Urteil vom Finanzgericht Münster - 7 K 30/19 AO
Tenor
Der Abrechnungsbescheid vom 29.08.2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 wird dahingehend geändert, dass der Erstattungsanspruch aus dem Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 16.01.2017 in Höhe von insgesamt 3.322,79 EUR (Einkommensteuer 2015 in Höhe von 2.921 EUR, Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2015 in Höhe von 152,40 EUR und evangelische Kirchensteuer 2015 in Höhe von 249,39 EUR) nicht durch Aufrechnung erloschen ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides. Dabei stellt sich im Kern die Frage, ob der Beklagte wirksam mit einer zivilrechtlichen Forderung gegen einen Steuererstattungsanspruch des Klägers aufgerechnet hat.
3Der Kläger nahm in den Jahren 2001 und 2002 fünf Darlehen bei der Volksbank N eG (Volksbank) auf (Darlehensverträge mit den Nummern 100 über 000 DM, 101 über 000 DM, 102 über 000 EUR, 103 über 000 DM und 104 über 000 EUR. Die Kredite wurden durch die X-Bank gefördert.
4Zudem übernahm der Kläger eine selbstschuldnerische Bürgschaft für ein Darlehen in Höhe von 000 DM, welches die Volksbank der K- Beteiligungsgesellschaft mbH gewährt hatte.
5Die Kredite wurden durch Bürgschaften der B-Bank GmbH (Bürgschaftsbank) gesichert. Zugunsten der Bürgschaftsbank bestanden Rückbürgschaften des Landes Nordrhein-Westfalen (Land NRW) und der Bundesrepublik Deutschland (Bund).
6Nachdem der Kläger in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, kündigte die Volksbank im November 2005 sämtliche Kredite. Die Bürgschaftsbank stellte im November 2007 für die K-Beteiligungsgesellschaft mbH einen Ausfall in Höhe von 000 EUR fest. Auf der Grundlage der Rückbürgschaften übernahm das Land NRW einen Betrag von 000 EUR und der Bund einen Betrag von 000 EUR.
7Die Volksbank führte vor dem Landgericht E-Stadt (LG E-Stadt) zwei Zivilverfahren gegen den Kläger.
8In dem Verfahren X/09 nahm die Volksbank den Kläger im Wege der Teilklage auf Rückzahlung jeweils erstrangiger Teilbeträge aus den Darlehensverträgen Nr. 100 (20.000 EUR), Nr. 101 (20.000 EUR) und Nr. 102 (10.000 EUR) in Anspruch. Das LG E-Stadt verurteilte den Kläger rechtskräftig mit Urteil vom xx.yy.2011 zur Zahlung von insgesamt 50.000 EUR und führte in den Entscheidungsgründen aus, die geltend gemachten Forderungen seien nicht verjährt, da die Forderungen im Herbst 2009 anerkannt worden seien.
9In dem Verfahren y/09 nahm die Volksbank den Kläger im Wege der Teilklage auf Rückzahlung in Höhe von jeweils 25.000 EUR aus den Darlehensverträgen 103 und 104 in Anspruch. Das LG E-Stadt verurteilte den Kläger rechtskräftig mit Urteil vom xx.yy.2011 zur Zahlung von insgesamt 50.000 EUR.
10Der Beklagte führte bei dem Kläger eine Einzelveranlagung durch. Aus dem Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 16.01.2017 ergab sich ein Erstattungsanspruch des Klägers in Höhe von insgesamt 3.322,79 EUR (Einkommensteuer 2015 in Höhe von 2.921 EUR, Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2015 in Höhe von 152,40 EUR und evangelische Kirchensteuer 2015 in Höhe von 249,39 EUR).
11Gegen diesen Erstattungsanspruch erklärte der Beklagte – zunächst gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau – die Aufrechnung (Schreiben vom 30.01.2017). Er führte aus, das Land NRW sei aus einer Rückbürgschaft für die Bürgschaftsbank in Anspruch genommen worden. Die Forderung des Kreditinstituts gegen den Kreditnehmer, den Kläger, sei kraft Gesetzes auf das Land NRW übergegangen.
12Nachdem der – nunmehr anwaltlich vertretene – Kläger eine aufrechenbare Forderung bestritten und einen Abrechnungsbescheid beantragt hatte, hob der Beklagte die Aufrechnungserklärung vom 30.01.2017 auf (Schreiben vom 07.02.2017) und erklärte mit Schreiben vom 08.02.2017 – nunmehr ausschließlich gegenüber dem Kläger – die Aufrechnung. Er führte an, das Land NRW sei aus einer Rückbürgschaft/Haftungsfreistellung in Anspruch genommen worden, welche für einen Kredit der Volksbank an die K-Beteiligungsgesellschaft mbH bewilligt worden sei. Die Forderung des Kreditinstituts gegen die Kreditnehmer in Höhe von yyyyyy EUR sei nach § 774 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf das Land NRW übergegangen. Der Kläger hafte für diese Forderungen als selbstschuldnerischer Bürge.
