Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 K 1338/12


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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Änderung eines Feststellungsbescheids über das steuerliche Einlagekonto.

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Unternehmensgegenstand der 1993 gegründeten Klägerin ist der Handel mit Metallrohprodukten, die Metallaufbereitung und alle damit zusammenhängenden Geschäfte. Gesellschafter war bis zu seinem Tod am 13.06.2007 Herr G. S., seitdem ist Frau D. S. alleinige Gesellschafterin und auch Geschäftsführerin.

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In der Handelsbilanz zum 31.12.2006 wies die Klägerin eine Kapitalrücklage iHv 5.660.000 € aus. Am 17.09.2007 fasste die Gesellschafterversammlung folgenden Beschluss (Bl. 238 Außenprüfungsakten):

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„… Die Entnahme von EUR 14.000,00 im Zeitraum vom 27.04.2007 bis 01.06.2007 wird nachträglich genehmigt.
Aus der Kapitalrücklage wird zusätzlich ein Betrag in Höhe von EUR 1.000.000,00 entnommen.“

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In den für das Streitjahr 2007 eingereichten Steuererklärungen wurden zu diesem Vorgang keine Angaben gemacht. So enthielt die Anlage WA zur Körperschaftsteuer-erklärung in den Zeilen 13-16a (Datum und Höhe der Ausschüttung) und in Zeile 20d (Angaben zu ausgestellten Steuerbescheinigungen) keine Eintragungen, in der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos war eine Minderung des Einlagekontos nicht angegeben, der Endbestand betrug danach 5.669.102 €. Im Jahresabschluss zum 31.12.2007 wurde im Bilanzbericht unter Passiva A.II. Kapitalrücklage ein Betrag iHv 4.646.000 € ausgewiesen und in den Anlagen ausgeführt (Anlage III Blatt 2, Bl. 45 Bilanzakten):

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„Im Berichtsjahr wurde die Kapitalrücklage in Höhe von Euro 1.014.000,00 aufgelöst.“

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Der Beklagte erließ am 09.06.2009 auf Grundlage der Steuererklärungen entsprechende Steuer- und Feststellungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dabei berücksichtigte er im Bescheid zum 31.12.2007 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG (im Folgenden: Feststellungsbescheid) eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos nicht, sondern setzte dieses mit 5.669.102 € an.

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Im Zuge einer bei der Klägerin u.a. für das Streitjahr durchgeführten Betriebsprüfung (Beginn: 26.04.2010) beantragte die Klägerin am 16.07.2010, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Veranlagung 2007 nach § 164 Abs. 2 AO unter Berücksichtigung der Verwendung eines Betrags iHv 1.014.000 € aus dem steuerlichen Einlagekonto zu ändern. In der nunmehr vorgelegten berichtigten Anlage WA war in den Zeilen 16a und 20d ein Betrag iHv 1.014.000 € eingetragen, die berichtigte Erklärung zur gesonderten Feststellung wies ein steuerliches Einlagekonto iHv 4.655.102 € aus. Gleichzeitig legte die Klägerin eine nachträglich erstellte Steuerbescheinigung vor, nach der sie „laut Beschluss vom 17.09.2007 am 17.09.2007“ an die Gesellschafterin S „folgende Bezüge auf Grund Kapitalherabsetzung“ gezahlt habe: „Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG)“  iHv 1.014.000 €.

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Im Bp-Bericht vom 18.11.2010 (Tz. 2, 5) vertrat der Prüfer die Auffassung, dass für die Gewinnausschüttungen laut Gesellschafterbeschluss vom 17.09.2007 iHv 1.014.000 € das steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 5 Sätze 1-3 KStG mit 0 € als verwendet gelte, da bis zur Bekanntgabe des Feststellungsbescheids über das steuerliche Einlagekonto zum 31.12.2007 eine Steuerbescheinigung durch die Klägerin nicht erteilt worden sei. Eine erstmalige Erteilung der Steuerbescheinigung sei in diesem Fall nicht zulässig. Dem Antrag der Klägerin vom 16.07.2010 könne nicht entsprochen werden. Ein Abgang aus dem steuerlichen Einlagekonto komme daher nicht in Betracht. Die Gewinnausschüttungen stellten beim Empfänger steuerpflichtige Einkünfte iSd § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG dar und unterlägen daher nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG der Kapitalertragsteuer iHv 25% (= 253.500 €).

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Diesen Feststellungen folgend erließ der Beklagte am 22. Februar 2011 u.a. einen geänderten Feststellungsbescheid, mit dem das steuerliche Einlagekonto zunächst auf 5.660.000 € festgestellt und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Unter dem 17. März 2011 wurde dieser Bescheid insoweit geändert, als das steuerliche Einlagekonto wie ursprünglich mit 5.669.102 € festgestellt wurde.
Ebenfalls am 22. Februar 2011 lehnte der Beklagte den Änderungsantrag der Klägerin vom 16.07.2010 ab (Bl. 136 Akte Änderungsantrag).
Mit Bescheid vom selben Tag setzte der Beklagte Kapitalertragsteuer gegen die Klägerin iHv 253.500 zuzügl. SolZ fest (Bl. 3 Kapitalertragsteuerakten).

