Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 271/17

Gründe

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I. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids für Tabaksteuer vom 10.01.2017 (XX-1) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2017 (XX-2) hat Erfolg.

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Der Antrag gem. § 69 Abs. 3 FGO ist zulässig und begründet. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Der Erfolg braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg, es brauchen insbesondere nicht erhebliche Zweifel in dem Sinne zu bestehen, dass eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist; vielmehr genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg. Dabei entscheidet das Gericht auf Basis der vorliegenden Unterlagen, d. h. nur nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen des Finanzgerichts sind nicht erforderlich. Die Beteiligten haben die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, EL 141 Juli 2015, § 69 FGO, Rn. 89, 122, 123 mit Nachweisen zur st. Rspr. des BFH).

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Daran gemessen liegen aus tatsächlichen Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids vor.

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Rechtsgrundlage des Haftungsbescheids ist § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO. Danach kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Zwar liegt die erforderliche "Steuer", also eine Haftungsschuld, vor (1.). Es ist aber zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des vom Antragsgegner herangezogenen Haftungstatbestands des § 71 AO tatsächlich vorliegen. Nach Aktenlage kann nicht davon ausgegangen werden, sondern ist unklar, ob der Antragsteller auch den subjektiven Tatbestand einer Steuerhehlerei (§ 374 AO) verwirklicht hat (2).

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1. Die von § 191 Abs. 1 Satz 1 AO vorausgesetzte Steuerschuld ist mit der Tabaksteuerschuld des Herrn A gegeben. Diese dürfte nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Tabaksteuergesetz in der vom 01.01.2008 bis 31.03.2010 gültigen Fassung (im Folgenden: TabStG) entstanden sein. Danach entsteht die Steuer für Tabakwaren, die nicht in einem zugelassenen Herstellungsbetrieb hergestellt werden, mit der Herstellung. Nach Satz 2 der Vorschrift ist Steuerschuldner der Hersteller.

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Herr A hat die später vom Antragsteller angekaufte und bei diesem am 12.03.2010 sichergestellte insgesamt 59,7 kg umfassende und in Pakete und Eimer verpackte Ware namens "Räucherfrucht" hergestellt. Eine Erlaubnis zur Herstellung von Tabakwaren (§ 9 Abs. 2 Satz 1 TabStG) besaß er dabei nicht. Die Tabaksteuer wurde nicht durch die Verwendung von Steuerzeichen entrichtet (§ 12 Abs. 1 Satz 1 TabStG).

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Beides wäre jedoch notwendig gewesen, da es sich nach summarischer Prüfung bei der "Räucherfrucht" um eine der Tabaksteuer unterliegende Tabakware handelt. Die "Räucherfrucht" stellt ein den Tabakwaren (Rauchtabak in Form von Pfeifentabak) gleichgestelltes Erzeugnis nach § 3 Abs. 2 Satz 1 TabStG dar. Danach gelten Erzeugnisse als Zigaretten oder Rauchtabak, die statt aus Tabak ganz oder teilweise aus anderen Stoffen bestehen und die sonstigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder 3 erfüllen. Nach dem vorliegend allein in Betracht kommenden § 2 Abs. 3 TabStG ist Rauchtabak (Feinschnitt und Pfeifentabak) geschnittener oder anders zerkleinerter oder gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Die streitgegenständliche Ware erfüllt diese Voraussetzungen. Sie besteht aus einer klebrigen Mischung aus ca. 70 % Trockenfrüchten und ca. 30 % Melassemix, die in kurze Streifen geschnitten ist. Tabak ist nicht enthalten. Die Ware eignet sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen. Zwar wird sie nicht selbst entzündet, sie lässt sich aber in der üblichen Weise in einer Wasserpfeife rauchen (vgl. zum Vorliegen eines dem Rauchtabak gleichgestellten Erzeugnisses im Fall von Pflanzenteilen, die wie Wasserpfeifentabak konsumiert werden, bereits FG Hamburg, Urteil vom 07.10.2008, 4 K 124/08, juris Rn. 19; bestätigt durch BFH, Beschluss vom 30.04.2009, VII B 243/08, juris; vgl. zur Steuerbarkeit von Wasserpfeifentabak i. Ü. BGH, Beschluss vom 27.07.2016, 1 StR 19/16, juris Rn. 5, wonach es für die Frage der Steuerbarkeit nicht darauf ankommt, ob der Tabak in der Wasserpfeife verbrennt oder sich die nach Hitzeeinwirkung austretenden Dämpfe durch eine andere Form der Stoffumwandlung ergeben. Entscheidend ist lediglich, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen, also "geraucht" wird).

