Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (5. Senat) - 5 K 1287/16


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Tenor

I. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2016 wird der Gebührenbescheid vom 9. April 2015 dahingehend geändert, dass die Gebühr auf 15.600,- € festzusetzen ist.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft mit mehreren Beteiligten und Unterbeteiligten, die ihren Sitz in I hat.

2

Am 9. Dezember 2013 beantragte sie beim Beklagten die Erteilung einer verbindlichen Auskunft zu der von mehreren ihrer Gesellschafter geplanten Begründung von Zweitwohnsitzen in Österreich. Gegenstand ihres Auskunftsersuchens war die Frage der steuerlichen Entstrickung ihrer Wirtschaftsgüter insbesondere ihrer Beteiligungen. In ihrem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft gab die Klägerin an, dass bei der Höhe ihres Gegenstandswertes von der Höchstgebühr gemäß § 89 Abs. 5 AO i. V. m. § 34 GKG auszugehen sei.

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Infolge des Antrages erfolgten umfangreiche rechtliche Prüfungen des Sachverhalts durch die zuständige Veranlagungsstelle des Beklagten, das Landesamt für Steuern und das Ministerium der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz. Am 28. Januar 2014 wurde die Sach- und Rechtslage beim Landesamt für Steuern mit den steuerlichen Vertretern der Klägerin ausführlich besprochen. Der Klägerin wurde im Zuge dieser Besprechung mündlich mitgeteilt, dass auf der Grundlage des in ihrem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft dargestellten Sachverhaltes die beantragte verbindliche Auskunft nicht erteilt werden könne bzw. eine Negativauskunft erteilt würde. Im Rahmen der Besprechung stellten die Vertreter der Klägerin verschiedene alternative Sachverhaltsgestaltungen vor, mit dem Ziel, die erbetene verbindliche Auskunft auf dieser Grundlage zu ermöglichen. Im Zuge dessen kam es in der Folgezeit zu mehreren Telefon- bzw. E-Mail-Kontakten zwischen dem Landesamt für Steuern und den steuerlichen Vertretern der Klägerin. Der letzte Kontakt fand am 25. April 2014 statt. Zu den hierbei diskutierten Handlungsoptionen gaben die Bevollmächtigten der Klägerin in der Folgezeit keine weiteren Stellungnahmen ab. Aus Sicht der Finanzverwaltung war in der Folgezeit auch keine weitere Entwicklung in der Angelegenheit mit einer anderen steuerlichen Beurteilung zu erkennen, so dass der Antrag auf verbindliche Auskunft schließlich abgelehnt worden wäre.

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Mit Schreiben vom 24. Juni 2014 nahm die Klägerin ihren Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft zurück. Als Grund gab sie an, dass die Antragsteller von den Überlegungen zur Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland Abstand genommen hätten.

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Bevor der Beklagte die Gebühr für die verbindliche Auskunft festsetzte, teilte der zuständige Veranlagungsbezirk des Beklagten der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, für die Gebühr den Höchstbetrag in Höhe von 109.736,- € anzusetzen. Dieser werde auf 90%, d. h. auf 98.762,- € ermäßigt, da es tatsächlich zu keiner verbindlichen Auskunft gekommen und die entsprechenden Arbeiten bis zur Rücknahme des Auskunftsantrages durch die Klägerin zu 90% vorgenommen worden seien.

6

In ihrer Stellungnahme hierzu begehrte die Klägerin, die Gebühr auf 25% der Höchstgebühr zu ermäßigen. Als Begründung hierfür führte sie an, dass zum einen der Zweck der Auskunftsgebühr der Ausgleich des zusätzlichen Verwaltungsaufwandes und zum anderen die Abschöpfung des Vorteils sei, der dem Steuerpflichtigen durch die verbindliche Auskunft entstehe. Ein Vorteil sei ihr infolge der Rücknahme ihres Antrages jedoch nicht entstanden. Dies sei bei der Gebühr zu berücksichtigen. Weiterhin sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Rücknahme weniger als 90% der Arbeiten erledigt gewesen seien, da ihr noch keine Mitteilung über die beabsichtigte Ablehnung der verbindlichen Auskunft zugegangen sei und weitere Ermittlungen und Abstimmungen mit der ausländischen Finanzverwaltung vor Ablehnung ihres Antrages zu führen gewesen seien.