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Die Klägerin erhob u.a. gegen die Feststellungsbescheide vom 22. Februar 2011 und vom 17. März 2011, gegen den Ablehnungsbescheid sowie gegen den Bescheid über Kapitalertragsteuer Einsprüche.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Februar 2012 wies der Beklagte den gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. Februar 2011 gerichteten Einspruch zurück.
Sei für eine Leistung bis zum Tag der Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung im Sinne des § 27 Abs. 2 KStG zum Schluss des Wirtschaftsjahrs der Leistung eine Steuerbescheinigung iSd § 27 Abs. 3 KStG nicht erteilt worden, gelte der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit 0 Euro bescheinigt, § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG. In den Fällen des § 27 Abs. 5 Sätze 1 und 2 KStG sei eine Berichtigung oder erstmalige Erteilung von Steuerbescheinigungen iSd § 27 Abs. 3 KStG nicht zulässig. Auf der Rechtsfolgenebene werde die Berichtigung der Bescheinigung wegen eines für den Anteilseigner nachteiligen Fehlers ausgeschlossen (Abs. 5 Satz 3) und bei einem für ihn vorteilhaften Fehler (Bescheinigung einer zu hohen Einlagenrückgewähr) die Durchführung eines Kapitalertragsteuer-Haftungsverfahrens angeordnet (Abs. 5 Satz 4), zu dessen Vermeidung die Bescheinigung aber berichtigt werden dürfe (Abs. 5 Satz 5). Zusätzlich werde bestimmt, dass der bescheinigte Fehler auch bei der Fortschreibung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG und der Feststellung nach Abs. 2 nicht berichtigt werden dürfe (Verwendungsfestschreibung), es sei denn, er wirke wegen der Bescheinigung einer zu hohen Einlagenrückgewähr zu Ungunsten des Fiskus aus; in diesem Fall sei der Feststellungsbescheid zu ändern, Abs. 5 Satz 6. Die Kapitalgesellschaft könne der Verwendungsfestschreibung des § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG nicht dadurch entgehen, dass sie bei Unsicherheit über die Höhe der Verwendung keine Bescheinigung ausstelle, weil Abs. 5 Satz 2 für diesen Fall die Erteilung einer Nullbescheinigung fingiere. Gleiches gelte für den Fall, dass die Bescheinigung erst nach der erstmaligen Bekanntgabe des Feststellungsbescheids nach Abs. 2 Satz 1 erteilt worden sei. Entspreche diese fiktive Nullbescheinigung nicht dem materiellrechtlichen Ergebnis der Differenzrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG, liege insoweit eine fehlerhafte Bescheinigung iSd Abs. 5 Satz 1 vor, d.h., das Einlagekonto sei nach Abs. 1 Satz 1 mit 0 Euro, also ohne Berücksichtigung eines Abgangs, fortzuschreiben.
Die Klägerin habe für die am 17.09.2007 aus der Kapitalrücklage erfolgte Gewinnausschüttung eine Steuerbescheinigung nicht erstellt, die am 16.07.2010 vorgelegte sei verspätet ausgestellt. Nicht diese verspätet erteilte Bescheinigung, sondern die fiktive Nullbescheinigung sei die insoweit fehlerhafte Bescheinigung iSd Abs. 5 Satz 1.
Der Einwand der Klägerin, die Finanzverwaltung akzeptiere bei Publikums-Kapitalgesellschaften die Berichtigung über eine Fachzeitschrift, gehe ins Leere. Denn die Klägerin habe bis zur Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 09.06.2009 keine Steuerbescheinigung erteilt, es habe also keine Bescheinigung gegeben, die hätte berichtigt werden können. Bei dieser Konstellation sei die Konsequenz bei Publikums-Kapitalgesellschaften die gleiche. Der Gesetzestext des § 27 Abs. 5 KStG sei eindeutig, ein Handlungsspielraum für eine Änderung des Feststellungsbescheids sei nicht gegeben. Nach teilweise vertretener Auffassung in der Literatur könne von einer Verwendungsfestschreibung aus Billigkeitsgründen abgesehen werden, wenn im Rahmen von Außenprüfungen verdeckte Gewinnausschüttungen festgestellt worden seien, weil hier mangels Kenntnis des Steuerpflichtigen von einer Ausschüttung bisher eine Steuerbescheinigung nicht habe erteilt werden können. Unabhängig davon, dass diese Auffassung sich nicht mit der der Finanzverwaltung decke, handele es sich vorliegend jedoch um einen anderen Fall, nämlich um eine offene Gewinnausschüttung, die von der Klägerin bewusst vorgenommen worden sei. Die Erstellung der Bescheinigung sei ihr daher anders als im Fall einer verdeckten Gewinnausschüttung jederzeit, insbesondere vor Erlass des Feststellungsbescheids, möglich gewesen.
Aus dem BFH-Urteil vom 10. Juni 2009 I R 10/09 zu § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 für eine Ausschüttung in 2002 ergebe sich, dass eine Festschreibung nach der in 2002 geltenden Rechtslage nicht eintrete, wenn den Anteilseignern eine Steuerbescheinigung überhaupt nicht erteilt worden sei. Der BFH begründe dies für 2002 damit, dass § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG idF des SEStEG ausdrücklich bestimme, dass in den Fällen der Nichterteilung der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit Null bescheinigt gelte. Die vor der Gesetzesänderung bis 31.12.2005 geltende Rechtslage sei also bewusst durch Änderung des
§ 27 Abs. 5 angepasst worden, um die Verwendung des Einlagekontos auch in Fällen der Nichterteilung der Steuerbescheinigung ausdrücklich festzuschreiben. Der BFH bestätige damit die auf den Streitfall anzuwendende Regelung des § 27 Abs. 5 Sätze 1-3 KStG idF des SEStEG.
Die gegenüber der ausschüttenden Gesellschaft ergangenen Feststellungsbescheide über den Bestand des steuerlichen Einlagekontos seien auch für die Besteuerung der Gesellschafter materiellrechtlich bindend. Weil Gewinnanteile nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehörten, soweit für diese Eigenkapital iSd § 27 KStG als verwendet gelte, seien die im Feststellungsbescheid ausgewiesenen Bestände Tatbestandsmerkmal für die einkommensteuerliche Behandlung, Verwendungsfiktion und Verwendungsfestschreibung seien auch auf Ebene des Gesellschafters zu beachten.

