Urteil vom Finanzgericht Köln - 5 K 3607/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 27.04.2011 Einspruch, unter anderem mit dem Ziel, den Bescheid hinsichtlich der Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit wegen Nichtberücksichtigung einer steuerfreien Kostenpauschale, wie sie den Abgeordneten gewährt werde, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in den Verfahren 7258/11 und 7227/11 vorläufig zu erlassen. Alternativ sollte der Einspruch bis zur Entscheidung des EGMR zum Ruhen gebracht werden.
3Der Beklagte lehnte eine Änderung des Bescheides insoweit, ebenso wie ein Ruhen des Verfahrens ab. Es seien weder die Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) noch des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO erfüllt. Eine Zwangsruhe komme nicht in Betracht, da der EGMR nicht zu den in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO genannten Gerichten zähle. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO greife nicht, da kein wichtiger Grund für ein Ruhen gegeben sei. Die Rechtslage sei aus Sicht der Finanzverwaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eindeutig geklärt. Am 25.10.2011 erließ der Beklagte unter Bezugnahme auf den bisherigen Schriftverkehr mit dem Kläger eine den Einspruch zurückweisende Entscheidung.
4Dagegen erhob der Kläger Klage, zunächst verbunden mit dem Antrag, den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 27.04.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass der Bescheid wegen der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig erlassen werde.
5Inzwischen begehrt der Kläger die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, damit der Beklagte erneut über das Ruhen des Einspruchsverfahrens entscheiden könne. -
6Der Beklagte habe bei Ablehnung der Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ermessenswidrig gehandelt. Er habe trotz des nicht sauber formulierten Gesetzestextes keine Auslegung dahingehend vorgenommen, dass unter den Begriff „Europäischer Gerichtshof“ im Sinne des Gesetzes auch der EGMR zu fassen sei.
7Auch bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO habe der Beklagte ermessenswidrig gehandelt, da er Musterverfahren vor dem EGMR nicht als wichtigen Grund gesehen habe. Im Übrigen sei der Beklagte bei seiner Entscheidung nicht auf den Fall des Klägers eingegangen, sondern habe unter Berücksichtigung einer Anweisung der Oberfinanzdirektion die gleiche Begründung angeführt, wie dies in allen anderen Fällen geschehe.
8Jedenfalls müsse das Gericht das Klageverfahren aussetzen bzw. zum Ruhen bringen, bis der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Verfahren X B 183/11 entschieden habe.
9Der Kläger beantragt,
10die Einspruchsentscheidung vom 25.10.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, darüber erneut zu entscheiden, das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO, hilfsweise nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen, bis der EGMR in Sachen 7258/11 und 7227/11 entschieden hat,
11hilfsweise, das Gerichtsverfahren auszusetzen oder zum Ruhen zu bringen, bis der BFH im Verfahren X B 183/11 entschieden hat.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Der Beklagte bleibt bei seiner im Einspruchsverfahren gegebenen Begründung, wonach die Voraussetzungen für ein Ruhen dieses Verfahrens nicht gegeben waren.
15Entscheidungsgründe
16Die Klage ist unbegründet.
17Die Einspruchsentscheidung des Beklagten war nicht aufzuheben, da deren Erlass entgegen der Auffassung der Klägerin nicht rechtsfehlerhaft bzw. ermessenswidrig war. Bei dieser Entscheidung des Gerichts war zu beachten, dass eine Ermessensentscheidung gemäß § 102 FGO nur auf Ermessensfehler zu prüfen ist.
18In Bezug auf das bereits im Einspruchsverfahren geäußerte Begehren des Klägers, das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zum Ruhen zu bringen, sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Der Beklagte hat zutreffend bereits die Tatbestands-voraussetzungen dieser Vorschrift verneint, so dass Raum für eine Ermessensentscheidung nicht gegeben war. Die Entscheidung des Beklagten, § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht im Sinne des Klägers auszulegen, ist Teil der Rechtsanwendung und fällt nicht in den Ermessensbereich der Finanzbehörde.
19Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 ist ein Einspruchsverfahren zum Ruhen zu bringen, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird. - Der Kläger begehrt die Berücksichtigung einer steuerfreien Kostenpauschale unter Hinweis auf Verfahren bei dem EGMR. Europäischer Gerichtshof im Sinne des Gesetzes ist jedoch nicht der EGMR mit Sitz in Straßburg, sondern der EuGH mit Sitz in Luxemburg (vgl. nur Urteil des BFH vom 26.09.2006 X R 39/05, BStBl II 2007, 222; Beschluss des BFH vom 06.07.1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO, § 363 Rz. 202).
20Hierfür spricht zum einen, dass im Gesetz ausdrücklich nur von dem Europäischen Gerichtshof die Rede ist, also kein Raum für eine Auslegung ist, dass mit dem Wortlaut der Vorschrift mehrere Europäische Gerichtshöfe, also neben dem EuGH auch der EGMR gemeint sein könnte. Zum anderen spricht für die Annahme, dass in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nur der EuGH als Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemeint ist, dass der EuGH durch das steuerrechtliche Rechtsschutzsystem mit der Möglichkeit von Vorabentscheidungsersuchen der nationalen Finanzgerichte (Art. 267 des Vetrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union -AEUV-) in den Besteuerungsprozess einbezogen ist (vgl. auch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16.11.2011 3 K 269/11, EFG 2012, 294 m.w.N.).
