Urteil vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 K 206/16

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 10. Dezember 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2016 verpflichtet, in Abänderung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 13. Februar 2009 die Grunderwerbsteuer unter Berücksichtigung einer Gegenleistung in Höhe von 872.432,00 Euro auf 30.534,00 Euro festzusetzen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruches abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.605,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheides nach Herabsetzung der Bemessungsgrundlage.

2

Mit notariellem Vertrag vom XX.XX.XXXX erwarb die Klägerin von der Bodenverwertungs und verwaltungs GmbH (BVVG) Ackerflächen, Grünland, Umland, Wald und sonstige Flächen in D. zu einem Gesamtkaufpreis von X,OO Euro. Hiervon entfielen auf Grund und Boden auf der Grundlage des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG) X,OO Euro, und auf Grund und Boden nach dem Verkehrswert X,OO Euro. Die Kaufpreisberechnung nach den Grundlagen des Ausgleichleistungsgesetzes war in einer Anlage 1 dem Vertrag beigefügt.

3

Unter § 2 des Vertrages "Kaufgegenstand/Verkauf/Kaufpreis" heißt es:

        

"Nach Ansicht des Käufers ergibt sich für ihn nach den Vorgaben des AusglLeistG und der FIErwV ein Anspruch darauf, die vertragsgegenständlichen Flächen zu einem günstigeren Preis als dem vereinbarten Kaufpreis erwerben zu können. Er behält sich daher vor, gerichtlich die erfolgte Kaufpreisbildung und -höhe einer Prüfung zu unterziehen sowie einen Anspruch auf Anpassung des vereinbarten Kaufpreises geltend zu machen.

        

Die Verkäuferin erklärt, dass sie bei der Kaufpreisbildung, die sie dem Käufer im Einzelnen dargelegt hat, nicht von niedrigeren Werten als den von ihr festgestellten und anhand vergleichbarer Verkäufe in der Region abgeleiteten Vergleichswerten ausgehen durfte. Andernfalls würde sie bei der Vereinbarung eines niedrigeren Kaufpreises eine ggf. europarechtswidrige Beihilfe gewähren, zumindest aber einen höheren Preisnachlass, als den durch das AusglLeistG vorgegebenen 35 %-igen Abschlag vom Verkehrswert.

        

Die Parteien sind sich jedoch darüber einig, dass Sie den Vertrag entsprechend einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ggf. anpassen werden. Die Einigkeit besteht jedoch auch darüber dass der Vertrag mit dem vereinbarten Kaufpreis Bestand haben soll, sofern der Käufer den sich vorbehaltenen Kaufpreisanpassungsanspruch nicht weiter verfolgt oder ggf. durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt wird, dass ihm ein solcher nicht zusteht."

4

Mit Bescheid vom 10. Februar 2009 setzte das seinerzeit zuständige Finanzamt M. Grunderwerbsteuer in Höhe von X,OO Euro fest. Dabei legte es den Kaufpreis in Höhe von X,OO Euro zugrunde. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

5

Mit Urteil des Landgerichtes B. vom xx.xx.xxxx (...) wurde die BVVG verurteilt, an die Klägerin 131.550,81 Euro nebst Zinsen zu zahlen.

6

Das Gericht ging zwar davon aus, dass die BVVG aufgrund der Formulierung in dem Kaufvertrag bei Vorliegen der Voraussetzung zur Anpassung des Kaufpreises nur zur Abgabe einer Willenserklärung zur Anpassung des Kaufpreises hätte verpflichtet werden können. Da es aber Ziel der Klage gewesen sei, eine rechtskräftig festgestellte Änderung der Kaufpreisbemessung wirtschaftlich durch Zahlung eines den entsprechenden Differenzbetrages auszugleichen, sah das Gericht die Klage als zulässig an.

7

Nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme ging das Landgericht B. sodann davon aus, dass der Verkehrswert der Grundstücke, die dem begünstigten Erwerb nach dem AusglLeistG unterlegen haben, einen Verkehrswert von insgesamt X,OO Euro hatte. Abzüglich der Ermäßigung von 35 % (= X,OO Euro) gemäß § 3 Absatz 7 AusglLeistG errechne sich für diese Flächen ein Kaufpreis von X,OO Euro, zuzüglich des vereinbarten Preises von X,OO Euro seien dies X,OO Euro. Tatsächlich gezahlt worden sei ein Kaufpreis von X,OO Euro. Die Differenz von 131.550,81 Euro ergebe den gemäß § 2 Nummer 5 des Kaufvertrages zu erstattenden Betrag.