13Der Kläger beantragte erneut einen Abrechnungsbescheid und machte geltend, der Aufrechnungserklärung könne nicht entnommen werden, wegen welcher Forderungen er in Anspruch genommen werden solle und wie sich der Gläubigerwechsel vollzogen habe. Zudem seien die Ansprüche verjährt, da die Einrede der Verjährung in der Vergangenheit gegenüber der Volksbank und der X-Bank mehrfach erhoben worden sei und erneut erhoben werde. Auch im Hinblick auf die Rechte aus der Bürgschaft werde die Einrede der Verjährung erhoben.
14Mit Abrechnungsbescheid vom 29.08.2018 stellte der Beklagte fest, dass der Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen sei. Aus dem Urteil des LG E-Stadt vom xx.xx.2011 (X/09) ergebe sich, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt seien.
15Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, dass sich auch aus dem Abrechnungsbescheid nicht ergebe, wer zunächst Forderungsinhaber gewesen sei und auf welcher Grundlage die geltend gemachte Forderung übergegangen sei. Auch sei fraglich, ob die Volksbank überhaupt berechtigt sei, Verrechnungsersuchen an die Finanzbehörden zu richten.
16In dem geänderten Abrechnungsbescheid vom 28.09.2018, welcher Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde, führte der Beklagte ergänzend an, der Bund und das Land NRW seien aus einer Rückbürgschaft, die der Bürgschaftsbank für deren Bürgschaft zu einem Kredit der Volksbank an die K- Beteiligungsgesellschaft mbH bewilligt worden sei, in Höhe von yyyyyy EUR in Anspruch genommen worden. Mit der Befriedigung der Bürgschaftsbank seien die Forderungen gegen die Kreditnehmer auf das Land NRW und den Bund übergangen. Der Kläger hafte insoweit als selbstschuldnerischer Bürge. Aus dem Urteil des LG E-Stadt vom xx.yy.2011 (X/09) ergebe sich, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt seien.
17In der abschlägigen Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 führte der Beklagte an, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche auch mit zivilrechtlichen Forderungen aufgerechnet werden (BFH-Urteil vom 01.01.2017 VII R 12/16, BStBl. II 2018, 737). Auch seien in dem Abrechnungsbescheid Schuldgrund, Schuldhöhe, Schuldverhältnis sowie Datum und Aktenzeichen des zugrundeliegenden Erlasses des Finanzministeriums offengelegt worden. Der Vortrag des Klägers, ihm sei unklar, wer zunächst Forderungsinhaber gewesen und auf welcher Grundlage die geltend gemachte Forderung übergegangen sei, sei nicht glaubhaft. Aus dem Umstand, dass der Kläger – nach eigenem Vortrag – mit den Banken über eine Schuldentilgung verhandelt habe, ergebe sich, dass er umfassende Kenntnis von den Vorgängen habe. Aus dem Verweis auf das Urteil des LG E-Stadt in der Sache X/09 ergebe sich hinreichend klar, dass der Anspruch noch nicht verjährt sei.
18Mit der dagegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, der Beklagte habe bereits nicht hinreichend dargelegt, dass die zur Aufrechnung gestellten Forderungen übergegangen seien. Zweifel an einem solchen Übergang resultierten daraus, dass die Volksbank die Ansprüche aus den Darlehensverträgen eingeklagt habe. Zudem seien die Ansprüche verjährt. Das Urteil des LG E-Stadt könne keine verjährungsunterbrechende Wirkung haben, da der Beklagte nicht an dem Verfahren beteiligt gewesen sei. Die Volksbank habe zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, dass sie die Titel vor dem LG E-Stadt im Rahmen der Prozessstandschaft erstritten habe. Das Urteil des LG E-Stadt könne daher keine verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen (BGH-Urteil vom 07.06.2001 I ZR 49/99).
