Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 139/18

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Einreihung eines Erzeugnisses, das als Zahnfüllstoff verwendet wird.

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Unter dem 24.09.2015 beantragte die Klägerin die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft für das von ihr eingeführte Produkt "XX" (im Folgenden: Ware). Bei der Ware handelt es sich um ein Silberamalgam, das als Zahnfüllstoff verwendet wird. Es liegt in Form eines Kapselsystems vor, in dem die exakt dosierten Komponenten (A, B, C und D) gemischt und zu einer Zahnfüllung geformt werden. Zusammen mit der Gebrauchsinformation ist es zum Einzelverkauf aufgemacht. Die Klägerin regte eine Einreihung der Ware in die Unterposition 3006 4000 der Kombinierten Nomenklatur (KN) an.

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Mit verbindlicher Zolltarifauskunft vom 05.11.2015 (XXX) reihte das beklagte Hauptzollamt die Ware nach ihrer Beschaffenheit als Amalgam in die Unterposition 2843 9010 KN ein. In ihrem hiergegen gerichteten Einspruch wandte die Klägerin ein, dass es sich bei der Ware um ein pharmazeutisches Erzeugnis, nämlich um "Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe" handele, das in die Codenummer 3006 4000 einzureihen sei. Sie verwies zur Stützung ihrer Rechtsposition auf einen Prüfbericht des Hauptzollamtes E vom 09.01.2015, in dem die Verwendung der von ihr begehrten KN-Unterposition 3006 4000 in Bezug auf ein ähnliches Erzeugnis nicht beanstandet worden sei.

4

Mit Einspruchsentscheidung vom 08.11.2018 wies das beklagte Hauptzollamt den Einspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus: Die Ware, die als Zahnfüllstoff verwendet werde, liege in Form eines Kapselsystems vor, in denen zwei Komponenten - nämlich ein Legierungspulver einerseits und flüssiges D andererseits - in exakt dosiertem Verhältnis zu einem Silberamalgam gemischt würden. Die Aufmachung der Ware in Form eines Kapselsystems für den Einzelverkauf entspreche aufgrund der Gesundheitsgefährdung durch das D der typischen Darreichungsform von Silberamalgam. Die Ware werde im Zolltarif von Abschnitt VI (Kapitel 28 bis 38, Erzeugnisse der chemischen Industrie und verwandter Industrien) erfasst. Entsprechend der Anmerkung 3 zum Abschnitt VI handele es sich um eine Warenzusammenstellung, die aus zwei oder mehreren voneinander getrennten Bestandteilen bestehe, von denen einige oder alle zu diesem Abschnitt gehörten. Die beiden Bestandteile - scil. Legierungspulver und D - würden gemeinsam gestellt und seien ohne weiteres Umpacken aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig erkennbar dazu bestimmt, durch Mischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI herzustellen. Das D sei eindeutig ein Erzeugnis des Kapitels 28 (Position 2805) und gehöre in den Abschnitt VI. Die Edelmetallmischung in Pulverform sei eine Mischung aus A und anderen unedlen Metallen, die ein Erzeugnis des Abschnitts XIV (Kapitel 71) darstelle. Das Erzeugnis, das durch Mischen der Komponenten entstehe, sei ein Edelmetallamalgam, das als Zahnfüllstoff verwendet werde. Es kämen somit zwei Positionen des Abschnitts VI in Betracht, nämlich zum einen "Zahnfüllstoffe", die von der Position 3006 erfasst würden, und zum anderen "Edelmetallamalgame", die namentlich in der Position 2843 genannt seien. Die Konkurrenz zwischen den Positionen entstehe ausschließlich durch die Komponente D, die jedoch durch die Anmerkungen zum Abschnitt VI gelöst werde. So sei in der Anmerkung 1 B zum Abschnitt VI bestimmt, dass Erzeugnisse, die den Warenbeschreibungen der Positionen 2843, 2846 oder 2852 entsprächen, zu diesen Positionen gehörten, auch wenn andere Positionen dieses Abschnitts in Betracht kämen. Eine ausschließlich Zuweisung in die Position 3006 wegen ihrer Dosierung oder wegen ihrer Aufmachung für den Einzelverkauf sei nach der Anmerkung 2 zum Abschnitt VI nicht gegeben. In der Anmerkung 3 zum Abschnitt VI sei geregelt, dass Warenzusammenstellungen, die aus zwei oder mehreren voneinander getrennten Bestandteilen bestünden, von denen einige oder alle zu diesem Abschnitt gehörten, und die erkennbar dazu bestimmt seien, durch Mischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI oder VII herzustellen, der für dieses Erzeugnis zutreffenden Position zuzuweisen seien. Die streitgegenständliche Warenzusammenstellung sei zur Herstellung von Silberamalgam bestimmt, das als Zahnfüllstoff in der Zahnmedizin verwendet werde. Edelmetallamalgam sei namentlich in der Position 2843 genannt. Nach der Anmerkung 1 B) zu Abschnitt VI habe die Position 2843 Vorrang vor allen anderen Positionen des Abschnitts VI. Eine Einreihung in die Position 3006 sei folglich ausgeschlossen; die Ware sei unter Anwendung der Anmerkungen 1 B) und 3 zu Abschnitt VI in die Position 2843 einzureihen. - Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