8

Die BVVG zahlte den ausgeurteilten Betrag am XX.XX.XXXX an die Klägerin zurück.

9

Mit Schreiben vom 18. August 2015 beantragte die Klägerin eine geänderte Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach einer Bemessungsgrundlage von X,OO Euro.

10

Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2015 ab.

11

Hiergegen hat die Klägerin fristgemäß Einspruch eingelegt, mit dem sie geltend macht, dass es sich bei der Herabsetzung des Kaufpreises durch das Urteil des Landgerichtes B. um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 AO handeln würde. Bei dem Urteil handele es sich um ein rechtsbegründendes Gestaltungsurteil, dem nach Auffassung in der Kommentarliteratur steuerliche Rückwirkung zukomme.

12

Der Beklagte hat den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2016 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 16 Absatz 3 des Grunderwerbsteuergesetzes -GrEStG- nicht erfüllt seien und der Ausgangsbescheid auch nicht nach den Vorschriften der Abgabenordnung -AO- geändert werden könne.

13

Die Reduzierung des Kaufpreises aufgrund des Urteils sei keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache, die zu einer Bescheidänderung nach § 173 Absatz 1 Nummer 2 AO führen könnte, weil sich diese Vorschrift auf Tatsachen beschränke, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer bereits vorgelegen haben, und die lediglich später bekannt geworden sind. Die Reduzierung des Kaufpreises durch das Urteil des Landgerichts Berlin sei eine Tatsache, die erst nach Entstehung der Steuer eingetreten sei.

14

Das Urteil des Landgerichtes B. sei auch kein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Absatz 1 Nummer 2 AO.

15

Das Urteil habe in seinem Tenor zunächst lediglich einen Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die BVVG zuerkannt. In den Gründen habe das Landgericht aber ausgeführt, dass die Zahlungsklage zulässig gewesen sei, weil die Klägerin im Ergebnis die Rückzahlung von Geld begehrt habe, der dem nach erfolgter Kaufpreisanpassung entstandenen Rückgewähranspruch entspreche. Das Gericht habe somit aus prozessökonomischen Gründen davon abgesehen, vorab gestaltend in das ursprüngliche Vertragswerk einzugreifen und unmittelbar zur Zahlung verurteilt. Der ursprüngliche Vertrag sei nicht mit Wirkung für die Vergangenheit geändert worden. Gegen die Auffassung der Klägerin spreche zudem auch die Formulierung im Kaufvertrag selbst, denn die Parteien hätten vereinbart, trotz unterschiedlicher Auffassungen zur Preisgestaltung den Kaufvertrag zum ursprünglich vereinbarten Kaufpreis abschließen zu wollen. Die ggf. durch ein Gerichtsurteil vorzunehmende Anpassung des Preises habe keinen Einfluss auf den Bestand des Vertrages an sich und damit auf den Grunderwerb aufgrund des Vertrages, der letztlich die Steuer ausgelöst habe.

16

Der Gesetzgeber habe in § 16 Absatz 3 GrEStG eine Sonderregelung für den Fall einer späteren Minderung des Kaufpreises geschaffen. Hätte eine Minderung des Kaufpreises stets eine steuerliche Rückwirkung, würde stets ein Anspruch auf Steueränderung aus §175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO entstehen. Für § 16 Absatz 3 GrEStG verbliebe überhaupt kein Anwendungsbereich. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Herabsetzung des Kaufpreises auf einer Vereinbarung der Parteien oder auf einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung beruhe.

17

Die Klägerin hat am 17. Mai 2016 Klage erhoben.