19Der Senat hat die Vollziehung des angefochtenen Abrechnungsbescheides mit Beschluss vom 29.05.2020 gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt (7 V 1201/20 AO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides ergäben sich daraus, dass der Kläger den Anspruch aus dem Bürgschaftsverhältnis bestritten habe. Nach der Rechtsprechung des BFH dürften Finanzgerichte über rechtswegfremde Gegenforderungen, die nicht rechtskräftig festgestellt seien und vom Steuerpflichtigen bestritten würden, nicht mitentscheiden. Soweit der Beklagte geltend mache, das LG E-Stadt habe jedenfalls die Forderung aus dem Darlehensvertrag Nr. 101 in Höhe von 20.000 EUR rechtskräftig festgestellt, so verkenne er, dass lediglich das Bestehen und die Durchsetzbarkeit der Forderung festgestellt worden sei und dass das LG E-Stadt keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob diese Forderung auf das Land NRW oder den Bund übergegangen sei.
20Das Gericht hat das Klageverfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt. Die Aussetzung sollte enden, wenn der Beklagte seine Gegenforderung nicht bis zum 30.04.2021 vor dem zuständigen Gericht geltend macht (Beschluss vom 17.06.2020 in Gestalt der Änderungsbeschlüsse vom 15.12.2020 und 15.03.2021).
21Mit Erklärung vom 05.08.2020 trat die Volksbank aus dem durch Urteil des LG E-Stadt vom xx.yy.2011 (y/09) titulierten Anspruch in Höhe von 50.000 EUR den letztrangigen Teilbetrag in Höhe von 16.555 EUR an den Bund und das Land NRW ab.
22Auf den Antrag vom 08.10.2020 wurde der Titel aus dem Urteil des LG E-Stadt vom xx.yy.2011 (y/09) auf die X-Bank umgeschrieben. Der Umschreibung erfolgte aufgrund einer Abtretungsvereinbarung vom 26.10.2015.
23Den Antrag des Beklagten, den Aussetzungsbeschluss vom 29.05.2020 nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO aufzuheben, da mit der Abtretungserklärung vom 05.08.2020 die Forderungsinhaberschaft des Landes NRW nachgewiesen sei, hat der Senat mit Beschluss vom 19.02.2021 als unbegründet abgelehnt (7 V 3272/20). Die Abtretung sei erst am 05.08.2020 und damit erstens nach Zugang der Aufrechnungserklärung (Schreiben vom 08.02.2017) und zweitens nach Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 erklärt worden. Zudem ergebe sich aus der Abtretungserklärung keine rechtskräftige Feststellung zur Forderungsinhaberschaft des Landes NRW.
24Mit Erklärung vom 26.02.2021 trat die Volksbank aus dem durch Urteil des LG E-Stadt vom xx.yy.2011 (X/09) titulierten Anspruch in Höhe von 50.000 EUR den letztrangigen Teilbetrag in Höhe von 16.555 EUR an den Bund und das Land NRW ab.
25Mit Schriftsatz vom 14.04.2021 beantragte das Land NRW bei dem LG E-Stadt, den Titel aus dem Urteil vom xx.yy.2011 (X/09) dahingehend umzuschreiben, dass Gläubigerin des titulierten Anspruchs in Höhe eines Teilbetrages von 16.555 EUR nunmehr das Land NRW ist. Zum Nachweis der Forderungsinhaberschrift legte das Land NRW die Abtretungserklärung vom 26.02.2021 sowie die diesbezügliche Annahmeerklärung vom 01.04.2021 vor. Der Kläger wendete hiergegen ein, eine Klausel könne mangels vollstreckungsfähigen Inhalts nicht erteilt werden. Zudem könne sich das Land NRW bei einem Titel, welcher in nicht offengelegter Prozessstandschaft erstritten worden sei, nicht darauf berufen, dass die von der Volksbank erhobene Klage verjährungsunterbrechenden Charakter gehabt habe. Das Titelumschreibungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
26Mit Schreiben vom 29.04.2021 erklärte der Beklagte gegenüber dem Kläger (hilfsweise) die Aufrechnung mit der mit Urkunde vom 05.08.2020 abgetretenen Forderung.
