Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 V 324/17

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Haftungsbescheid.

2

Der Antragsteller war Gesellschafter und Geschäftsführer der mittlerweile aufgelösten A GmbH (GmbH), einer Spedition. Gegenstand des Unternehmens war der Betrieb eines ... und die Durchführung von XX. Ehemaliger Inhaber der Spedition war B, der Vater des Antragstellers. Auch nach dessen Ausscheiden aus der GmbH war er weiter für diese tätig, betreute Kunden und kümmerte sich um kaufmännische Belange.

3

Der Antragsgegner führte für den Zeitraum von 2011 bis 2013 bei der GmbH eine Außenprüfung durch. Der Prüfer bemängelte dabei, dass von B erstellte Abrechnungen über "Umsatzsteuer-Nachbelastungen" Eingang in die Buchführung der GmbH gefunden hätten. Mit diesen Abrechnungen habe B der GmbH Umsatzsteuerbeträge i. H. v. ... € in Rechnung gestellt, welche die GmbH akzeptiert habe. Im Einzelnen habe B 2011 mit vier Abrechnungen Umsatzsteuer i. H. v. ... €, 2012 mit sieben Abrechnungen Umsatzsteuer i. H. v. ... € sowie 2013 mit zwölf Abrechnungen ... € Umsatzsteuer geltend gemacht. Diese Belege seien von der GmbH verbucht und im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärungen als Vorsteuern in Abzug gebracht worden. Die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug hätten jedoch nicht vorgelegen. Zum einen seien die Abrechnungen formal nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 14 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), da sie keinerlei Angaben zu Art, Umfang und Zeitpunkt der erbrachten Leistung enthielten und zudem nicht erkennen ließen, wie die Umsatzsteuer berechnet worden sei. Zudem sei äußerst zweifelhaft, dass B die den Nachberechnungen zugrunde liegenden Leistungen auch tatsächlich erbracht habe. Gemäß einem Urteil des FG Hamburg habe B gegenüber der GmbH lediglich Bruttoumsätze i. H. v. ca. ... € erbracht. Dies führe zu einer Umsatzsteuer in Höhe von lediglich ca. ... €. Nachbelastet habe er im Prüfungszeitraum aber über ... € Umsatzsteuer. Bei einem Steuersatz von 19 % würde dies Nettoleistungen i. H. v. ca. ... € voraussetzen. Leistungen in diesem Ausmaß habe B gegenüber der GmbH nicht erbracht.

4

Der Antragsgegner erließ am 12. November 2015 unter anderem Änderungsbescheide über Umsatzsteuer für die Jahre 2011 bis 2013. Da die von der GmbH im Rahmen ihrer Jahressteuererklärungen bisher geltend gemachten Vorsteuerüberhänge bereits ausgezahlt bzw. verrechnet worden waren, führte dies zu Zahllasten der GmbH in Höhe der aberkannten Vorsteuern zuzüglich Zinsen. Diese Beträge waren am 16. Dezember 2015 fällig. Insgesamt betrugen die Steuernachzahlungen nach Betriebsprüfung ca. ... €. Nach verschiedenen Verhandlungen und auf Basis einer rechtskräftigen Einspruchsentscheidung vom 18. April 2016 verringerten sich diese auf einen unstreitigen Betrag in Höhe von ca. ... €. Zwischen August 2015 und März 2016 verhandelte die GmbH mit dem Antragsgegner über eine längerfristige Stundung, welche jedoch nicht zu Stande kam. Der Antragsteller stellte daraufhin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 31. März 2016 wurde für die GmbH ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Am 1. Juli 2016 folgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Gemäß einer Haftungsanfrage schuldete die GmbH dem Antragsgegner am 10. August 2016 Steuern und Nebenleistungen i. H. v. ... €.

5

Am 21. März 2017 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er beabsichtige, ihn als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen und bat um Stellungnahme.

