Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 12/19

Tatbestand

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Streitig ist, ob der Kläger im Streitjahr 2016 unbeschränkt steuerpflichtig war. Hilfsweise greift der Kläger die Höhe des zugrunde gelegten gewerblichen Gewinns an.

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Der Kläger wurde ... in A geboren und ist Staatsbürger dieses Landes. Seit 2005 verfügt er auch über eine Aufenthaltserlaubnis für Spanien. Nach der Eheschließung im ... 2010 zog der Kläger im ... 2011 von Spanien nach Deutschland zu seiner Ehefrau in Hamburg; seither ist er mit alleiniger Wohnung in Hamburg gemeldet und wird beim Beklagten steuerlich geführt und mit seiner Ehefrau - bis zur Trennung in 2017 - zusammenveranlagt. Am ... wurde der gemeinsame Sohn geboren. Seit 2012 erzielte der Kläger gewerblich Einkünfte zunächst aus dem Im- und Export und sodann aus dem Betrieb eines Transportunternehmens .... Seit 2018 wird das Unternehmen bei dem Finanzamt Hamburg-1 geführt.

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Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr wurde am 20. Februar 2018 in elektronischer Form mit Hilfe von "B, Rechtsanwalt, bei C GmbH" beim Beklagten eingereicht. U.a. wurden damit Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € erklärt. Diese basierten auf einem von der ... C GmbH (...) erstellten Jahresabschluss und der entsprechenden Gewerbesteuererklärung. Mit Schreiben vom 22. Februar 2018 widerrief der Kläger die der C Group GmbH erteilte Empfangsvollmacht. Später urteilte das Amtsgericht D in einem Honorarprozess der C GmbH gegen den Kläger am ... 2018, dass die C GmbH unbefugt Hilfeleistungen in Steuersachen erbracht habe und der Vertrag demzufolge unwirksam und die Klage abzuweisen sei.

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Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 21. März 2018 wurde dem Kläger persönlich bekannt gegeben. Den hiergegen gerichteten Einspruch vom 12. April 2018, eingelegt von Rechtsanwalt E, begründete der Kläger persönlich - nach Pfändung seines Kontos - wie folgt:
Der Steuerberater habe ohne sein Wissen Zahlen von über ... € übermittelt. Warum, sei unklar, vielleicht sei er von Dritten beauftragt worden oder habe kriminell gehandelt. Er sei Transportunternehmer und arbeite mit fremdfinanzierten und mit Mietfahrzeugen. Die Betriebsausgaben seien durch seinen Steuerberater nicht vollständig berücksichtigt worden. Ferner teilte der Kläger mit, dass er in Deutschland beschränkt steuerpflichtig sei. Er sei zwar geschäftlich viel in Deutschland unterwegs, aber als Privatperson nicht abhängig von Deutschland. Er habe seit 2004 in Spanien gelebt und sei dort bis heute gemeldet, dort zahle er auch seine privaten Steuern. In Hamburg sei er seit seiner Eheschließung mit dem zweiten Wohnsitz gemeldet, habe aber eine unbefristete spanische Aufenthaltsgenehmigung.

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Nachdem in dem parallel geführten Einspruchsverfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2016 vom 21. März 2018, in dem die Steuererklärungen ebenfalls mit Hilfe von "B, Rechtsanwalt, bei C GmbH" beim Beklagten eingereicht worden waren, weiterer Verpflegungsmehraufwand geltend gemacht worden war, setzte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Finanzamt Hamburg-1 mit Bescheid vom 13. September 2018 den Gewinn aus Gewerbebetrieb auf ... € herab. Unter dem 27. Juli 2019 hob das Finanzamt Hamburg-1 diesen Gewerbesteuermessbescheid auf und erließ am 6. August 2019 einen neuen Bescheid, mit dem der Gewerbesteuermessbetrag in derselben Höhe geschätzt wurde.

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Mit geändertem Bescheid vom 13. September 2018 setzte der Beklagte auch die Einkommensteuer 2016 entsprechend herab und wies mit Entscheidung vom 27. Dezember 2018 den Einspruch zurück. Der Kläger sei im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, weil er im Streitjahr einen gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Familie in Deutschland gehabt habe. Auch sein Transportunternehmen sei in Deutschland gewerblich angemeldet. Unterlagen über eine etwaige in Spanien bestehende Steuerpflicht seien nicht eingereicht worden.