27Der Kläger beantragt,
28den Abrechnungsbescheid vom 29.08.2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 dahingehend zu ändern, dass der Erstattungsanspruch aus dem Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 16.01.2017 in Höhe von insgesamt 3.322,79 EUR (Einkommensteuer 2015 in Höhe von 2.921 EUR, Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2015 in Höhe von 152,40 EUR und evangelische Kirchensteuer 2015 in Höhe von 249,39 EUR) nicht durch Aufrechnung erloschen ist.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Der Beklagte macht geltend, das LG E-Stadt habe rechtskräftig festgestellt, dass keine Verjährung eingetreten sei. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen stehe fest, dass der titulierte Anspruch nach § 774 BGB auf das Land NRW übergegangen sei. Wie sich aus den von der Bürgschaftsbank ausgegebenen Bürgschaftsbedingungen (Fassung vom 01.01.2018, dort Abschnitt 21) ergebe, sei die Hausbank nach Befriedigung durch die Bürgschaftsbank verpflichtet, die anteilige Forderung gegen den Kreditnehmer auf die Bürgschaftsbank zu übertragen, soweit sie nicht kraft Gesetzes auf diese übergeht. Dabei sei die Hausbank verpflichtet, die Forderungen für die Bürgschaftsbank einzuziehen. Zu diesem Zweck sei die Hausbank bevollmächtigt, die Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Nach der Rückbürgschaftserklärung (Erklärung für das Haushaltsjahr 2020, dort Abschnitt IV. 3.) habe die Bürgschaftsbank unverzüglich einen Teil der auf sie übertragenen oder nach § 774 BGB übergegangenen Forderungen auf das Land NRW zu übertragen. Dabei sei die Bürgschaftsbank verpflichtet, die übergegangenen Forderungen treuhänderisch für Rechnung des Landes zu verwalten und zu verwerten.
32Die Forderungsinhaberschaft des Landes NRW folge damit jedenfalls daraus, dass die Volksbank einen Teilbetrag von 16.555 EUR mit Erklärungen vom 05.08.2020 (Urteil des LG E-Stadt y/09) bzw. vom 26.02.2021 (Urteil des LG E-Stadt X/09) abgetreten habe. Zudem sei mit Schreiben vom 29.04.2021 nochmals die Aufrechnung erklärt worden. Aufgrund der bereits zuvor bestehenden Aufrechnungslage bewirke diese Erklärung, dass der Steuererstattungsanspruch des Klägers nicht mehr bestehe.
33Äußerst hilfsweise werde der „dolo petit“-Einwand erhoben, da der Kläger die Steuererstattungsansprüche aufgrund der Titelumschreibung wieder auskehren müsse.
34Der Senat hat die Sache am 16.06.2021 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
35Entscheidungsgründe
36Die Klage ist begründet. Der Abrechnungsbescheid vom 29.08.2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Erstattungsanspruch aus dem Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 16.01.2017 in Höhe von insgesamt 3.322,79 EUR war im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht durch Aufrechnung erloschen.
37I. Der Senat kann nicht feststellen, dass dem Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt eine Forderung zustand, mit welcher er gegenüber dem Steuererstattungsanspruch des Klägers aufrechnen konnte.
381. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO –). Es gelten folgende Grundsätze:
39a) Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB).
40Eine Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis setzt voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (sog. Gegenforderung), entstanden und auch fällig, d. h. erzwingbar ist. Nach § 390 BGB kann ferner eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht aufgerechnet werden. Für die Verjährungseinrede gilt dies allerdings nach § 215 BGB nicht, wenn eine Aufrechnungslage bereits in nicht verjährter Zeit bestand.
41Eine wirksame Aufrechnung setzt zudem voraus, dass die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (sog. Hauptforderung), bereits entstanden und schon erfüllbar ist. Denn erst wenn eine Schuld entstanden ist, lässt sich davon sprechen, dass dem Aufrechnenden eine Leistung „obliegt“. Sie muss aber noch nicht fällig sein (vgl. BGH-Urteil vom 16.06.1993 XII ZR 6/92, BGHZ 123, 49).
42Die Gegenseitigkeit von Hauptforderung und Gegenforderung setzt voraus, dass die an der Aufrechnung Beteiligten zugleich Gläubiger und Schuldner der Forderungen sind. Dies bedeutet, dass die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung dem Aufrechnenden selbst und gegenüber dem Gläubiger der Hauptforderung zustehen muss, so dass ein Gläubiger- oder Schuldnerwechsel die Gegenseitigkeit aufheben oder herstellen kann (vgl. Wagner in Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 387 BGB Rn. 2). Grundsätzlich kann ein Schuldner nicht mit der Forderung eines Dritten aufrechnen. Selbst bei dessen Einwilligung oder Ermächtigung (§ 185 BGB) kann die fehlende Gegenseitigkeit durch Forderungsinhaberschaft nicht ersetzt werden (vgl. BGH-Urteil vom 17.05.1988 IX ZR 5/87, NJW-RR 1988, 1146; RG-Urteil vom 24.02.1912 I 49/11, RGZ 78, 382). Möglich wird eine Aufrechnung allerdings dann, wenn sich der Schuldner eine gegen den Gläubiger gerichtete Forderung abtreten lässt. Auch Finanzbehörden können grundsätzlich mit abgetretenen Ansprüchen aufrechnen (BFH-Urteil vom 15.06.1999 VII R 3/97, BStBl. II 2000, 46).