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Die Hinweise der Klägerin auf §§ 88, 89 AO überzeugten nicht. Die Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen sei nicht grenzenlos, sie werde durch die in § 90 AO vorgesehene Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt. Der Beteiligte dürfe sich nicht unter Berufung auf den Untersuchungsgrundsatz passiv verhalten, sondern er müsse insbesondere die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und gewissenhaft offen legen. Für den Regelfall könne davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Steuerpflichtigen vollständig und richtig seien. Die Vorschrift des § 89 AO regele nur eine allgemeine Beratungs- und Auskunftspflicht und greife bei offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterbliebenen oder unrichtig abgegebenen Erklärungen oder Anträgen. Es sei aber nicht Aufgabe der Finanzbehörde, ordnungsgemäß ausgefüllte Steuererklärungen auf alle nur denkbaren Fehlerquellen hin zu überprüfen. Zudem kämen Anregungen der Finanzbehörde bei fachkundig beratenen Steuerpflichtigen nur in geringem Umfang in Betracht. Im Allgemeinen könne sie auf die Sachkunde der Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertrauen.
Für den Betrieb der Klägerin sei für die Jahre 2006-2008 eine Bp vorgesehen gewesen, die Steuererklärungen seien daher durch den Innendienst-Bearbeiter nicht abschließend geprüft worden, die Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Solange die Sachverhaltsaufklärung und die rechtliche Prüfung noch nicht abgeschlossen seien, sei der Fall noch nicht abschließend geprüft, etwa, wenn wie hier eine Außenprüfung vorgesehen sei. Gerade im Hinblick auf die anstehende Außenprüfung sei es sinnvoll gewesen, die Bescheide der zu prüfenden Veranlagungszeiträume unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen. Die Abstimmung des Eigenkapitals zum Schluss des vorangegangenen Geschäftsjahres - dem ebenfalls zu prüfenden Jahr 2006 - sei aus diesen Gründen letztlich dem Betriebsprüfer vorbehalten gewesen. Den von der Klägerin angesprochenen Widerspruch bei der Bearbeitung der eingereichten Unterlagen (Jahresabschluss, Bilanzanhang, Steuererklärungen, Gesellschafterbeschluss) habe der Bearbeiter bei abschließender Zeichnung zwar erkennen können, doch sei dies im vorliegenden Fall wegen der Durchführung der Bp weder vorgesehen gewesen noch sei eine intensive Befassung des Bearbeiters mit dem Fall verwaltungsökonomisch. Eine bloße Unachtsamkeit des Bearbeiters bei Erstellung der Steuerbescheide sei damit auszuschließen.
Die Erteilung der Steuerbescheinigung liege im Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen und seines Beraters. Gleichermaßen müssten Angaben des Steuerpflichtigen in der Anlage WA zur Körperschaftsteuererklärung zu Gewinnausschüttungen (Zeile 13-16a) und zu ausgestellten Steuerbescheinigungen (Zeile 20d) sowie in der Erklärung zur Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zu dessen Minderung (Zeile 25) erfolgen. Beides sei im Streitfall unterblieben, dies gehe zu Lasten der Klägerin. Dass es aufgrund eines Steuerberaterwechsels dem neuen Steuerberater bei Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2007 programmmäßig nicht möglich gewesen sei, in der Bilanz zum 31.12.2007 einen Vorjahreswert und damit einen Wertevergleich auszuweisen, liege nicht im Verantwortungsbereich des Beklagten.
Dem Hinweis der Klägerin, der Beklagte hätte zumindest die Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität prüfen und bei Abstimmung des Eigenkapitals zum Schluss des vorangegangenen Geschäftsjahrs die Abweichung iHv 1.014.000 € erkennen müssen, sei zu entgegnen, dass die Kapitalrücklage im Jahresabschluss zum 31.12.2006 iHv 5.660.000 € in die Bilanz eingestellt gewesen sei. In der Feststellungserklärung des steuerlichen Eigenkapitals für 2007 vom 04.03.2009 sei der Bestand mit 5.669.102 € ausgewiesen gewesen. Allein daraus ergebe sich, dass die handelsrechtliche Kapitalrücklage nicht zwingend dem Bestand des steuerlichen Einlagekontos entsprechen müsse. Weil eine Gliederung des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals in einzelne „EK-Töpfe“ nicht mehr stattfinde, werde eine Kapitalverwendung bei der Bearbeitung der Steuererklärung nicht mehr durchgeführt.
Um die in einem Ausschüttungsbetrag enthaltenen Einlagen zu identifizieren, bediene sich § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG einer simplen Differenzberechnung nach dem Ausschlussprinzip. Der Ausschüttungsbetrag werde dazu in die beiden Komponenten „ausschüttbarer Gewinn“ und sonstige Beträge zur Speisung von Leistungen zerlegt, wobei der auf die sonstigen Leistungen entfallende Betrag vom Einlagekonto abzuziehen sei und insoweit eine durch Abs. 1 Satz 3 als solche legal definierte „Einlagerückgewähr“ bewirke. Die Differenzrechnung führe zu einer gesetzlichen Verwendungsreihenfolge, nach der stets zunächst der von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftete Gewinn und erst anschließend der auf dem Einlagekonto ausgewiesene Bestand als für eine Ausschüttung verwendet gelte. Zwar sei dies keine mit dem alten Anrechnungsverfahren vergleichbare Verwendungsreihenfolge, gleichwohl bewirke § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG, dass es der Gesellschaft und ihren Anteilseignern jedenfalls für Steuerzwecke verwehrt sei, frei zu bestimmen, ob Einlagen  zurückgewährt oder Gewinne ausgeschüttet würden. Insbesondere müsse die bewusste Auflösung und Auskehrung einer handelsrechtlichen Kapitalrücklage nicht zwingend zu einer Verwendung des steuerlichen Einlagekontos und damit zu gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht steuerbaren Zuflüssen führen, wie dies der Einschub „unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung“ in § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG idF des SEStEG klarstelle.
Das Einlagenkonto stehe in keinem Zusammenhang mit der sonst für Ertragsteuerzwecke maßgeblichen handels- (§§ 238 ff HGB) oder steuerrechtlichen (§ 141 AO) Buchführung und stelle nicht etwa ein Sonderkonto im Rahmen dieser Rechenwerke dar. Die Verpflichtung des § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG werde bereits erfüllt, wenn der absolute Bestand des Einlagekontos als Ergebnis einer „Sonderrechnung“ außerhalb der Buchführung nachvollziehbar festgehalten werde.
Abweichungen zwischen dem Bestand des Einlagekontos und der handelsrechtlichen Kapitalrücklage entstünden vor allem dadurch, dass § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG auch verdeckte Einlagen iSd § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG erfasse, die handelsrechtlich als Ertrag zu erfassen und in die Gewinnrücklage einzustellen seien.
Im Hinblick auf diese Erwägungen wiege die mangelnde Mitwirkungspflicht der Klägerin schwerer als eine etwaige Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten.
Die fiktive Nullbescheinigung entspreche nicht dem materiellrechtlichen Ergebnis der Differenzberechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG. Die fiktive Bescheinigung stelle sodann den Abgang vom Einlagekonto iSd § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG dar und werde auch mit 0 € in die gesonderte Feststellung des Bestands gemäß Abs. 2 Satz 1 einbezogen. Dem Feststellungsbescheid zum 31.12.2007 nach § 27 Abs. 2 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG vom 09.06.2009 und auch vom 17.03.2011 liege insoweit eine fehlerhafte Steuerbescheinigung iSd § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG zugrunde. Korrespondierend zu dessen materieller Wirkung ordne § 27 Abs. 5 Satz 3 das formelle Verbot der Berichtigung der falschen Bescheinigung an und verbiete die Aushändigung erstmaliger Bescheinigungen bei fiktiver Nullbescheinigung iSd Abs. 5 Satz 2. Diese fehlerhafte Steuerbescheinigung sei daher aufgrund der Regelung in § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG nicht mehr änderbar. Der Gesetzgeber habe sich aus den genannten nachvollziehbaren Gründen bewusst gegen die Möglichkeit der Rückforderung (bei Minderbescheinigung) und anschließender Berichtigung der Bescheinigungen ausgesprochen. Von der nach § 27 Abs. 5 KStG normierten Verwendungsfestschreibung könne daher nicht abgesehen werden, eine Änderung des Feststellungsbescheids sei nicht mehr möglich.