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Bei der Ermittlung des Arbeitsaufwandes sei weiterhin zu berücksichtigen gewesen, dass es fraglich sei, ob der Aufwand des eingeschalteten Landesamtes für Steuern sowie des Finanzministeriums ebenfalls zu berücksichtigen gewesen sei. Nach ihrer Auffassung sei allein der Aufwand des örtlich zuständigen Finanzamts zu berücksichtigen gewesen.

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Als weiteres Argument für die Ermäßigung der Gebühr habe die Klägerin vorgetragen, dass ein Verwaltungsaufwand zur Rechtsfrage der verbindlichen Auskunft ohnehin in einer späteren Betriebsprüfung entstanden wäre, da dort der betreffende Sachverhalt hätte ermittelt und überprüft werden müssen. Zwar habe der BFH in seinem Urteil vom 30. März 2012 (I R 61/10) Zweifel an einer derartigen Gegenrechnung geäußert, jedoch sei es im Urteilsfall um eine positive Auskunft gegangen. Im Übrigen seien im Auskunftsverfahren die Betriebsprüfer, die die Klägerin „anschlussgeprüft“ hätten, bereits eingebunden gewesen, sodass ein nicht erstattungswürdiger „Sowieso-Aufwand“ der Finanzverwaltung durchaus gegeben gewesen sei.

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Mit Bescheid vom 9. April 2015 setzte die Beklagte für die Bearbeitung der beantragten verbindlichen Auskunft eine Gebühr in Höhe von 98.762,- € nach § 89 Abs. 3 - 7 AO fest. Bei der Berechnung der Gebühr ging der Beklagte - wie von der Klägerin angegeben - von einem Gegenstandswert in Höhe von 30 Mio. € (Höchstbetrag) aus, der eine Gebühr in Höhe von 109.736,- € zur Folge gehabt hätte. Diese Gebühr wurde gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO um 10% auf 98.762,- € ermäßigt, da der Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung des Beklagten zurückgenommen wurde. Die Minderung in Höhe von 10% sei auf der Grundlage des bisherigen Bearbeitungsaufwands von ca. 156 Stunden (Arbeitszeiten des Beklagten, der OFD und des Finanzministeriums) und des geschätzten Aufwands von ca. 10-15 Stunden bis zur endgültigen Entscheidung über den vorgelegten Antrag ermittelt worden.

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Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie begehrt die Ermäßigung der Gebühr und wiederholt ihre Argumente vor Erlass des Gebührenbescheides.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2016 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Beklagte führte aus, dass für die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO Gebühren zu erheben seien (§ 89 Abs. 3 AO). Die Gebühren seien grundsätzlich nach dem Wert zu berechnen, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller habe (Gegenstandswert gemäß § 89 Abs. 4 S. 1 AO). Der Gebührenfestsetzung solle nach § 89 Abs. 4 S. 2 AO der vom Antragsteller erklärte Gegenstandswert zu Grunde gelegt werden, soweit dies nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe. Die Gebühr werde in entsprechender Anwendung des § 34 GKG mit einem Gebührensatz von 1,0 erhoben (§ 89 Abs. 5 AO). Sobald ein Gegenstandswert ermittelt sei, sehe das Gesetz den Ansatz eines subsidiären Zeitwerts gemäß § 89 Abs. 6 AO nicht mehr vor. Fallvarianten, dass eine Zeitgebühr etwa bei Antragsrücknahme, einer Negativbescheidung oder der Kombination aus beidem zum Ansatz käme, seien im Gesetz nicht benannt.