43b) Die Aufrechnungserklärung ist eine rein rechtsgeschäftliche Erklärung, mit der ein schuldrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt, und kein Verwaltungsakt erlassen wird (BFH-Beschluss vom 29.11.2012 VII B 88/12, BFH/NV 2013, 508). Bestehen mehrere Forderungen, führt die Nichtbenennung der Gegenforderung nicht zur Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung. Es genügt, wenn die Gegenforderung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung konkretisiert wird (BFH-Urteil vom 06.02.1990 VII R 86/88, BStBl. II 1990, 523).
44c) Handelt es sich bei der Gegenforderung – wie im Streitfall – nicht um eine Forderung aus dem Steuerschuldverhältnis, sondern um eine rechtwegfremde zivilrechtliche Forderung, so gelten folgende Grundsätze:
45Finanzgerichte dürfen über rechtwegfremde Gegenforderung, die nicht rechtskräftig festgestellt sind und vom Steuerpflichtigen bestritten werden, grundsätzlich nicht mitentscheiden (BFH-Urteil vom 31.05.2005 VII R 56/04, BFH/NV 2005, 1759). Zwar darf das Gericht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheiden. Bei einer zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Forderung handelt es sich allerdings nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“, sondern um ein selbständiges Gegenrecht (BFH-Beschluss vom 09.04.2002 VII B 73/01, BStBl. II 2002, 509). Nach § 322 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht ist, der materiellen Rechtskraft fähig. Es besteht somit die Gefahr, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet (BFH-Urteil vom 01.08.2017 VII R 12/16, BStBl. II 2018, 737).
46Finanzgerichte können ausnahmsweise über nicht rechtskräftig festgestellte und bestrittene Gegenforderungen entscheiden, wenn die Entscheidung über die Gegenforderung nicht in Rechtskraft erwächst. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Zessionar klagt und ihm gegenüber nach § 406 BGB mit einer Forderung gegen den Zedenten aufgerechnet wird. Denn die Rechtskraft eines Urteils erstreckt sich nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger (§ 110 Abs. 1 FGO, § 325 Abs. 1 ZPO), nicht aber auf den Zedenten als den Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars (BFH-Beschluss vom 25.11.1997 VII B 146/97, BStBl. II 1998, 200). Macht beispielsweise eine Ehefrau einen ihr von ihrem Ehemann abgetretenen Steuererstattungsanspruch durch eine Klage gegen einen Abrechnungsbescheid geltend, so ist das FG auch zur Entscheidung über das Bestehen einer Bürgschaftsforderung, mit welcher das Finanzamt gegenüber dem – nicht an dem Klageverfahren beteiligten – Ehemann aufrechnet, befugt (BFH-Urteil vom 01.08.2017 VII R 12/16, BStBl. II 2018, 737).
47Fehlt es an der Entscheidungsbefugnis, so hat das Finanzgericht das Klageverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis das zuständige Gericht über den Bestand der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Forderung entschieden hat. Gleichzeitig hat das Finanzgericht dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtswege eine Frist zu setzen. Erhebt der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, kann das Finanzgericht in dem anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandeln und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entscheiden (BFH-Beschluss vom 09.04.2002 VII B 73/01, BStBl. II 2002, 509).
48d) Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend (BFH-Urteil vom 21.11.2006 VII R 68/05, BStBl. II 2007, 291). Denn das Finanzamt kann nur für einen bestimmten Zeitpunkt entscheiden, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist (BFH-Beschluss vom 02.03.1971 VII R 74/68, BStBl. II 1971, 498).
49In Aufrechnungsfällen gilt dieser Grundsatz jedenfalls für die Hauptforderung – also z.B. für den Steuererstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 21.11.2006 VII R 68/05, BStBl. II 2007, 291 und vom 04.05.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285). Der gerichtlichen Entscheidung sind hinsichtlich der Hauptforderung die Steuerfestsetzungen zugrunde zu legen, wie sie im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zum Abrechnungsbescheid bestanden haben. Bei späteren Änderungen der Steuerfestsetzung ist gegebenenfalls ein neuer Abrechnungsbescheid zu erteilen (BFH-Urteil vom 04.05.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285).
