Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 143/18

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Einordnung des Gewinns aus der Auflösung des Unterschiedsbetrages gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als begünstigter Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn im Sinne des § 16 EStG.

2

Die Klägerin beteiligte sich mit einer Kommanditeinlage i.H.v. ... € an der A ... mbH und Co. KG (Beigeladene). Bei der Beigeladenen handelt es sich um eine 2003 gegründete Publikumspersonengesellschaft mit dem Geschäftsgegenstand des Erwerbs und Betriebs von Seeschiffen sowie allen damit in Zusammenhang stehenden Geschäften. Persönlich haftende Gesellschafterin der Beigeladenen und alleinig zur Vertretung befugt war die B Verwaltungsgesellschaft mbH (Komplementärin). Am Vermögen der Beigeladenen war sie nicht beteiligt. Gründungskommanditistin der Beigeladenen war die C ... GmbH (Treuhänderin). Das Konzept der KG als Schifffonds sah vor, dass sich Anleger als Treugeberkommanditisten mit entsprechenden Einlagen mithilfe der Treuhänderin an der Beigeladenen beteiligen konnten. Nach Einzahlung der vollen Einlage sollten die Treugeberkommanditisten berechtigt sein, von der Treuhänderin die Abtretung eines entsprechenden Kommanditanteils und die Eintragung in das Handelsregister verlangen zu können. Dem folgend wurde die Klägerin am ... 2005 als Kommanditistin der Beigeladenen in das Handelsregister eingetragen.

3

Am ... 2003 erwarb die Beigeladene das Schiff "XX", einen Doppelhüllen-Sicherheitstanker. Dieser wurde in das Schiffsregister von Hamburg eingetragen. Die Bereederung des Schiffes übernahm die D GmbH & Co. KG. Der Kaufpreis des Schiffes betrug ... €.

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Mit Antrag vom 19. Dezember 2007 optierte die Beigeladene, beginnend zum 1. Januar 2007, zur Gewinnermittlung nach der Tonnage gemäß § 5a EStG. Diesem Antrag stimmte der Beklagte zu und erließ am 24. August 2009 einen Bescheid auf den 31. Dezember 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Unterschiedsbetrages gemäß § 5a Abs. 4 EStG bei der Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr. Für das Schiff ging der Beklagte dabei von einem Teilwert in Höhe von ... € und einem Unterschiedsbetrag i.H.v. ... € aus. Der Unterschiedsbetrag für Fremdwährungsverbindlichkeiten betrug -... €. Unter Berücksichtigung des gesamten gezeichneten Kapitals i.H.v. ... € und der klägerischen Einlage i.H.v. ... € stellte der Beklagte bezogen auf die Klägerin einen Unterschiedsbetrag i.H.v. ... € fest (... € für das Schiff, ... € für Fremdwährungsverbindlichkeiten).

5

Nach diversen Kapitalmaßnahmen im Jahr 2010 und 2011 betrug das gezeichnete Kapital der Klägerin ... €, wobei die Hafteinlage auf 10 % dieses Betrags (... €) beschränkt war.

6

Am 2. Juni 2015 bestellte das Insolvenzgericht E einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 3. September 2015 eröffnete es das Insolvenzverfahren. Am 17. September 2015 folgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementärin. Noch im September 2015 veräußerte der Insolvenzverwalter das Schiff.

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Am 11. Januar 2018 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin mittels Einzelbekanntgabe einen Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Beigeladenen betrugen danach ... €. Der nach § 5a Abs. 1 EStG zu ermittelnde Tonnagegewinn wurde dabei vom Beklagten geschätzt. Aus der Auflösung des Unterschiedsbetrags gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG ergaben sich Einkünfte i.H.v. ... €. Die auf die Klägerin entfallenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb stellte er mit ... € fest. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich getilgten Fremdwährungsverbindlichkeiten wies er der Klägerin einen aufzulösenden Unterschiedsbetrag in Höhe von ... € als laufenden Gewinn zu. Ihr Anteil am Tonnagegewinn betrug ... €.