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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin unverändert die Berichtigung der Veranlagung. Die Voraussetzungen hierfür nach § 164 Abs. 2 AO, § 153 AO und auch § 129 AO lägen vor.
Nach dem Regelungszweck des § 27 KStG sei die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos steuerfrei. Einlagen seien Vermögensmehrungen aus dem außerbetrieblichen Bereich des Unternehmens, die zu neutralisieren seien. Leistungen, für die Eigenkapital iSd § 27 KStG verwendet worden sei, seien nach § 20 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht steuerbar. Mit Hilfe der Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 und 4 KStG könne der Anteilseigner gegenüber seinem Wohnsitzfinanzamt den Nachweis erbringen, inwieweit von ihm empfangene Ausschüttungen solche nicht steuerbaren Bestandteile enthielten. Die Bescheinigung entfalte keine materiellrechtliche Bindungswirkung und sei auch nicht Voraussetzung für den Ansatz einer Einlagenrückgewähr, sie sei lediglich Beweismittel iSd § 92 Satz 1 AO. Liege eine solche nicht vor, könne der Nachweis auch auf andere Weise erbracht werden, z.B. durch die Besteuerungsgrundlagen der ausschüttenden GmbH. Das Finanzamt könne auch nach §§ 88 Abs. 1, 92 Satz 2 Nr. 3 AO die Steuerakten der Gesellschaft beiziehen oder nach § 112 Abs. 1 Nr. 3 und 4 AO eine qualifizierte Stellungnahme des für die Gesellschaft zuständigen Amtes einholen.
§ 27 KStG solle gewährleisten, dass auch im Halbeinkünfteverfahren die Einlagenrückgewähr nicht zu steuerpflichtigen Erträgen führe. Die Vorschrift solle Steuerausfälle infolge nachträglicher Veränderung des ausschüttbaren Gewinns verhindern. Dabei habe der Gesetzgeber an Publikumsgesellschaften gedacht, bei denen die Anteilseigner in ihrer Vielzahl oft anonym seien und einmal ausgestellte Bescheinigungen deshalb praktisch unmöglich zu berichtigen sein könnten. Die Anwendung der für Publikumsgesellschaften geltenden Maßstäbe auch für kleine Kapitalgesellschaften wie die Klägerin verletze das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und den Gleichheitssatz, insbesondere wenn Publikumsgesellschaften die Berichtigung ihrer Steuerbescheinigungen über Fachzeitschriften möglich sein solle. Dies zeige, dass die Erstellungsfrist für die Steuerbescheinigung nicht in allen denkbaren Fällen eine absolute Frist sein könne.
Zudem beziehe der Gesetzestext eine Einmann-GmbH nicht ein. Der sich aus den Formulierungen „Steuerbescheinigungen“ und „Anteilseignern“ ergebende Hinweis auf eine Mehrzahl von Bescheinigungen bzw. Anteilseignern spiegele den Regelungszweck wieder, nämlich mit diesem Verbot Publikumsgesellschaften zu erfassen, nicht aber Einmanngesellschaften. Das mache auch Sinn, denn eine Gefährdung des Steueraufkommens bei einer Einmann-GmbH sei nicht ersichtlich.
Im Streitfall sei dem Fiskus dadurch, dass die Klägerin zunächst keine Bescheinigung über die Zahlung aus dem Einlagekonto erstellt habe, kein Nachteil entstanden. Die Leistung sei unstreitig aus dem Einlagekonto erbracht worden, dementsprechend sei dieses in der Bilanz gemindert worden. Eine Berichtigung durch das nachträgliche Erstellen der Bescheinigung berücksichtige den Gesetzeszweck, gefährde das Steueraufkommen nicht, sei einfach, angemessen und auch für die Finanzverwaltung innerhalb offener Frist problemlos nachzuvollziehen und festzustellen.
Nach der Gesetzesbegründung habe mit der Verschärfung der Regelung eine Verwendung des steuerlichen Einlagekontos durch das Ausstellen einer bewusst falschen Bescheinigung verhindert werden sollen. Eine solche liege aber im Streitfall nicht vor, sondern nur eine nicht vor der Erstbescheidung nach § 164 AO erstellte richtige Bescheinigung.
Eine Festschreibung sei nach dem KStG 2002 nicht eingetreten, wenn den Anteilseignern solche Steuerbescheinigungen nicht erteilt worden seien, weil die Gesellschaft irrtümlich davon ausgegangen sei, es sei ausreichend ausschüttbarer Gewinn vorhanden. Nach KStG 2006 solle der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit 0 € bescheinigt gelten, wenn eine Steuerbescheinigung iSd § 27 Abs. 3 KStG nicht oder nicht fristgerecht erteilt werde. Eine solche Fiktion müsse aber mit den üblichen Beweismitteln widerlegbar sein, da auch die Beweiswirkung unrichtiger Steuerbescheinigungen widerlegt werden könne, oder mit einer innerhalb noch offener Frist nachgereichter Steuerbescheinigung vernichtbar sein. Die entsprechenden Feststellungsbescheide im Streitfall seien unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen und könnten daher jederzeit geändert werden.
Weil im Zeitpunkt der Verwendung aus dem steuerlichen Einlagekonto Frau S einzige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin gewesen sei, hätte sie an sich selbst eine einzelne Steuerbescheinigung erteilen müssen, eine übersichtlich und schnell korrigierbare Handhabung ohne Mehraufwand bei der Finanzverwaltung und Risiko eines Steuerausfalls.
Die Gesetzesauslegung des Beklagten sei auch insoweit inkonsequent, als bei einer Bekanntgabe eines Feststellungsbescheides vor der Zugangsvermutungsfrist nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO die Gesellschaft noch eine erstmalige Bescheinigung erstellen und dem Finanzamt innerhalb der Zugangsvermutungsfrist vorlegen könne, diese Erstbescheinigung sei zulässig und der Feststellungsbescheid zu ändern. Im Streitfall stehe der Feststellungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und könne ebenfalls problemlos aufgrund einer Erstbescheinigung geändert werden. Dem Umstand des fehlenden zeitlichen Drucks, weil die Erstbescheinigung hier nicht innerhalb von drei Tagen, sondern Monate nach Erlass des Feststellungsbescheids vorgelegt werden könne, könne im Fall einer Einmann-GmbH durch Fristsetzungen durch den Beklagten begegnet werden. Nach dem BFH-Urteil I R 51/09 vom 19.05.2010 sei für die Frage, ob Beträge des steuerlichen Einlagekontos als verwendet gälten, nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 1999 allein auf den ausschüttbaren Gewinn zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs abzustellen. Diese gesetzliche Bestimmung habe sich nicht geändert. Im Streitfall habe die Klägerin weder im Jahresabschluss zum 31.12.2006 noch in dem zum 31.12.2007 einen ausschüttbaren Gewinn ausgewiesen.
Bereits die Vorlage des Berichts über den Jahresabschluss zum 31.12.2007 mit dem Gesellschafterbeschluss vom 17.09.2007 habe den Gesetzeszweck der Steuerbescheinigung erfüllt. Auch wenn beide nicht als solche überschrieben gewesen seien, enthielten sie alle wesentlichen Angaben des „amtlich vorgeschriebenen Musters“, die bei einer Einmann-GmbH auch bestimmt und sicher zuordenbar gewesen seien; unabhängig davon sei ein „amtlich vorgeschriebenes Formular“ ohnehin nicht zu verwenden gewesen. Die Frist sei durch die Vorlage des Gesellschafterbeschlusses bereits eingehalten gewesen.

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Die Veranlagung sei auch wegen einer Verletzung der Fürsorgepflicht des Beklagten nach §§ 88, 89 AO zu ändern. Die Nichtvorlage von Gesellschafterbeschlüssen oder Bescheinigungen komme sehr häufig vor, diese würden jeweils von der Finanzverwaltung nachgefordert. Der Beklagte habe mit einem möglichen Versäumnis der Klägerin rechnen müssen. Bei Abstimmung des Eigenkapitals zum Schluss des vorangegangenen Geschäftsjahres hätte er die Abweichung von 1.014.000 € ebenso erkennen müssen wie den Umstand, dass die Anlage WA angesichts der Erläuterungen zum Jahresabschluss nicht ordnungsgemäß ausgefüllt gewesen sei. Weil die Bilanz zum 31.12.2006 von einem anderen Steuerberater erstellt worden sei, sei es dem neuen, die Bilanz zum 31.12.2007 erstellenden Steuerberater aufgrund der programmmäßigen Vorgaben nicht möglich gewesen, in der Bilanz zum 31.12.2007 einen Vorjahreswert und damit einen Wertevergleich auszuweisen. Diesen Widerspruch hätte der Beklagte erkennen müssen und bei üblicher Bearbeitung und Durchsicht der Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität auch erkannt, ebenso wie das Fehlen einer Steuerbescheinigung, die auf entsprechenden Hinweis noch vor Bekanntgabe des Feststellungsbescheids, nicht erst während der Betriebsprüfung, erstellt und vorgelegt hätte werden können.
Zudem sei die Veranlagung der Körperschaftsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt. Nachdem die ursprüngliche Körperschaftsteuer-Erklärung versehentlich fehlerhaft und unvollständig gewesen sei, sei die Klägerin nach § 153 Abs. 1 AO zur Korrektur verpflichtet gewesen. Die vom Beklagten vorgenommene Veranlagung unter Vorbehalt der Nachprüfung setzt eine Prüfung voraus, die mindestens die entscheidungserheblichen Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität umfasse. Dies gelte wegen der Auswirkungen auf die persönliche Steuer der Gesellschafter insbesondere für die Kapitalverwendung.
Der Beklagte räume ein, dass die Nichtvorlage der Steuerbescheinigung offensichtlich gewesen sei und bei einer üblichen Veranlagung auch erkannt worden wäre. Die Fürsorgepflicht des Finanzamtes müsse aber bei jeder Veranlagungsart gleich sein. Sei sie nicht im gesetzlichen Umfang wahrgenommen worden, müsse sie nachgeholt oder dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Berichtigung eingeräumt werden.
Der Beklagte hätte daher mangels ausreichender Vorprüfung einen Feststellungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO nicht erlassen dürfen. Die gesetzliche Fiktion des § 27 Abs. 5 KStG könne nur eintreten, wenn der Beklagte die Steuererklärungen und den Jahresabschluss geprüft habe, also die Steuerbescheinigung Gegenstand der Prüfung gewesen sei oder bei deren Fehlen hätte sein können. Der Beklagte aber habe im Hinblick auf die anstehende Außenprüfung keine diesbezüglichen Prüfungshandlungen vorgenommen. Die gesetzliche Fürsorgepflicht des Beklagten verlagere sich bei einer Veranlagung nach § 164 AO ohne solche Prüfungshandlungen bis zum Erlass geänderter Bescheide oder den Hinweis, dass die Außenprüfung zu keinen Änderungen führe. Im Ergebnis dürfe der Beklagte bei einer Vorbehaltsveranlagung seine gesetzlichen Pflichten nicht selbst einschränken.
Entgegen der Auffassung des Beklagten fingiere § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG nicht eine Nullbescheinigung, vielmehr eine Nullverwendung, sodass eine solche Bescheinigung auch nicht fehlerhaft sein könne. Die von der Klägerin in 2011 erstellte Bescheinigung könne daher auch nicht fehlerhaft sein, sondern nur der für kleine GmbH´s wegen des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots widerlegbaren gesetzlichen Fiktion widersprechen.

