Urteil vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 139/20

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Einkünfte einer Personengesellschaft aus selbständiger Arbeit aus einer Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft in Einkünfte aus Gewerbebetrieb umzuqualifizieren sind und der Gewerbesteuer unterliegen.

2

Die Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft, die ursprünglich in der Rechtsform einer GmbH gegründet wurde. Mit Beschluss vom ... 2014 wurde sie im Wege des Formwechsels rückwirkend zum 1. Januar 2014 in eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) umgewandelt und am ... 2014 in das Partnerschaftsregister eingetragen.

3

Nach dem Gesellschaftsvertrag vom ... 2014 waren am Gesellschaftskapital von ... € Herr A zu 85 % und Frau B zu 15 % beteiligt.

4

Mit Schenkungsvertrag vom ... 2014 schenkte A  B einen Anteil in Höhe von 35 % unter der Auflage, den geschenkten Anteil zum 31. März 2019 auf den Sohn des A, Herrn C, zu übertragen, falls dieser zu dem Stichtag als Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer zugelassen sein sollte. Es ist zwischen den Beteiligten aber unstreitig, dass A weiterhin Mitunternehmer der Klägerin blieb.

5

Mit Kaufvertrag vom ... 2014 veräußerte A einen Anteil von 50 % an Herrn D zum Preis von ... €.

6

Die Klägerin war an der E ... GmbH & Co. KG (im Folgenden: E-KG) beteiligt. Sie hatte diese Beteiligung in 2005 zur Refinanzierung einer Pensionszusage erworben.

7

Am 1. September 2015 reichte die Klägerin eine Gewerbesteuererklärung für 2014 ein und erklärte einen Gewinn aus der Anteilsveräußerung an D in Höhe von ... € als Gewerbeertrag.

8

In ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2014 in der zuletzt am 4. Januar 2018 korrigierten Fassung erklärte die Klägerin neben laufenden Einkünften aus selbständiger Arbeit den Veräußerungsgewinn aus der Anteilsveräußerung an D.

9

Der Beklagte erließ - jeweils erklärungsgemäß - am 27. April 2017 einen Gewerbesteuermessbescheid (Gewerbesteuermessbetrag: ... €) und am 31. Januar 2018 einen Feststellungsbescheid für 2014 (Einkünfte aus selbständiger Arbeit: ... €).

10

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2014 für die E-KG wurden für die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € festgestellt.

11

Ab dem 19. März 2019 führte der Beklagte bei der Klägerin für den Zeitraum 2014 bis 2017 eine Außenprüfung durch. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass aufgrund der gewerblichen Beteiligungseinkünfte sämtliche Einkünfte der Klägerin im Streitjahr 2014 als gewerblich zu qualifizieren seien; eine Bagatellgrenze gelte insoweit nicht. Außerdem sei der Gewinn aus der Anteilsveräußerung kein begünstigter Veräußerungsgewinn, weil A mangels wirtschaftlicher Umsetzung des Schenkungsvertrages nicht seinen gesamten Mitunternehmeranteil an D veräußert habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht über die Außenprüfung vom 13. Juni 2019 (...) Bezug genommen.

12

Der Beklagte erließ am 3. Juli 2019 geänderte Bescheide für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und über den Gewerbesteuermessbetrag, in denen sowohl die laufenden Einkünfte als auch der Gewinn aus der Anteilsveräußerung in Höhe von insgesamt ... € als Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt bzw. angesetzt wurden.

13

Gegen beide Bescheide legte die Klägerin mit Schreiben vom 30. Juli 2019 Einspruch ein und nahm zur Begründung auf die Entscheidung des BFH vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16) Bezug.

14

Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2020 verband der Beklagte die Einsprüche zu gemeinsamer Entscheidung und wies sie als unbegründet zurück. Der Feststellungsbescheid sei rechtmäßig, weil die Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft ohne Anwendung einer Geringfügigkeitsgrenze zu einer Umqualifizierung aller weiteren Einkünfte führe, wie der BFH mit Urteil vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16) entschieden habe. Der von der Klägerin erzielte laufende Gewinn unterliege auch der Gewerbesteuer. Das vom BFH aus verfassungsrechtlichen Gründen befürwortete Auseinanderfallen der Qualifikation als Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. des Einkommensteuergesetzes (EStG) und nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sei abzulehnen. Denn es sei dem Steuerpflichtigen zumutbar, die mit der Abfärbung verbundenen Belastungen durch eine entsprechende Gestaltung, etwa durch die Gründung einer beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft oder durch die Zuweisung gewerblicher Einkünfte zum Sonderbetriebsvermögen, zu entgehen. Gegenüber einem Einzelunternehmen bestehe damit sogar der Vorteil einer Wahlmöglichkeit. Im Übrigen sei der Gewerbesteuermessbescheid nicht Gegenstand des vom BFH in dem genannten Urteil entschiedenen Verfahrens gewesen und die von ihm aufgestellten gewerbesteuerlichen Grundsätze seien daher nicht allgemein anzuwenden.