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Mit ihrer am 07.12.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie stellt zunächst klar, dass im Zeitpunkt der Überführung der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr das Kapselsystem aus einer Kapsel bestehe, in der sich die beiden Komponenten in zwei voneinander getrennten Kammern befänden. Sodann wendet sie ein, dass die beiden Anmerkungen 1 B) und 3 zum Abschnitt VI, die das beklagte Hauptzollamt seiner Einreihungsauffassung zugrunde gelegt habe, nicht ergänzend zur Anwendung kommen dürften. Die Auflösung etwaiger Positionskonkurrenzen müsse entweder über die Anmerkung 3 oder die Anmerkung 1 B) erfolgen. Eine Zusammenwirkung oder eine Ergänzung beider Anmerkungen sei nicht zulässig. Mit Blick auf die Prüfungsreihenfolge sei zu beachten, dass zunächst die Anmerkung 3 zu prüfen sei. Die Anmerkung 1 B) komme erst dann zur Anwendung, wenn die Anmerkung 3 nicht einschlägig sei. Bei der streitgegenständlichen Ware handele es sich um keine Warenzusammenstellung im Sinne des Tarifs. Eine Warenzusammenstellung sei dadurch charakterisiert, dass deren Bestandteile voneinander getrennt vorlägen. Zwar seien das Legierungspulver und das D räumlich voneinander getrennt, da sie in unterschiedlichen Kammern einer Kapsel abgefüllt seien. Diese stoffliche Trennung in einer Kapsel führe jedoch nicht dazu, dass die Ware tariflich als Warenzusammenstellung anzusehen sei. Vielmehr handele es sich um eine Ware. Würde man die Kapsel auseinanderziehen, würde die Ware zerstört werden; sowohl die Legierung als auch das D würden direkt aus den Kammern herausfallen. Es komme vorliegend hinzu, dass ein weiteres Charaktermerkmal einer Warenzusammenstellung in Bezug auf die streitige Ware nicht vorliege. Beide Stoffe würden nämlich nicht getrennt voneinander zum Verkauf angeboten. Bestätigt werde diese Bewertung durch die Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen in die Kombinierte Nomenklatur, die ebenfalls davon ausgingen, dass eine Warenzusammenstellung aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen müsse. Die von der Kommission in der Leitlinie angeführten Beispiele zeigten deutlich, dass eine Warenzusammenstellung nur dann als solche gelte, wenn die Bestandteile auch tatsächlich voneinander trennbar seien. Da im Streitfall keine Warenzusammenstellung vorliege, könne die Anmerkung 3 zu Abschnitt VI nicht für die Auflösung einer Positionskonkurrenz genutzt werden. Im Übrigen zeige auch die weitere Anforderung in der Anmerkung 3 zu Abschnitt VI, wonach die Einzelbestandteile einer Warenzusammenstellung zusammen gestellt werden müssten, dass im Streitfall keine Warenzusammenstellung gegeben sei. Die in den beiden Kammern vorhandenen Stoffe seien nämlich aufgrund der Warenaufmachung nicht voneinander getrennt bestellbar. Die gemeinsame Gestellung liege in der Natur Warenaufmachung, nämlich der Abfüllung des Legierungspulvers und des D in einer Kapsel mit zwei getrennten Kammern; bei einer Abfüllung in getrennten bzw. trennbaren Kapseln sähe es anders aus. Schließlich komme im Streitfall auch die vom beklagten Hauptzollamt herangezogene Anmerkung 1 B) zu Abschnitt VI nicht zur Anwendung. Denn die vom beklagten Hauptzollamt angenommene Positionskonkurrenz bestehe tatsächlich nicht. Die Anmerkung 1 B) zu Abschnitt VI tarifiere Erzeugnisse in die Position 2843, sofern sie der Warenbeschreibung der Position 2843 ("Edelmetallamalgam") entsprächen. Im maßgebenden Zeitpunkt der Einfuhr der Ware liege indes noch kein Edelmetallamalgam vor mit der Folge, dass die Anmerkung 1 B) zu Abschnitt VI nicht anwendbar sei. Sei aber die Anmerkung 1 B) nicht anwendbar, stehe auch der in Anmerkung 2 zu Abschnitt VI beschriebene und vom beklagten Hauptzollamt herangezogene Anmerkungsvorbehalt der Anwendung einer Einreihung über Anmerkung 2 zu Abschnitt VI in die Position 3006 nicht mehr entgegen.