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Am 28. Januar 2019 hat der Kläger Klage erhoben. Er hält daran fest, dass er mit seinen Einkünften allenfalls gem. § 49 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beschränkt steuerpflichtig sei. Er verfüge in Spanien über einen Wohnsitz und sei dort sozialversicherungspflichtig. Er lebe seit 2004 in Spanien und habe nur bei seinen geschäftlichen Besuchen in Hamburg bei seiner Familie gelebt. Insoweit unterhalte er in Deutschland auch nur eine kleine Betriebsstätte seines in Spanien betriebenen Transportunternehmens. Im Streitjahr habe er in Spanien keine Steuererklärungen eingereicht und es seien dort auch keine Steuerbescheide ergangen. Letztlich sei er nur in A unbeschränkt steuerpflichtig.

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Die übermittelte Einkommensteuererklärung für das Streitjahr sei zudem unwirksam und der Einkommensteuerbescheid für 2016 demzufolge nichtig. Das Amtsgericht D habe geurteilt, dass die C GmbH unbefugt Hilfe in Steuersachen geleistet habe, der hinzugezogene Rechtsanwalt B habe keine Prüfungskompetenz gehabt.

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Der Kläger beantragt,
den Bescheid für 2016 über Einkommensteuer vom 13. September 2018 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Dezember 2018 insoweit zu ändern, als er mit Einkünften aus Gewerbebetrieb als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt worden ist.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

11

Der Beklagte hält daran fest, dass der Kläger nach Aktenlage seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland gehabt habe und deshalb im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Ein hiervon abweichendes Geschehen sei nicht dargetan und nachgewiesen worden.

12

Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass der mit der C GmbH geschlossene Vertrag unwirksam sei, werde dies nicht bestritten, berühre aber nicht automatisch die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung. Grundlage der Steuerfestsetzung sei die zu Recht erfolgte Schätzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger habe bislang weder eine (neue) Steuererklärung eingereicht noch im Einzelnen die Höhe seiner gewerblichen Einkünfte erläutert.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschriften über den Erörterungstermin vom 18. Juni 2020 und die Senatssitzung vom 30. Juli 2020 Bezug genommen.

...

Entscheidungsgründe

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Der zulässigen Klage bleibt der Erfolg versagt.

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Der angegriffene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger war im Streitjahr in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (1.). Der angegriffene Bescheid ist weder nichtig noch rechtswidrig (2.).

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1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht erfasst nach § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG die dort aufgeführten Einkünfte; dies gilt unabhängig davon, ob die Tätigkeiten im In- oder Ausland ausgeübt werden. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 EStG grundsätzlich auch auf ausländische Einkünfte i.S. des § 34d EStG.

17

Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 der Abgabenordnung (AO). Danach kommt es darauf an, ob die betroffene Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass es sich - im Sinne einer bescheidenen Bleibe - um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind (BFH-Urteil vom 13. November 2013, I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046). Der Begriff des Wohnsitzes setzt nach ständiger Rechtsprechung ferner voraus, dass der Steuerpflichtige die Wohnung innehat. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehen und zudem in subjektiver Hinsicht von ihm zu einer entsprechenden Nutzung, d.h. für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt, bestimmt sein. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 26. Februar 1986, II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; vom 22. April 1994, III R 22/92, BStBl II 1994, 887; vom 23. November 2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294; vom 19. März 1997, I R 69/96, BStBl II 1997, 447; vom 13. November 2013, I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046; vom 23. Oktober 2018, I R 74/16, BFH/NV 2019, 388). Ein verheirateter Steuerpflichtiger hat in der Regel seinen Wohnsitz dort, wo sich seine Familie befindet (BFH-Urteil vom 6. Februar 1985, I R 23/82, BStBl II 1985, 331).

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Es bestehen im Streitfall keine Zweifel daran, dass der Kläger nach diesen Maßstäben im Inland einen Wohnsitz hatte. Er war in Hamburg seit 2011 durchgehend mit alleinigem Wohnsitz gemeldet und lebte hier bis zur Trennung in 2017 mit seiner Familie in der Familienwohnung zusammen. Seit 2012 war auch sein Unternehmen mit alleiniger Betriebsstätte in Hamburg gemeldet und seitdem hat der Kläger Steuererklärungen zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer, basierend auf seiner unbeschränkten Steuerpflicht, abgegeben. Soweit der Kläger im Rahmen dieses Verfahrens vorgetragen hat, er habe seit 2004 in Spanien gelebt und seine Ehefrau und seinen Sohn nur anlässlich geschäftlicher Reisen nach Hamburg besucht, ist dies durch nichts belegt und widerspricht seinem melderechtlichen Verhalten und seinen Angaben in den Steuererklärungen über die Zusammenveranlagung sowie über eine alleinige Betriebsstätte in Hamburg; zudem widerspricht es seinem Vortrag zu dem nachträglich geltend gemachten Verpflegungsmehraufwand.