15

Die Klägerin hat am 19. August 2020 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie aufgrund der steuerberatenden Tätigkeit unstreitig Einkünfte aus selbständiger Arbeit erziele, weil alle Gesellschafter als Steuerberater zugelassen seien und ausschließlich steuerberatende Leistungen erbracht würden.

16

Der hiesige Fall entspreche dem vom BFH mit Urteil vom 6. Juni 2019 entschiedenen Fall (IV R 30/16). Danach komme es nach § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. EStG zwar zu einer Abfärbung der gewerblichen auf die nicht gewerblichen Einkünfte. Jedoch gelte ein gewerbliches Unternehmen i.S. dieser Vorschrift nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift sei verfassungsrechtlich geboten, um zu verhindern, dass an sich nicht gewerbliche und nicht gewerbesteuerbare Einkünfte mit Gewerbesteuer belastet würden.

17

Daher unterliege lediglich der Erlös aus der Anteilsveräußerung des A in Höhe von ... € der Gewerbesteuer. Der ursprüngliche Gewerbesteuermessbescheid für 2014 vom 27. April 2017 sei somit rechtmäßig und der Änderungsbescheid aufzuheben.

18

Nur vorsorglich und hilfsweise werde die Änderung des Feststellungsbescheids für 2014 im Hinblick auf die Einkunftsart beantragt. Denn wenn die Auffassung des BFH, dass die umqualifizierten Einkünfte nicht der Gewerbesteuer unterlägen, abzulehnen wäre, könne es insgesamt nicht zu einer Infizierung kommen. Denn die angenommene Infizierung ohne Bagatellgrenze sei nur verfassungsgemäß, wenn es hierdurch nicht zu einer Gewerbesteuerbelastung komme. Dies werde auch im vorliegenden Fall deutlich, in dem der Anteil der Erträge der E-KG immer unter 0,2 % der gesamten Nettoumsätze gelegen habe und auch deutlich unter dem gewerbesteuerlichen Freibetrag von 24.500 €. Es wäre verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn die eigene gewerbliche Betätigung einer Personengesellschaft unterhalb der Bagatellgrenze nicht zu einer Belastung mit Gewerbesteuer führte, während bei geringfügigen gewerblichen Beteiligungseinkünften die Bagatellgrenze keine Anwendung fände.

19

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 2014 vom 3. Juli 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2020 aufzuheben,
hilfsweise,
den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2014 vom 3. Juli 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2020 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb niedriger auf ... € festgestellt werden sowie Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von ... €.

20

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte nimmt auf die Begründung der Einspruchsentscheidung Bezug.

22

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

23

Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 9. November 2020 wird Bezug genommen (...).

...

Entscheidungsgründe

24

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

I.

25

Die Klage ist zulässig und begründet. Sie hat bereits im Hauptantrag Erfolg, sodass über den Hilfsantrag und über eine in diesem Zusammenhang erforderliche Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) nicht zu entscheiden ist.

26

Der geänderte Gewerbesteuermessbescheid für 2014 vom 3. Juli 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat für den Gewinn der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Steuerberatungsgesellschaft zu Unrecht Gewerbesteuer festgesetzt.

27

1. a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Als Gewerbebetrieb definiert § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt (Alternative 1) oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bezieht (Alternative 2). Danach führt einkommensteuerrechtlich jede Beteiligung, aus der die Gesellschaft gewerbliche Einkünfte bezieht, zu einer Umqualifizierung aller weiteren Einkünfte dieser Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG ist auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen (Beteiligungs-) Einkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte der Gesellschaft abfärben, verfassungsgemäß (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994).

28

b) Im Streitfall bezog die Klägerin in 2014 gewerbliche Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aus ihrer Beteiligung an der E-KG. Dass diese Einkünfte nicht einmal 0,2 % des Gesamtumsatzes der Klägerin ausmachten und unterhalb des gewerbesteuerlichen Freibetrages lagen, hindert die Verwirklichung des Tatbestandes des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG nicht.

