Beschluss vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 V 26/19

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Beschwerde wird zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 306,46 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten wegen Rentenbezügen im Ausland.

2

Der am 02.04.1949 geborene Antragsteller lebt seit 1995 in Kanada. Er bezieht seit dem 01.01.2015 eine Leibrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund.

3

Nachdem der Rententräger dem Antragsgegner Rentenbezugsmitteilungen übersendet hatte, informierte der Antragsgegner den Antragsteller über seine Absicht, gegen ihn Einkommensteuerbescheide zu erlassen und wies auf die Möglichkeit hin, einen Antrag auf Behandlung als unbeschränkt Steuerpflichtiger gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu stellen.

4

Mit Bescheiden vom 07.11.2018 setzte der Antragsgegner Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag sowie Zinsen zur Einkommensteuer für den Streitzeitraum wie folgt fest:

5

 Jahr 

 2015 

 2016 

 2017 

 ESt   

 … €   

 … €   

 … €   

 SolZ 

 … €   

 … €   

 … €   

 Zinsen

 … €   

 … €   

 … €   

6

Mit Schriftsatz vom 15.12.2018 und Eingang beim Antragsgegner am 02.01.2019 hat der Antragsteller gegen die Bescheide Einspruch eingelegt und zugleich die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Er trägt vor, dass der Antragsgegner die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 18 Abs. 1 des Abkommens vom 19. April 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen (BGBl. II 2002, 670 – DBA Kanada) nicht zutreffend angewendet habe. Seine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien nicht steuerlich abzugsfähig gewesen. Auch ergebe sich aus Art. 18 Abs. 3 DBA Kanada, dass der Wohnsitzstaat (hier: Kanada) vorrangig Leistungen aus Sozialversicherungssystemen besteuern dürfe, sodass eine Besteuerung durch die Bundesrepublik Deutschland ausscheide.

7

Mit Bescheid vom 14.01.2019 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Nach seiner Ansicht bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte.

8

Mit Eingang am 05.03.2019 hat der Antragsteller einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht gestellt. Er bezieht sich dabei auf sein außergerichtliches Vorbringen und vertieft dieses. Insbesondere sei zusätzlich zu beachten, dass sich der im Rahmen des DBA Kanada verwendete Begriff des „Ruhegehalts“ nicht ausschließlich auf Beamtenpensionen beschränken könne, denn sonst seien die im Protokoll zum DBA Kanada unter Ziffer 5 lit. b) getroffenen weiteren Ausführungen dahingehend, dass nur solche Ruhegehälter, die von der Bundesrepublik Deutschland, einem ihrer Länder, staatlichen Organen oder Gebietskörperschaften gezahlt werden, im Quellenstaat besteuert werden können, überflüssig, da es sich hierbei um die üblichen Quellen von Beamtenpensionen handele.

9

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

10

die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag sowie Zinsen zur Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017, jeweils vom 07.11.2018, bis zum Ablauf von einem Monat ab Bekanntgabe einer Entscheidung über die am 02.01.2019 beim Antragsgegner eingegangenen Einsprüche auszusetzen.

11

Der Antragsgegner beantragt,

12

den Antrag zurückzuweisen.

13

Er hält daran fest, dass keine Zweifel an der Rechtm28;ßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestehen. Die gegen die Steuerbescheide eingelegten Einsprüche seien zulässig aber unbegründet. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada seien vom Antragsgegner zutreffend angewendet worden. Dem stehe auch nicht Art. 18 Abs. 3 lit. c ) DBA Kanada entgegen. Im Übrigen verkenne der Antragsteller, dass steuerliche Abzugsfähigkeit im Sinne des DBA Kanada nicht die tatsächliche volle Abzugsfähigkeit von Sozialversicherungsbeiträgen bedeuten kann. Abzustellen sei darauf, ob diese Beiträge dem Grunde nach abzugsfähig seien. Dies sei gemäß § 10 EStG stets der Fall gewesen.

14

Dem Gericht lagen zur Entscheidung je ein Band Einkommensteuer- sowie Rechtsbehelfsakten vor.


II.

15

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

16

Gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen (1.) oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (2.).

17

1.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhaltes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (st. Rspr.; vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes –BFH– vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 477, BStBl III 1967, 182).

18

Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhaltes, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt.

19

Nach der im Verfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bestehen an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 keine ernstlichen Zweifel.