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2. Zweifelhaft ist jedoch, ob die weitere Voraussetzung des § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO gegeben ist, nämlich ob der Antragsteller für die Steuerschuld des Herrn A haftet. Hierzu hat der Antragsgegner auf den Haftungstatbestand des § 71 Alt. 2 AO abgestellt. Danach haftet, wer eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u. a. für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Die Voraussetzungen einer Steuerhehlerei richten sich nach § 374 Abs. 1 AO. Danach wird wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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Nach der für das Eilverfahren maßgeblichen Aktenlage ist unklar, ob der Antragsteller eine Steuerhehlerei begangen hat. Eine Haftung nach § 71 Alt. 2 AO setzt voraus, dass der objektive und der subjektive Tatbestand des § 374 AO erfüllt sind. Der subjektive Tatbestand des § 374 AO setzt voraus, dass der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass hinsichtlich der Sache, die den Gegenstand seiner Handlung bildet, Abgaben oder Steuern hinterzogen worden sind, ohne dass er über Einzelheiten der Vortat, die Höhe der hinterzogenen Abgaben oder die Art der Tatausführung unterrichtet zu sein braucht und trotz Kenntnis von der Vortat den Willen hat, die Sache anzukaufen. Bedingter Vorsatz genügt. Steuerhehlerei liegt daher auch dann vor, wenn der Täter zwar nicht sicher weiß, ob die fragliche Sache z. B. geschmuggelt worden ist, wenn er aber damit rechnet und die Tat auch für den Fall will, dass seine Vermutung zutrifft. Ob der Betroffene den Umständen nach hätte wissen müssen, dass es sich um z. B. Schmuggelgut handelte, ist für § 374 AO unerheblich, wenn er dies tatsächlich nicht erkannt hat. Des Weiteren ist für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes erforderlich, dass der Täter in Bereicherungsabsicht gehandelt hat, die sich auf einen Vermögensvorteil richten muss. Vermögensvorteil ist jede Besserung der Vermögenslage (vgl. Meyer in Gosch, AO/FGO, EL 137 Juni 2017, § 374 AO, Rn. 13 f.; Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 374 AO, Rn. 51 f. m. w. N.). Die Finanzbehörde trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen aller haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 71 AO, folglich auch der Straftat im Sinne des § 374 AO. Daher muss sie im Haftungsbescheid die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 374 AO schlüssig darlegen (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, EL 147 Januar 2017, § 71 AO, Rn. 3, 8, 17 mit weiteren Nachweisen aus der Rspr.; FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.02.2004, 1 V 1019/03, juris Rn. 21; Bayerischer VGH, Beschluss vom 06.02.2012, 4 ZB 11.2024, juris Rn. 8).

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Ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Antragstellers hat der Antragsgegner in den angegriffenen Bescheiden nicht schlüssig dargelegt und auch im vorliegenden Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Im Haftungsbescheid heißt es:

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"Mit dem Ankauf bzw. sich Verschaffen der Zigaretten haben Sie sich der Steuerhehlerei schuldig gemacht. Aufgrund der fehlenden deutschen Steuerzeichen wussten Sie oder hätten vernünftigerweise wissen müssen, dass sich diese Tabakwaren nicht im freien Verkehr befinden und die Tabaksteuer dafür nicht entrichtet wurde. Gemäß § 71 AO haftet für die verkürzte Tabaksteuer, wer eine Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begeht."