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Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskunft vom 05.11.2015 (XXX) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.11.2018 (xxx) zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 24.09.2015 eine verbindliche Zolltarifauskunft zu erteilen, mit der die Ware "XX" in die Unterposition 3006 4000 KN eingereiht wird.

7

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es verteidigt die angegriffenen Entscheidungen mit den Gründen der Einspruchsentscheidung.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Einreihung der Ware in die Position 3006 der Kombinierten Nomenklatur (§ 101 Satz 1 FGO).

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Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten merkt das erkennende Gericht im Einzelnen Folgendes an:

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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 6. September 2018, Kreyenhop & Kluge, C-471/17, Rn. 36; Urteil vom 20. November 2014, Rohm Semiconductor, C-666/13, Rn. 24; Urteil vom 17. Juli 2014, Sysmex, C-480/13, Rn. 29 m.w.N.) und des Bundesfinanzhofs (BFH, Beschluss vom 28. April 2014, VII R 48/13, juris, Rn. 29).) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der Kombinierten Nomenklatur festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur.

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Der Verwendungszweck des Erzeugnisses kann ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dem Erzeugnis innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen muss (EuGH, Urteil vom 5. September 2019, TDK-Lambda Germany GmbH, C-559/18, Rn. 27 m.w.N.) Der Verwendungszweck eines Erzeugnisses kann jedoch nur dann ein erhebliches Kriterium sein, wenn die Tarifierung nicht allein auf der Grundlage der objektiven Merkmale und Eigenschaften dieses Erzeugnisses erfolgen kann (EuGH, a.a.O.). Beschreibungen in Verkaufs- oder Herstellerprospekten, Auftrags- oder Lieferunterlagen, Werbeaussagen usw. gehören grundsätzlich nicht zu den objektiven Merkmalen und Eigenschaften einer Ware, sondern lediglich zu den Umständen, aus denen Anhaltspunkte für die Prüfung und Ermittlung der objektiven Beschaffenheitsmerkmale gewonnen werden können (BFH, Urteil vom 27. Februar 2019, VII R 1/18, juris, Rn. 9; Urteil vom 23. Oktober 2018, VII R 19/17, juris, Rn. 6; EuGH, Urteil vom 17. März 2005, Ikegami, C-467/03, Rn. 25).

14

Darüber hinaus sind insbesondere die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur und die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) maßgebende, wenn auch nicht rechtsverbindliche Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen (EuGH, Urteil vom 9. Juni 2016, MIS, C-288/15, Rn. 23; Beschluss vom 19. Januar 2005, SmithKline Beecham, C-206/03, Rn. 26; Urteil vom 20. November 2014, Rohm Semiconductor, C-666/13, Rn. 25; Urteil vom 17. Juli 2014, Sysmex, C-480/13, Rn. 30 m.w.N.; BFH, Urteil vom 4. November 2003, VII R 58/02, juris, Rn. 9; Urteil vom 30. Juli 2003, VII R 40/01, juris, Rn. 12).