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Dem Verfahren sei dabei immanent, dass die beantragte Auskunft sowohl positiv als auch negativ ausfallen könne. Der von der Auskunft erhoffte Vorteil, den es vorrangig durch die Gebührenfestsetzung abzuschöpfen gelte, nämlich die Gewährung von Rechtssicherheit für wirtschaftliche Dispositionen, werde im Falle einer Negativauskunft aber gerade nicht erreicht. Zwar habe auch eine Negativauskunft den Nutzen, dass sie den Antragsteller von nachteiligen steuerlichen Folgen bewahre. Dieser Nutzen trete aber gegenüber dem eigentlich verfolgten Zweck deutlich in den Hintergrund. Dem Gesetzgeber hätten sich diese Überlegungen aufdrängen müssen. Dennoch habe er keine Notwendigkeit für eine differenzierte Behandlung der beiden Grundfälle gesehen. Andernfalls hätte er diese beschreibbaren Grundzustände aufgrund des Gebots der Normenklarheit auch ausdrücklich beschreiben müssen.

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Ebenso wie in einem justizförmigen Verfahren diene der Ansatz einer Wertgebühr anstelle einer Aufwandsgebühr auch im Rahmen des § 89 Abs. 3-5 AO der Vermeidung von Streitigkeiten über die Angemessenheit des Bearbeitungsumfangs und der Bearbeitungsdauer (BFH Urteil vom 30. März 2011, I R 61/10, BFH/NV 2011, 1045). Mache der Antragsteller - nach Hinweis der Finanzbehörde auf die beabsichtigte Ablehnung des Antrags - von der Möglichkeit der Antragsrücknahme und der daraus folgenden Reduzierung der Gebühr keinen Gebrauch, verstoße es nach Auffassung des hessischen Finanzgerichts (Urteil vom 6. Juli 2011,4 K 3139/09, EFG 2011, 1938) nicht gegen die Grundsätze der Belastungsgleichheit und des im Grundgesetz verankerten Übermaßverbotes, wenn in diesem Fall der Ansatz einer Wertgebühr allein auf die Erwägung der Aufwandsabgeltung und den Aspekt der Vermeidung von Streitigkeiten über die Höhe und die Angemessenheit des Aufwands gestützt werde. Der Antragsteller habe es in solchen Fällen selbst in der Hand gehabt, eine Reduktion der Gebühr zu bewirken. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei der typisierenden, generalisierenden und pauschalierenden Fassung von Abgabetatbeständen vom Abgabepflichtigen individuell gestaltbare Besonderheiten weniger genau berücksichtigen dürfe, als es ihm bei Faktoren erlaubt sei, auf die der Abgabepflichtige selbst keinen Einfluss nehmen könne (vgl. BVerfG vom 25. September 1992, 2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153; BVerfG vom 10. April 1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1). Etwas Anderes könne dementsprechend auch nicht gelten, wenn von der Möglichkeit der Antragsrücknahme und der damit verbundenen Gebührenreduzierung Gebrauch gemacht werde.

14

Die Gebühr sei demnach grundsätzlich auch dann nach dem Gegenstandswert zu bemessen, wenn die Auskunft negativ ausfalle. Deutlich werde dies letztlich auch an der Regelung des § 89 Abs. 3 AO, der eine Festsetzung der Gebühr stets vor der Entscheidung über die Auskunft zulasse und es dahinstehen lasse, ob diese positiv oder negativ ausfalle.

15

Die Gebühr könne nach § 89 Abs. 7 AO ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen werde. In Tz. 4.5.2 AEAO zu § 89 AO sei für diesen Fall geregelt, dass der bis zur Rücknahme des Antrags angefallene Bearbeitungsaufwand angemessen zu berücksichtigen und die Gebühr anteilig zu ermäßigen sei. Grundlage für diese Ermäßigung sei die am Gegenstandswert orientierte Wertgebühr.