18

Sie ist der Auffassung, dass der Ausgangsbescheid nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO zu ändern sei, denn auch Gerichtsentscheidungen können rückwirkende Ereignisse im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO sein. Werde nachträglich ein Sachverhaltsmerkmal, dessen Vorhandensein in der Vergangenheit für die Besteuerung erheblich war, "rückwirkend" anders gestaltet, wirke dies steuerlich zurück. Der rechtserhebliche Sachverhalt, der zu regelnde Einzelfall müsse sich infolge dieses Ereignisses derart anders gestaltet haben, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts dem in Frage stehenden Bescheid zugrunde zu legen sei. Hieraus müsse sich ergeben, dass die mit dem nachträglich eingetretenen Ereignis verbundene Vergangenheitswirkung einen rechtswidrigen Zustand habe, den es mit Hilfe der jeweils gebotenen Korrektur zu beseitigen gelte. Auf diese Weise werde umgesetzt, was das materielle Recht nunmehr, im Hinblick auf den veränderten Sachverhalt, gebiete. Das materielle Recht, im vorliegenden Fall § 8 Absatz 1 in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG gebiete, dass hier ein Kaufpreis in Höhe von 872.423,00 Euro der Grunderwerbsteuerfestsetzung zugrunde gelegt werde. Ansonsten bliebe ein rechtswidriger Zustand (Kaufpreis 1.003.973,00 Euro als grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage) erhalten, den die mit dem Urteil des Landgerichtes B. verbundene Vergangenheitswirkung geschaffen hat. Der Grunderwerbsteuer unterliegen die in § 1 Absatz 1 GrEStG genannten Rechtsvorgänge. Hierbei handele es sich um punktuelle Anknüpfungen. Ändern sich in diesen Fällen, d. h. die zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung gegebenen (Wert) Verhältnisse, seien die Voraussetzungen des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO erfüllt.

19

Der Anwendungsbereich des § 16 GrEStG werde durch § 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht eingeengt. Während § 16 Absatz 3 GrEStG auf Antrag die niedrigere Steuerfestsetzung oder Änderung der Steuerfestsetzung davon abhängig mache, dass "die Herabsetzung der Gegenleistung für das Grundstück" entweder innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfinde oder aufgrund des § 437 BGB vollzogen werde, setze § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO für den Erlass, die Aufhebung oder die Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheides ein rückwirkendes Ereignis, wie im vorliegenden Fall das Urteil des Landgerichtes B. vom 15. April 2015, voraus. Die Entscheidung des Landgerichtes B. habe in den wesentlichen Bestand des Kaufvertrages eingegriffen, nämlich in den Kaufpreis.

20

Dementsprechend seien die Wirkungen der Änderungsnormen des § 16 GrEStG einerseits und des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer. 2 AO andererseits unterschiedlich. Der Anspruch aus § 16 GrEStG lasse die materielle Rechtmäßigkeit eines einmal entstandenen Steueranspruchs unberührt und habe damit keine echte materielle Rückwirkung, die (bloße) Herabsetzung der Gegenleistung für das Grundstück, wirke nur ex nunc. Dagegen wirke die Steuerfestsetzung gemäß § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO ex tunc, weil sie durch das rückwirkende Ereignis ausgelöst werde.

21

Der Beklagte habe zudem den Antrag auf Herabsetzung der Steuer gemäß § 16 Absatz 3 Nummer 1 GrEStG zu Unrecht unter Hinweis auf die kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren abgelehnt. Diese Verjährungsfrist habe sich letztlich an dem Urteil des Landgerichtes Berlin vom 15. April 2015 auszurichten, denn durch diese gerichtliche Entscheidung sei der Rückzahlungsanspruch der Klägerin erst rechtswirksam geworden. Erst dieses Ereignis habe die Tatbestandsvoraussetzung für einen Antrag auf Herabsetzung der Grunderwerbsteuer geschaffen. Deren Änderung bzw. Herabsetzung sei mit Schreiben vom 18. August 2015 und damit innerhalb der Zwei-Jahres-Frist beantragt worden. Im Übrigen würden die Rückzahlungsansprüche gegen die BVVG nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes -BGH- erst nach Ablauf von zehn Jahren verjähren (vgl. BGH-Urteil vom 12. Dezember 2014, V ZR 109/14). Diese Frist sei auch auf die Anwendung des § 26 GrEStG zu übertragen.

22

Wegen der zahlreich aufgeführten Fundstellen in Rechtsprechung und Literatur wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 22. Juni 2016 (BI. 56 Str.Akte) verwiesen.