6

Daraufhin teilte der Antragsteller mit, dass eine Haftungsinanspruchnahme nicht in Betracht käme. Die rückständigen Steuerschulden seien alle aufgrund eigenmächtigen Handelns des B entstanden. Ihm sei weder eine Pflichtverletzung noch ein schuldhaftes Handeln vorzuwerfen. Im Übrigen wäre B als faktischer Geschäftsführer vorrangig in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 14. Juli 2017 bat der Antragsgegner um weitere Ausführungen hinsichtlich der faktischen Geschäftsführerschaft des B, da sich aus dem beigezogenen Gutachten des Insolvenzverwalters eine solche nicht ergebe. Mit seiner Stellungnahme vom 28. August 2017 verwies der Antragsteller insbesondere auf eine Vernehmungsniederschrift der Buchhalterin der GmbH, wonach B eigenmächtig und an ihm, den Antragsteller, vorbei die Rechnungen in die Buchführung eingebracht habe.

7

Am 20. September 2017 erließ der Antragsgegner einen Haftungsbescheid, mit welchem er den Antragsteller i. H. v. ... € in Anspruch nahm. Grundlage dafür waren die offenen Beträge der GmbH über Umsatzsteuer 2011 und 2012 sowie Säumniszuschläge und Zinsen im Gesamtbetrag von ... €. Mit Verweis auf das Gutachten des Insolvenzverwalters vom 28. Juni 2016 ging er dabei von einer Tilgungsquote im Haftungszeitraum von 75,6 % aus.

8

Am 28. September 2017 legte der Antragsteller gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Antragsgegner wies den Antrag mit Bescheid vom 21. November 2017 mit Verweis auf seine Stellungnahme vom 24. Oktober 2017 zurück. Der Einspruch ist noch nicht beschieden.

9

Ebenfalls mit Schreiben vom 21. November 2017 wandte sich der Antragsgegner an B im Hinblick auf eine mögliche Haftungsinanspruchnahme aufgrund faktischer Geschäftsführung. Dieser nahm mit Schreiben vom 4. Dezember 2017 Stellung.

10

Am 28. November 2017 hat der Antragsteller einen Antrag auf AdV bei Gericht gestellt.

11

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Ein Haftungstatbestand sei nicht gegeben. Es mangele bereits an einer Pflichtverletzung. Eine solche habe der Antragsgegner in seinem Haftungsbescheid nicht konkret dargelegt, sondern nur pauschal behauptet. Gegen pauschale Behauptungen müsse er sich nicht verteidigen. Im Übrigen habe er bereits ausführlich dargelegt, dass die rückständigen Steuern der GmbH durch die Aktivitäten des B verursacht worden seien. Im Rahmen der Betriebsprüfung habe sich herausgestellt, dass B der GmbH Umsatzsteuern nachberechnet habe, die für dessen Tätigkeit für die Spedition hätten angefallen sein sollen. Die zu Grunde liegenden Dienstleistungen habe B zunächst ohne Umsatzsteuer berechnet und sodann in 2011 und 2012 nachbelastet. Nach Feststellungen der Betriebsprüfung sei diese nachträglich berechnete Umsatzsteuer überhöht gewesen. Von diesen Aktivitäten habe er, der Antragsteller, nichts gewusst. Vielmehr sei er von B hintergangen worden. B habe zudem den langjährigen Steuerberater erfolgreich getäuscht. B selbst habe gegenüber dem Antragsgegner zugegeben, willkürlich und in Eigeninitiative gehandelt zu haben; seine Rechnungen habe er ohne Wissen und ohne Absprache mit der Firmenleitung oder anderen Personen gestellt. Auch die frühere Buchhalterin der GmbH habe dies in ihrer Vernehmung durch die Steuerfahndung bestätigt. Insbesondere hätten nach ihrer Aussage die Rechnungen plausibel gewirkt.

12

Er, der Antragsteller, habe nicht schuldhaft gehandelt. Insbesondere treffe ihn kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden. Von der Steuerhinterziehung seines Vaters habe er keine Kenntnis gehabt. Die fraglichen Rechnungen seien vom langjährigen Steuerberater der GmbH nicht beanstandet worden. Er habe auch keine Veranlassung gehabt, diese inhaltlich in Zweifel zu ziehen. B habe schließlich erhebliche Leistungen für die GmbH erbracht. Zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten habe er sich eines Steuerberaters bedient. Diesen habe er ausreichend sorgfältig ausgewählt und überwacht. Es habe aufgrund der sonst fehlerfreien Arbeit seines Steuerberaters auch keine Veranlassung bestanden, die Behandlung gerade dieser Geschäftsvorfälle anzuzweifeln. Auch seine Buchhalterin habe die Rechnungen nicht beanstandet. Ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten könne man daraus nicht ableiten. Gleiches habe auch ein gegen ihn geführtes Strafverfahren ergeben, welches nach § 153a der Strafprozessordnung eingestellt worden sei.