29

2. Jedoch ist § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG nach Auffassung des BFH, der der erkennende Senat folgt, verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994, mit zustimmenden Anmerkungen Steinhauff, jurisPR-SteuerR 39/2019 Anm. 3; Schreiber, NZG 2019, 1172; Adrian, StuB 2019, 817; Schiffers, Ubg 2019, 529; Trossen, Ubg 2019, 531; ebenso Bode in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 15 EStG Rn. 230, Stand Juli 2020; kritisch Pohl, Ubg 2019, 533). Andernfalls enthielte § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung der Personengesellschaft gegenüber einem Einzelunternehmer, der gleichzeitig mehrere verschiedene Einkunftsarten verwirklichen kann mit der Folge, dass bei ihm nur die originär gewerbliche Tätigkeit der Gewerbesteuer unterfällt. Das gilt nicht nur für ansonsten vermögensverwaltende Gesellschaften, sondern auch für Personengesellschaften, die ansonsten Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielen.

30

a) Wie das BVerfG zu der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG entschieden hat, belässt der Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dem Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber, ob die freien Berufe, die sonstigen Selbständigen und die Land- und Forstwirte zusammen mit den übrigen Gewerbetreibenden zur Gewerbesteuer herangezogen werden sollen, einen weiten Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum, der lediglich die Berücksichtigung sachwidriger, willkürlicher Erwägungen ausschließt. Die genannte Abfärberegelung ist danach nicht gleichheitswidrig, weil sie legitimen Vereinfachungszwecken bei der Ermittlung der Einkünfte auch gewerblich tätiger Personengesellschaften dient vor dem Hintergrund, dass die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Neben der Erleichterung der Einkünfteermittlung dient § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auch dem Schutz des Gewerbesteueraufkommens. Die Regelung soll verhindern, dass infolge unzureichender Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Tätigkeiten einer Gesellschaft gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer entzogen werden (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2008, 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, BGBl I 2008, 1006).

31

b) Vereinfachungsgründe bei der Einkünfteermittlung können die erhebliche Schlechterstellung, zu der die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG für Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht führt, jedoch nicht rechtfertigen. Denn anders als im Fall einer gemischt tätigen Gesellschaft (Alternative 1), bei der auf der Ebene der Gesellschaft die Einkünfte aus unterschiedlichen Tätigkeiten zu ermitteln sind, werden im Fall einer nicht gewerblich tätigen Obergesellschaft mit Beteiligung an einer gewerblichen Untergesellschaft die Beteiligungseinkünfte nicht auf der Ebene der Obergesellschaft, sondern auf der der Untergesellschaft ermittelt und der Obergesellschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG lediglich zugerechnet (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994).

32

c) Auch der Schutz des Gewerbesteueraufkommens scheidet als Rechtfertigung für die Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG aus. Bei einer Personengesellschaft (Obergesellschaft), die eine nicht gewerbliche Tätigkeit ausübt und gewerbliche Einkünfte lediglich aus einer Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft (Untergesellschaft) bezieht, besteht nicht die Gefahr, dass infolge unzureichender Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Tätigkeiten einer Gesellschaft gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer entzogen werden. Denn der Gewinn der Obergesellschaft wird für Zwecke der Ermittlung ihres Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG um die Anteile am Gewinn einer in- oder ausländischen oHG, einer KG oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebs anzusehen sind, gekürzt, wenn die Gewinnanteile bei der Ermittlung des Gewinns angesetzt worden sind. Im Ergebnis würden also nur die abgefärbten, nicht originär gewerblichen Einkünfte der Obergesellschaft bei ihr mit Gewerbesteuer belastet (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994).

33

d) Die Obergesellschaft wird andererseits insoweit auch nicht besser gestellt als ein Einzelunternehmer, der jedenfalls mit den Einkünften aus seiner gewerblichen Tätigkeit der Gewerbesteuer unterfällt. Denn der Gewinn der Untergesellschaft, der der Obergesellschaft anteilig zugerechnet wird, ist im Regelfall schon auf der Ebene der Untergesellschaft mit Gewerbesteuer belastet worden, so dass die von der Obergesellschaft aus ihrer Beteiligung bezogenen gewerblichen Einkünfte schon um die darauf entfallende Gewerbesteuer gemindert sind (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994).

34

e) Der BFH nimmt in der zitierten Entscheidung zur weiteren Begründung auf andere Fallgestaltungen Bezug, in denen nicht gewerbliche Einkünfte, die einkommensteuerrechtlich als gewerblich gelten, nicht als gewerbesteuerpflichtig angesehen werden, weil dies gewerbesteuerrechtlich wegen fehlender Gefährdung des Gewerbesteueraufkommens nicht geboten ist, so auf die Erstreckung der Gewerbesteuerfreiheit auf die Tätigkeit, die ohne die "Abfärbung" nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG nicht gewerblich wäre (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 2001, IV R 43/00, BFHE 196, 511, BStBl II 2002, 152), auf die Erstreckung der Gewerbesteuerbefreiung der Betriebsgesellschaft auf die Vermietungs- und Verpachtungstätigkeit der Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 20. August 2015, IV R 26/13, BStBl II 2016, 408), auf die am gewerbesteuerlichen Freibetrag orientierte Bagatellgrenze bei der Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG (BFH, Urteil vom 27. August 2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002) und auf die fehlende Abfärbewirkung negativer Einkünfte aus einer (originär) gewerblichen Tätigkeit im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG (vgl. BFH, Urteil vom 12. April 2018, IV R 5/15, BFHE 261, 157; mittlerweile überholt durch § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 12. Dezember 2019, BGBl I 2019, 2451, mit Wirkung vom 18. Dezember 2019).

