Urteil vom Finanzgericht Münster - 13 K 3187/19 E,F
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand:
2Streitig ist, ob ein Verlust der Klägerin aus der Auflösung der A GmbH in den Streitjahren 2011 oder 2012 zu berücksichtigen ist.
3Die Kläger waren als Gesellschafter der A GmbH (nachfolgend: GmbH) beteiligt. Die Geschäftsanteile an der GmbH verteilten sich auf folgende Personen:
4Klägerin: Geschäftsanteil von X €
5Kläger: Geschäftsanteil von X €
6K: Geschäftsanteil von X €
7Die GmbH hatte diverse Kredite bei der Bank aufgenommen (ein Darlehen, mehrere Kontokorrentkredite, ein Avalkredit). Zur Absicherung dieser Verbindlichkeiten haben die Kläger mit Vertrag vom 09.07.2009 eine selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verbindlichkeiten der GmbH bis zu einem Höchstbetrag von X € übernommen. Mit nachfolgenden Ergänzungsvereinbarungen vom 12.04.2010, 05.10.2010, 30.11.2010 und 10.01.2011 stellten die GmbH und die Kläger weitere Sicherheiten in Form von Grundschulden und Sicherungsabtretungen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verträge Bezug genommen (vgl. Sonderakte „Bürgschaftsinanspruchnahme“, Anlagen zum Klägerschriftsatz vom 19.06.2018). Die Zahlung einer Bürgschaftsprovision durch die GmbH an die Kläger ist nicht vereinbart worden.
8Im Jahresabschluss auf den 31.12.2009 wies die GmbH zunächst einen Jahresfehlbetrag von X € aus. Auf Drängen der Bank beauftragte die GmbH im Jahr 2010 Herrn Steuerberater und Wirtschaftsprüfer N, R, mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens. Dieser stellte zum 27.10.2020 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von X € fest. Auf Veranlassung von Herrn N erstellte die Klägerin am 31.12.2009 einen geänderten Jahresabschluss auf den 31.12.2009, in welchem ein Jahresfehlbetrag in Höhe von X € ausgewiesen wurde. Die Erhöhung des Jahresfehlbetrags war auf eine Neubewertung der Bilanzposition der unfertigen Arbeiten zurückzuführen (vgl. jeweils Seite 16 der von der Klägerin vorgelegten Jahresabschlüsse, Gerichtsakte Bl. 303 und 376). Nach Auffassung des Herrn N war die GmbH zwar sanierungsbedürftig, allerdings auch sanierungsfähig (vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des Landgerichts vom 00.00.2021, Aktenzeichen, Gerichtsakte Bl. 270f.). Am 24.06.2021 beantragte die GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 01.10.2011 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet (Az. IN ). Im Juni 2011 kündigte die Bank die Kreditverträge mit der GmbH.
9Nachfolgend nahm die Bank die Kläger aus den Bürgschaftsverträgen in Anspruch. Im Jahr 2015 erhob sie Klage sie vor dem Landgericht (Az. O ). Mit Beschluss vom 25.07.2016 stellte das Landgericht fest, dass ein Vergleich zwischen den Parteien des dortigen Rechtsstreits zustande gekommen war. Hiernach verpflichteten sich die Kläger gegenüber der Bank zur Zahlung eines Betrages von X € nebst Zinsen seit dem 13.08.2011, zahlbar in monatlichen Raten in Höhe von X €. Darüber hinaus verpflichteten sich die Kläger zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von X €, zahlbar in zwei Raten (X € am 30.09.2016 und X € am 30.06.2017). Für den Fall der Einhaltung bestimmter Zahlungsziele verzichtete die Bank auf eine Teilforderung in Höhe von X €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 00.00.2016 Bezug genommen.
10Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 reichten die Kläger am 27.09.2012 ein. Hierin machten sie einen Auflösungsverlust gem. § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des Stammkapitals der GmbH geltend (für den Kläger X €, nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens X €; für die Klägerin X €, nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens X €). Der Beklagte erließ am 18.12.2012 einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid, in welchem er den Auflösungsverlust nicht anerkannte; zur Begründung führte er aus, dass der Auflösungsverlust in 2011 nicht berücksichtigt werden könne, da in diesem Jahr noch nicht festgestanden habe, dass es zu keinen Rückzahlungen an die Kläger komme und ob und in welcher Höhe nachträgliche Anschaffungskosten anfielen. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und führten zur Begründung aus, dass im vorliegenden Fall schon bei Insolvenzantragstellung festgestanden habe, dass es keinesfalls zu Auszahlungen an die Kläger aus dem Gesellschaftsvermögen kommen würde. Mit geändertem Einkommensteuerbescheid vom 25.04.2013 erkannte der Beklagte den Auflösungsverlust der Kläger an; auch dieser Einkommensteuerbescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Schreiben vom 11.11.2013 beantragten die Kläger die Berücksichtigung eines weiteren Auflösungsverlusts in Höhe von X € für Rechtsberatungskosten des Klägers, welche in Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren und einem diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren standen (Rechnung der Kanzlei H, E, T, L vom 00.00.2011). Der Beklagte entsprach auch diesem Antrag und erließ am 05.12.2013 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid für 2013 unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung.
11Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 reichten die Kläger am 21.11.2013 ein. Der Beklagte erließ sodann den Einkommensteuerbescheid für 2012, in welchem er nur in einem hier unstreitigen Punkt bezüglich der Vermietungseinkünfte von der Erklärung abwich.
12Mit Schriftsatz vom 12.12.2017 beantragten die Kläger unter Hinweis auf den Vergleichsbeschluss des Landgerichts vom 00.00.2016 eine Änderung der Einkommensteuerbescheide sowie der Verlustfeststellungsbescheide für die Jahre ab 2011 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Der zu berücksichtigende weitere Auflösungsverlust belaufe sich auf X € (vgl. Schriftsätze vom 12.12.2017, 03.05.2018 und 20.11.2018).
13Am 25.04.2019 erließ der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2011, in welchem er einen Auflösungsverlust in Höhe von X € für den Kläger und in Höhe von X € für die Klägerin berücksichtigte. Diese Auflösungsverluste ermittelte der Beklagte wie folgt:
14Gesamt |
Kläger |
Klägerin |
|
Stammkapital |
X |
X |
X |
Rechtsanwaltskosten (2011) |
X |
X |
|
Prozesskosten LG (2017) |
X |
X |
X |
Gesamt |
X |
X |
X |
hiervon 60% |
X |
X |
X |
Mit weiterem Bescheid vom selben Tag erließ der Beklagte einen Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2011, mit welchem er einen verbleibenden Verlustvortrag der Klägerin in Höhe von X € feststellte. Bereits am 12.04.2019 hatte der Beklagte einen Einkommensteuerbescheid für 2012 erlassen, in welchem er den Verlustvortrag des Vorjahres steuermindernd berücksichtigte; mit weiteren Bescheid vom selben Tag stellte er den auf den 31.12.2012 verbleibenden Verlustvortrag mit X € fest.
16Die Kläger legten gegen die geänderten Steuerbescheide für 2011 und 2012 jeweils fristgemäß Einspruch ein. Diese Einsprüche wies der Beklagte mit zusammengefasster Einspruchsentscheidung vom 20.09.2019 als unbegründet zurück.
17Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Die GmbH habe sich schon im Jahr 2009 in der Krise befunden. Der Wirtschaftsprüfer Herr N habe am 18.11.2010 ein Sanierungskonzept erstellt, welches die Zahlungsunfähigkeit der GmbH bestätige. Auch der geänderte Jahresabschluss auf den 31.12.2009 bestätige die schon im Jahr 2009 bestehende Krisensituation.
18Die Kläger beantragen,
19den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 25.04.2019, den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2011 vom 25.04.2019, den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 12.04.2019 sowie den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2012 vom 12.04.2019 – sämtliche Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.09.2019 – dergestalt zu ändern, dass die Bürgschaftsinanspruchnahme über X € als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG, hilfsweise als Auflösungsverlust gem. § 17 EStG berücksichtigt wird.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er ist der Auffassung, dass ein Auflösungsverlust gem. § 17 EStG nicht berücksichtigt werden könne. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe seine bisherige Rechtsprechung, nach welcher eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen als nachträgliche Anschaffungskosten im Sinne des § 17 EStG berücksichtigt werden könnten, mit Urteil vom 11.07.2017 aufgegeben; aus Vertrauensschutzgründen sei die frühere Rechtsprechung allerdings in allen Fällen anwendbar, in denen die Finanzierungshilfen bis zur Veröffentlichung dieses Urteils am 27.09.2017 geleistet worden seien (BFH-Urteil vom 11.07.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019, 208). Auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung führe die Bürgschaftsinanspruchnahme jedoch nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung an der GmbH, da es sich nicht um eine eigenkapitalersetzende, in der Krise gewährte Bürgschaft handele. Bei Übernahme der ersten Bürgschaft vom 09.07.2009 habe sich die GmbH noch in der Krise befunden; vielmehr sei die Krise erst später eingetreten, so dass es sich um eine der Krise stehen gelassene Bürgschaft handele. Da die GmbH bei Eintritt der Krise bereits mittellos gewesen sei, sei der Wert der Rückgriffsforderung der Kläger gegen die GmbH mit 0 € anzusetzen.