13

Auch sei ihm keine Verletzung der Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht vorzuwerfen. Die laufenden steuerlichen Verpflichtungen der GmbH habe er stets erfüllt. In Haftung genommen werde er ausschließlich für Vorsteuern aus den fehlerhaften Rechnungen seines Vaters. Zwar habe ein Geschäftsführer bezogen auf bereits erkennbare künftige Steuerschulden eine Mittelvorsorgepflicht. Diese setze allerdings voraus, dass überhaupt Umstände bekannt seien, die auf eine bevorstehende Entstehung von Steuern schließen ließen. Solche Umstände habe es vorliegend nicht gegeben. Von der Steuerhinterziehung des B habe er keine Kenntnis gehabt. Diese sei erst durch die Betriebsprüfung aufgedeckt worden. Entgegen der Behauptung des Antragsgegners habe er sich auch in der Folgezeit ausreichend um die Begleichung der nach Betriebsprüfung festgesetzten Steuern bemüht. Mehrfach habe er mit dem Antragsgegner über eine Ratenzahlung verhandelt. Dass die GmbH letztlich insolvent gewesen sei, beruhe nicht zuletzt auf dem Beharren des Antragsgegners auf sofortige Zahlung.

14

Zudem sei der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner habe sein Auswahlermessen nicht hinreichend ausgeübt, soweit er festgestellt habe, dass sich das Auswahlermessen zwangsläufig nur auf ihn, den Antragsteller, erstrecke. Er habe bereits ausführlich dargelegt, dass B als faktischer Geschäftsführer der GmbH agiert habe. Allein dieser habe die Nachberechnung der Umsatzsteuer vorgenommen und den Steuerberater veranlasst, falsche Vorsteuerbeträge geltend zu machen. Auch habe B allein von den erhaltenen Zahlungen profitiert. Der Antragsgegner könne ihm nicht vorhalten, dass ein GmbH-Geschäftsführer sich nicht damit entlasten könne, dass er von der Führung der Geschäfte ferngehalten worden sei, weil er die Geschäftsführung durch einen anderen geduldet habe. Denn geduldet habe er gerade das Verhalten des Vaters nicht. Vielmehr habe er erst durch die Betriebsprüfung von den Vorgängen erfahren. Dies decke sich mit der Einlassung des B, willkürlich und in Eigeninitiative gehandelt zu haben. B sei schließlich zu einer Freiheitsstrafe von ... verurteilt worden, wohingegen das gegen ihn geführte Verfahren gegen eine Zahlung von ... € und ... Stunden gemeinnützige Arbeit eingestellt worden sei. Vorrangig sei mithin B in Anspruch zu nehmen. Allein aus diesem Grund sei der Haftungsbescheid aufzuheben. Die fehlerhafte Ermessensausübung werde auch nicht nachträglich dadurch geheilt, dass der Antragsgegner nunmehr auch B als faktischen Geschäftsführer in Haftung nehme. Bereits bei Erlass des Haftungsbescheides hätten stichhaltige Hinweise auf die faktische Geschäftsführung des B vorgelegen. Auf dessen Rolle habe er, der Antragsteller, bereits vor Erlass des Haftungsbescheides in zwei Schreiben hingewiesen. Zwar könne der Antragsgegner auch nachträglich den Kreis der Haftungsschuldner erweitern. Dies befreie ihn jedoch nicht von der Pflicht zur Prüfung, ob einer der potenziellen Schuldner vorrangig heranzuziehen sei.

15

Der Antragsteller beantragt,
den Haftungsbescheid vom 20. September 2017 bis einen Monat nach Ergehen einer Entscheidung über den Einspruch vom 28. September 2017 von der Vollziehung auszusetzen.