20

Der Antragsteller erzielte als beschränkt Steuerpflichtiger inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG (a). Das Recht zur Besteuerung dieser Einkünfte ist der Bundesrepublik Deutschland auch nicht durch das DBA Kanada entzogen (b).

21

a)
Der Antragsteller ist beschränkt steuerpflichtig und erzielt inländische Einkünfte im Sinne von § 49 EStG.

22

Beschränkt einkommensteuerpflichtig ist eine natürliche Person, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, was auf den Antragsteller zutrifft. Zwar kann ein beschränkt Steuerpflichtiger unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, jedoch hat der Antragsteller die zur Prüfung des Antrages erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, sodass eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 EStG nach Aktenlage nicht in Betracht kommt.

23

Die Rentenbezüge des Antragstellers sind zudem als sonstige Einkünfte im Sinne von § 22 Nr. 1 S. 3 lit. a) sublit. aa) EStG zu qualifizieren und stellen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG Einkünfte dar, die von den inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgern gewährt werden, sodass es sich um inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht handelt.

24

b)
Der Bundesrepublik Deutschland ist durch das DBA Kanada auch nicht das Besteuerungsrecht entzogen.

25

Gemäß § 2 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) gehen Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) den Steuergesetzen vor, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. Dies trifft auf das DBA Kanada zu.

26

Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada weist der Bundesrepublik Deutschland ein Besteuerungsrecht für Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu (aa). Dieses wird auch nicht durch Art. 18 Abs. 3 DBA Kanada ausgeschlossen (bb).

27

aa)
Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unterfallen im Allgemeinen Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada (1), dessen Tatbestandsvoraussetzungen auch im Streitfall erfüllt sind (2).

28

(1)
Die Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unterfallen Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada.

29


Sie unterfallen gerade nicht der Spezialvorschrift des Artikels 18 Abs. 2 DBA Kanada, da es sich nicht um Rentenbezüge handelt, welche aufgrund einer Gegenleistung erbracht werden. Diese Vorschrift erfasst in erster Linie Renten aufgrund von Veräußerungsgeschäften oder privaten Versicherungsverträgen (vgl. Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, 12. EL., Art. 18 Rdn. 9).

30

Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung werden auch nicht – wie teilweise in der Literatur vertreten wird (so z. B. Wassermeyer, DBA, 128. EL., Art. 18 Rdn. 21, 70 f. m. w. N.) – nur von der Auffangklausel des Art. 21 Abs. 1 DBA Kanada erfasst. Dagegen spricht bereits die Regelungssystematik des Abkommens, wie ein Rückschluss aus Art. 18 Abs. 3 lit. c) DBA Kanada ergibt. Danach gilt, dass ungeachtet der übrigen Bestimmungen des Abkommens, Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechtes eines Vertragsstaates, die an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, im Wohnsitzstaat besteuert werden können, jedoch unter Berücksichtigung der Steuerbefreiungen, die im Quellenstaat gewährt würden, wenn es sich um den Wohnsitzstaat handeln würde. Der Umstand, dass Leistungen aufgrund Sozialversicherungsrechtes – unter welche auch die deutsche gesetzliche Rente zu fassen ist – im Rahmen des Art. 18 DBA Kanada geregelt werden, spricht entscheidend gegen eine Aufnahme dieser Leistungen in den Anwendungsbereich der Auffangklausel. Dieses Ergebnis wird gestützt durch die aus dem Gesetzgebungsprozess erkennbare Motivation des Gesetzgebers zur Änderung des DBA Kanada. Nach der dem Gesetzentwurf beigefügten Denkschrift zum Abkommen (BT-Drs. 14/7041, S. 44 ff.) wird bei den Erläuterungen zu Art. 18 ausgeführt, dass dieser Artikel „die Besteuerung der öffentlichen und privaten Ruhegehälter sowie der Renten und Unterhaltszahlungen“ regelt. Sinn und Zweck der Änderung war es gerade, Regelungslücken zu schließen und die Besteuerung von privaten sowie öffentlichen Ruhegehältern und Renten zu vereinheitlichen.

31

(2)
Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada sind erfüllt.

32

Gemäß Art. 18 Abs. 1 S. 1 DBA Kanada können regelmäßig wiederkehrende oder nicht wiederkehrende Ruhegehälter sowie ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person bezieht, nur in diesem Staat (hier: Kanada) besteuert werden.