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Folge man dem nicht, sei die Veranlagung nach § 129 AO zu berichtigen. Denn eine offenbare Unrichtigkeit liege hier vor, weil die Klägerin eine solche begangen habe, deren Übernahme durch den Beklagten ein offensichtliches Versehen darstelle. Die zum 31.12.2006 ausgewiesene Kapitalrücklage habe 5.660.000 € betragen, ausschüttungsfähiger Gewinn sei weder zum 31.12.2006 noch 2007 vorhanden gewesen. Die Auszahlung des Betrags iHv 1.014.000 € nach dem Beschluss vom 17.09.2007 sei in der Handelsbilanz zum 31.12.2007 durch Minderung der Kapitalrücklage abgebildet und erläutert worden. Dem habe die unrichtige Körperschaftsteuererklärung widersprochen. Weil dieser für jeden Dritten ohne besondere Prüfung klar erkennbare Fehler weder auf einer falschen rechtlichen Wertung der Klägerin noch des Beklagten beruht habe, liege ein Übernahmefehler iSd § 129 AO vor. Die eingereichten Unterlagen seien offensichtlich in sich nicht schlüssig gewesen, ohne dass es eines Rückgriffes auf Akten der Vorjahre bedurft hätte. Der Beklagte habe aufgrund einer bloßen Unachtsamkeit des Sachbearbeiters den offensichtlichen Fehler übernommen und sich zu eigen gemacht, ohne sich vertieft mit der Rechtslage befassen oder komplexe Kontrollberechnungen anstellen zu müssen.

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Weil der enge Wortlaut des § 27 Abs. 5 Satz 1 iVm Satz 2 KStG eine Einlageverwendung von Null € festschreibe, sei iSv § 227 AO eine Korrektur im Wege sachlicher Billigkeit vorzunehmen. Dies gelte nicht nur für Fälle verdeckter Gewinnausschüttungen, sondern immer, wenn eine tatsächliche Verwendung gegeben sei und ein Steuerausfallrisiko nicht bestehe. Ähnlich wie bei verdeckten Gewinnausschüttungen sei auch im Streitfall die Steuerbescheinigung weder vorsätzlich noch absichtlich, sondern versehentlich nicht vor der Erstbescheinigung erteilt worden.

18

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29. Februar 2012 den Bescheid zum 31.12.2007 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG in der geänderten Fassung vom 17. März 2011 unter Berücksichtigung der Verwendung eines Betrags in Höhe von 1.014.000 Euro aus dem steuerlichen Einlagekonto zu ändern,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

19

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

20

Er nimmt Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und weist ergänzend darauf hin, dass eine allgemeine finanzbehördliche Pflicht und ein Recht zur Rechts- und Steuerberatung weder vertretbar noch zulässig seien. Eine solche Pflicht beschränke sich nach den Umständen des Einzelfalls darauf, dass Anträge/Erklärungen des Beteiligten für einen durchschnittlichen Bearbeiter der Behörde offensichtlich und nur versehentlich nicht/nicht richtig abgegeben worden seien. Bei schwierigen Gestaltungsfragen sei eine Offensichtlichkeit von vornherein ausgeschlossen.
Danach sei die Nichtvorlage der Steuerbescheinigung für den Bearbeiter nicht offensichtlich gewesen. Es sei nicht zumutbar, dass sich der Bearbeiter bei einem zur Betriebsprüfung vorgesehenen Fall angesichts der keine Angaben zur Gewinnausschüttung enthaltenden Steuererklärung und Anlage WA mit sämtlichen Anhängen in der Bilanz beschäftige. Im Übrigen sei auf Blatt 19 der Bilanz lediglich die Kapitalrücklage ersichtlich. Das steuerliche Einlagekonto entspreche dieser aber nicht zwingend. Eine bloße Unachtsamkeit des Bearbeiters sei daher auszuschließen.
Die von der Klägerin geforderte Fürsorgepflicht sei nicht bei jeder Veranlagungsart gleich. Die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung solle eine rasche erste Steuerfestsetzung dadurch ermöglichen, dass die Steuer ohne besondere Prüfung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen festgesetzt werde und dabei die spätere Überprüfung, hier durch die Bp, vorbehalten bleibe. § 164 AO halte anders als § 165 AO und eine endgültige Veranlagung den gesamten Steuerfall offen, dieser werde nicht materiell, sondern nur formell bestandskräftig.
Es komme nicht darauf an, ob eine vorsätzliche oder absichtliche „Nichtbescheinigung“ erteilt worden sei, sondern dass die Klägerin bei einer bewusst vorgenommenen offenen Gewinnausschüttung bis zum Bekanntgabetag des erstmaligen Feststellungsbescheids keine Steuerbescheinigung erteilt habe.

21

§ 27 Abs. 5 Satz 2 KStG fingiere eine Nullbescheinigung auch, wenn erst nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheids eine Bescheinigung erteilt werde. Entspreche diese fiktive Nullbescheinigung nicht dem materiellrechtlichen Ergebnis der Differenzrechnung, liege insoweit eine fehlerhafte Bescheinigung iSd Abs. 5 Satz 1 vor mit der Folge, dass das Einlagekonto nach § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG mit 0 € ohne Berücksichtigung eines Abgangs fortzuschreiben sei. Nicht die verspätet erteilte Bescheinigung, sondern die fiktive Nullbescheinigung sei insoweit die fehlerhafte iSd Abs. 5 Satz 1. Dass die verspätet erteilte Bescheinigung wegen der Nullfortschreibung nunmehr ebenfalls fehlerhaft sei, wirke sich im Rahmen des Abs. 5 Satz 1 nicht mehr aus, weil die Fiktionswirkung des Abs. 5 Satz 2 ihrem Sinn und Zweck nach Vorrang habe.