16

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

17

An der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestünden keinerlei Zweifel. Fehler beim Auswahlermessen seien nicht ersichtlich. Im Zeitpunkt der Prüfung einer Inanspruchnahme des Antragstellers hätten keinerlei stichhaltige Hinweise auf eine faktische Geschäftsführung des B vorgelegen. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens habe er sein Auswahlermessen erneut ausgeübt. Mittlerweile gehe auch er von einer Haftung des B aus, auch wenn dieser seine Stellung als faktischer Geschäftsführer bestreite. Die Erweiterung des Kreises der Haftungsschuldner sei möglich. Dies ziehe auch nicht nach sich, dass der Antragsteller nunmehr nicht mehr hafte. Vielmehr seien dieser und B Gesamtschuldner.

18

Der Antragsteller habe auch pflichtwidrig gehandelt. Er habe B mit zahlreichen Befugnissen - Handeln gegenüber Banken, den Steuerberatern und innerhalb der Buchhaltung - ausgestattet und ihn arbeiten lassen. Überwachungsmaßnahmen habe er nicht getroffen. Wer jedoch Mitarbeitern freie Hand lasse und weder seine Aufsichtspflicht ausübe noch organisatorische Vorkehrungen für eine geeignete Überwachung treffe, verletze seine ihm obliegende Sorgfaltspflicht. Zudem habe er die Pflicht verletzt, die Umsatzsteuer in richtiger Höhe zu erklären und zu zahlen.

19

Dem Gericht haben ein Band Haftungsakten sowie ein Band Betriebsprüfungsakten zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

II.

20

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

21

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Da weder nach dem Vortrag des Antragstellers noch nach Aktenlage Umstände ersichtlich sind, die für das Vorliegen einer unbilligen Härte sprechen, kommt vorliegend eine AdV einzig aufgrund ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides in Betracht.

22

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFH/NV 2011, 1549, BFH-Beschluss vom 6. November 2008 IV B 126/07, BStBl II 2009, 156). Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der Finanzbehörde und präsenten Beweismittel ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch im Aussetzungsverfahren.

23

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze bestehen bei der gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides, jedenfalls in der streitigen Höhe von ... €.

24

a) Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig. Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob es jemanden und ggf. wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579).

25

Im Streitfall liegen bei summarischer Prüfung nach Lage der Akten die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung in Höhe von ... € vor. Der Antragsteller haftet als eine der in §§ 34, 35 AO genannten Personen für die Steuerschulden der GmbH (aa) aufgrund einer Pflichtverletzung (bb), die er grob fahrlässig begangenen hat (cc) und die für den geltend gemachten Haftungsschaden in genannter Höhe ursächlich wurde (dd). Der Antragsgegner hat das ihm eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt (ee).

26

aa) Gemäß § 69 Satz 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

27

Der Antragsteller ist seit 1995 alleiniger Geschäftsführer der GmbH, mithin ihr gesetzlicher Vertreter in diesem Sinn (vgl. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung).

28

bb) Der Antragsteller handelte auch pflichtwidrig. Denn zu den steuerlichen Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH gehört insbesondere, rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO). Pflichtwidrig ist auch die zwar rechtzeitige, jedoch inhaltlich falsche Abgabe einer Steuererklärung (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rn. 12). Zudem hat er fällige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) aus den von ihm verwalteten Mitteln zu begleichen oder zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen.

29

Vorliegend muss der Antragsteller sich vorhalten lassen, dass er in den Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. den entsprechenden Jahreserklärungen für 2011 und 2012 Vorsteuerbeträge aus den Abrechnungen des B geltend machte. Die Erklärungen waren insoweit fehlerhaft.

30

cc) Der Antragsteller handelte auch grob fahrlässig. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich grobem Maße verletzt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rz. 26). Den Antragsteller trifft ein sogenanntes Organisation- und Überwachungsverschulden.