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Diese Begründung genügt den dargelegten Anforderungen ersichtlich nicht. Es ist von Zigaretten die Rede und hinsichtlich des Verschuldens des Antragstellers wird wohl auch ein lediglich fahrlässiges Handeln für möglich gehalten, mit welchem eine Steuerhehlerei jedoch nicht begründet werden kann. Auch die Einspruchsentscheidung verhält sich nicht schlüssig zum subjektiven Tatbestand einer Steuerhehlerei:

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"Der Ef. ist (...) Haftungsschuldner geworden, da er durch den Ankauf des unversteuerten Wasserpfeifentabaks eine Steuerhehlerei begangen hat. Gemäß § 71 AO haftet für verkürzte Steuern, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da sich der Ef. bezüglich der Tabaksteuer einer Steuerhehlerei strafbar gemacht hat. (...) Der Ef. hat sich die 59.700 Gramm Wasserpfeifentabak verschafft. Dass diese Tabakwaren unversteuert waren, hat er auch gewusst. Gemäß § 71 Abgabenordnung haftet für verkürzte Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile, wer eine Steuerhehlerei begeht. Auf eine tatsächliche Verurteilung kommt es hierbei nicht an."

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Es dürfte zutreffen, dass der Antragsteller aufgrund nicht vorhandener Steuerzeichen gewusst hat, dass für die "Räucherfrucht" keine Tabaksteuer entrichtet worden war. Der subjektive Tatbestand einer Steuerhehlerei ist aber nur dann erfüllt, wenn der Antragsteller gewusst bzw. in Erwägung gezogen hat, dass die "Räucherfrucht" aufgrund ihrer Eigenschaft als Tabakware Steuerzeichen hätte tragen müssen. Nur dann hätte der Antragsteller mit der Möglichkeit einer Vortat gerechnet und sie, um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, in Kauf genommen. Zu diesem sowohl bei der Steuerhinterziehung als auch bei der Steuerhehlerei primär problematischen Wissenselement, das in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden muss, verhalten sich die Bescheide des Antragsgegners nicht. Es werden keine Umstände benannt, aufgrund derer auf ein entsprechendes Wissen des Antragstellers geschlossen werden könnte.

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Auch den Vortrag des Antragstellers im vorliegenden Verfahren und im parallelen Klagverfahren 4 K 259/17, er habe sich keiner Steuerhehlerei schuldig gemacht, da er nicht vorsätzlich Waren angekauft habe, hinsichtlich derer Verbrauchsteuern hinterzogen worden seien, hat der Antragsgegner nicht zum Anlass genommen, eine entsprechende Begründung nachzuholen. Der Antragsteller hat insoweit vorgetragen, dass weder er noch Herr A davon ausgegangen seien, dass es sich bei der "Räucherfrucht" "auch nur ansatzweise" um eine dem Tabak gleichgestellte Räucherware hätte handeln können. Nirgendwo sei damals "Räucherfrucht" zur Besteuerung nach dem Tabaksteuergesetz angemeldet worden. Bis zur Durchsuchung seiner Geschäftsräume sei er nicht davon ausgegangen, dass diese feuchte, pastige Fruchtmasse nach dem Tabaksteuergesetz steuerpflichtig hätte sein können. Das hierfür erforderliche Wissen sei bei ihm nicht vorhanden.

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Nach der derzeitigen Aktenlage kann diese Einlassung des Antragstellers nicht als Schutzbehauptung widerlegt werden. Das am 12.03.2010 gegen den Antragsteller eingeleitete Strafverfahren wegen u. a. des Verdachts der Steuerhehlerei hat zu keiner Verurteilung geführt. Damit existiert kein strafrechtliches Urteil, das sich zum subjektiven Tatbestand einer Steuerhehlerei verhält. Das Verfahren wurde vielmehr nach § 170 Abs. 2 StPO im Januar 2017 wegen Verfolgungsverjährung eingestellt. Der Verlauf des Verfahrens, etwaige Ermittlungsergebnisse und die Gründe, weshalb es zu einer Verjährung kam, ergeben sich nicht aus der vorliegenden Sachakte.

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Die Abwicklung des Ankaufs der "Räucherfrucht" dürfte zudem die Einlassung des Antragstellers stützen. Es dürfte wohl für ein gutgläubiges Handeln des Antragstellers sprechen, dass der Ankauf dieser damals neuartigen Ware ausweislich des im Verfahren 4 K 151/13 vorgelegten Lieferscheins vom 06.03.2010 gegen Rechnung, auf der auch die Mehrwertsteuer ausgewiesen war, durchgeführt wurde. Im Falle einer vorsätzlichen Steuerhehlerei wäre auf ein solches Dokument wohl eher verzichtet worden.

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II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 135 Abs. 1 und 128 Abs. 3 i. V. m. 115 Abs. 2 FGO.

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