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2. Bei der streitgegenständlichen Ware handelt es sich um ein Erzeugnis, das als Zahnfüllstoff verwendet wird. Im Zeitpunkt der Einfuhr besteht die Ware aus einem Kapselsystem, in dem sich in zwei voneinander getrennten Kammern die beiden für die Verwendung als Zahnfüllstoff erforderlichen Komponenten befinden, nämlich zum einen Legierungspulver mit einem Anteil von 57,5% am Gesamterzeugnis, bestehend aus A (XXX%), B (XXX%) und C (XXX%), sowie zum anderen flüssiges D mit einem Anteil von 42,5% am Gesamterzeugnis. Bei der Verwendung der Ware als Zahnfüllstoff im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung werden die beiden exakt dosierten Komponenten gemischt und zu einer Zahnfüllung geformt.

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3. a) Für die Einreihung der streitgegenständlichen Ware im Zeitpunkt der Einfuhr kommen die Unterpositionen 2843 (Edelmetalle in kolloidem Zustand; anorganische oder organische Verbindungen der Edelmetalle, auch chemisch nicht einheitlich; Edelmetallamalgame) und 7106 (Silber (einschließlich vergoldetes oder platiniertes Silber), in Rohform oder als Halbzeug oder Pulver) in Betracht. Die Konkurrenz zwischen diesen Positionen ist im Streitfall nicht nach den Allgemeinen Vorschriften (AV) für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, sondern nach den spezielleren Anmerkungen zu Abschnitt VI (= Kapitel 28 bis 38) der Kombinierten Nomenklatur zu lösen. Unter AV 1 heißt es ausdrücklich, dass die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften für die Einreihung maßgebend sind, "soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln nichts anderes bestimmt ist ..." Letzteres hat der Unionsgesetzgeber über die Anmerkungen zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur getan.

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b) Den Anmerkungen zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur liegt folgende Systematik zu Grunde: Die Anmerkung 1 ist vor der Anmerkung 2 zu prüfen, was sich aus der Formulierung in Anmerkung 2 "Vorbehaltlich der Anmerkung 1 ..." erschließt. Innerhalb der Anmerkung 1 wiederum ist zunächst die Anmerkung A) zu prüfen, bevor eine Prüfung der Anmerkung B) erfolgen kann; arg. "Vorbehaltlich des Buchstabens A) ..." (Anmerkung 1 B). Diese Prüfungsreihenfolge wird durchbrochen im Hinblick auf Warenzusammenstellungen im Sinne der Anmerkung 3. Steht - wie hier - eine Warenzusammenstellung in Rede, geht die Anmerkung 3 den Anmerkungen 1 und 2 zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur vor. In der Anmerkung 3 fehlt dann auch der in den Anmerkungen 1 A) und 2 formulierte Vorbehalt ("Vorbehaltlich ..."). Dieses Verständnis hat zur Konsequenz, dass im Streitfall eine Prüfung der Anmerkung 3 zu erfolgen hat.

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c) In Anmerkung 3 zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur ist festgeschrieben, dass Warenzusammenstellungen, die aus zwei oder mehreren voneinander getrennten Bestandteilen bestehen, von denen einige oder alle zu diesem Abschnitt gehören, und die erkennbar dazu bestimmt sind, durch Mischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI oder VII herzustellen, der für dieses Erzeugnis zutreffenden Position unter der Voraussetzung zuzuweisen sind, dass die Einzelbestandteile:
a) ohne weiteres Umpacken aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig erkennbar dazu bestimmt sind, zusammen verwendet zu werden,
b) zusammen gestellt werden und
c) entweder aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihrer entsprechenden Mengen als einander ergänzend erkennbar sind.

19

Der Begriff der Warenzusammenstellung wird in der Kombinierten Nomenklatur selbst nicht definiert. Allerdings findet der Begriff Warenzusammenstellung bzw. Zusammenstellung Verwendung im Wortlaut einzelnen Positionen bzw. Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur, wie etwa im KN-Code 6308, 8206 und 9503 0070. Nach den Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellungen in die Kombinierte Nomenklatur der Europäischen Kommission vom 11.4.2013 (ABl. Nr. C 105/1, im Folgenden: Leitlinien der Kommission), die freilich für das erkennende Gericht nicht bindend sind, bezeichnet der Begriff "für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung" Warenzusammenstellungen, die
a) aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen, für deren Einreihung unterschiedliche Positionen in Betracht kommen,
b) aus Waren bestehen, die zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden sind und
c) so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen, z.B. in Schachteln, Kästchen oder auf Unterlagen (vgl. Abs. 1 und 2 der Leitlinie).