31

(1) Der Geschäftsführer einer GmbH ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sämtliche steuerliche Angelegenheiten der Gesellschaft ohne Einschränkung selbst zu erledigen. Er ist vielmehr befugt und bei mangelnder eigener Sachkunde sogar verpflichtet, die Erledigung anderen, sachkundigen Personen zu übertragen. Dann ist er jedoch stets verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der steuerlichen Pflichten übertragen hat, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird (BFH-Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278 m. w. N.). Unregelmäßigkeiten dürfen ihm nicht über einen längeren Zeitraum verborgen bleiben können. Dabei braucht er nicht jeden einzelnen Geschäftsvorgang nachzuprüfen. Solange er keine konkreten Anhaltspunkte für eine nachlässige und unzulängliche Aufgabenwahrnehmung hat, darf er sich auf die ordnungsgemäße Erledigung der übertragenen Aufgaben verlassen. Etwas anderes muss gelten, wenn der Geschäftsführer über konkrete Anhaltspunkte verfügt, die auf Versäumnisse des Dritten hindeuten (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2005 VII B 66/05, BFH/NV 2006, 480). Zudem bleibt er stets verpflichtet, sich über die Richtigkeit der buch- und belegmäßigen Erfassung zumindest bei herausgehobenen Geschäftsvorfällen selbst zu informieren (BFH-Beschluss vom 26. November 2008 V B 210/07 BFH/NV 2009, 362). Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung - Überwachungsverschulden - einzustufen (BFH-Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278 m. w. N.).

32

(2) Daran gemessen hat der Antragsteller bei summarischer Prüfung nach Lage der Akten grob fahrlässig seine Pflicht zur Organisation und Überwachung verletzt.

33

(a) Zwar ist ihm zuzugestehen, dass er sich zur Erfüllung der buchhalterischen und steuerlichen Pflichten (Erfassung und Buchung von Geschäftsvorfällen, Erstellung von Steuererklärungen) einer Buchhalterin und eines Steuerberaters bedienen durfte bzw. aufgrund mangelnder eigener Fachkenntnisse ggf. sogar bedienen musste. Auch darf er grundsätzlich darauf verweisen, dass diese stets ordnungsgemäß handelten und er grundsätzlich keine Veranlassung zur Beanstandung der von diesen Personen erfüllten Aufgaben hatte. Vorliegend jedoch handelt es sich bei der aus den "Nachberechnungen" des B geltend gemachten Vorsteuer um außergewöhnliche Geschäftsvorfälle mit einer hervorgehobenen Stellung. Dies ergibt sich bereits aus dem bloßen Volumen der aus diesen Abrechnungen geltend gemachten Vorsteuern, welche allein in den Streitjahren 13 % (2011), 23 % (2012) bzw. 42 % (2013) des gesamten Vorsteuervolumens betragen. Allein aufgrund dieser Größenordnung wäre der Antragsteller zur eigenen, gewissenhaften Prüfung dieser Beträge verpflichtet gewesen. Hinzu kommt, dass diesen "Nachberechnungen" von Umsatzsteuer ein außergewöhnlicher und damit besonders überwachungsbedürftiger Sachverhalt zugrunde liegt. Sowohl aus dem Betriebsprüfungsbericht als auch der zeugenschaftlichen Vernehmung der Buchhalterin geht hervor, dass diese "Nachberechnungen" Konsequenz eines gegen den B gerichteten strafrechtlichen sowie finanzgerichtlichen Verfahrens war. Dem B wurde insoweit vorgeworfen, Beratungs- und Provisionsleistungen nicht ordnungsgemäß mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet und Umsatzsteuer abgeführt zu haben; diese habe er nachzuversteuern. Der Antragsteller hatte mithin konkrete Anhaltspunkte für Versäumnisse und pflichtwidriges Verhalten des B. Von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer wäre vor diesem Hintergrund zwingend zu erwarten gewesen, dass er die von B eingereichten "Nachberechnungen" selbst gewissenhaft prüft, sie insbesondere mit den von B in den Vorjahren ausgeführten Umsätzen abgleicht. Auch hätte es nahegelegen, von B das gegen ihn ergangene finanzgerichtliche Urteil anzufordern und einzusehen.