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Insofern sei hier das zeitliche Verhältnis von bereits erledigten zur für die Erteilung der verbindlichen Auskunft noch ausstehenden Arbeiten bezogen auf alle mit der sachlichen Bearbeitung befassten Personen maßgebend (vgl. Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO- und FGO-Kommentar, § 89 AO, Rn.394; Simon, DStR 2007, 557). Dass die Arbeiten aller mit der sachlichen Bearbeitung befassten Personen - einschließlich des Landesamtes für Steuern und des Finanzministeriums - zu berücksichtigen seien, ergebe sich auch aus Tz. 4.3.2 AEAO zu § 89 AO zu den Regelungen zur Festsetzung einer Zeitgebühr. Aus dem Gesetzeswortlaut sei auch keine Rechtfertigung ersichtlich, den Gebührenmaßstab im Falle einer sich abzeichnenden Negativauskunft davon abhängig zu machen, ob es noch zur Auskunft komme oder nicht, zumal die Rücknahme des Antrags allein vom Antragsteller zu vertreten sei.

17

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Wertgebühr zum Arbeitsaufwand - wie sie von der Klägerin aufgeworfen werde - werde im Falle einer sich abzeichnenden Negativauskunft somit nicht davon beeinflusst, ob es noch zur Auskunft komme oder nicht. Dem durch die Antragsrücknahme ersparten Verwaltungsaufwand werde bereits durch entsprechende zeitanteilige Kürzung der Gebühr hinreichend Rechnung getragen. Bestünden also hinsichtlich der Berechnung der Gebühr nach dem Gegenstandswert im Falle einer Negativbescheidung keine Bedenken, müsse dies auch im Falle einer vorherigen Antragsrücknahme gelten. Andernfalls würde dies zu einer nicht vertretbaren Ungleichbehandlung führen.

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Im Ergebnis bleibe demnach ungeachtet der Tatsache der Antragsrücknahme zu beurteilen, ob die gegenüber dem Zeitwert um 6,3-fach höhere Gebühr derart unverhältnismäßig sei, dass dies eine (weitere) Gebührenreduzierung rechtfertige. Der BFH habe mit Urteil vom 5. Februar 2014 (I R 34/12) angedeutet, dass eine Unverhältnismäßigkeit in Fällen einer Negativauskunft ein Grund für eine Gebührenreduzierung sein könne. Die erkennbare Grundentscheidung des Gesetzgebers, auch im Falle einer Negativauskunft und sogar im Fall der Antragsrücknahme am Gegenstandswert festzuhalten, obwohl der vom Antragsteller verfolgte Zweck in diesen Fällen nicht erreicht werden könne, verdeutliche aber, dass nicht jedes Ungleichverhältnis zwischen Gebühr und Verwaltungsaufwand eine Gebührenreduzierung nach sich ziehen solle. Es sei daher davon auszugehen, dass nur krasse Missverhältnisse, die sich rechtsstaatlich in keiner Weise mehr rechtfertigen ließen, nach dem Willen des Gesetzgebers eine Gebührenreduzierung erfahren sollten. Eine gegenüber dem Verwaltungsaufwand um 6,3-fach höhere Gebühr werde aber noch nicht als derart überzogen angesehen. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip könne daher im Gegensatz zu anderen Meinungen der Literatur (Seer in: Tipke/Kruse, AO- und FGO-Kommentar, § AO, Rz.78) nicht festgestellt werden.

19

Bei der Prüfung der Unverhältnismäßigkeit der vorliegend festgesetzten Gebühr sei auch zu berücksichtigen, dass die Gebühr nach dem Höchstbetrag des Gegenstandswertes ermittelt worden sei. Wie hoch der tatsächliche Gegenstandswert sei, sei von der Klägerin im Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft nicht benannt worden. Aufgrund der erzielten Einnahmen und Gewinne der Vorjahre und der wirtschaftlichen Bedeutung der aktivierten Wirtschaftsgüter der Klägerin sei jedoch davon auszugehen, dass der tatsächliche Gegenstandswert um ein Vielfaches höher sei, als der gesetzlich vorgesehene Höchstbetrag von 30 Mio. €. Insoweit werde das Ungleichverhältnis zwischen Gebühr und Verwaltungsaufwand relativiert.