19

Selbst wenn der Kläger nach seinem Vortrag auch über Wohnsitze in Spanien und überdies in A verfügt haben will, ändert dies nichts an seiner unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Denn ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze i.S. von § 8 AO innehaben, diese können im In- und Ausland belegen sein (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 2002, I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411; vom 24. Juli 2018, I R 58/16, BFH/NV 2019, 229; vom 23. Oktober 2018, I R 74/16, BFH/NV 2019, 318). Überdies führt ein inländischer Wohnsitz auch dann zur unbeschränkten Steuerpflicht, wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Ausland befindet (BFH-Urteil vom 23. Oktober 2018, I R 74/16, BFH/NV 2019, 318 m.w.N.). Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger in Deutschland einen Familienwohnsitz hatte und damit seine unbeschränkte Steuerpflicht begründet wird.

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2. Der Einkommensteuerbescheid vom 13. September 2018 ist weder nichtig noch rechtswidrig.

21

a) Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Hieran fehlt es im Streitfall.

22

Zwar beruht der im angegriffenen Einkommensteuerbescheid zugrunde gelegte Gewinn aus Gewerbebetrieb auf der von der C GmbH erstellten Gewinnermittlung und Steuererklärung, obwohl die C GmbH nach dem Urteil des Amtsgerichts D vom ... 2018 nicht zu Hilfeleistungen in Steuersachen befugt war. Dies führt indes nicht zur Nichtigkeit des Bescheides. Die von einem nicht zur Hilfeleistung in Steuersachen Befugten eingereichten Erklärungen sind nicht ohne weiteres unwirksam, unwirksam werden Verfahrenshandlungen erst ab dem Zeitpunkt der Zurückweisung des unbefugt Hilfeleistenden, § 80 Abs. 9 AO (s.a. Mues in Gosch, AO/FGO, § 80 AO Rz. 146). Bis zum Erlass des Einkommensteuerbescheides war die C GmbH nicht zurückgewiesen worden. Die Entscheidung des Amtsgerichts, die in dem Zivilrechtsstreit zwischen der C GmbH als Klägerin und dem hiesigen Kläger als Beklagten ergangen ist, hat keine Bindungswirkung für das öffentlich-rechtliche Steuerschuldverhältnis zwischen dem Kläger und dem beklagten Finanzamt.

23

Andere Nichtigkeitsgründe im Sinne von § 125 Abs. 2 AO liegen ersichtlich nicht vor.

24

b) Der Bescheid ist auch nicht rechtswidrig. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb beruht auf der namens des Klägers eingereichten Steuererklärung. Wie dargestellt, berührt die mangelnde Befugnis der C GmbH zu Hilfeleistungen in Steuersachen nicht automatisch die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärungen. Eine korrigierte Einkommensteuer- bzw. Gewerbesteuererklärung hat der Kläger bislang nicht eingereicht. Ebenso wenig hat er im gerichtlichen Verfahren nachvollziehbar dargetan, warum die von der C GmbH erstellten Zahlen falsch sein sollen und in welcher Höhe tatsächlich ein Gewinn angefallen ist. Trotz gerichtlicher Hinweise hat er keinerlei Unterlagen eingereicht, aus denen ein niedrigerer Gewinn abzuleiten wäre. Auch von der Möglichkeit, sich von seinem betrieblichen Konto Auszüge von der Bank zu beschaffen, nachdem sämtliche Geschäftsunterlagen verbrannt sein sollen, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

25

Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Veranlassung und keine Anhaltspunkte, den Gewinn aus Gewerbebetrieb herabzusetzen. Da der Einkommensteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO steht, kann er jedoch bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung bei Vorlage einer entsprechenden Steuererklärung und von Belegen auch außerhalb dieses Verfahrens noch geändert werden.

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3. Schließlich fehlen auch jegliche Anhaltspunkte für eine Ermäßigung der Steuer nach § 34c EStG durch eine eventuelle Anrechnung ausländischer Steuern. Insoweit hat der Kläger selbst nicht vorgetragen bzw. belegt, dass er im Streitjahr in einem anderen Land, insbesondere in Spanien, Steuern gezahlt hat.

27

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO sind nicht gegeben.

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