34

(b) Der Antragsteller kann sich auch nicht damit exkulpieren, dass nach seinem Vortrag B gleichsam als faktischer Geschäftsführer willkürlich und in Eigeninitiative gehandelt und seine Rechnungen ohne Wissen und Absprache mit der Firmenleitung oder anderen Personen gestellt und abgerechnet habe.

35

Zwar bestehen insbesondere aufgrund der Aussage der Buchhalterin konkrete Anhaltspunkte für eine faktische Geschäftsführung durch B. Danach habe er Mahnungen und Zahlungen angewiesen sowie Überweisungen unterschrieben. Zudem habe er die kaufmännische Leitung innegehabt, da er die wesentlichen Entscheidungen im Unternehmen getroffen und die kaufmännische Leitung eigentlich nicht aus der Hand gegeben habe. Auch habe er mit Banken und Steuerberatern verhandelt.

36

Ein nur nomineller GmbH-Geschäftsführer kann sich aber nicht damit entlasten, dass er von der Führung der Geschäfte ferngehalten wurde und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Denn die Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten einer GmbH ergibt sich allein aus seiner nominellen Bestellung. Wer die Geschäftsführung durch einen anderen faktisch duldet, hat durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen sicherzustellen, dass dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt (BFH-Beschluss vom 13. Februar 1996 VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657 m. w. N.). Sollte es mithin zutreffen, dass B die eigentliche kaufmännische Leitung der GmbH inne gehabt hat, insbesondere sich um Zahlungsverkehr, Buchhaltung und steuerliche Belange kümmerte, hätte der Antragsteller durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen sicherstellen müssen, dass B ordnungsgemäß handelt. Dies gilt im besonderen Maße aufgrund der dem Antragsteller bekannten straf- und finanzgerichtlichen Verfahren gegen B.

37

Nach alledem musste sich einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer geradezu aufdrängen, dass die zu Gunsten des B in die Buchhaltung eingebrachten Vorgänge einer besonderen und detaillierten eigenen Überprüfung bedurften. Dies hat der Antragsteller nach Aktenlage bei summarischer Prüfung grob fahrlässig unterlassen.

38

dd) Aus dieser grob fahrlässigen Pflichtverletzung resultiert auch ein adäquat kausal verursachter Schaden in Höhe von (mindestens) ... €.

39

Knüpft die Haftung an die Verletzung der Erklärungspflicht an, ist ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Festsetzung bei rechtzeitiger und richtiger Erklärung Zahlungsmittel oder vollstreckbares Vermögen zur Tilgung der Steuerlast vorhanden gewesen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100).

40

Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2011 und 2012 führt dies bei summarischer Prüfung zur Haftung des Antragstellers in voller Höhe von ... €. Denn hätte der Antragsteller spätestens in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2011 und 2012 die entsprechenden Vorsteuerbeträge nicht geltend gemacht, hätte der Antragsgegner für 2011 einen um ... € verminderten Vorsteuerüberhang an die GmbH ausgekehrt bzw. für 2012 keinen Vorsteuerüberhang ausgekehrt, sondern die Umsatzsteuer auf ... € festgesetzt. Dafür, dass die GmbH letzteren Betrag Anfang 2014 nicht hätte begleichen können, ist nach Aktenlage nichts ersichtlich. Bereits aus diesem Grund ergibt sich eine Haftung des Antragstellers für Steuern in Höhe von ... €.

41

Der Antragsgegner geht ersichtlich von anderen Grundsätzen aus. Den Anknüpfungspunkt für eine Haftung sieht er wohl in der Nichtbegleichung der fälligen Steuerbeträge, wie sie sich nach Erlass der Änderungsbescheide nach Betriebsprüfung ergeben. Der Antragsgegner sieht die Pflicht zur anteiligen und gleichmäßigen Tilgung aller Schulden entsprechend der vorhandenen Mittel als verletzt an und nimmt den Antragsteller lediglich i. H. v. 75,6 % der offenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen und Säumniszuschläge in Höhe von ... € in Anspruch. Auf diese (subsidiäre) Pflichtverletzung kommt es indes hinsichtlich der Umsatzsteuerbeträge für 2011 und 2012 nicht an. Da der Antragsgegner die Haftungssumme zu Gunsten des Antragstellers zu gering angesetzt hat, führt dies auch nicht zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides. Eine Verböserung zulasten des Antragsgegners kommt im gerichtlichen Verfahren nicht in Betracht.