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Der Einwand, die Finanzverwaltung habe bei der Prüfung des Sachverhalts im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung ohnehin einen entsprechenden Aufwand gehabt, der auch ohne Antrag auf verbindliche Auskunft entstanden wäre, und somit bei der Gebührenberechnung mindernd zu berücksichtigen sei, überzeuge nicht. Denn zum einen stehe nicht fest, dass der im Rahmen des Auskunftsverfahrens zu prüfende Sachverhalt später überhaupt verwirklicht werde. Werde der Sachverhalt realisiert, entstehe der Behörde in dem späteren Veranlagungs- und Prüfungsverfahren zudem dadurch Aufwand, dass sie zu prüfen habe, ob die Voraussetzungen, unter denen die Zusage erteilt worden sei, tatsächlich vorlägen. Zum anderen bestünde die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft nur zugunsten des Steuerpflichtigen, nicht aber zu seinen Ungunsten (vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 2011, I B 136/10, a.a.O.). Etwas Anderes könne auch nicht im Falle einer Negativauskunft oder der Antragsrücknahme gelten. Im Gegenteil entstehe hier ggf. sogar ein höherer Aufwand der Finanzverwaltung, da hier zu prüfen sei, ob und wie der Steuerpflichtige auf die (erwartete) negative Auskunft reagiert habe. Eine Minderung der Gebühr um einen etwaigen „Ohnehin-Aufwand“ komme daher nicht in Betracht. Aufgrund dessen könne keine Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung zur Höhe der Gebührenfestsetzung festgestellt werden. Der zulässige Einspruch sei daher sachlich unbegründet.

21

Mit ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Gebührenbescheid rechtswidrig sei. Die Gebühr sei aufgrund einer unzutreffenden Anwendung des § 89 Abs. 7 S. 2 AO (zu hoch) festgesetzt worden. Nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO könne die Gebühr ermäßigt werden, wenn der Antrag vor Erteilung der Auskunft zurückgenommen worden sei. Die Ermäßigung der Gebühr sei in das Ermessen der Behörde gestellt, das an gesetzliche und verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden sei. Vorliegend sei das Ermessen auf Null reduziert gewesen und die Gebühr sei in Höhe des angefallenen Bearbeitungsaufwandes von 15.600,- € festzusetzen gewesen.

22

Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung 2014 konkretisiere unter Tz. 4.5.2 AEAO für den Fall der Rücknahme des Antrags eine vollständige Ermäßigung der Gebühr auf Null, sofern die Behörde noch nicht mit der Bearbeitung des Antrags begonnen habe. Sei mit der Bearbeitung begonnen worden, sei der angefallene Arbeitsaufwand angemessen zu berücksichtigen und die Gebühr anteilig zu ermäßigen. Nach der Ansicht des Beklagten sei die Grundlage für diese Ermäßigung die am Gegenstandswert orientierte Wertgebühr.

23

Tz. 4.5.2 AEAO zu § 89 mache deutlich, dass im Fall der Antragsrücknahme der Grundsatz einer Gebührenerhebung auf Basis des Gegenstandswertes eingeschränkt und von einer Bemessung nach der tatsächlichen Arbeitszeit überlagert werde. Der Grundsatz der Gebührenbemessung nach dem Gegenstandswert müsste schon deswegen eingeschränkt werden, weil der Gedanke des Vorteilsausgleichs nicht mehr zum Tragen komme. Daher sei nur der schlichte Verwaltungsaufwand in Höhe von 15.600,- € abzugelten. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 15. März 2016 verwiesen.

24

Die Klägerin beantragt,
den Gebührenbescheid vom 9. April 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2016 dahingehend zu ändern, dass die Gebühr auf 15.600,- € herabgesetzt wird,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

26

Der Beklagte tritt der Klage entgegen und verweist auf die Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

27

Die Klage hat Erfolg. Der Gebührenbescheid vom 9. April 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 102 FGO i. V. m. § 101 S. 1 FGO), soweit die vom Beklagten festgesetzte Auskunftsgebühr den Betrag von 15.600,- € überschreitet. Der Beklagte hat sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Auskunftsgebühr in Höhe von 98.762,- €, die der Beklagte um 10% des Höchstbetrages für den Gegenstandswert gemindert hat, stellt eine nicht mögliche Auslegung von Tz. 4.5.2 der AEAO dar, verletzt die Selbstbindung der Verwaltung gemäß Tz. 4.5.2 AEAO und Art. 3 Abs. 1 GG. Das Ermessen des Beklagten ist durch die in Tz. 4.5.2 der AEAO erfolgte Selbstbindung der Verwaltung auf Null reduziert.