22

Eine Berichtigung nach § 129 AO sei nicht möglich. Wenn auch der Fehler der Klägerin (fehlende Eintragung auf der Anlage WA und der Feststellungserklärung) bei Übernahme durch den Beklagten (also Nichtberücksichtigung des Abgangs aus dem steuerlichen Einlagekonto) ein offenbares Versehen darstellen könne, sei maßgeblich, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids am 09.06.2009 eine Steuerbescheinigung nicht existiert habe.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze verwiesen (§ 105 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Entscheidungsgründe

24

Die Klage ist unbegründet.

25

Nach den klarstellenden Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung richtet sich die Klage allein gegen den Bescheid zum 31.12.2007 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG, nicht auch den Bescheid über Kapitalertragsteuer - insoweit fehlt es an einem abgeschlossenen Vorverfahren - und auch nicht auf die Vornahme einer Billigkeitsmaßnahme nach §§ 163 oder 227 AO, bei denen es sich um selbständige Verfahren handelt.

26

Der Beklagte hat zutreffend die von der Klägerin erstrebte Änderung des Bescheids zum 31.12.2007 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG nicht vorgenommen. Ein hierauf gerichteter Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Die nach § 27 KStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung erforderlichen Voraussetzungen dafür, die streitgegenständliche Leistung als eine aus dem steuerlichen Einlagekonto erbrachte anzusehen, liegen nicht vor.

27

Die Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos erfolgt, um zu differenzieren, ob und in welcher Höhe Einlagen, die nicht in das Nennkapital gezahlt wurden, an den Anteilseigner zurückgeleistet werden. Dies hat insbesondere Bedeutung für den die Anteile im Privatvermögen haltenden Gesellschafter, denn zu den steuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen gehören Einnahmen nicht, soweit sie aus Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto als verwendet gelten, § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG.

28

Erbringt eine Kapitalgesellschaft für eigene Rechnung Leistungen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG als Abgang auf dem steuerlichen Einlagekonto zu berücksichtigen sind, so ist sie verpflichtet, ihren Anteilseignern nach amtlich vorgeschriebenem Muster den Namen und die Anschrift des Anteilseigners, die Höhe der Leistungen, soweit das steuerliche Einlagekonto gemindert wurde, und den Zahlungstag zu bescheinigen, § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG. Ist für eine Leistung bis zum Tag der Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung im Sinn des Absatzes 2 zum Schluss des Wirtschaftsjahres der Leistung eine Steuerbescheinigung im Sinne des Absatzes 3 nicht erteilt worden, gilt der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit 0 Euro bescheinigt, § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG. In (u.a.) den Fällen des Satzes 2 ist eine erstmalige Erteilung von Steuerbescheinigungen im Sinne des Absatzes 3 nicht zulässig, § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG.
Die für den Streitfall anzuwendende, seit 2006 geltende Neuregelung des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG behandelt u.a. den Fall, dass keine Bescheinigung für das steuerliche Einlagenkonto ausgestellt wurde. Fehlt eine Bescheinigung, ist der Betrag der Einlagenrückgewähr mit 0 Euro festzuschreiben mit der Folge, dass nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheids keine Bescheinigung mehr erfolgen kann. Die Vorschrift des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG enthält eine gesetzliche Fiktion, die eingreift, sobald der Feststellungsbescheid erstmals bekannt gegeben worden ist (vgl. Gosch/Heger KStG § 27 Rz. 46 c; Jäger/Lang Körperschaftsteuer S. 735 ff).

29

In der Konsequenz führt dies dazu, dass die Körperschaft das Einlagekonto nur mit der bescheinigten Einlagerückgewähr verringern darf -also mit 0 Euro -, dass bei nicht erteilter Steuerbescheinigung bis zum Bekanntgabetag des Feststellungsbescheids unveränderbar feststeht, dass eine Einlagenrückgewähr nicht erfolgt ist und dass - korrespondierend - der Anteilseigner die Ausschüttung als steuerpflichtige Dividenden zu versteuern hat, weil § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht greift. Die Gesellschaft hat für den Gesamtbetrag der Leistung Kapitalertragsteuer einzubehalten und an die Finanzbehörde abzuführen. Das gilt selbst dann, wenn sich das steuerliche Einlagekonto nach Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG gemindert hätte, § 27 Abs. 5 Sätze 1 und 2 KStG sind insoweit lex specialis zu § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG. Die in § 27 Abs. 5 KStG gesetzlich fingierte Verwendung der Einlage verdrängt die tatsächliche Verwendung der Einlage und die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG (vgl. Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. September 2013 2 K 62/11, EFG 2014, 936, Revision anhängig unter I R 70/13; Zimmermann, Anmerkung zum Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28. November 2013 1 K 35/12, EFG 2014, 584).

30

Die Voraussetzungen dieser gesetzlichen Fiktion liegen im Streitfall vor. Bis zum Tag der Bekanntgabe des vom 09. Juni 2009 datierenden streitgegenständlichen Feststellungsbescheids hat die Klägerin eine Steuerbescheinigung nicht erteilt. Eine solche hat sie - insoweit unstreitig - erst im Verlauf der Betriebsprüfung erstellt und mit Schreiben vom 16.07.2010 dem Beklagten zur Verfügung gestellt.