35

f) Nach den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 1. Oktober 2020 (BStBl I 2020, 1032) sollen die in dem Urteil des BFH vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994), in dem über eine Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zu entscheiden war, zum Ausdruck kommenden gewerbesteuerlichen Grundsätze nicht allgemein anzuwenden sein und sind dementsprechend im Streitfall vom Beklagten auch nicht angewandt worden.

36

Der Beklagte hat jedoch keine überzeugenden Argumente dafür vorgebracht, dass und warum es gerechtfertigt sein sollte, dass die - im Streitfall im Verhältnis auch nur sehr geringfügigen - Beteiligungseinkünfte, die nach § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG selbst nicht Teil des Gewerbeertrages sind, für sämtliche übrigen Einkünfte der Klägerin eine Gewerbesteuerbarkeit begründen sollten, obwohl diese Einkünfte ihrer Natur nach solche aus selbständiger Arbeit sind.

37

Mit dem Verweis auf die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, die drohende Erstreckung der Gewerbesteuer auf nicht gewerbliche Einkünfte weitgehend risikolos und ohne großen Aufwand durch Gründung einer zweiten, personenidentischen Schwestergesellschaft zu vermeiden (so auch Nöcker, FR 2019, 871), vermag der Beklagte nicht durchzudringen. Wie der BFH zutreffend ausführt, wäre andernfalls eine Regelung unabhängig davon, ob für sie überhaupt legitime Gründe sprechen, schon dann verfassungsgemäß, wenn der Steuerpflichtige sich ihr weitgehend risikolos und ohne großen Aufwand entziehen könnte (BFH, Urteil vom 6. Juni 2019, IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994; ebenso Paus, FR 2019, 897). Doch sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nur geringer, wenn die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind, lassen das Erfordernis eines legitimen Sachgrundes für die Ungleichbehandlung aber nicht entfallen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 2019, 1 BvR 673/17, BGBl I 2019, 737, NJW 2019, 1793).

38

g) Soweit in der Literatur Kritik an dem BFH-Urteil vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994) geübt worden ist, geht diese zum einen noch weitergehend in die Richtung, dass die vom BFH angeführten Argumente auch für die Einkommensteuer von Bedeutung seien und dort zu einer Verfassungswidrigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG führten (so Paus, FR 2019, 897; Krumm in Kirchhof, EStG, 19. Aufl. 2020, § 15 Rn. 150). Zum anderen wird die Argumentation des BFH als zwar nachvollziehbar beurteilt. Die vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG stehe indes im Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers (so Pohl, Ubg 2019, 533). Folge dieser - vom erkennenden Senat in Übereinstimmung mit dem BFH nicht vertretenen - Auffassung wäre aber nur, dass die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG als verfassungswidrig zu beurteilen und im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle dem BVerfG vorzulegen wäre (so auch Krumm in Kirchhof, EStG, 19. Aufl. 2020, § 15 Rn. 150). Dass die gewerbesteuerliche Infektionswirkung von Beteiligungseinkünften sachlich gerechtfertigt wäre, wird, soweit ersichtlich, mit über das oben (unter f.) genannte Argument hinausgehenden Gründen nicht vertreten.

II.

39

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

40

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2 und 711 der Zivilprozessordnung.

41

3. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die hier allein entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG verfassungskonform einschränkend auszulegen ist, hat der BFH bereits geklärt. Zwar war Gegenstand des BFH-Urteils vom 6. Juni 2019 (IV R 30/16, BFHE 265, 157, BFH/NV 2019, 994) nicht ein Gewerbesteuermessbescheid, sondern ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Bei den Ausführungen des BFH zur einschränkenden Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG handelt es sich entgegen der Auffassung des Beklagten aber nicht um ein sog. obiter dictum, also um bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen, sondern um entscheidungstragende Rechtssätze, weil sie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. zu dieser Differenzierung BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97). Denn der BFH sah die dort entscheidungserhebliche Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG ohne Bagatellgrenze nur auf der Grundlage der einschränkenden Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG als verfassungsrechtlich gerechtfertigt an.

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