33

Nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada können Ruhegehälter aber auch in dem anderen Vertragsstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) besteuert werden, wenn

34

a) sie aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaat bezogen werden;

35

b) die Beiträge zu den Altersversorgungskassen oder -systemen im anderen Staat steuerlich abzugsfähig waren, oder wenn das Ruhegehalt von dem anderen Staat, einem seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einem ihrer staatlichen Organe finanziert worden ist, und

36

c) sie nicht für Leistungen oder Tätigkeiten gezahlt werden, die von einer Person außerhalb des anderen Staates erbracht bzw. ausgeübt wurden, als diese Person nicht in diesem anderen Staat ansässig war.

37


Dabei müssen nach der Regelungssystematik die Tatbestandsvoraussetzungen der Buchstaben a) bis c) kumulativ erfüllt sein. Dies ist in Hinblick auf die Voraussetzungen der Buchstaben a) und c) bezüglich Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung der Fall.

38

Die Regelung in Buchstabe b) enthält zwei separate Tatbestandsvoraussetzungen, welche zueinander im Verhältnis der Alternativität stehen. Das Besteuerungsrecht an Renteneinkünften steht der Bundesrepublik Deutschland insoweit dann zu, wenn entweder die Beiträge zu den Altersversorgungssystemen steuerlich abzugsfähig gewesen sind oder wenn das Ruhegehalt von dem anderen Staat, einem seiner Länder, einer seiner Gebietskörperschaften oder einem seiner staatlichen Organe finanziert worden ist.

39

α)

40

Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unterfallen nicht der zweiten Alternative in Buchstabe b).

41

Nach dieser Alternative besteht ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nur, wenn das Ruhegehalt von dem anderen Staat, einem seiner Länder, einer seiner Gebietskörperschaften oder einem seiner staatlichen Organe finanziert worden ist.

42

Leistungen, welche durch die deutsche Rentenversicherung erbracht worden sind, könnten danach – vorbehaltlich des weiteren Tatbestandsmerkmals der Finanzierung – allenfalls dann unter diese Alternative fallen, wenn die deutsche Rentenversicherung als ein solches staatliches Organ anzusehen wäre.

43

Die gebotene Auslegung der Vorschrift im Zusammenspiel mit Nr. 5 lit. b) des Protokolls zu dem Abkommen, welches gemäß Art. 30 DBA Kanada Bestandteil des Abkommens geworden ist, ergibt, dass der Begriff des staatlichen Organs bei der Anwendung des Abkommens aus deutscher Seite dahingehend auszulegen ist, dass die deutsche Rentenversicherung nicht unter diesen Begriff fällt.

44

Dies folgt aus dem Umstand, dass gemäß Nr. 5 lit. b) des Protokolls von Ruhegehältern aus Quellen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die deutsche Steuer nur erhoben werden darf, wenn die Ruhegehälter von der Bundesrepublik Deutschland, einem ihrer Länder oder einer ihrer Gebietskörperschaften gezahlt werden. Auffällig ist dabei, dass in der Aufzählung dieser Vorschrift, welche sich ausschließlich an die Bundesrepublik Deutschland richtet, der Begriff des staatlichen Organs fehlt. Unter Zugrundelegung dessen, dass die Nennung bzw. Nichtnennung des Begriffs des staatlichen Organs nicht grundlos erfolgt ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Aufzählung des staatlichen Organs in Art. 18 Abs. 1 S. 2 lit. b) Alt. 2 DBA Kanada lediglich die Anwendung des Abkommens aus kanadischer Sicht berührt (so auch Wassermeyer, a. a. O., Rdn. 45 a. E.).

45

Dieses Ergebnis wird auch durch die Regelungssystematik des Abkommens bestätigt.

46

Würde nämlich der Begriff des staatlichen Organs in Art. 18 Abs. 1 S. 2 lit. b) Alt. 2 DBA Kanada auch für die Anwendung aus deutscher Sicht relevant sein, so würde die deutsche Rentenversicherung wohl ohne Weiteres unter diesen Begriff fallen. Denn ein Vergleich mit der – ebenso verbindlichen (vgl. Schlussklausel) – englischen bzw. französischen Textfassung ergibt, dass die dort verwendeten Begriffe der „governmental instrumentality“ (sinngemäß: „staatliche Einrichtung“) bzw., „personne morale ressortissant à son droit public“ (sinngemäß: „juristische Person des öffentlichen Rechts“) eine weite Auslegung nahelegen (vgl. auch Wassermeyer, a. a. O., Rdn. 45).