50Dagegen unterliegt das materiell-rechtliche Bestehen einer Steuerforderung, mit der das Finanzamt aufgerechnet hat (Gegenforderung), der uneingeschränkten Überprüfung im Abrechnungsverfahren. Insoweit kommt es nicht auf die formelle Bescheidlage an. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Aufrechnung ist vielmehr, in welcher Höhe die vom Finanzamt zur Aufrechnung gestellten Steueransprüche rechtskräftig festgesetzt werden. Wird gegen Gegenforderung ein Rechtsbehelfsverfahren geführt, so ist das den Abrechnungsbescheid betreffende Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen (BFH-Urteil vom 04.05.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285 zur Aufrechnung mit Einkommensteueransprüchen; BFH-Beschluss vom 26.02.1991 VIII B 151/90, BFH/NV 1992, 86 zur Aufrechnung mit einer Forderung aus einem Haftungsbescheid; BFH-Urteil vom 17.09.1987 VII R 50-51/86, BStBl. II 1988, 366 zur Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen).
512. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechungsgrundsätze kann der Senat das Bestehen der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen nicht feststellen. Denn bei den in Betracht kommenden Gegenforderungen handelt es sich um rechtswegfremde Forderungen, welche nicht rechtskräftig festgestellt sind und von dem Kläger bestritten werden (dazu a). Der Beklagte hat nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderungen vor dem hierfür zuständigen Gericht erhoben (dazu b). Auch ist der Senat nicht ausnahmsweise zur Entscheidung über die rechtswegfremden Forderungen befugt (dazu c).
52a) Bei den in Betracht kommenden Gegenforderungen handelt es sich um Forderungen aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft bzw. aus einem Darlehensvertrag und damit um rechtswegfremde Forderungen. Diese Forderungen sind nicht rechtskräftig festgestellt und werden von dem Kläger bestritten.
53(1) Dies gilt zunächst für den in dem Abrechnungsbescheid genannten Anspruch aus der vom Kläger eingegangenen selbstschuldnerischen Bürgschaft. Das rechtskräftige Urteil des LG E-Stadt in dem Verfahren X/09 stützt sich allein auf die Forderungen der Volksbank aus den Darlehen Nr. 100, Nr. 101 und Nr. 102 und enthält keine Feststellungen zum Bestehen eines Bürgschaftsanspruchs gegen den Kläger. Entsprechendes gilt für das Urteil des LG E-Stadt in dem Verfahren y/09, welches sich nur auf die Forderungen der Volksbank aus den Darlehen Nr. 103 und 104 bezieht.
54Der Kläger hat den Anspruch aus der Bürgschaft auch bestritten. Denn er stellt in Abrede, dass die Bürgschaftsforderung auf das Land NRW bzw. den Bund übergegangen ist. Das Bestreiten kann nicht als völlig unsubstantiiert übergangen werden. Insoweit sind einerseits die bei Abschluss der Finanzierung gültigen Abreden zwischen der Volksbank, Bürgschaftsbank und dem Land NRW nicht bekannt, die ein gestuftes Bürgschaftsverhältnis begründet haben sollen. Auch ist nicht bekannt, wann die Bürgschaftsbank die Volksbank befriedigt hat. Insoweit ist nachvollziehbar, dass der Kläger das Bestehen etwaiger Regressansprüche des Landes (mit Nichtwissen) bestreitet.
55Zudem beruft er sich auf die Verjährung der Bürgschaftsforderung. Die Verjährung steht einer Aufrechnung zwar nicht per se entgegen; allerdings kann die Einrede der Verjährung einer Aufrechnung entgegenstehen, wenn die Gegenforderung bei Entstehung der Hauptforderung bereits verjährt war. Dies erscheint nicht ausgeschlossen, da der streitbefangenen Steuererstattungsanspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2015 entstanden ist (vgl. §§ 37 Abs. 2, 38 AO; dazu Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Rn. 45).
56Zudem ist bei rechtwegfremden Forderungen kein substantiiertes Bestreiten erforderlich. Es genügt vielmehr wie bei § 226 Abs. 3 AO der Hinweis des Schuldners der Gegenforderung, dass diese noch nicht rechtskräftig festgestellt oder aus welchen Gründen auch immer fragwürdig sei (vgl. zu § 226 Abs. 3 AO: BFH-Urteil vom 10.07.1979 VII R 114/75, BStBl. II. 1979, 690; Loose in Tipke/Kruse, § 226 Rn. 41). Hierfür spricht, dass auch die Frage, ob eine zivilrechtliche Forderung substantiiert bestritten worden ist, nur nach zivilrechtlichen bzw. zivilprozessualen Grundsätzen entschieden werden kann. Nach der Rechtsprechung des BFH sollen über derartige Fragestellungen jedenfalls dann die Zivilgerichte entscheiden, wenn sich die Rechtskraft der finanzgerichtlichen Entscheidung auch auf die Gegenforderung erstrecken würde.