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I. 1. Gemäß § 102 FGO ist das Gericht bei Ermessensentscheidungen auf die Prüfung begrenzt, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Grundsätzlich hat das Gericht bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen den ablehnenden Verwaltungsakt aufzuheben und die Behörde zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 S. 2 FGO). Ist das Ermessen hingegen auf Null reduziert, kann das Gericht gemäß § 101 S. 1 FGO die Verpflichtung der Finanzbehörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aussprechen.

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2. Hat die Finanzverwaltung im Rahmen ihres Ermessensspielraums Richtlinien erlassen, dürfen die Gerichte in Fällen einer typisierenden Ermessensentscheidung grundsätzlich nur prüfen, ob sich die Finanzbehörde an die Richtlinie – hier die AEAO – gehalten hat und ob die Richtlinie selbst einer sachgerechten Ermessensausübung entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1997, XI R 85/95, BStBl II 1997, 377 und vom 24. November 2005, V R 37/04, BStBl II 2006, 466). Hierbei darf das Gericht typisierende Ermessensrichtlinien der Finanzbehörden nicht wie Gesetze auslegen (BFH-Urteil vom 28. Juni 2000, X R 24/95, BStBl II 2000, 514 und vom 21. Februar 2006, IX R 78/99, BStBl II 2006, 359). Demnach ist nicht maßgeblich, wie das Gericht die Ermessensrichtlinie versteht, sondern wie die Finanzbehörde sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das FG darf die Ermessensrichtlinie nicht selbst auslegen, sondern darf nur prüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 2005, V R 35/03, BStBl II 2005, 460 und vom 27. Juli 2011, I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005 m. w. N.).

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3. § 89 Abs. 7 S. 1 AO bestimmt, dass auf die Gebühr (auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft) ganz oder teilweise verzichtet werden „kann“, wenn ihre Erhebung nach der Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO „kann“ die Gebühr insbesondere ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird. § 89 Abs. 7 S. 1 und 2 AO stellen im Sinne des § 5 AO Ermessensvorschriften dar. Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Das Ermessen kann im Einzelfall ausgeübt werden. Es ist jedoch auch anerkannt, dass die Verwaltung in geeigneten Fällen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigt ist, die das Ermessen der nachgeordneten Behörden lenken und binden. Verwaltungsvorschriften, die die Ermessensausübung regeln, führen gemäß Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einer Selbstbindung der Verwaltung bei der Ausübung des Ermessens (vgl. Lange in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO- und FGO-Kommentar, Bd. X III, § 102 FGO Rn.107).

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4. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder hat das Bundesministerium der Finanzen für die Anwendung der Abgabenordnung den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) am 31. Januar 2014 mit sofortiger Wirkung in allen offenen Fällen neu geregelt (BStBl I, S. 290). Zu § 89 Abs. 7 S. 2 AO ist in Tz. 4.5.2 der AEAO folgende Verwaltungsrichtlinie erlassen worden:

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„Wird ein Antrag vor Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag auf verbindliche Auskunft zurückgenommen, kann die Gebühr ermäßigt werden (§ 89 Abs. 7 S. 2 AO). Hierbei ist wie folgt zu verfahren:

        

- Hat die Finanzverwaltung noch nicht mit der Bearbeitung des Antrags begonnen, ist die Gebühr auf Null zu ermäßigen. In diesem Fall kann aus Vereinfachungsgründen bereits von der Erteilung eines Gebührenbescheides abgesehen werden.