23Weiterhin liegt nach Auffassung des Beklagten auch kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Die Kläger hätten bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ernsthaft mit der Bürgschaftsinanspruchnahme rechnen müssen. Wenn ein Gesellschafter nachträgliche Anschaffungskosten zunächst nicht geltend mache, obwohl er mit einer Inanspruchnahme ernsthaft rechnen musste, liege in der nachträglichen Geltendmachung kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
24Eine Berücksichtigung des Verlustes gem. § 20 EStG scheide aufgrund der Subsidiarität dieser Regelung gem. § 20 Abs. 8 EStG aus.
25Der Rechtsstreit ist am 31.05.2021 vor dem Berichterstatter erörtert worden; auf das Protokoll wird Bezug genommen. Die Verfahrensbeteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
26Entscheidungsgründe:
27Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtenen Steuerbescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Zu Recht hat der Beklagte die Aufwendungen der Kläger aus den Bürgschaftsversprechen gegenüber der Bank nicht als Verlust gem. § 17 EStG, gem. § 20 oder gem. § 22 Nr. 1 bzw. 3 EStG berücksichtigt.
28I. Die Voraussetzungen für eine Verlustberücksichtigung gem. § 17 EStG sind nicht erfüllt.
29Der Senat kann zugunsten der Kläger unterstellen, dass es sich bei den Bürgschaften der Kläger für die GmbH um sog. eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen gehandelt hat, mit der Folge, dass die Zahlungen der Kläger auf die Bürgschaft grundsätzlich zu nachträglichen Anschaffungskosten auf ihre Gesellschaftsbeteiligungen führen. Selbst wenn man dies zugunsten der Kläger unterstellt, kann der hieraus resultierende zusätzliche Auflösungsverlust jedoch nicht in den Streitjahren 2011 und 2012 berücksichtigt werden. Denn in diesen Jahren haben die Kläger den Veräußerungsverlust noch nicht realisiert, da die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten der Kläger aus den Bürgschaftsversprechen gegenüber der Bank noch nicht endgültig feststand.
301. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer in den letzten fünf Jahren am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Veräußerungsgewinn im Sinne des Absatzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Als Veräußerung im Sinne des Absatzes 1 gilt gem. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. In diesen Fällen ist als Veräußerungspreis der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft anzusehen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG).
31Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein Auflösungsverlust jedoch erst in dem Jahr erfasst werden, in dem der Auflösungsverlust der Höhe nach feststeht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19.11.2019 – IX R 7/19, BFH/NV 2020, 675; BFH-Urteil vom 10.05.2016 – IX R 16/15, BFH/NV 2016, 1681; zustimmend: Gosch in Kirchhof/Seer, EStG § 17 Rn. 127; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 17 EStG Rn. 276). Die Frage ist aus der Sicht ex ante zu beurteilen; nachträgliche Ereignisse wie der tatsächliche Ausgang eines Insolvenzverfahrens sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 02.12.2014 – IX R 9/14, BFH/NV 2015, 666).
32Im Fall der Liquidation oder Insolvenz einer Gesellschaft ist eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter regelmäßig erst nach Abschluss des Verfahrens ausgeschlossen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn schon bei Verfahrenseröffnung feststeht, dass die Gesellschaft vermögenslos war. Zusätzlich hierzu setzt die Entstehung eines Auflösungsverlusts voraus, dass die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters feststeht. Es muss absehbar sein, ob und in welcher Höhe dem Gesellschafter noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Veräußerungs- oder Aufgabekosten entstehen. Insofern dürfen keine wesentlichen Änderungen mehr eintreten. Zu der Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene der Gesellschaft muss also die Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene des Gesellschafters hinzutreten (BFH-Urteil vom 19.11.2019 – IX R 7/19, BFH/NV 2020, 675). Selbst bei einer ansonsten vermögenslosen GmbH ist ein Auflösungsverlust dann noch nicht realisiert, wenn nach Insolvenzeröffnung Forderungen durch den Insolvenzverwalter gerichtlich geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 01.03.2005 – VIII R 46/03, BFH/NV 2005, 2171; Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.05.2011 – 9 K 307/07, EFG 2011, 2153) oder ein Gerichts- oder Vergleichsverfahren anhängig ist, das eine Bürgschaft des Gesellschafters betrifft (FG Nürnberg, Urteil vom 23.11.2011 – 3 K 1176/2009, Juris).
