestellungen und Arbeiten sind zur Überzeugung des Senats mit der Verfahrensgebühr abgegolten.

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Der beschließende Senat übersieht nicht, dass nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine auf die Erledigung des Verfahrens geführte Besprechung auch dann gegeben sei, wenn für die Erledigung nicht nur über die technische Abwicklung, sondern noch über einen wesentlichen Punkt - scil. die Kostenregelung - oder über andere Details gesprochen werde; selbst wenn die auf der anderen Seite verklagte Behörde die Einigung in der Hauptsache nicht mehr streitig stelle, aber noch keine verbindliche Abhilfezusage schriftlich oder zu Protokoll erteilt habe (FG Hamburg, Beschluss vom 19.04.2013, 3 KO 13/13, EFG 2013, 1522). Der beschließende Senat lässt ausdrücklich dahinstehen, ob er sich der zitierten Rechtsprechung des bisherigen Kostensenats des Finanzgerichts Hamburg anschließt. Jedenfalls ist der Erinnerungsführerin der Beschluss vom 19.04.2013 schon deshalb nicht behilflich, weil hinsichtlich des Streitfalles nicht über für die Erledigung noch wesentliche Punkte - wie etwa die Kostenregelung - oder über die Erledigung des Rechtsstreits überhaupt gesprochen wurde. In den Telefonaten und dem E-Mail-Verkehr ging es vielmehr ausschließlich um die Frage der rechtlichen Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den Streitfall, nämlich ob für eine Abhilfe im Streitfall die bloße Rückzahlung der Steuer ... ausreichend oder eine Aufhebung der Steueranmeldungen erforderlich sei. Ungeachtet dessen hält der beschließende Senat dafür, dass der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführerin eine angemessene Frist hätte einräumen und diese verstreichen lassen müssen, um der Gegenseite Gelegenheit zu geben, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Klageverfahren zu reagieren. ...

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Keine Entstehung einer Erledigungsgebühr bei fehlender Kausalität der besonderen anwaltlichen Mitwirkung für den Erledigungserfolg

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Die Erledigungsgebühr ist eine zusätzliche Vergütung dafür, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit, insbesondere Verhandlungen mit der Verwaltungsbehörde, erreicht, dass die Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt oder zugunsten des Mandanten ändert oder einen zunächst abgelehnten Verwaltungsakt doch noch erlässt (BFH, Beschluss vom 12.02.2007, III B 140/06, BFH/NV 2007, 1109).

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Die Entstehung der Erledigungsgebühr i. S. von Nr. 1002 VV RVG erfordert eine über die mit den anderen Gebühren abgegoltenen Tätigkeiten hinausgehende besondere Mitwirkung, die auf den Erfolg der Erledigung ohne förmliche Entscheidung gerichtet ist, den Eintritt des Erledigungserfolges durch Aufhebung oder Änderung des angegriffenen Verwaltungsaktes sowie eine wesentliche Ursächlichkeit der besonderen anwaltlichen Mitwirkung für den Erledigungserfolg (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 23.01.2015, 3 KO 298/14, EFG 2015, 845; Sächsisches FG, Beschluss vom 13.10.2014, 8 KO 1091/14, juris; FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 01.06.2010, 2 KO 4/10, EFG 2010, 1447). Eine Erledigungsgebühr kann dementsprechend nicht beansprucht werden, wenn es an der Kausalität der besonderen anwaltlichen Mitwirkung für den Erledigungserfolg fehlt. In Anwendung dieser Grundsätze ist in Bezug auf den Streitfall keine Erledigungsgebühr entstanden.

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Der beschließende Senat hält bereits dafür, dass es vorliegend schon an einer besonderen, nicht schon mit der Verfahrensgebühr abgegoltenen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführerin fehlt. Weder die Telefonate noch die beiden E-Mails stellen eine besondere anwaltliche Tätigkeit im Sinne eines besonderen Bemühens um eine außergerichtliche Erledigung des Verfahrens dar. Jedenfalls aber fehlt es an der Kausalität der anwaltlichen Mitwirkung für den eingetretenen Abhilfeerfolg. Zur Abhilfe in Form der Aufhebung der angefochtenen Steueranmeldung kam es allein vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das mit Beschluss vom ... das Steuergesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt hat. ...

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Aufwendungen im Sinne des § 139 Abs. 1 FGO sind nur die den Beteiligten in dem konkreten Verfahren entstandenen Kosten

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Die von der Klägerin aufgewandten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten im Rahmen des von ihr betriebenen Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO vor dem Finanzgericht sowie anschließend vor dem Bundesfinanzhof können im Kostenfestsetzungsverfahren des Rechtsstreits der Hauptsache nicht erstattet werden. Sie zählen weder begrifflich noch systematisch zu den Kosten des Verfahrens, die mit Beschluss vom 14.07.2017 der beklagten Behörde auferlegt worden sind.

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In § 139 Abs. 1 FGO hat der Gesetzgeber bestimmt, dass erstattungsfähige Kosten neben den Gerichtskosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens sind. Grundsätzlich werden hiervon alle Kosten umfasst, die vom Beginn der Rechtshängigkeit des einzelnen Verfahrens bis zu dessen Beendigung entstehen ... Aufwendungen in diesem Sinne sind alle den Beteiligten im Zusammenhang mit dem konkreten Verfahren tatsächlich entstandenen Kosten (vgl. nur Brandis, in: Tipke/Kruse, § 139 FGO, Rz. 7). Die Vorschrift des § 139 FGO durchbricht freilich nicht die der Finanzgerichtsordnung zugrunde liegende Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass der Finanzgerichtsprozess zwischen verschiedenen selbstständigen Verfahren unterscheidet, wie namentlich dem Hauptsacheverfahren - vorliegend die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage - und einem vorab oder parallel betriebenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren - vorliegend das von der Klägerin ebenfalls geführte Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO auf Aussetzung der Vollziehung -. Sowohl das Klageverfahren als auch das Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO sind selbständige Verfahren, die vor diesem Hintergrund auch mit einer Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 1 FGO enden. Der Ausspruch "Kosten des Verfahrens" in der jeweiligen, das konkrete Verfahren abschließenden Entscheidung umfasst daher ausschließlich die Kosten, die in diesem konkreten Verfahren angefallen sind (allgemeine Ansicht, vgl. nur Brandis, in: Tipke/Kruse, § 139 FGO, Rz. 7; BFH, Beschluss vom 14.06.1988, VII E 1/87; FG Hamburg, Beschluss vom 13.03.2012, 3 KO 220/11). Die von der Erinnerungsführerin geltend gemachten gerichtlichen und außergerichtlichen Aufwendungen aus Anlass des vor dem Finanzgericht gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung und des anschließend vor dem Bundesfinanzhof geführten Beschwerdeverfahrens stellen deshalb keine Aufwendungen im Sinne des § 139 Abs. 1 FGO dar, die im insoweit allein maßgeblichen Hauptsacheverfahren entstanden sind und von dem Ausspruch in dem Beschluss vom 14.07.2017, wonach die Kosten des Verfahrens der beklagten Behörde zur Last fallen, erfasst werden. Auf die von der Erinnerungsführerin problematisierte Fragestellung, ob die Stellung eines Antrags nach § 69 Abs. 3 FGO geboten war, kommt es nach alledem nicht an.

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