57(2) Auch die Ansprüche aus den Darlehensverträgen sind nicht rechtskräftig festgestellt und werden von dem Kläger bestritten.
58Das LG E-Stadt hat in seinen Urteilen vom xx.yy.2011 (X/09 und y/09) lediglich das Bestehen und die Durchsetzbarkeit der titulierten Forderungen festgestellt. Die Urteile enthalten aber keine Feststellungen dazu, ob die Ansprüche auf das Land NRW oder den Bund übergegangen sind. Dies wird von dem Kläger gerade in Abrede gestellt.
59Rechtskräftige Feststellungen zur Forderungsinhaberschaft ergeben sich auch nicht aus umgeschriebenen Titeln. Der Titel aus dem Urteil des LG E-Stadt in dem Verfahren y/09 wurde nicht auf das Land NRW, sondern vielmehr auf die X-Bank umgeschrieben. Auch in dem vom Land NRW angestrengte Verfahren zur Umschreibung des Titels aus dem Urteil in dem Verfahren X/09 ist – aus den nachstehenden Gründen – keine rechtskräftige Feststellung über die Rechtsinhaberschaft des Landes NRW im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu erwarten.
60b) Der Beklagte hat nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist Klage auf Feststellung des Bestehens der in Betracht kommenden Gegenforderungen vor dem hierfür zuständigen Gericht erhoben.
61Zwar hat das Land NRW ein Verfahren zur Umschreibung des Titels aus dem Urteil des LG E-Stadt in dem Verfahren X/09 vor Ablauf der Frist angestrengt. Der erkennende Senat ist aber nicht gehalten, den Abschluss dieses Verfahrens abzuwarten, da in dem Titelumschreibungsverfahren keine rechtskräftige Feststellung über die Rechtsinhaberschaft des Landes NRW im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu erwarten ist.
62(1) Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Abrechnungsbescheides ist – wie ausgeführt – grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung abzustellen. Nach Auffassung des Senats gilt dies auch, soweit das Bestehen der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung im Streit steht. In einem Abrechnungsbescheid kann nur dann das Erlöschen eines Steuererstattungsanspruchs durch Aufrechnung festgestellt werden, wenn dem Aufrechnenden die Gegenforderung spätestens im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zustand. Hierfür spricht der allgemeine Grundsatz, dass das Finanzamt nur für einen bestimmten Zeitpunkt entscheiden kann, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist (BFH-Beschluss vom 02.03.1971 VII R 74/68, BStBl. II 1971, 498).
63Nichts anderes folgt aus der Rechtsprechung des BFH zur Aufrechnung mit streitigen Steuerforderungen, wonach es – anders als bei der Hauptforderung – nicht auf die die formelle Bescheidlage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung ankommt, sondern vielmehr das den Abrechnungsbescheid betreffende Verfahren bis zum Abschluss des gegen die Gegenforderung geführten Rechtsbehelfsverfahrens nach § 74 FGO auszusetzen ist (z.B. BFH-Urteil vom 04.05.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285). Denn aus dem Grundsatz, dass es bei der Gegenforderung nicht auf die formelle Bescheidlage ankommt, folgt lediglich, dass spätere Änderungen der Festsetzung noch im Abrechnungsbescheid zu berücksichtigen sind. Aus dieser Rechtsprechung kann allerdings nicht geschlossen werden, dass in einem Abrechnungsbescheid auch noch solche Gegenforderungen zu berücksichtigen wären, welche erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens auf den Schuldner übergegangen sind. Die vom BFH entschiedenen Fälle zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass die Gegenforderung bei Ergehen der Einspruchsentscheidung bereits entstanden war, dem aufrechnenden Fiskus als Gläubiger zustanden und lediglich die Höhe dieser Ansprüche noch nachträglich geklärt werden musste.
64(2) In dem Titelumschreibungsverfahren ist keine rechtskräftige Feststellung über die Rechtsinhaberschaft des Landes NRW im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu erwarten, da das Land NRW die Titelumschreibung auf der Grundlage der Abtretungserklärung vom 26.02.2021 begehrt. Eine Abtretung wirkt ex nunc in dem Zeitpunkt, in dem die (dingliche) Abtretungserklärung des Zedenten vom Zessionar angenommen wird. Aufgrund der Abtretung am 26.02.2021 kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Land bereits in der Zeit davor Inhaber der Forderung war, was vom Kläger gerade bestritten wird und insoweit einer Klärung im Zivilrechtsweg bedarf. In dem Verfahren der Titelumschreibung wird der Antrag vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts 1. Instanz auf formelle Kriterien hin geprüft (vgl. Seibel in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 727 Rn. 8 und 3- 7). Nicht geprüft würde damit, ob die Forderung aus dem Kreditvertrag bereits zu einem früheren Zeitpunkt in nicht verjährter Zeit auf das Land nach § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen war und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt.