332. Unter Berücksichtigung dieser vom Senat für zutreffend gehaltenen Rechtsgrundsätze hat sich der Auflösungsverlust der Kläger in den Streitjahren 2011 und 2012 noch nicht realisiert, da die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten der Kläger aus den Bürgschaftsversprechen gegenüber der Bank noch nicht feststand.
34Zwischen den Klägern und der Bank bestand Streit bezüglich der Bürgschaftsverpflichtung, so dass die Bank schließlich im Jahr 2015 Zahlungsklage vor dem Landgericht erhoben hat. Unklarheiten bestanden offenbar nicht nur bezüglich des Grundes, sondern auch bezüglich der Höhe der Bürgschaftsforderungen. Denn obwohl die Bank mit ihrer Klage zunächst lediglich einen Betrag in Höhe von X € geltend gemacht hat (vgl. Klagebegründung vom 00.00.2015 im Verfahren Az. O ), verpflichteten sich die Kläger im Prozessvergleich vom 00.00.2016 schließlich zur Zahlung eines Betrages von insgesamt X €. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Höhe des Auflösungsverlusts der Kläger bereits in den Jahren 2011 und 2012 festgestanden hat. Der Ausgang des Klageverfahrens war für die Höhe des insgesamt anfallenden Auflösungsverlusts auch nicht von nur untergeordneter Bedeutung, da die streitigen Bürgschaftsverpflichtungen den sonstigen nach § 17 Abs. 4 EStG anzuerkennenden Auflösungsverlust um ein Vielfaches übersteigen.
35Es kann unter Berücksichtigung der bekannten Umstände auch nicht davon ausgegangen werden, dass jedenfalls aus „ex ante“-Sicht – also aus der Sicht des Jahres 2011 – nicht mit einer Bürgschaftsinanspruchnahme zu rechnen war. Zwar fällt auf, dass seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2011 bis zur Klageerhebung durch die Bank im Jahr 2015 ein längerer Zeitraum verstrichen ist. Nach den bekannten Umständen war jedoch schon aus Sicht des Jahres 2011 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Bürgschaftsinanspruchnahme der Kläger durch die Bank zu rechnen. Die Kläger selbst haben vorgetragen, dass die GmbH über kein ausreichendes Vermögen zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten verfügte (Schriftsatz vom 25.01.2013). Bestätigt wird dies durch den Bericht des Insolvenzverwalters vom 27.09.2011 (Einkommensteuerakte 2011). Hiernach verfügte die GmbH über eine voraussichtliche freie Insolvenzmasse von X €, während sich die Verbindlichkeiten auf X € beliefen (vgl. Gutachten, Seite 2 und 32). Bei dieser Sachlage war schon aus damaliger Sicht mit höchster Sicherheit davon auszugehen, dass die Bank die Kläger aus den Bürgschaften in Anspruch nehmen wird. Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem die Bank von der Durchsetzung ihrer Bürgschaftsansprüche hätte absehen sollen.
363. Ein Anspruch der Kläger auf eine Berücksichtigung eines weiteren Auflösungsverlustes kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte im Einkommensteuerbescheid für 2011 bereits einen Teil des Auflösungsverlusts berücksichtigt hat (nämlich für den Kläger X € und für die Klägerin X €). Die teilweise Berücksichtigung des Auflösungsverlusts im Jahr 2011 ist zu Unrecht erfolgt und kann daher keinen Anspruch der Kläger auf eine Berücksichtigung weiterer Verluste begründen, da hierdurch die Rechtswidrigkeit des Einkommensteuerbescheides noch vertieft würde. Eine Korrektur dieses Fehlers zu Ungunsten der Kläger – also die Streichung des im Jahr 2011 zu Unrecht anerkannten Auflösungsverlusts – ist jedoch ebenfalls ausgeschlossen, da dem Finanzgericht nach dem sog. „Verböserungsverbot“ (bzw. dem Verbot der „reformatio in peius“) eine Heraufsetzung der Steuer nicht möglich ist.
37II. Die Aufwendungen der Kläger aufgrund der Bürgschaftsinanspruchnahme können auch nicht als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG berücksichtigt werden. Eine Verlustberücksichtigung gem. § 20 EStG scheidet deshalb aus, weil die Kläger bei Eingehung der Bürgschaften nicht in Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt haben.