21Selbst wenn man also den Gesetzeswortlaut als nicht eindeutig ansehen wollte, so führte eine Auslegung des Begriffes Europäischer Gerichtshof dazu, hierin nur den - unter anderem - bei der Auslegung von Steuervorschriften einbezogenen EuGH, nicht aber auch den EGMR zu sehen, dessen vorrangige Aufgabe es ist, als Organ des Europarates die Einhaltung der Menschenrechtskonvention sicher zu stellen (Art. 19 der Konvention). Die Auslegung des Beklagten in diesem Sinne und damit die Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ist daher rechtmäßig.
22Die Einspruchsentscheidung des Beklagten, das Einspruchsverfahren auch nicht nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden, weil Ermessensfehler nicht feststellbar sind. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Die Entscheidung des Beklagten, dass ein wichtiger Grund nicht gegeben sei, lässt keine Ermessensfehler erkennen. -
23Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Rechtsmittelverfahren nicht dazu da sind, Steuerausfälle ohne jedes Risiko kostenpflichtiger ablehnender Entscheidungen offen zu halten (vgl. Beschlüsse des BFH vom 06.10.1995 III R 52/90, BStBl II 1996, 20 und vom 06.07.1999 IV B 14/99 a.a.O.). Zwar besteht ein natürliches Interesse des Steuerpflichtigen, Rechtsmittelkosten möglichst gering zu halten und möglichst viele Veranlagungen offen zu halten, um auch in Zukunft von allen eventuell günstigen Entwicklungen der Rechtsprechung profitieren zu können. Andererseits besteht auch ein Interesse der Finanzverwaltung, Veranlagungen rechts- oder bestandskräftig abschließen zu können, womit zugleich dem Steuerpflichtigen Rechtssicherheit gewährt wird. Bei den Zweckmäßigkeitserwägungen im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO sind daher sowohl die materiellen Interessen des Einspruchsführers als auch die Interessen der Finanzverwaltung an einem ökonomischen Verfahren zu beachten. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass ein Steuerpflichtiger selbst dann keinen Anspruch auf ein Ruhen des Einspruchsverfahrens hat, wenn er den Einspruch auf ein bereits anhängiges Musterverfahren bei einem der in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeführten Gerichte stützt, was sich aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO ergibt. Danach ist das Einspruchsverfahren auch bei anhängigen Verfahren vor einem der in Abs. 2 Satz 2 genannten Gerichte fortzusetzen, wenn die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt. Dies muss erst recht dann gelten, wenn ein Ruhen von Gesetzes nach Satz 2 der Vorschrift nicht in Betracht kommt, weil das hierfür angeführte Verfahren vor einem dort nicht genannten höchsten Gericht anhängig ist. Hinzu kommt, dass sich der Beklagte auf die Entscheidung des BVerfG zur Kostenpauschale (Beschluss des BVerfG 2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08, HFR 2010, 1108) berufen hat, wonach Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der Einkommensteuerfestsetzung bei Nichtgewährung der steuerfreien Kostenpauschale nicht gegeben sind.
24Soweit der Kläger beanstandet, der Beklagte sei bei seiner Entscheidung nicht auf seinen konkreten Fall eingegangen, ist dieser Einwand nicht schlüssig. Denn der Kläger beantragte das Ruhen des Verfahrens gerade deshalb, weil auch andere Steuerpflichtige die steuerfreie Kostenpauschale begehren und dies bereits bis vor den EGMR gebracht haben. Er wollte also gerade nicht eine besondere Rechtslage in seinem Fall beurteilt wissen, sondern nur von gleichgelagerten Fällen profitieren, sodass ein Ermessensfehler des Beklagten auch insoweit nicht ersichtlich ist.
25Die Entscheidung des Beklagten, das Rechtsbehelfsverfahren durch Einspruchsentscheidung ohne Ruhen des Verfahrens zu beenden, war somit rechtmäßig, so dass der Klageantrag auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung keinen Erfolg haben konnte.
26Das Gericht sah ebenfalls keine Gründe, das Gerichtsverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis der BFH in dem von dem Kläger bezeichneten Verfahren entschieden hat. Das Gericht hat bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt, dass sich der BFH bereits dazu geäußert hat, dass der EGMR nicht zu den Gerichten im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zählt (vgl. Urteil des BFH vom 26.09.2006 X R 39/05 a.a.O.; Beschluss des BFH vom 06.07.1999 IV B 14/99 a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass der BFH hiervon abweichen wird, sind nicht erkennbar, sodass eine Verfahrensaussetzung nicht zweckmäßig war.
27Auch ein Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung kam nicht in Frage, da hierzu die Zustimmung des Beklagten als Prozessgegner erforderlich gewesen wäre, die dieser in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich versagt hat.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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