42

Offen bleiben kann vor diesem Hintergrund, ob der Antragsteller auch hinsichtlich der Zinsen und Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2011 und 2012 in Anspruch genommen werden kann. Zutreffend dürfte der Antragsgegner hinsichtlich der Zinsen und Säumniszuschläge auf die Verletzung der Pflicht zur anteiligen Tilgung abgestellt haben. Soweit er jedoch von einer Tilgungsquote von 75,6 % unter Verweis auf das Gutachten des Insolvenzverwalters vom 28. Juni 2016 verweist, ist diese Begründung bei summarischer Prüfung unzureichend. Diese Quote ergibt sich aus dem Gutachten nicht. Es fehlen zudem grundsätzliche Ausführungen zur Bestimmung des Haftungszeitraums und der Ermittlung und Entwicklung des Bestands der Verbindlichkeiten. Auch wäre eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Antragstellers zur Haftungsquote in dessen Schreiben vom 30. Juni 2017 geboten gewesen.

43

Hinsichtlich der Säumniszuschläge, die laut Haftungsbescheid teilweise erst am 23. Mai 2016, mithin nach Stellung eines Antrags auf und kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig waren, gibt das Gericht zudem zu bedenken, dass eine Inanspruchnahme des Antragstellers aufgrund eines Anspruchs der GmbH auf Erlass wegen Zahlungsunfähigkeit ggf. nur zur Hälfte in Betracht kommt (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2004 IV R 8/04, BFH/NV 2005, 495 (Hinweis des Dokumentars: Das Aktenzeichen lautet zutreffend VII R 8/04)).

44

ee) Keine Zweifel bestehen auch an der rechtmäßigen Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens. Der Antragsgegner hat das ihm gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

45

Hinsichtlich des Entschließungsermessens ist es ausreichend, dass der Antragsgegner lediglich auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die GmbH als Steuerschuldnerin und die damit verbundene Unmöglichkeit eine Einziehung der rückständigen Steuer durch Vollstreckungsmaßnahmen hinweist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4).

46

Die vom Antragsteller hinsichtlich des Auswahlermessens gerügte Ermessensunterschreitung liegt nicht vor. Denn der Antragsgegner hat jedenfalls unter Berücksichtigung seines Schreibens vom 24. Oktober 2017 im Rahmen des Einspruchsverfahrens hinreichend zum Ausdruck gebracht, warum er den Antragsteller in Anspruch nimmt. Zur hinreichenden Darlegung des Auswahlermessens genügt es, wenn sich aus den Ausführungen des Finanzamts ergibt, dass neben dem Betroffenen andere Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden sind bzw. sie in Anspruch genommen werden können. In die Ermessenserwägungen sind dabei sämtliche Personen einzubeziehen, die nach den Haftungsvorschriften für dieselben Steuern haften. Unter den einzelnen Haftungstatbeständen besteht keinerlei Rangordnung (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579). Mehrere Haftungsschuldner haften regelmäßig gleichrangig nebeneinander.

47

Diesen Grundsätzen hat der Antragsgegner genüge getan. Spätestens in seinem Schreiben vom 24. Oktober 2017 hat er hinreichend dargetan, dass er eine mögliche Inanspruchnahme des B als Haftungsschuldner aufgrund faktischer Geschäftsführung geprüft hat und diesen auch in Anspruch nehmen wird. Dabei war es nicht ermessensfehlerhaft, aufgrund der bloßen Möglichkeit der - von B bisher bestrittenen - Haftung des faktischen Geschäftsführers nicht gänzlich von einer Haftung des Antragstellers abzusehen. Denn selbst der nominelle Geschäftsführer ohne jegliche tatsächliche Möglichkeit zur Geschäftsführung haftet grundsätzlich neben einem faktischen Geschäftsführer (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579). Entgegen der Sicht des Antragstellers gibt es keine Pflicht, den faktischen Geschäftsführer vorrangig in Anspruch zu nehmen.

48

3. Der Antragsteller hat gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe für die Zulassung der Beschwerde nach § 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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