8

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Einspruch vom 31. Januar 2018. Sie machte geltend, dass der Gewinn aus der Auflösung des Unterschiedsbetrages als Aufgabegewinn begünstigt zu versteuern sei, ihr insbesondere der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG zustehe. Am 6. Juli 2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

9

Am 7. August 2018 hat die Klägerin Klage erhoben, die sie unter Einbeziehung ihres außergerichtlichen Vortrags wie folgt begründet:

10

Der Sache nach handele es sich bei der Auflösung des Unterschiedsbetrags um einen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn im Sinn von § 16 EStG. Denn die insolvente Beigeladene habe durch Verkauf des Schiffes, des einzig werthaltigen Vermögensgegenstandes, ihren Betrieb aufgegeben. In diesem Rahmen sei der Unterschiedsbetrag aufzulösen gewesen.

11

§ 5a EStG sei 1998 als besondere Gewinnermittlungsvorschrift eingeführt worden, um die deutsche Schifffahrtsbranche zu stärken. Nach früherer Rechtsprechung sei auch bei Veräußerung des Schiffes der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG gewährt worden. Wohl letztmalig habe der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Gerichtsbescheid vom 10. Mai 2007 (III R 7/07) so entschieden. Dass dieser Gerichtsbescheid aufgrund der beantragten mündlichen Verhandlung als nicht ergangen gelte, ändere daran nichts. Dem folgenden Kostenbeschluss sei zu entnehmen, dass der BFH dem Kläger dieses Verfahrens den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zugestanden habe.

12

Der jüngeren Rechtsprechung des BFH, auf die sich der Beklagte berufe, sei nicht zu folgen. In seinen Urteilen vom 13. Dezember 2007 (IV R 92/05) und 19. Juli 2011 (IV R 42/10) habe der BFH entschieden, dass eine Gewinnrealisierung nur dann Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn sei, wenn sie auch einen sachlichen Bezug zu einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe habe. Der Unterschiedsbetrag erfasse jedoch lediglich die historischen stillen Reserven, wie sie beim Übergang von der normalen Gewinnermittlung zur Tonnagebesteuerung bestanden hätten. Die Auflösung stehe daher mit einer Betriebsveräußerung allenfalls in einem zeitlichen Zusammenhang. Soweit der BFH dies aus § 16 Abs. 3 Satz 6 EStG herleite, wonach Gewinne nur begünstigt seien, wenn sie "im Rahmen der Aufgabe des Betriebs" anfielen, verkenne er, dass dieser allgemeinen Regelung § 5a EStG als besondere Vorschrift zur Tonnagebesteuerung vorgehe.

13

Der BFH ignoriere zudem die Regelungen des § 5a Abs. 5 EStG. Nach dessen Satz 1 seien vom Tonnagegewinn nach Abs. 1 auch Einkünfte nach § 16 EStG, mithin Veräußerungsgewinne, erfasst. Soweit Satz 2 dabei bestimmte Begünstigungsnormen für nicht anwendbar erkläre, gelte dies im Hinblick auf Veräußerungsgewinne nur für die explizit aufgeführte Vergünstigung gemäß § 34 EStG. § 16 Abs. 4 EStG sei gerade nicht erwähnt, mithin anwendbar. Unberücksichtigt lasse der BFH zudem den Zweck des § 16 Abs. 4 EStG, der einen Härteausgleich für die punktuelle Besteuerung der teilweise über einen längeren Zeitraum entstandenen stillen Reserven gewähren wolle.

14

Auch die weit überwiegende Kommentarliteratur sehe die jüngere Rechtsprechung des BFH kritisch, denn der Unterschiedsbetrag solle ähnlich wie in Umwandlungsfällen oder bei steuerlicher Entstrickung die Besteuerung angesammelter stiller Reserven sicherstellen. Durch Auflösung des Unterschiedsbetrages bei Betriebsveräußerung komme es ebenfalls zur Aufdeckung zusammengeballter stiller Reserven, die bei einer Gewinnermittlung gemäß §§ 4, 5 EStG Grund für eine ermäßigte Besteuerung nach §§ 16, 34 EStG seien.