20

Allerdings gelten die vorstehend beschriebenen Kriterien nicht für Warenzusammenstellungen, die in den Anmerkungen der Abschnitte oder Kapitel der Kombinierten Nomenklatur angesprochen werden und konkrete Kriterien beinhalten, wie z.B. die Anmerkung 3 zu Abschnitt VI, die Anmerkung 1 zu Abschnitt VII oder die Anmerkung 3 zu Kapitel 61 (vgl. insoweit auch die Leitlinien der Kommission, Absatz 3, Alternative 2). So liegt der Fall dann auch hier; bei der streitgegenständlichen Ware handelt es sich um eine Warenzusammenstellung im Sinne der Anmerkung 3 zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur mit der Folge, dass die in der Leitlinie der Kommission in Absatz 2 aufgestellten Voraussetzungen einer Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b) keine Anwendung finden. Vielmehr ist zu prüfen, ob die streitgegenständliche Ware die Kriterien einer Warenzusammenstellung im Sinne der Anmerkung 3 des Abschnitts VI der Kombinierten Nomenklatur erfüllt. Diese Prüfung fällt positiv aus:

21

Das von der Klägerin eingeführte Erzeugnis besteht aus zwei voneinander getrennten Bestandteilen, nämlich zum einen aus der mit Legierungspulver gefüllten Kammer, zum anderen aus der mit D gefüllten Kammer. Die mit dem D gefüllte Kammer ist dem Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur zuzuordnen, scil. der Position 2843. Beide Bestandteile des in Rede stehenden Erzeugnisses sind erkennbar dazu bestimmt, durch Mischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI der Kombinierten Nomenklatur herzustellen, wobei an dieser Stelle offenbleiben kann, ob das durch Mischen herzustellende Erzeugnis der Position 2843 oder 3006 der Kombinierten Nomenklatur unterfällt.

22

Die rechtliche Bewertung, dass - so wie die Klägerin argumentiert - vorliegend der Annahme einer Warenzusammenstellung entgegenstehe, dass sich die beiden Bestandteile - scil. das Legierungspulver einerseits und das D andererseits - zwar in separaten Kammern, jedoch in einer Kapsel befänden mit der Folge, dass es sich lediglich um eine Ware und damit um keine Warenzusammenstellung handele, teilt das erkennende Gericht nicht. Im Unterschied zu den Leitlinien der Kommission, die unter Absatz 2 lit. a) die Formulierung "aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen" verwendet, hat der Unionsgesetzgeber in der Anmerkung 3 zu Abschnitt VI die Warenzusammenstellung als "aus zwei oder mehreren voneinander getrennten Bestandteilen" bestehend definiert. Der Begriff "Bestandteil" bezeichnet nach seinem natürlichen Wortverständnis den "Teil eines Objektes oder eines kompletten Ganzen" (https://de.wiktionary.org/wiki/Bestandteil). Die Verwendung des Substantivs "Bestandteil" erhellt, dass die Warenzusammenstellung im Sinne der Anmerkung 3 gerade nicht zwei verschiedene, voneinander trennbare Waren voraussetzt. Der Vergleich mit der englischen Sprachfassung bestätigt diese Analyse. In der Anmerkung 3 heißt es insoweit: "... consisting of two or more separate constituents ..." In der Leitlinie der Kommission findet sich demgegenüber der Begriff "articles" (Absatz 2 lit. a). Entsprechend verhält es sich mit der französischen Sprachfassung ("éléments" bzw. "articles").

23

Dass - so wie die Klägerin weiter meint - im Streitfall die Anwendbarkeit der Anmerkung 3 des Abschnitts VI der Kombinierten Nomenklatur auch deshalb ausgeschlossen sei, weil nur ein Bestandteil des klägerischen Kapselsystems - scil. die mit D gefüllte Kammer - dem Abschnitt VI zuzuordnen sei, vermag das erkennende Gericht ebenfalls nicht nachzuvollziehen. Bereits eine Analyse der deutschen Sprachfassung streitet nicht für das Verständnis der Klägerin. Nach dem insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut der Anmerkung 3 besteht eine Warenzusammenstellung aus "zwei oder mehreren" voneinander getrennten Bestandteilen. Da die im ersten Halbsatz verwandten Zahlworte "zwei oder mehrere" zu den im zweiten Halbsatz gebrauchten Numeralien "einige oder alle" in Beziehung stehen, lässt die Anmerkung 3 nach dem Verständnis des erkennenden Gerichts eine Deutung zu, dass bei einer Warenzusammenstellung, die aus zwei voneinander getrennten Bestandteilen besteht, auch lediglich ein Bestandteil zu dem Abschnitt VI gehören kann.