38Das Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht gilt grundsätzlich für alle Einkunftsarten; es ist daher auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG zu prüfen und für jede einzelne Kapitalanlage getrennt zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.03.2017 – VIII R 38/15, BStBl. II 2017, 1040; BFH-Urteil vom 19.01.2010 – X R 2/07, BFH/NV 2010, 1251). Da nach Einführung der Abgeltungssteuer Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nur noch beschränkt bzw. pauschaliert als Werbungskosten abzugsfähig sind, spricht zwar regelmäßig eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung für ein Handeln in Einkünfteerzielungsabsicht (BFH-Urteil vom 14.03.2017 – VIII R 38/15, BStBl. II 2017, 1040). Vorliegend ist diese tatsächliche Vermutung für ein Handeln in Einkünfteerzielungsabsicht jedoch als widerlegt anzusehen, da nicht ersichtlich ist, dass die Kläger durch die Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung zugunsten der GmbH jemals Einkünfte hätten erzielen können. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob die Kläger die Absicht hatten, Beteiligungseinkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus ihrer Beteiligung an der GmbH zu erzielen, da das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht im Anwendungsbereich des § 20 EStG für jede einzelne Kapitalanlage getrennt zu prüfen ist (s.o.); zu betrachten ist daher allein der Bürgschaftsvertrag als solcher.
39Maßgeblich für die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht dürfte der Zeitpunkt der Eingehung der Bürgschaft sein; eine Einkünfteerzielungsabsicht kann demnach dann zu bejahen sein, wenn der Bürge und der Hauptschuldner die Entrichtung einer (fremdüblichen) Bürgschaftsprovision vereinbart haben (so auch Krumm, FR 2020, 197, 206). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen. Falls man als maßgeblichen Zeitpunkt für das Handeln in Einkünfteerzielungsabsicht denjenigen der Leistung auf die Bürgschaftsschuld ansieht, wäre eine Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger ebenfalls zu verneinen, da die Erzielung von Kapitaleinkünften nach Eintritt des Sicherungsfalls ersichtlich ausgeschlossen ist.
40Selbst wenn die Kläger mit der GmbH die Entrichtung einer Bürgschaftsprovision vereinbart hätten, könnte der Verlust aus der Bürgschaftsinanspruchnahme im Übrigen allenfalls bei den sonstigen Einkünften gem. § 22 Nr. 1 oder Nr. 3 EStG berücksichtigt werden. Denn Bürgschaftsprovisionen sind bei Nichtgewerbetreibenden nicht den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG, sondern vielmehr den sonstigen Einkünften gem. § 22 Nr. 1 oder Nr. 3 EStG zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil vom 22.01.1965 – VI 243/62 U, BStBl. III 1965, 313).
41Da die Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG dem Zu- und Abflussprinzip gem. § 11 EStG unterliegen, käme eine Berücksichtigung von Werbungskosten aufgrund der Bürgschaftsinanspruchnahme zudem frühestens im Veranlagungsjahr 2016 in Betracht, in welchem die Kläger erstmals Zahlungen auf ihre Bürgschaftsschulden gegenüber der Bank geleistet und aufgrund dieser Zahlungen von vornherein wertlose Rückgriffsforderungen im Sinne von § 774 des Bürgerlichen Gesetzbuches gegen die GmbH erworben haben.
42Da eine Verlustberücksichtigung nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG schon aufgrund der vorstehenden rechtlichen Erwägungen ausscheidet, kann der Senat dahingestellt lassen, ob die Verlustberücksichtigung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ggf. auch aufgrund des Vorrangs der Verlustberücksichtigung gem. § 17 EStG (vgl. § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG) ausgeschlossen ist.
43III. Der Verlust aus der Bürgschaftsinanspruchnahme führt weiterhin nicht zu steuerlich berücksichtigungsfähigen Werbungskosten bei den sonstigen Einkünfte gem. § 22 Nr. 1 bzw. Nr. 3 EStG. Auch hier scheitert die Verlustberücksichtigung daran, dass die Kläger bei Eingehung der Bürgschaften – wie schon vorstehend ausgeführt – mangels Vereinbarung eines Entgelts für die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung nicht in Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt haben. Denn auch bei sonstigen Einkünften gem. § 22 EStG kommt eine Verlustberücksichtigung nur in Betracht, wenn der Steuerpflichtige in Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19.01.2010 – X R 2/07, BFH/NV 2010, 1251). Auf die umstrittene Rechtsfrage, ob Verluste aus einer Bürgschaftsinanspruchnahme überhaupt zu Werbungskosten gem. § 22 Nr. 1 oder Nr. 3 EStG führen können, kommt es daher vorliegend nicht an (dies verneinend: BFH-Urteil vom 11.01.1966 – I 53/63, BStBl. III 1966, 218; andere Auffassung jedoch z.B.: FG München, Urteil vom 06.08.1987 – X 11/85 E 2, EFG 1988, 295; Killat in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 22 Rn. 386, mit weiteren Nachweisen).
44IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Referenzen
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