15

Soweit der BFH nunmehr bei Würdigung der Gesetzesmaterialien zu dem Schluss gelange, der Gesetzgeber habe bei der Besteuerung der im Unterschiedsbetrag verkörperten stillen Reserven eine über die allgemeine Tonnagebesteuerung hinausgehende Steuerbegünstigung nicht gewähren wollen, sodass für eine noch weitergehende zusätzliche Steuerbegünstigung gemäß §§ 16, 34 EStG kein Raum sei, sei dies nicht haltbar. Gleiches gelte für die teilweise kritische Betrachtung des § 5a EStG in der Literatur, welche sich gegen weitergehende Privilegierungen bei der ohnehin begünstigenden Tonnagebesteuerung ausspreche. Diese Äußerungen stünden nicht im Einklang mit den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willen des Gesetzgebers. Ziel des Schiffssicherheitsanpassungsgesetzes, mit welchem auch die Tonnagebesteuerung in das Einkommensteuergesetz Einzug erhalten habe, sei es gewesen, eine leistungsfähige Handelsflotte unter deutscher Flagge als wichtiges Gemeinschaftsgut im Sinn von Art. 27 des Grundgesetzes (GG) zu erhalten. Das Gesetz habe durch alle Gremien des Gesetzgebungsprozesses nahezu einmütige Zustimmung erhalten. Kritische Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die in der Tonnagebesteuerung eine übermäßige Begünstigung der Schifffahrtsbranche sähen, könnten sich mithin nicht auf den Willen des Gesetzgebers berufen. Zudem sei kein Hinweis in den Gesetzesmaterialien zu finden, dass allgemein begünstigende Vorschriften des Einkommensteuergesetzes auf die Tonnagebesteuerung nicht anwendbar sein sollen. Dies könne nur bei ausdrücklich geregeltem Ausschluss, wie z.B. nach § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG für § 34 EStG, gelten.

16

Auch der Ansatz, die Tonnagebesteuerung sei übermäßig begünstigend, weshalb eine weitere Begünstigung gemäß §§ 16, 34 EStG zu vermeiden sei, könne sich nicht auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers stützen. Dies treffe bereits in der Sache nicht zu. Oft entpuppe sich die Tonnagebesteuerung bei schlechter Marktlage als Nachteil, was sich insbesondere beim finanziellen Niedergang der Beigeladenen gezeigt habe. Die Versteuerung des Unterschiedsbetrags sei lediglich gestundet und trete im Insolvenzfall mit Verkauf des Schiffes oft unerwartet und ohne die nötigen liquiden Mittel ein. Zudem fordere der Insolvenzverwalter regelmäßig erhaltene Ausschüttungen zurück. Oftmals stünden Kommanditisten eines Schifffonds schlechter da als Kommanditisten einer normalen Kommanditgesellschaft. Dies sei mit dem Willen des Gesetzgebers, die deutsche Handelsflotte unterstützen zu wollen, nicht vereinbar.

17

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 11. Januar 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 2018 dergestalt zu ändern, dass der aufgelöste und ihr zugerechnete Unterschiedsbetrag i.H.v. ... € nicht als laufender Gewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb, sondern als Aufgabegewinn festgestellt wird.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Unter Verweis auf seine Einspruchsentscheidung begründet der Beklagte seine Ansicht wie folgt:

20

Aufgrund der Veräußerung des einzigen Handelsschiffes der Beigeladenen sei der vormals festgestellte Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG aufzulösen und der Klägerin anteilig zuzurechnen gewesen. Die bis zu diesem Zeitpunkt "eingefrorenen" stillen Reserven seien zu versteuern. Gemäß der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878) führe die Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nicht zu einem Veräußerungs- oder Aufgabegewinn im Sinne des § 16 EStG. Ausdrücklich habe er dies für die Auflösung des Unterschiedsbetrags aufgrund Veräußerung des Schiffes bereits mit Urteil vom 13. Dezember 2007 (IV R 92/05, BStBl II 2007, 583) entschieden. Der so entstehende Gewinn falle nicht im Rahmen der Aufgabe des Betriebs an, wie dies § 16 Abs. 3 Satz 6 EStG fordere. Bei Veräußerung des einzigen Handelsschiffs bestehe zwar ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Akt der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe. Es fehle jedoch an dem zu fordernden sachlichen Zusammenhang. Denn die Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags knüpfe sachlich an den zeitlich vorgelagerten Wechsel der Gewinnermittlungsart an. Beim Wechsel von der regulären Gewinnermittlung zur regelmäßig den Steuerpflichtigen begünstigenden Tonnagebesteuerung seien die historischen stillen Reserven zu diesem Zeitpunkt in einem gesonderten Bescheid festgestellt worden. Die Stundung der darauf entfallenden Steuer bis zum Zeitpunkt der im Gesetz benannten Fälle der Auflösung des Unterschiedsbetrags bilde ein in sich geschlossenes System der Gewinnermittlung. Für eine weitere zusätzliche Steuerbegünstigung gemäß §§ 16, 34 EStG bestehe kein Raum. Anderslautenden Literaturmeinungen sei nicht zu folgen.