23

Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 10. Dezember 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2016 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten die Grunderwerbsteuer abweichend von dem Bescheid vom 13. Februar 2009 nach einer Gegenleistung von X,OO Euro auf X,OO Euro festzusetzen.

24

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

25

Der Ausgangsbescheid könne nicht nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO geändert werden, weil das Urteil des Landgerichtes B. vom XX.XX.XXXX den Kaufvertrag vom XX.XX.XXXX nicht mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit geändert habe. Gegenstand der Steuer sei der Erwerb eines Anspruches auf Übereignung von Grundstücken aufgrund eines Kaufvertrages, § 1 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG. Bemessungsgrundlage sei dabei der zu diesem Stichtag vereinbarte Kaufpreis, so wie er sich aus dem Kaufvertrag ergibt, § 8 Absatz 1 in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG. Dass dieser Kaufpreis zu einem späteren Zeitpunkt reduziert worden sei, habe insoweit keine Auswirkungen auf die Tatsache, dass zum Stichtag ein anderer Preis vereinbart worden sei. Da es bei der Besteuerung der Grundstücksübertragung auf die Verhältnisse zum Stichtag ankomme, müsse an der Besteuerung entsprechend diesen Verhältnissen festgehalten werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe das später ergangene Urteil des Landgerichts B. nicht dazu geführt, dass der Inhalt des Vertrages mit Wirkung von diesem Tage (ex tunc) verändert wurde. Es sei lediglich ein Erstattungsanspruch entsprechend dem Anspruch auf nachträgliche Kaufpreisanpassung zuerkannt worden. Ein Unterschied zu einer vertraglichen Herabsetzung des Kaufpreises, die - auch nach Ansicht der Klägerin - nur mit Wirkung für den Zeitpunkt der Änderung (ex nunc) eintrete, sei nicht erkennbar. Auch aus den sehr ausführlichen Ausführungen im Urteil des BGH vom 12. Dezember 2014, auf das die Klägerin sich berufe, könne nichts anderes entnommen werden; vielmehr gehe auch der BGH davon aus, dass sich ein Zahlungsanspruch aus dem Anspruch auf nachträgliche Anpassung des Vertrages, der ursprünglich mit einem anderen Inhalt geschlossen worden sei, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften des Ausgleichsleistungsgesetzes ergebe.

26

Die Frage der Verjährung des zivilrechtlichen Anspruches auf Anpassung des ursprünglichen Kaufpreises sei dabei ebenso wenig von Belang wie die Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Anpassung des Kaufpreises rechtswirksam geworden sei. Denn Bemessungsgrundlage der zu einem bestimmten Stichtag entstandenen Steuer sei die Gegenleistung, die der Erwerber zu diesem Zeitpunkt bereit gewesen sei, zu geben. Diese Motivlage ändere sich durch später eintretende Umstände nicht, so dass auch eine Änderung nach §175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO nicht denkbar sei. Änderungen der Steuerfestsetzung trotz Unveränderlichkeit der für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Umstände seien daher nur auf einer spezialgesetzlichen Grundlage - hier § 16 Absatz 3 GrEStG - möglich. Seien die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht erfüllt, komme es auf Überlegungen, ob eine Verjährung noch nicht eingetreten ist, nicht an.

27

Dem Gericht lag ein Band Grunderwerbsteuerakten des Beklagten vor.

Entscheidungsgründe

28

Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Absatz 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

29

Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Änderung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheides nach § 16 GrEStG nicht vor. Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Änderung des angefochtenen Bescheides nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO.

30

1.
Die Grunderwerbsteuer bemisst sich gemäß § 8 Absatz 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG gelten als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Die Feststellung des Werts der Gegenleistung (Kaufpreis) als der grunderwerbsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage hat hinsichtlich der Höhe nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes -BewG- zu erfolgen; gemäß § 1 Absatz 1 BewG gelten die allgemeinen Bewertungsvorschriften für alle öffentlich-rechtlichen Abgaben, die durch Bundesrecht geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden, d. h. auch für die Grunderwerbsteuer. Die Kaufpreisforderung ist als Kapitalforderung nach § 12 BewG zu bewerten (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1994 II R 4/91, BFHE 176, 56, BStBI II 1995, 69, und BFH-Beschluss vom 21. November 2000 II B 45/99, BFH/NV 2001, 642, m. w. N.). Gemäß § 12 Absatz 1 Satz 1 BewG ist eine Kapitalforderung mit ihrem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Nennwert ist der Betrag, der nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses vom Schuldner bei Fälligkeit der Forderung zu entrichten ist.