47

Würde aber die deutsche Rentenversicherung unter die zweite Alternative des Buchstabens b) fallen, wäre für deren Leistungen der Anwendungsbereich sowohl dieser Alternative als auch der ersten Alternative eröffnet. Denn im Rahmen der erste Alternative stellt sich lediglich die Frage, was steuerliche Abzugsfähigkeit im Sinne des DBA Kanada bedeutet. Nicht weiter problematisch ist, dass es sich bei der Deutschen Rentenversicherung um ein Altersversorgungssystem handelt. Wenn die deutsche Rentenversicherung jedoch sowohl unter die erste als auch die zweite Alternative des Buchstaben b) fallen würde, würde das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland insoweit von zwei separaten und vollkommen unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen, nämlich zum einen der steuerliche Abzugsfähigkeit (erste Alternative), zum anderen von dem Begriff der Finanzierung (zweite Alternative). Das Abkommen würde bei dieser Auslegung im Übrigen auch nicht erkennen lassen, unter welche der beiden Alternativen die deutsche Rentenversicherung vorrangig zu fassen ist, gegebenenfalls würden sich die Alternativen sogar gegenseitig ausschließen. Eine rechtssichere Auslegung der Tatbestandsmerkmale wäre somit schlechthin unmöglich. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Vertragsparteien willentlich einen solchen Zustand herbeiführen wollten, ist im Wege der Auslegung ein Verständnis der Norm zu suchen, welches der erkennbaren Regelungssystematik des Abkommens weitestgehend folgt, ohne dabei Widersprüche zu produzieren.

48

Diesem Ergebnis steht auch nicht der Einwand des Antragstellers entgegen, dass der Begriff des Ruhegehalts nicht lediglich Beamtenpensionen umfassen könne. Dem ist insoweit zuzustimmen, als der Begriff sowohl in Art. 19 DBA Kanada, welcher sich mit Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigt, als auch in Art. 18 DBA Kanada verwendet wird. Hier ergibt aber ein Vergleich mit der englischen Textfassung, in welcher nahezu durchgehend der Begriff „pension“ verwendet wird, dass es sich offenbar lediglich um eine Bezeichnung als Oberbegriff handelt. Wie der deutsche Begriff „Ruhegehalt“ im Rahmen der einzelnen Regelungen auszulegen ist, bestimmt sich eigenständig nach dem jeweiligen Regelungsbereich (so verwendet z.B. die englische Textfassung in Buchstabe b) in beiden Alternativen den Begriff „pension“, obwohl erkennbar unterschiedliche Altersversorgungssysteme beschrieben werden).

49

Auch den Einwand des Antragstellers, diese Auslegung von Art. 18 Abs. 1 S. 2 lit. b) Alt. 2 DBA Kanada würde dazu führen, dass die Regelung in Nr. 5 lit. b) des Protokolls überflüssig würde, teilt der Senat nicht. Wie dargestellt, konkretisiert die Regelung im Protokoll die Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 S. 2 lit. b) Alt. 2 DBA Kanada dahingehend, dass bei einer Anwendung aus deutscher Sicht lediglich Ruhegehaltszahlungen aus dem öffentlichen Dienst erfasst sind. Die Vorschrift im Protokoll ist damit nicht nur nicht überflüssig, sondern sichert vielmehr als verbindliche Auslegungsregel eine in sich widerspruchsfreie Anwendung des DBA Kanada aus deutscher Sicht.

50

β)
Die Leistungen aus der Deutschen Rentenversicherung sind jedoch unter Art. 18 Abs. 1 S. 2 lit. b) Alt. 1 DBA Kanada zu subsumieren.

51

Nach dieser Alternative steht der Bundesrepublik Deutschland insoweit dann ein Besteuerungsrecht zu, wenn die Beiträge zu den Altersversorgungskassen oder -systemen im anderen Staat (also dem Quellenstaat) steuerlich abzugsfähig waren.

52

Bei der Deutschen Rentenversicherung handelt es sich um ein Altersversorgungssystem im abkommensrechtlichen Sinne. Die Beiträge zu diesem Altersversorgungssystem waren im Sinne des Abkommens auch steuerlich abzugsfähig, denn dies setzt entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht eine tatsächliche und volle Abziehbarkeit, sondern vielmehr lediglich eine Abziehbarkeit dem Grunde nach voraus.