21

Mit Beschluss vom 19. November hat das Gericht die A ... mbH und Co. KG zum Verfahren notwendig beigeladen.

22

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

...

Entscheidungsgründe

23

Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, vgl. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

24

Die Klage ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.

25

I. Bei verständiger Würdigung des klägerischen Vorbringens unter Einbeziehung der Klagbegründung richtet sich die Klage gegen den Feststellungsbescheid vom 11. Januar 2018. Als solche ist sie zulässig.

26

Ein Feststellungsbescheid kann eine Vielzahl selbstständiger und damit auch selbstständig anfechtbarer Feststellungen enthalten, die eigenständig in Bestandskraft erwachsen und deshalb für die im selben oder einem gesonderten Bescheid zu treffenden nachgelagerten Feststellungen Bindungswirkung entfalten. Zu diesen selbstständigen Feststellungen gehört die Qualifikation eines Gewinns als laufender Gewinn oder als Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn. Dies gilt grundsätzlich auch für den hier gegebenen Fall der Qualifikation eines nach § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG hinzuzurechnenden Unterschiedsbetrags (vgl. zum Ganzen BFH, Urteil vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878). Die Feststellungen beschränken sich jedoch darauf, ob ein Veräußerungsgewinn in bestimmter Höhe entstanden und wem dieser Veräußerungsgewinn zuzurechnen ist. Die Frage, ob auf Grundlage dieser bindenden Feststellungen einem Beteiligten der Freibetrag gemäß §16 Abs. 4 EStG zu gewähren ist, insbesondere ob die persönlichen Voraussetzungen (Erwerbsunfähigkeit oder Vollendung des 55. Lebensjahres) vorliegen, ist auf Ebene des jeweiligen Einkommensteuerbescheids des Beteiligten zu beantworten.

27

Daran gemessen war vorliegend die Klage als solche gegen den Feststellungsbescheid mit dem Begehren der Feststellung eines Aufgabegewinns dem Grunde nach auszulegen. Zwar zielt die Klägerin mit ihrem schriftsätzlich angekündigten Antrag darauf ab, dass ihr im Hinblick auf den aufgelösten Unterschiedsbetrag der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG aufgrund des Erreichens des 55. Lebensjahres gewährt wird. Dass die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 4 EStG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten indes nicht streitig. Die Beteiligten streiten allein um die vorgelagerte und im angegriffenen Feststellungsbescheid mit Bindungswirkung zu entscheidende Frage, ob die Auflösung des Unterschiedsbetrags zu einem Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn führt.

28

II. Die Klage ist unbegründet. Der Feststellungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat den Unterschiedsbetrag im Streitjahr zu Recht aufgelöst und anteilig der Klägerin als laufenden Gewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet.

29

1. Nach § 5a EStG ist der auf den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr entfallende Gewinn auf unwiderruflichen Antrag des Steuerpflichtigen unter im Einzelnen näher geregelten Voraussetzungen nach der Tonnage zu ermitteln. Zum Schluss des letzten, der Tonnagebesteuerung vorausgehenden Wirtschaftsjahres ist für jedes unmittelbar dem Betrieb der Handelsschiffe dienende Wirtschaftsgut der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und Teilwert gesondert und - bei Mitunternehmerschaften - einheitlich festzustellen (§ 5a Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG).

30

Der Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG beinhaltet nicht nur die Feststellung, dass für ein bestimmtes Wirtschaftsgut ein Unterschiedsbetrag festzustellen ist, sondern auch die Feststellung von dessen Höhe sowie die Feststellung, welchem Mitunternehmer welcher Anteil an dem jeweiligen Unterschiedsbetrag zuzurechnen ist. Es erfolgt eine mitunternehmerbezogene Feststellung der jeweiligen Unterschiedsbeträge. Insoweit entfaltet dieser Bescheid als Grundlagenbescheid Bindungswirkung für spätere Gewinnfeststellungsbescheide, in denen (ggf. anteilig) aufgelöste Unterschiedsbeträge dem Gewinn hinzugerechnet werden (BFH, Urteil vom 28. November 2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 468).