31

Besondere Umstände, die einen höheren oder geringeren Wert begründen, können zu einer anderen Bewertung einer Kaufpreisforderung führen, wenn sie bereits beim Abschluss des Kaufvertrags, also bei der Verwirklichung des grunderwerbsteuerbaren Tatbestands nach § 1 Absatz 1 Nr. 1 GrEStG vorliegen. Die Grunderwerbsteuer knüpft in § 1 Absatz 1 Nr. 1 GrEStG an das schuldrechtliche Rechtsgeschäft an. Der Abschluss des Kaufvertrags ist zugleich der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung der Kaufpreisforderung. Die Berücksichtigung besonderer Umstände i. S. d. § 12 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 BewG setzt voraus, dass sie der Kapitalforderung selbst innewohnen, ihr also immanent sind (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641, m. w. N.).

32

Zwar haben die Klägerin und die BVVG es bei Abschluss des Vertrages für möglich gehalten, dass der Kaufpreis nicht dem Verkehrswert der Grundstücke entspricht und der vereinbarte Kaufpreis mit dem Risiko einer anderweitigen gerichtlichen Bewertung behaftet ist. Gleichwohl haben die Vertragsparteien in Ansehung dieser Risiken den Vertrag unter Zugrundelegung des höheren Kaufpreises durchgeführt. Die Klägerin hat den entsprechenden Kaufpreis auch entrichtet. Der Beklagte hat die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer im Ausgangsbescheid zutreffend in Höhe des entrichteten Kaufpreises zugrunde gelegt.

33

2.
Die Voraussetzungen für eine Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 13. Februar 2009 nach § 16 Abs. 3 Nummer 1 GrEStG wegen einer Herabsetzung der Gegenleistung für das Grundstück liegen nicht vor, weil das Urteil des Landgerichtes B. nicht innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer ergangen ist.

34

Nach § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet, soweit es sich auf inländische Grundstücke bezieht. Demnach entsteht die Grunderwerbsteuer nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 GrEStG grundsätzlich mit Abschluss des Kaufvertrages. Nach § 14 Nummer 2 GrEStG entsteht die Grunderwerbsteuer allerdings, wenn ein Erwerbsvorgang einer Genehmigung bedarf, erst mit der Genehmigung. Im Streitfall bedurfte der Erwerbsvorgang der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung, die bis zum 01. Dezember 2008 erteilt wurde, denn mit Schreiben vom selben Tag teilte der befasste Notar dem Finanzamt Malchin mit, dass die Rechtswirksamkeit des Vertrages eingetreten sei. Das Urteil des Landgerichtes B. datiert vom XX.XX.XXXX 2015, somit lange nach Ablauf der in § 16 Absatz 3 Nummer 1 GrEStG festgelegten Frist. Entgegen der Auffassung der Klägerin beginnt diese Zwei-Jahres-Frist wegen des eindeutigen Wortlautes dieser Vorschrift „zwei Jahre seit Entstehung der Steuer“ nicht mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses. Ebenso wenig haben die zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften Einfluss auf die steuerlichen Vorschriften. Diese sind abschließend in den §§ 169 ff. AO geregelt.

35

Der Tatbestand des § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ist ebenso nicht erfüllt, weil die Vorschrift nur die Herabsetzung des Kaufpreises aufgrund der §§ 459 und 460 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i. d. F. bis 31. Dezember 2001 bzw. § 437 BGB n. F., also bei Mängeln des gekauften Grundstückes erfasst. Dass im Streitfall der Kaufpreis aufgrund derartiger Mängel herabgesetzt worden ist, ist weder festgestellt noch sonst aus den Akten ersichtlich.

36

3.
Der angefochtene Bescheid war aber nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO zu ändern, weil die Herabsetzung des Kaufpreises aufgrund des Urteils des Landgerichtes B. vom XX.xX.XXXX steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat.