53

Bei der Frage der steuerlichen Abziehbarkeit konnte nicht im Wege einer vergleichenden Auslegung auf andere Doppelbesteuerungsabkommen Bezug genommen werden, denn – soweit ersichtlich – ist das DBA Kanada das einzige Abkommen, in welchem dieser Begriff Verwendung findet. Nach der Auffassung des Senats kann mit steuerlicher Abzugsfähigkeit aber nicht die tatsächliche und vollständige Abziehbarkeit im Einzelfall gemeint sein. Dies folgt bereits aus einer Auslegung des Wortlauts. Gemäß Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada können Ruhegehälter und Vergütungen auch im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) besteuert werden, wenn die Voraussetzungen der Buchstaben a) bis c) erfüllt sind. Käme es auf die tatsächliche Abziehbarkeit im Einzelfall an, so hätte es nahegelegen, statt der Konjunktion „wenn“ das Wort „soweit“ zu gebrauchen. In diesem Fall wäre sichergestellt gewesen, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nur insoweit zusteht, als die Beträge tatsächlich steuerlich abziehbar gewesen sind. Da davon auszugehen ist, dass der deutschen Seite bei Abschluss der Änderung des DBA Kanada bewusst war, dass – insbesondere im Steuerrecht – die Konjunktionen „wenn“ und „soweit“ eine stark voneinander abweichende Bedeutung haben, kann daraus geschlossen werden, dass eine steuerliche Abziehbarkeit im Einzelfall gerade nicht Voraussetzung für das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland sein soll. Dieses Ergebnis wird gestützt durch den Umstand, dass die Begründung eines Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage der steuerlichen Abziehbarkeit im Einzelfall zu erheblichen praktischen Problemen führen würde. So müsste für jeden beschränkt Steuerpflichtigen, der unter Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada fällt, für alle Beitragsjahre im Einzelnen festgestellt werden, inwieweit seine Beiträge zu der gesetzlichen Rentenversicherung steuerlich abzugsfähig gewesen sind. Hier dürften sich insbesondere für Personen, die um oder vor der Hälfte des vorigen Jahrhunderts geboren worden sind, weitreichende Nachweisprobleme ergeben. Anschließend müssten nach einem Verteilungsschlüssel, welcher ebenfalls nicht aus dem DBA Kanada hervorgeht, die nicht abzugsfähigen sowie abzugsfähigen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden, wobei zusätzlich zu klären wäre, ob es lediglich auf die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ankommt oder auch auf die des Arbeitgebers. Bei den Verhandlungen über die Änderung des DBA Kanada wären der deutschen Seite derart gravierende Problemfelder aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verborgen geblieben. Es ist daher davon auszugehen, dass für den Fall der Maßgeblichkeit einer steuerlichen Abzugsfähigkeit im Einzelfall, zumindest im Protokoll zum Abkommen – welches landesspezifische, konkretisierende Regelungen enthält – entsprechende Klarstellungen aufgenommen worden wären.

54

Die steuerliche Abziehbarkeit dem Grunde nach war nach deutschem Einkommensteuerrecht für den Antragsteller auch gewährleistet. Gemäß § 10 Abs. 1 Nummer 2 lit. a) des EStG in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung (a.F.) waren Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als Sonderausgaben abziehbar, jedoch nur die Arbeitnehmerbeiträge (Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 10 Rdn. 75 Stichwort „Sozialversicherung“). Eine tatsächliche und vollständige Abziehbarkeit dieser Beiträge wurde jedoch in der Regel durch den pauschalen Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. in Verbindung mit der Höchstbetragsregelung in dessen Nr. 1. ausgeschlossen. Im Rahmen der Neuregelung der Rentenbesteuerung wurde die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung beibehalten (§ 10 Abs. 1 Nummer 2 S. 1 lit. a) EStG n.F.) und das System des pauschalen Vorwegabzuges durch ein reines Höchstbetragssystem unter Berücksichtigung des Arbeitgeberanteils zur gesetzlichen Rentenversicherung ersetzt (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 S. 2, Abs. 3 EStG in der Fassung ab 01.01.2005 mit späteren Änderungen im Detail). Soweit zudem § 50 Abs. 1 S. 4 EStG a.F. (geändert zu Satz 3 in der vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung) die Abziehbarkeit von Beiträgen des Antragstellers zur gesetzlichen Rentenversicherung ab seiner Emigration nach Kanada ausgeschlossen hat, war ihm ebenfalls der Sonderausgabenabzug nicht dem Grunde nach versagt, sondern vielmehr nur aus persönlichen Gründen.