24

Ein Vergleich mit der französischen Sprachfassung - die englische Sprachfassung verwendet ebenso wie die deutsche Sprachfassung die Zahlwörter "two or more" bzw. "some or all" - bestätigt diese Analyse. In der französischen Sprachfassung heißt es insoweit "consistant en plusieurs éléments constitutifs"; die französische Sprachfassung verzichtet also auf die Verwendung der Zahlwörter "zwei und mehrere" und spricht stattdessen von "Produkten, die aus mehreren unterschiedlichen Bestandteilen bestehen". Der zweite Halbsatz der Anmerkung 3 lautet sodann in der französischen Sprachfassung wie folgt: "en totalité ou en partie de la présente section"; die französische Sprachfassung verwendet also die Worte "ganz oder teilweise". Da - wie bereits ausgeführt - die Formulierung des ersten Halbsatzes in Beziehung zu setzen ist mit den im zweiten Halbsatz verwandten Zahlworten, fällt unter die Anmerkung 3 auch eine Warenzusammenstellung, die aus mehreren (= mindestens zwei) voneinander getrennten Bestandteilen besteht, die - in den Worten der französischen Sprachfassung - ganz oder teilweise zum Abschnitt VI gehören. Mit anderen Worten: Bei einer Warenzusammenstellung aus zwei voneinander getrennten Bestandteilen bedeutet eine "teilweise" Zugehörigkeit zum Abschnitt VI, dass - wie im Streitfall - auch lediglich ein Bestandteil zu diesem Abschnitt gehören kann.

25

Die Einzelbestandteile des von der Klägerin eingeführten Erzeugnisses erfüllen auch die weiteren unter den Buchstaben a) bis c) in der Anmerkung 3 zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur aufgestellten Voraussetzungen: Sie sind ohne weiteres Umpacken aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig erkennbar dazu bestimmt, zusammen verwendet zu werden (lit. a); was letztlich auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird. Auch werden die Einzelbestandteile - das ist ebenfalls zwischen den Beteiligten unstreitig - zusammen gestellt (lit. b) und sind sowohl aufgrund ihrer Beschaffenheit als auch ihrer entsprechenden Mengen als einander ergänzend erkennbar (lit. c).

26

Das erkennende Gericht folgt indes nicht der rechtlichen Bewertung der Klägerin, dass die in der Anmerkung 3 zu Kapitel VI der Kombinierten Nomenklatur in Bezug genommenen einzelnen Bestandteile auch tatsächlich einer getrennten Gestellung zugänglich sein müssen, was im Streitfall aufgrund der Aufmachung - scil. der Abfüllung der beiden Stoffe in zwei getrennten Kammern einer Kapsel - nicht der Fall wäre. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die Beispiele für eine Warenzusammenstellung in den Leitlinien der Kommission (zumeist) dadurch gekennzeichnet sind, dass die verschiedenen Waren voneinander trennbar und damit auch einer in tatsächlicher Hinsicht getrennten Gestellung zugänglich sind. In der Anmerkung 3 des Kapitels VI der Kombinierten Nomenklatur wird freilich nicht der Begriff "Ware", sondern der Ausdruck "Bestandteile" verwandt, was zeigt und bereits bemerkt worden ist, dass die Begriffsinhalte der Warenzusammenstellungen in der AV 3 KN einerseits und der Anmerkung 3 des Kapitels VI andererseits nicht identisch sind. Ein Blick in die englische Sprachfassung bestätigt diesen Befund. Während in der Leitlinie der Kommission formuliert ist "consists of at least two different articles", befindet sich in der Anmerkung 3 die Wendung "Goods put up in sets consisting of two or more separate constituents". Das erkennende Gericht hält deshalb dafür, dass ein Gestellen im Sinne der Anmerkung 3 lit. b des Kapitels VI auch - wie im Streitfall - gegeben ist, wenn die Einzelbestandteile zwar gemeinsam gestellt werden, jedoch faktisch nicht trennbar sind, ohne die Warenzusammenstellung zu zerstören.