31

Die Frist ist auch nicht etwa deswegen hinauszuschieben, weil der Feststellungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hat. Zwar lässt eine solche Veranlagung Änderungen der jeweiligen Bescheide weitumfänglich zu; im hier interessierenden Zusammenhang aber ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Regelung insoweit nicht auf den Gedanken der Bestandskraft des Bescheids abstellt, sondern ausdrücklich auf dessen erstmalige Bekanntgabe iSd § 122 AO.
Die im Vergleich zur bis 2005 geltenden Rechtslage geänderte Vorschrift trifft mit der Festschreibung einer Verwendung von 0 Euro eine klare und eindeutige Regelung, die nicht im Wege der Auslegung und/oder teleologischen Reduktion rückgängig gemacht und auch nicht durch Billigkeitsmaßnahmen korrigiert werden kann (vgl. Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 09. April 2013 8 K 8200/09, DStRE 2014, 216, Revision anhängig unter I R 31/13). Mit der verschärften Neufassung des § 27 Abs. 5 KStG hat der Gesetzgeber eindeutig seinen Willen zu erkennen gegeben, dass die Rechtsfolgen einer nicht rechtzeitig erteilten Steuerbescheinigung die materiellrechtliche Berechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG überlagern (vgl. Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. September 2013 2 K 62/11, a.a.O.). Dass im Falle einer unterlassenen oder nicht rechtzeitig erteilten Steuerbescheinigung die Kapitalgesellschaft endgültig von einer Erteilung der Steuerbescheinigung ausgeschlossen ist, ist auch nicht als unausweichliche und damit ggfls. verfassungsrechtlich bedenkliche unbillige Rechtsfolge anzusehen. Denn die von der Körperschaft angestrebte steuerliche Rechtsfolge ist bei zumutbarer Sorgfalt unter Einhaltung der - unkompliziert ausgestalteten - formellen gesetzlichen Anforderungen auf einfache Weise und auch innerhalb eines ausreichend bemessenen Zeitkorridors - im Streitfall liegen zwischen dem Tag der Ausschüttung am 17.09.2007 und dem Tag der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 09.06.2009 nahezu zwei Jahre - zu erreichen (so auch Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28. November 2013 1 K 35/12, EFG 2014, 581, m.w.N., Revision anhängig unter I R 3/14). Abgesehen davon, und darauf weist Zimmermann a.a.O. zu Recht hin, werden in der der Körperschaftsteuererklärung zugehörigen und von der Klägerin als derjenigen, deren Einlagekonto festzustellen ist, auch ansonsten ausgefüllten und eingereichten Anlage WA auf Seite 1 bereits ab 2006 ausdrücklich „Angaben zu ausgestellten Steuerbescheinigungen“ angefordert: „Für Gewinnausschüttungen und Leistungen im Wirtschaftsjahr wurden folgende Beträge bescheinigt: in den Beträgen lt. Zeilen 13 bis 16a, 17a und 17c enthaltene, das Einlagenkonto mindernde Leistungen. …“.
Angesichts dieses Befunds vermag der Senat der von der Klägerin sinngemäß angedeuteten und auch in der Literatur vertretenen Auffassung nicht zu folgen, dass es wegen des für den Steuerpflichtigen „eher zufälligen und nicht vorhersehbaren Zeitpunkts“ des Eintritts der Ausschlussfrist des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG aus „übergeordneten rechtsstaatlichen Grundsätzen … wünschenswert wäre“, das Finanzamt ggfls. durch eine Gesetzesänderung dazu zu verpflichten, dem Steuerpflichtigen den anstehenden Zeitpunkt der Versendung des Bescheids mitzuteilen und auch darauf hinzuweisen, dass mit Bekanntgabe des Bescheids die Ausschlussfrist für die Steuerbescheinigung endet (so Ott, Stbg 2014, 301 ff). Unabhängig davon, dass eine solche nur bei weiter Auslegung der Fürsorgepflicht des Finanzamts iSd § 89 AO denkbare Verpflichtung der Behörde nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zu der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflicht stehen würde, mag der Eintritt der Ausschlussfrist zwar isoliert betrachtet als „eher zufällig“ erscheinen, im Kontext von klarem und eindeutigem Gesetzeswortlaut und ebenso klaren und ausdrücklichen Hinweisen in der Körperschaftsteuererklärung ist er jedoch hinreichend vorhersehbar.

32

Der Stellenwert einer Steuerbescheinigung, jedenfalls einer solchen, deren Angaben sich auf das steuerliche Einlagekonto beziehen, lässt sich nicht zuletzt der Entscheidung des BFH vom 10. Juni 2009 I R 10/09, BStBl II 2009, 974 entnehmen. Dort hat der BFH zu der für vor dem Streitjahr belegene Veranlagungszeiträume maßgeblichen Vorschrift des § 27 KStG 2002 im Hinblick auf die Verwendungsfestschreibung zwischen Bescheinigungen nach § 27 Abs. 3 KStG 2002 und „allgemeinen“ Kapitalertragsteuerbescheinigungen nach § 45a Abs. 2 EStG 2002 differenziert. Die Rechtsfolge des § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 trat danach nur dann ein, wenn die Kapitalgesellschaft ihren Anteilseignern Leistungen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 als Abgang auf dem steuerlichen Einlagekonto zu berücksichtigen waren, nach amtlich vorgeschriebenem Muster nach Maßgabe des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 bescheinigt hatte. Hieraus ist abzuleiten, dass einer Bescheinigung, die Angaben zu einer Berührung des steuerlichen Einlagekontos enthielt, bereits nach dem damaligen Rechtsstand eine für die Verwendungsfestschreibung maßgebliche Bedeutung zugekommen ist. Diese für eine nach damaliger Rechtslage tatsächlich erteilte Bescheinigung geltende Wirkung ist, worauf der BFH in der angesprochenen Entscheidung ebenfalls hinweist, durch die für das Streitjahr geltende Fassung des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG für den Fall einer nicht erteilten - aber gleichwohl, wäre sie erteilt worden, im Zusammenhang mit dem steuerlichen Einlagekonto stehenden - Bescheinigung weiterentwickelt worden.

33

Der Senat vermag der Klägerin insoweit nicht zu folgen, als sie den Gesetzeszweck der Vorlage einer Steuerbescheinigung bereits dadurch als erfüllt ansieht, dass sie den Bericht über den Jahresabschluss zum 31.12.2007 mit dem Gesellschafterbeschluss vom 17.09.2007 vorgelegt habe. Denn in beiden Unterlagen wird, unabhängig davon, dass beide der gesetzlich vorgesehenen Form mittels Verwendung eines amtlich vorgeschriebenen Musters nach § 27 Abs. 3 KStG nicht genügen, eine Aussage zum steuerlichen Einlagekonto gerade nicht getroffen, sie befassen sich lediglich mit der Kapitalrücklage.

34

Eine Ausnahme von der strengen Auslegung des § 27 Abs. 5 Satz 2, 3 KStG könnte ggfls. für die Situation einer nachträglich durch eine Betriebsprüfung festgestellten verdeckten Gewinnausschüttung gelten. Hierzu weist Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock § 27 KStG Rz. 214) in Abgrenzung zur Verwaltungsauffassung auf eine abweichende rechtliche Beurteilung, allerdings auf der Ebene einer sachlichen Billigkeitsmaßnahme, hin und schlägt vor, von der Verwendungsfortschreibung in derartigen Fällen abzusehen, weil sich diese mit dem Regelungssinn des § 27 Abs. 1 KStG nicht decke (so auch Nordmeyer in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 27 Rn 125; Lonsen-Veit in Erle/Sauter, KStG, § 27 Rn 97; Ott, Stbg 2014, 301 mit differenzierenden Beispielen).
Der Senat kann indes offenlassen, ob er sich dieser Auffassung anschließen könnte. Denn dem Streitfall liegt eine solche Konstellation gerade nicht zugrunde. Die Klägerin hat Gewinne nicht verdeckt ausgeschüttet. Es handelt sich hier vielmehr um eine von der Gesellschaft bewusst vorgenommene offene Ausschüttung, es wurde ein entsprechender Gesellschafterbeschluss gefasst. Während sich bei einer nachträglich festgestellten verdeckten Gewinnausschüttung der Gesellschaft mangels Kenntnis bzw. mangels Würdigung eines Vorgangs als verdeckte Gewinnausschüttung die Möglichkeit der Erteilung einer Steuerbescheinigung gar nicht eröffnet hat, ist dies im Streitfall in Kenntnis der Ausschüttung schlicht - aus welchen Gründen auch immer - versäumt worden.

35

Soweit die Klägerin eine Änderung der Veranlagung wegen einer Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Beklagten für möglich hält, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, der Senat folgt ausdrücklich der zutreffenden Begründung des Beklagten in der Einspruchsentscheidung vom 29. Februar 2012 (§ 105 Abs. 5 FGO).