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55

Letztlich ist nach Auffassung des Senats auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Neuausgestaltung der Rentenbesteuerung durch die Einführung eines typisierenden steuerfreien Betrags der Rente (§ 22 Nr. 1 S. 3 lit. a) sublit. aa) S. 3 EStG n.F.) bewusst eine Besteuerung von solchen Rentenbezügen (anteilig) verhindert hat, welche aus Beiträgen resultieren, die nicht oder nur stark eingeschränkt steuerlich abzugsfähig gewesen sind (vgl. Gesetzentwurf zum Alterseinkünftegesetz v. 09.12.2003, BT-Drs. 15/2150, S. 40 f.). Von dieser steuerlichen Freistellung werden auch beschränkt Steuerpflichtige – im Streitfall in Höhe von 30 % – begünstigt. Ob eine (teilweise) steuerliche Begünstigung jedoch im Zeitraum der Beitragszahlungen erfolgt oder ab dem Zeitpunkt der Auszahlung der Rentenbezüge, kann bei einer typisierenden Betrachtung keinen Unterschied machen. Eine solche Typisierung ist auch zulässig. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das verfassungsrechtliche Spannungsfeld zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit näher auszugestalten, was im Wege von Typisierungen zulässigerweise geschehen kann.

56

bb)
Das deutsche Besteuerungsrecht wird auch nicht durch Art. 18 Abs. 3 lit c) DBA Kanada ausgeschlossen.

57

Nach der Vorschrift können, ungeachtet der übrigen Bestimmungen des Abkommens, Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaats, die an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, im Wohnsitzstaat besteuert werden. Dies jedoch unter Berücksichtigung der Steuerbefreiungen, welche im Quellenstaat gewährt würden, wenn es sich um den Wohnsitzstaat handeln würde.

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Der Argumentation des Antragstellers, aus dieser Vorschrift ließe sich ableiten, dass das Besteuerungsrecht für Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich dem Wohnsitzstaat und damit im Streitfall Kanada zustehe (so auch Wassermeyer, a. a. O., Rdn. 70a), vermag der Senat nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Urt. v. 20.12.2017 – I R 8/18 bzw. 9/16, juris Rdn. 10 f. bzw. 11 f.), welcher sich der Senat insoweit anschließt, regelt Art. 18 Abs. 3 lit. c) DBA Kanada lediglich die Einzelheiten der Besteuerung im Wohnsitzstaat. Die grundsätzliche Zuordnung des Besteuerungsrechtes, welche in Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada detailliert geregelt ist, wird dadurch nicht berührt.

59

Diese Auslegung wird zudem gestützt durch eine erkennbar in diese Richtung gehende gesetzgeberische Intention, welche aus der Denkschrift zum Abkommen hervorgeht. Dort (BT-Drs.14/7041, S. 47) heißt es:

60

„Es gilt der Grundsatz, dass Ruhegehälter, Renten und Unterhaltszahlungen […] nur im Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden können. Allerdings ist in bestimmten Fällen aber auch der andere Staat (Quellenstaat) steuerberechtigt (Absätze 1, 2 und 3 Buchstabe c).“

61

Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Art. 18 Abs. 3 lit. c) DBA Kanada als eine der Regelungen bezeichnet, in welcher auch der Quellenstaat steuerberechtigt ist, lässt sich entnehmen, dass die Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass Art. 18 Abs. 3 lit. c) DBA Kanada lediglich die Höhe der Besteuerung betrifft, nicht aber eine abschließende Zuordnung des Besteuerungsrechts enthält, dem Normzweck entspricht.

62

2.
Die Aussetzung der Vollziehung ist auch nicht wegen unbilliger Härte nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 S. 2, Alt. 2 FGO zu gewähren. Insoweit fehlt es bereits an hinreichendem Sachvortrag des Klägers.

63

3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

64

Die Beschwerde war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 128 Abs. 3 FGO zuzulassen. Aus der bisher zu Art. 18 Abs. 1 S. 2 DBA Kanada ergangenen Rechtsprechung des BFH ist nicht ersichtlich, wie das Tatbestandsmerkmal der steuerlichen Abzugsfähigkeit auszulegen ist, sodass der Sache eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

65

Der Streitwert war gemäß §§ 53 Abs. 3 Nr. 3, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) zu bestimmen. Dabei war zu berücksichtigen, dass im Verfahren zur Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes der Streitwert mit 10 v. H. des begehrten auszusetzenden Betrages zu berechnen ist.

66

Die Kostenentscheidung (§ 128 Abs. 4 FGO) und die Streitwertfestsetzung (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GKG) sind unanfechtbar.

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