27

Sind somit die Voraussetzungen einer Warenzusammenstellung im Sinne der Anmerkung 3 des Abschnitts VI der Kombinierten Nomenklatur hinsichtlich des Streitfalls erfüllt, ist die Ware der Position zuzuweisen, die für das Erzeugnis nach dem Mischen zutreffend ist.

28

4. Die vorliegend zutreffende Position für das Erzeugnis, das durch das Mischen der beiden Bestandteile entsteht, ist die Position 2843 der Kombinierten Nomenklatur.

29

Für die Einreihung des nach dem Mischen der beiden Komponenten entstehenden Erzeugnisses kommen zwei Positionen der Kombinierten Nomenklatur in Betracht, nämlich zum einen die Position 2843 (Edelmetalle in kolloidem Zustand; anorganische oder organische Verbindungen der Edelmetalle, auch chemisch nicht einheitlich; Edelmetallamalgame), zum anderen die Position 3006 (Pharmazeutische Zubereitungen und Waren im Sinne der Anmerkung 4 zu Kapitel 30).

30

Zur Position 2843 gehören zum einen "Legierungen von Edelmetallen mit Quecksilber" (Anmerkung 62.0 der Erläuterungen HS), zum anderen "Amalgame, die gleichzeitig Edelmetalle und unedle Metalle enthalten (z.B. bestimmte Amalgame, die in der Zahntechnik verwendet werden)" (Anmerkung 63.1 der Erläuterungen HS). Der Umstand, dass die vorliegend in Rede stehende Ware nicht in der Zahntechnik, sondern als Zahnfüllstoff ausschließlich in der Zahnmedizin verwendet wird, steht ihrer Einreihung unter die Position 2843 nicht entgegen. Bei der Anführung des Begriffs "Zahntechnik" in den Erläuterungen zum HS handelt es sich ersichtlich ("z.B.) um eine bloß beispielhafte Erwähnung, der kein abschließender oder konstitutiver Charakter zukommt.

31

Ausweislich der Anmerkung 4 zu Kapitel 30 der Kombinierten Nomenklatur gehören zur Position 3006 "nur die nachstehend aufgeführten Erzeugnisse, die dieser Position und keiner anderen der Nomenklatur zugewiesen sind ..." Unter Buchtstabe f) der Anmerkung 4 werden u.a. "Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe" genannt. Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe sind meist Zubereitungen auf der Grundlage von Metallsalzen; sie können auch aus Metalllegierungen bestehen, die als Zahnfüllstoffe zubereitet sind (vgl. Anmerkung 41.0 der Erläuterungen zum HS).

32

Die vorliegend bestehende Konkurrenz zwischen den Positionen 2843 und 3006 ist über die Anmerkungen zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur mit der Folge zu lösen, dass die streitgegenständliche Ware der Position 2843 zuzuweisen ist. In Anmerkung 1 B) des Abschnitts VI ist bestimmt, dass vorbehaltlich des Buchstabens A) Erzeugnisse, die der Warenbeschreibung der Position 2843, 2846 oder 2852 entsprechen, zu diesen Positionen gehören, auch wenn andere Positionen dieses Abschnitts in Betracht kommen. Der in dieser Anmerkung ausgesprochene Vorbehalt kommt im Streitfall nicht zum Tragen, da die in Rede stehende Ware nicht den Warenbeschreibungen der Positionen 2844 oder 2845 entspricht. Auch die Anmerkung 2 des Abschnitts VI, wonach vorbehaltlich der Anmerkung 1 Waren, die wegen ihrer Dosierung oder wegen ihrer Aufmachung für den Einzelverkauf - u.a. - zu der Position 3006 gehören können, dieser Position zuzuweisen sind, auch wenn andere Positionen der Nomenklatur in Betracht kommen, greift im Streitfall nicht. Bei der Anmerkung 2 zu Abschnitt VI handelt es sich um eine subsidiäre Anmerkung, die Erzeugnisse der Positionen 2843 bis 2846 und 2852 von ihrer Anwendung ausdrücklich ausnimmt.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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