31

Zweck der Feststellung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG ist es, diejenigen stillen Reserven, die sich vor dem Übergang zur Tonnagebesteuerung angesammelt haben, festzuhalten, um deren spätere Besteuerung sicherzustellen. Ob und ggf. in welchem Umfang welcher Unterschiedsbetrag aufzulösen und wem der aufgelöste Unterschiedsbetrag (ggf. anteilig) zuzurechnen ist, ist Gegenstand des Bescheids über die gesonderte und einhellige Feststellung, wobei die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist (BFH, Urteil vom 28. November 2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 468).

32

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Beklagte zu Recht und in zutreffender Höhe den Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG aufgelöst und der Klägerin zugewiesenen.

33

Die Beigeladene hat zu Beginn des Jahres 2007 zur Gewinnermittlung nach der Tonnage gemäß § 5a EStG optiert und dementsprechend ihren Gewinn aus dem Betrieb ihres Handelsschiffes nach der Tonnage ermittelt. Mit der Veräußerung durch den Insolvenzverwalter ist das Schiff gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG im Streitjahr aus dem Betriebsvermögen der Beigeladenen ausgeschieden und der Unterschiedsbetrag war in voller Höhe aufzulösen und anteilig der Klägerin zuzurechnen. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich getilgten Fremdwährungsdarlehen betrug der anteilig auf die Klägerin entfallende aufzulösende Unterschiedsbetrag im Streitjahr ... €. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

34

2. Der Beklagte hat auch zu Recht den dem Gewinn hinzuzurechnenden anteiligen Unterschiedsbetrag nicht als Veräußerungsgewinn im Sinn von § 16 EStG festgestellt.

35

a) Bereits mit seinem Urteil vom 13. Dezember 2007 (IV R 92/05, BStBl II 2008, 583) hat der BFH im Rahmen der Gewerbesteuer entschieden, dass die Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags aufgrund der Veräußerung des (einzigen) Handelsschiffes nicht zu einem Veräußerungsgewinn im Sinne von § 16 EStG führt. Mit zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2011 hat er dies auch für einkommensteuerliche Zwecke bekräftigt und zudem auf den Fall der Veräußerung des Mitunternehmeranteils übertragen (BFH, Urteile und vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878 und IV R 40/08, BFH/NV 2012, 393). Entgegen der klägerischen Ansicht stimmt das überwiegende Schrifttum dieser Rechtsprechung mittlerweile zu (Schindler in Kirchhoff, EStG, Kommentar, 19. Aufl., § 5a Rn. 28; Hofmeister in Blümich, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 98, Stand Oktober 2018; Hennrichs/Kuntschik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 5a Rn. G 3, Stand Oktober 2007; Weiland in Littmann/Bitz/Pust, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 149, Stand Juli 2020; Tonner in Bordewin/Brandt, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 49, Stand September 2020; Barche in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, Kommentar, § 5a Anm. 70, Stand April 2018; Tormöhlen in Korn, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 16, 53, Stand März 2020). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Denn der BFH hat überzeugend daran angeknüpft, dass Gewinne, die im Zuge der Betriebsveräußerung oder -aufgabe erzielt werden, in Anknüpfung an § 16 Abs. 3 Satz 6 EStG nur dann ein Teil eines nach §§ 16, 34 EStG begünstigten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns sind, wenn sie "im Rahmen der Aufgabe des Betriebs" anfallen. Ein bloß zeitlich mit der Betriebsveräußerung oder -aufgabe zusammenfallender Gewinn reicht dabei nicht aus. Vielmehr ist ein sachlicher Zusammenhang zu fordern. Es muss sich um eine Gewinnrealisierung handeln, die sich in den sachlich abgrenzbaren Formen einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe vollzieht (vgl. zum Ganzen BFH, Urteil vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878).