37

3.1
Gemäß § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben und zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. In diesen Fällen beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Absatz 1 Satz 2 AO). Diese Vorschrift ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Steueranspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft. Es gilt der Grundsatz, dass bei Verwirklichung des Sachverhalts der Anspruch entstanden ist und bestehen bleibt, weil grundsätzlich ein Sachverhalt nicht mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigt werden kann. Darauf aufbauend entfällt ein Steueranspruch, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Das Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat, muss nachträglich eintreten, weil nur dann die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Nach dem Bedeutungszusammenhang und der Zielsetzung des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO umfasst der Begriff „rückwirkendes Ereignis“ alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, die steuerlich in der Weise in die Vergangenheit zurückwirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Beurteilung zugrunde zu legen ist. Ereignis ist jeder rechtlich relevante Vorgang und umfasst Tatsachen des Lebenssachverhaltes, aber auch rechtliche Vorgänge, wie die Einwirkung auf oder durch Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse, Gerichtsentscheidungen oder Verwaltungsakte. Der Ereignisbegriff umfasst nur sachverhaltsverändernde Geschehnisse. Mit der Vorschrift des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO wollte der Gesetzgeber die Änderung einer Steuerfestsetzung wegen Änderung eines konkreten Sachverhaltsmerkmals ermöglichen. Diese Vorschrift beinhaltet eine Ausnahmevorschrift, weil sie eine Abweichung von dem sonst im Steuerrecht herrschenden Prinzip enthält. Steuerrechtlich erfasst wird regelmäßig das tatsächliche Verhalten des Steuerpflichtigen. Ein tatsächliches Verhalten kann jedoch regelmäßig nicht rückwirkend beseitigt werden. Vielmehr können nur die rechtlichen Wirkungen eines tatsächlichen Verhaltens beseitigt werden. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob vorrangige steuerrechtliche Prinzipien einer Rückwirkung entgegenstehen. Ein Ereignis wirkt steuerlich in die Vergangenheit, wenn nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu unterwerfen ist.

38

Zwar ist eine zivilrechtlich mögliche rückwirkende Regelung von Vertragsangelegenheiten steuerrechtlich grundsätzlich unbeachtlich (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 37. Auflage, § 2 Rz. 50 m. w. N.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BFH jedoch in bestimmten Fällen bei streitigen oder ungewissen Rechtsverhältnissen. Der BFH hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 (IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539) ebenso die Rückabwicklung eines Anteilskaufvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage als rückwirkendes Ereignis eingestuft (vgl. auch BFH-Beschluss vom 08. Dezember 2010 III B 5/10, BFH/NV 2011, 415), wie auch die nachträgliche Herabsetzung eines Kaufpreises durch einen Vergleich in Folge zivilrechtlicher Streitigkeiten (vgl. BFH-Urteile vom 06. Dezember 2016 IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673; 19. August 2009 I R 3/09, BFHE 226, 486, BStBl II 2010, 249; vom 19. August 2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl ll 2004, 107; vom 07. September 1972 IV 311/65, BFHE 107, 211, BStBl II 1973, 11). Ebenso hat der BFH in seinem Urteil vom 29. März 2012 (IV R 18/08, BFH/NV 2012, 1095) zivilgerichtlichen Urteilen eine Rückwirkung im Sinne von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO zuerkannt, wenn der Tatbestand an den das Steuergesetz anknüpft, durch sie rückwirkend verändert wird (ebenso BFH-Urteile vom 16. Mai 2013 IV R 6/10, BFH/NV 2013,1584; vom 03. Januar 1988 I R 115/84, BFH/NV 1989,482; BFH-Beschluss vom 08. August 2002 II B 157/01, BFH/NV 2002, 1548).

39

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze, denen sich der erkennende Senat anschließt, war der Grunderwerbsteuerbescheid nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO zu ändern, weil durch das Urteil des Landgerichtes B. rückwirkend in eine wesentliche Besteuerungsgrundlage, nämlich den Wert der Gegenleistung, eingegriffen wurde.