65c) Der Senat ist auch nicht ausnahmsweise zur Entscheidung über die rechtswegfremden Forderungen befugt. Denn eine Entscheidung über die vom Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen würde nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen. An dem finanzgerichtlichen Verfahren sind mit dem Beklagten der (mögliche) Gläubiger und mit dem Kläger der (mögliche) Schuldner der Forderungen beteiligt.
66II. Die Klage gegen den Abrechnungsbescheid verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
67Zwar liegt nach dem Grundsatz „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung vor, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuerstatten wäre (BFH-Beschluss vom 12.06.1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156). Danach kann auch ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen sein, wenn mit hinreichender Sicherheit anzunehmen ist, dass der zu erstattende Betrag ohnehin alsbald zurückgezahlt werden muss (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Rn. 105; FG Köln Urteil vom 30.04.1997 6 K 5036/93, EFG 1997, 925).
68Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen allerdings nicht vor. Es ist schon nicht hinreichend klar, ob das Land NRW die angestrebte Titelumschreibung auf der Grundlage der Abtretungserklärung vom 26.02.2021 erreichen wird. Die Voraussetzungen für eine Titelumschreibung sind nicht im finanzgerichtlichen Verfahren, sondern vielmehr im dafür vorgesehen Titelumschreibungsverfahren zu klären.
69Zudem ergibt sich die vorliegende Entscheidung aus dem allgemeinen Grundsatz, dass für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung maßgebend sind. Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig, da es dem Beklagten freisteht, bei späteren Änderungen der Sachlage einen neuen Abrechnungsbescheid zu erteilen (BFH-Urteil vom 04.05.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285).
70Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ergibt sich daher auch nicht aus etwaigen praktischen Problemen, die daraus resultieren mögen, dass bei staatlichen Bürgschaften die Regressansprüche des Fiskus durch die kreditierende Bank gerichtlich geltend gemacht werden und damit der gerichtliche Titel nicht den Fiskus als Gläubiger ausweist.
71III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
72Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
73Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Es ist klärungsbedürftig, unter welchen Voraussetzungen der Fiskus mit Regressansprüchen aus staatlichen Bürgschaften gegen Steuererstattungsansprüche aufrechnen kann. Dabei stellt sich vor dem Hintergrund, dass die Regressansprüche häufig durch die kreditierenden Banken für den Fiskus gerichtlich geltend gemacht werden, die grundsätzliche Frage, welche Anforderungen an die rechtskräftige Feststellung der Forderungsinhaberschaft des Fiskus zu stellen sind. Insbesondere ist zu klären, ob bei der gerichtlichen Überprüfung von Abrechnungsbescheiden auch noch Gegenforderungen berücksichtigt werden dürfen, welche erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung auf den Fiskus übergegangen sind.
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Referenzen
- 1993 XII ZR 6/92 1x (nicht zugeordnet)
- 1991 VII B 66/91 1x (nicht zugeordnet)
- 1993 VII R 82/92 5x (nicht zugeordnet)
- 2005 VII R 56/04 1x (nicht zugeordnet)
- 2006 VII R 68/05 2x (nicht zugeordnet)
- 2002 VII B 73/01 2x (nicht zugeordnet)
- 7 V 3272/20 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 110 1x
- 1971 VII R 74/68 2x (nicht zugeordnet)
- 1997 VII B 146/97 1x (nicht zugeordnet)
- 1912 I 49/11 1x (nicht zugeordnet)
- § 37 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 2012 VII B 88/12 1x (nicht zugeordnet)
- 7 V 1201/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1999 VII R 3/97 1x (nicht zugeordnet)
- 1991 VIII B 151/90 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 325 Subjektive Rechtskraftwirkung 1x
- 1990 VII R 86/88 1x (nicht zugeordnet)
- § 226 Abs. 3 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 1979 VII R 114/75 1x (nicht zugeordnet)
- 2017 VII R 12/16 3x (nicht zugeordnet)
- 2001 I ZR 49/99 1x (nicht zugeordnet)
- 1988 IX ZR 5/87 1x (nicht zugeordnet)
- 6 K 5036/93 1x (nicht zugeordnet)