36

Die Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags weist einen sachlichen Bezug jedoch allein zum Wechsel der Gewinnermittlungsarten bei Eintritt in die Tonnagebesteuerung auf. Wechselt eine Schiffsgesellschaft nach Anschaffung des Handelsschiffs von der Gewinnermittlung nach Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG zur Tonnagebesteuerung nach § 5a Abs. 1 Satz 1 EStG, ist allein dieser Wechsel der Gewinnermittlungsart Grund für die Erfassung der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen stillen Reserven. Zur Sicherung der zukünftigen Besteuerung sind diese zu ermitteln und gesondert festzustellen. Kommt es dann in den im Gesetz genannten Fällen wie der Veräußerung des Handelsschiffs zur tatsächlichen Versteuerung des Unterschiedsbetrages, wird angeknüpft an die bei Wechsel der Gewinnermittlungsart festgestellten und die damit zu diesem Zeitpunkt vorhandenen "historischen" stillen Reserven. Der tatsächliche Wert des Handelsschiffs im Zeitpunkt der Veräußerung ist bei dieser Betrachtung irrelevant; zwischen der Auflösung des Unterschiedsbetrags und der Betriebsveräußerung, einer -aufgabe oder eine Anteilsveräußerung besteht allenfalls ein zeitlicher Zusammenhang (vgl. BFH, Urteil vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878).

37

b) Soweit einzelne Stimmen in der Literatur dieser Rechtsprechung kritisch gegenüberstehen (z.B. Kahl-Hinsch in Lademann, EStG Kommentar, § 5a Rn. 111, Stand Oktober 2019: Wesen des Unterschiedsbetrags sei die Sicherstellung der Besteuerung stiller Reserven wie in Umwandlungs- oder Entstrickungsfällen; Seeger in Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 5a, Rn. 17; ähnlich Dißars, NWB 2014, 1793 ff.: Der Zusammenhang mit dem Wechsel der Gewinnermittlungsart sei formaler Natur, Betriebsveräußerung und Auflösung des Unterschiedsbetrags führten zur geballten Aufdeckung stiller Reserven, welches eine ermäßigte Besteuerung gemäß §§ 16, 34 EStG gebiete), werden Funktion und Wirkungsweise des Unterschiedsbetrags nicht hinreichend gesehen. In seinem Urteil vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16, BFH/NV 2019, 334) betont der BFH erneut die Zäsur, die beim Wechsel der Gewinnermittlungsarten eintritt: Die dem Betrieb von Handelsschiffen dienenden Wirtschaftsgüter sind im Zeitpunkt des Übergangs von der allgemeinen Gewinnermittlung zur Tonnagebesteuerung so zu behandeln, als wären sie Gegenstand einer Betriebseinstellung. Der Wechsel des Besteuerungsregimes führt zu einer Zäsur, die eine fiktive Entnahme der von dem Wechsel betroffenen Wirtschaftsgüter bewirkt. Die dadurch grundsätzlich bedingte sofortige Gewinnrealisierung wird durch die Regelung des § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG vergleichbar einer Stundung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Die stillen Reserven sind entgegen seiner früheren Äußerungen auch nicht für die Dauer der Tonnagebesteuerung "eingefroren". Sie werden vielmehr bei Übergang zur pauschalen Gewinnermittlung endgültig aufgedeckt und lediglich zeitversetzt besteuert (BFH, Urteil vom 25. Oktober 2018, IV R 35/16, BFH/NV 2019, 334, Rn. 30 f.). Dieser Rechtsprechung folgend, macht allein die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Betriebsveräußerung aus der zeitlich regelmäßig weit vorgelagerten fiktiven Entnahme der Wirtschaftsgüter beim Übergang zur Tonnagebesteuerung keinen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn. In seiner Entscheidung vom 28. November 2019 (IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412) hat der BFH demgemäß noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die Auflösung des Unterschiedsbetrages zu einem laufenden und nicht zu einem Veräußerungs- oder Aufgabegewinn gemäß § 16 EStG führt.