40

Nach § 8 Absatz 1 GrEStG bemisst sich die Steuer nach dem Wert der Gegenleistung. Zwar sind die Vertragsparteien in dem notariellen Vertrag vom XX.XX.XXXX von einem Kaufpreis in Höhe von X,OO Euro ausgegangen. Die Preisbildung für den Grund und Boden auf der Grundlage des Ausgleichleistungsgesetzes stand aber unter dem Vorbehalt der endgültigen Bewertung durch ein ordentliches Gericht. Das folgt aus § 2 Nummer 5 Absatz 3 des Vertrages, wonach die Parteien sich darüber einig waren, dass sie den Vertrag entsprechend einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ggf. anpassen werden. Dass es sich insoweit um eine "Anpassungsklausel" handelt, hat auch der BGH in seinem Urteil vom 12. Dezember 2014 (V ZR 109/14), das eine identische Klausel zum Gegenstand hatte, festgestellt.

41

Die Entscheidung des Landgerichtes B. hat somit unmittelbar in den Vertrag eingegriffen, indem es ausgehend von dieser Anpassungsklausel die Kaufpreisvereinbarung geändert hat. Zwar hat das Gericht die BVVG nicht zur Anpassung des Kaufpreises und somit zu einer Vertragsänderung verurteilt. In seinem Urteil hat das Gericht aber ausdrücklich festgestellt, dass es - schon aus Gründen der Prozessökonomie - keine Bedenken hatte, die Klage auf Zahlung des Differenzbetrags zuzulassen, da dies dem erkennbar gewollten Ziel der Parteien entsprach, eine rechtskräftig festgestellte Änderung der Kaufpreisbemessung wirtschaftlich durch Zahlung eines dem entsprechenden Differenzbetrages auszugleichen. Auch der BGH hat mit Urteil vom 12. Dezember 2014 festgestellt, dass der Anpassungsanspruch zugunsten des aus einer Anpassung zwingend folgenden Rückzahlungsanspruches nicht vorweg eingeklagt werden muss. Vielmehr können die Ansprüche, die aus einer Anpassung folgen, unmittelbar durchgesetzt werden.

42

Hätte das Landgericht B. lediglich die Verpflichtung der BVVG ausgesprochen, den Vertrag hinsichtlich des Kaufpreises anzupassen, hätte dies zu einer Änderung des Vertrages geführt, die unmittelbar Einfluss auf die steuerliche Bemessungsgrundlage und somit auf den steuerlichen Tatbestand, gehabt hätte. Hiervon scheint auch der Beklagte auszugehen. Nichts anderes kann aber gelten, wenn das Gericht der Klägerin unter Abkürzung des Klageweges "lediglich" einen Rückzahlungsanspruch zugesprochen hat.

43

3.2
§ 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO ist auch neben der Spezialvorschrift des § 16 GrEStG anwendbar.

44

§ 16 GrEStG lässt die Anwendbarkeit der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO auf die Grunderwerbsteuer unberührt. Dies ist von Bedeutung, weil § 16 nicht alle Fälle der gescheiterten Erwerbsvorgänge erfasst. Der Anspruch aus § 16 lässt die materielle Rechtmäßigkeit eines einmal entstandenen Steueranspruches unberührt. Er hat damit keine materielle Rückwirkung. Darin unterscheidet er sich von den Tatbeständen der §§ 172 ff. AO, bei deren Vorliegen der Steuerbescheid gleichsam von Anfang an mit einem Mangel unterschiedlicher Art behaftet anzusehen ist, wie auch - wegen der Rückwirkung - in den Fällen des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer AO (vgl. Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 18. Aufl. § 16 Rdnr. 12; im Ergebnis ebenso: FG Berlin, Urteil vom 11. November 2004, 1 K 1071/02, juris). Demgegenüber beschränkt sich die Anwendung des § 16 Absatz 3 Nummer 1 GrEStG auf die Fälle, bei denen der Umfang der Gegenleistung - anders als im Streitfall - bei Abschluss des Vertrages nicht zweifelhaft oder ungewiss ist und nur auf Fälle der einvernehmlichen Herabsetzung der Gegenleistung. Durch den engen Begriff der Rückwirkung im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO werden die durch das Grunderwerbsteuergesetz beschränkten Korrekturen der Grunderwerbsteuerfestsetzung somit nicht ausgehöhlt.

45

4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Absatz 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit der entsprechenden Anwendung von §§ 708 Nummer 10, 711 Zivilprozessordnung -ZPO-. Die Revision wurde zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Absatz 2 Nummer 1 FGO vorliegen.

46

Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes -GKG- festgesetzt.

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