36

Die Klägerin kann die begehrte Änderung des Feststellungsbescheids auch nicht mit Erfolg auf § 129 AO stützen.
Nach dieser Korrekturvorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Die einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten können nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht nur die in dem Verwaltungsakt bekundete Willensäußerung des Finanzamts, sondern auch die dem Erlass des Verwaltungsakts vorausgehende Willensbildung betreffen. In der Rechtsprechung ist ferner geklärt, dass eine solche Unrichtigkeit auch dann "beim Erlass eines Verwaltungsakts" unterlaufen kann, wenn das Finanzamt (Veranlagungsstelle) eine offenbare Unrichtigkeit der Steuer- oder Feststellungserklärung des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt oder etwa eine Unrichtigkeit eines Betriebsprüfungsberichts vom Finanzamt bei dessen Auswertung übernommen wird. In allen Fällen setzt der Tatbestand des § 129 AO jedoch zum einen voraus, dass es sich um die einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche Unrichtigkeit und damit um einen nur "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann. Zum anderen muss die Unrichtigkeit als mechanischer Fehler offenbar, d.h. für alle Beteiligten erkennbar, augenfällig und eindeutig sein.
Ein mechanischer Fehler und damit eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 Satz 1 AO liegt deshalb nur vor, wenn nach den Verhältnissen des Einzelfalls die Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder einer unvollständigen Sachaufklärung ausgeschlossen werden kann. Letzteres ist nicht nur dann zu verneinen, wenn dem Finanzamt ein Verstoß gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 88 AO) vorzuwerfen ist, weil es beispielsweise eine gebotene Nachfrage beim Steuerpflichtigen unterlassen hat. Die Annahme, dass im Einzelfall die Möglichkeit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung auszuschließen ist, erfordert nach ständiger Rechtsprechung darüber hinaus, dass in Fällen, in denen das Finanzamt (Veranlagungsstelle) eine fehlerhafte Erklärung des Steuerpflichtigen oder einen fehlerhaften Prüfungsbericht übernimmt, der Fehler aus den vorliegenden Unterlagen, etwa der Steuererklärung, den beigefügten Anlagen oder etwaigen Kontrollmitteilungen, ohne weiteres ersichtlich, d.h. klar dargestellt ist und berichtigt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 03. März 2011, IV R 8/08, BFH/NV 2011, 1649 mit vielfältigen Nachweisen).
Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die Entscheidung darüber ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft; ein Anscheinsbeweis genügt (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2009, IV R 84/06, BFH/NV 2009, 1394).

37

Nach diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, kommt im Streitfall eine Korrektur des Feststellungsbescheids nach § 129 AO nicht in Betracht.
Der Streitfall ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin entgegen der ihr obliegenden Pflicht und den ausdrücklichen Nachfragen in der Körperschaftsteuererklärung keine Angaben zu den streitgegenständlichen Leistungen gemacht hat. Andererseits hat sie in weiteren dem Beklagten vorgelegten Unterlagen, nämlich dem Jahresabschluss zum 31.12.2007, an mehreren Stellen Angaben zu den aus der Kapitalrücklage abgeführten Beträgen gemacht. Der Beklagte hat sodann den das steuerliche Einlagekonto feststellenden angefochtenen Bescheid erlassen, ohne die Klägerin vorher zur berichtigenden/ergänzenden Erklärungsabgabe gesondert aufgefordert zu haben oder weitere Erläuterungen der Klägerin zu der dargestellten Kapitalrücklage anzufordern.
Zum Verhältnis eines steuerlichen Einlagekontos zur Kapitalrücklage ist dabei zu berücksichtigen, dass das nach § 27 Abs. 1 KStG vor dem Hintergrund der Sicherstellung, dass Rückzahlungen von Einlagen nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen versteuert werden, zu führende steuerliche Einlagekonto ein steuerliches Konto außerhalb der handelsrechtlichen Buchführung ist. Es ist kein Konto im buchhalterischen Sinn. Im Hinblick auf die Qualifizierung von Einlagen ist allein maßgeblich, ob steuerrechtlich eine Einlage vorliegt, denn es handelt sich um ein steuerliches Konto. Auf die handelsrechtliche Einordnung kommt es nicht an. So sind beispielsweise auch verdeckte Einlagen und Ertragszuschüsse zu erfassen, die handelsrechtlich aber als Ertrag gelten. Das steuerliche Einlagekonto muss daher nicht mit der handelsrechtlichen Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 HGB übereinstimmen (vgl. Gosch/Heger KStG § 27 Rz. 12, 13; Streck/Binnewies KStG § 27 Rz. 1), vgl. insoweit auch den seit dem Veranlagungszeitraum 2006 geltenden Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift des § 27 KStG. Angesichts dessen hätte es im Streitfall möglicherweise der weiteren Klärung bedurft, ob es sich bei den dargestellten Abflüssen aus der Kapitalrücklage gleichsam um Abflüsse aus dem für steuerliche Zwecke maßgeblichen Einlagekonto handeln sollte. Eine derartige Aufklärung ist aber unterblieben. Ein solcher Fall mangelnder Sachverhaltsaufklärung eröffnet aber wie ausgeführt nicht den Korrekturbereich des § 129 AO. Danach ist die ernsthafte Möglichkeit einer unvollständigen Sachaufklärung im Streitfall nicht ausgeschlossen.
Hinzu kommt, dass angesichts der denkbaren unterschiedlichen Behandlung von steuerlichem Einlagekonto einerseits und handelsrechtlicher Kapitalrücklage andererseits auch ein Rechtsfehler des Beklagten bei der mit dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachten Zuordnung zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Rechtsfehler können, auch wenn diese auf einem möglicherweise eklatanten Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen beruhen sollten, indes nie nach § 129 AO berichtigt werden. Eine Berichtigung nach dieser Vorschrift scheidet bereits dann aus, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Rechtsfehler vorliegt (BFH-Urteil vom 19. März 2009, IV R 84/06, BFH/NV 2009, 1394; vgl. hierzu aber auch Urteil des Finanzgerichts Köln vom 06. März 2012 13 K 1250/10, EFG 2014, 417 sowie Binnewies, Stbg 2014, 216 betr. Einlagenleistung).

38

Aber selbst wenn im Streitfall die Voraussetzungen des § 129 AO als gegeben angesehen würden, bestünde ein Änderungsanspruch der Klägerin nicht. Denn dem stünde die als materiellrechtlich wirkende Ausschlussfrist ausgestaltete Fiktion des § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG entgegen (vgl. Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28. November 2013 1 K 35/12, a.a.O.).

39

Nur ergänzend und ohne dass es darauf für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ankäme weist der Senat darauf hin, dass er für die vorliegende Sachverhaltsgestaltung auch in einem etwaigen Billigkeitsverfahren nach den §§ 163 oder 227 AO nicht zu dem von der Klägerin begehrten Ergebnis - der entsprechenden Minderung des Einlagekontos - gelangen würde. Insoweit fehlt es an der für diese Verfahren erforderlichen Voraussetzung einer sachlichen Unbilligkeit deswegen, weil der Gesetzgeber die Rechtsfolgen einer nicht/nicht rechtzeitig erteilten Steuerbescheinigung eindeutig und bewusst geregelt hat und die steuerpflichtige Körperschaft zudem mit ausdrücklichen Nachfragen in der Körperschaftsteuererklärung nach erteilten Steuerbescheinigungen und nach das Einlagekonto mindernden Leistungen hinreichend sensibilisiert worden ist (vgl. Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. September 2013 2 K 62/11, a.a.O.; Zimmermann, a.a.O.).

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die zu nahezu gleich gelagerten Fällen bei dem BFH anhängigen Revisionsverfahren I R 70/13 und I R 3/14 zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO.

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