38

c) Anderes ergibt sich auch nicht aus § 5a Abs. 5 EStG. Gemäß § 5a Abs. 5 Satz 1 umfassen Gewinne nach Abs. 1 auch Einkünfte nach § 16 EStG. Teilweise wird daraus geschlossen, ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn könne nur bei dem tatsächlich nach der Tonnage ermittelten Gewinn gemäß § 5a Abs. 1 EStG anfallen. Durch den eindeutigen Verweis lediglich auf Absatz 1 sei mithin ausgeschlossen, dass es sich bei dem nach § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG aufzulösen Unterschiedsbetrag um einen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn handele (offengelassen in BFH, Urteil vom 19. Juli 2011, IV R 42/10, BStBl II 2011, 878; vgl. auch Bartsch, BB 2009, 1049). Teilweise wird § 5a Abs. 5 Satz 1 EStG auch in der Zusammenschau mit Satz 2 gesehen. Wegen des Bezugs auf § 5a Abs. 1 EStG würden die nach Satz 2 ausgeschlossenen Begünstigungen nur für den tatsächlich nach der Tonnage ermittelten Gewinn, nicht hingegen auch für Hinzurechnungen nach § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG gelten (Hofmeister in Blümich, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 98, Stand Oktober 2018; Gosch in Kirchhoff, EStG, Kommentar, 16. Aufl. 2017, § 5a, Rn. 15 a.A. indes unter Rn. 21; nunmehr gänzlich a.A. Schindler in Kirchhoff, EStG, Kommentar, 19. Aufl. 2020, § 5a, Rn. 28; vgl. auch BFH, Urteil vom 6. Juli 2005, VIII R 74/02, BStBl II 2008, 180 zu Tarifbegünstigung bei Sondervergütungen gemäß § 5a Abs. 4a EStG). Nach anderer Ansicht beziehe sich § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG auf jegliche Gewinnbestandteile des § 5a EStG und nicht nur den Tonnagegewinn gemäß § 5a Abs. 1 EStG; der gesetzgeberischen Intention sei zu entnehmen, bei der Gewinnermittlung gemäß § 5a EStG jegliche Form der (weiteren) Begünstigung, einschließlich der nach § 16 Abs. 4 EStG versagen zu wollen (so wohl Tonner in Bordewin/Brandt, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 49, Stand September 2020; Tormöhlen in Korn, EStG, Kommentar, § 5a Rn. 53, Stand März 2020; Hennrichs/Kuntschik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 5a Rn. G 5, Stand Oktober 2007).

39

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, welcher dieser Ansichten zu folgen ist. Denn selbst für den Fall, dass § 5a Abs. 5 Satz 1 EStG der Annahme eines Veräußerungs- oder Aufgabegewinns auch im Falle der Auflösung des Unterschiedsbetrags nicht entgegensteht und § 5a Abs. 5 Satz 2 EStG eine Begünstigung nach § 16 Abs. 4 EStG nicht ausschließt, steht damit noch nicht fest, dass bei der Veräußerung des einzigen Handelsschiffs der aufzulösende Unterschiedsbetrag auch tatsächlich zu einem Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn führt. Denn weder enthält § 5a Abs. 5 EStG eine entsprechende eindeutige gesetzliche Anweisung, noch definiert er den Begriff des Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns im Hinblick auf den Unterschiedsbetrag im Speziellen noch die Tonnagebesteuerung im Allgemeinen. Insoweit bleibt es bei dem unter II. 2. a) gefundenen Verständnis des Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns.

40

d) Auch die Berücksichtigung der Gesetzesentstehung führt zu keinem anderen Ergebnis. In seiner grundlegenden Entscheidung vom 19. Juli 2011 (IV R 42/10, BStBl II 2011, 878) hat der BFH dargestellt, dass der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für die Einführung einer neuen Gewinnermittlungsart ausdrücklich nicht Merkmale des Betriebsvermögensvergleichs mit solchen der Tonnagebesteuerung vermischen bzw. mit der möglichen Wirkung einer noch weitergehenden Steuerentlastung mit Begünstigungstatbeständen nach §§ 16, 34 EStG kombinieren wollte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen des BFH (Urteil vom 19. Juli 2011 IV R 42/10, BStBl II 2011, 878, Rn. 32) verwiesen. Die Ausführungen der Klägerin zur Gesetzesentstehung rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Klägerin hebt im Wesentlichen hervor, dass es in allen Instanzen des Gesetzgebungsverfahrens breiter politischer Konsens gewesen sei, mithilfe der Tonnagebesteuerung als Steuervergünstigung eine leistungsfähige Handelsflotte unter deutscher Flagge zu fördern und zu erhalten. Für den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, konkret die Gewinne aus der Auflösung des Unterschiedsbetrags der begünstigten Besteuerung als Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn zu unterwerfen, streitet diese allgemeine gesetzgeberische Absicht nicht.

41

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Gründe zur Zulassung der Revision, vgl. § 115 Abs. 2 FGO, liegen nicht vor.

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