        

- Hat die Finanzverwaltung bereits mit der Bearbeitung des Antrags begonnen, ist der bis zur Bearbeitung des Antrags angefallene Bearbeitungsaufwand angemessen zu berücksichtigen und die Gebühr anteilig zu ermäßigen.“

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II. 1. a) Unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Überprüfung von auf Verwaltungsrichtlinien beruhenden Ermessensentscheidungen, zu denen auch Tz 4.5.2. der AO vom 31. Januar 2014 zählt (BStBl Teil I 2014, S. 290 ff. ), die den Beklagten bei seiner Ermessensausübung aufgrund der sich durch die Richtlinie ergebenden Selbstbindung der Verwaltung bindet, ist die vom Beklagten vorgenommene Gebührenerhebung in Höhe von 98.762,- € bei Auslegung der Verwaltungsrichtlinie gemäß Tz. 4.5.2 der AEAO nicht möglich. Unter Beachtung der eingeschränkten Überprüfungsbefugnis des Gerichts bei von der Verwaltung zur Ermessensausübung erlassenen Verwaltungsrichtlinien, die zum einen nur die Überprüfung zulässt, ob die Auslegung der Richtlinie der Verwaltung möglich ist und ob zum anderen die Richtlinie selbst einer sachgerechten Ermessensausübung entspricht, ist das Gericht im Streitfall zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auslegung von Tz. 4.5.2 der AEAO durch den Beklagten nicht möglich ist. Die Verwaltungsrichtlinie der Tz. 4.5.2 der AEAO kann nicht dahingehend verstanden werden, die Gebührenermäßigung gemäß § 89 Abs. 7 S. 2 AO in der Weise vorzunehmen, dass ausgehend vom Höchststreitwert von 30 Mio. € und der Höchstgebühr in Höhe von 109.736,- € hierfür ein Abschlag von 10% als Ermäßigungsbetrag gerechnet und auf diese Weise nach Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft vorliegend eine Gebühr in Höhe von 98.762,- € erhoben wird (§ 89 Abs. 5 AO i. V. m. §§ 34 und 39 Abs. 2 GKG).

34

b) Tz. 4.5.2 der AEAO gibt im Fall der Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft vor, dass bei einer noch nicht erfolgten Bearbeitung, die Gebühr auf Null zu ermäßigen ist und bei einer bereits begonnenen Bearbeitung des Antrags der bis zur Rücknahme des Antrags angefallene Bearbeitungsaufwand angemessen zu berücksichtigen ist und die Gebühr anteilig zu ermäßigen ist. Stellt die Finanzverwaltung in Tz. 4.5.2 der AEAO im Fall der Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft ausschließlich auf den der Verwaltung entstandenen Bearbeitungsaufwand ab und lässt den weiteren am Streitwert ausgerichteten Gebührenzweck des Vorteilsausgleichs des Steuerpflichtigen durch die verbindliche Auskunft, der nach § 89 Abs. 4 AO nach dem Wert berechnet wird, vollständig außen vor, ist es nicht möglich, Tz. 4.5.2 der AEAO dahingehend auszulegen, dass die Gebührenermäßigung bei Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft durch einen nach Auffassung der Behörde angemessenen Abschlag von der anzusetzenden höchsten Wertgebühr gerechnet wird. Diese Auslegung durch die Behörde kommt auf der Grundlage der selbstbindenden Verwaltungsrichtlinie gemäß Tz. 4.5.2 der AEAO nicht in Betracht und würde die Klägerin nach Art. 19 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG schon deshalb in ihren Rechten verletzen, da sich die Finanzverwaltung in Tz. 4.5.2 der AEAO selbst gebunden hat, eine von Tz. 4.5.2 AEAO abweichende Handhabung Art. 3 Abs. 1 GG verletzen würde und nach Tz. 4.5.2 der AEAO allein der bis zur Rücknahme des Antrags angefallene Bearbeitungsaufwand zugrunde zu legen ist. § 89 Abs. 6 AO bietet für die Berechnung des Bearbeitungsaufwandes eine griffige Berechnungsgrundlage, indem er bestimmt, dass in den Fällen, in denen ein Gegenstandswert nicht bestimmbar ist und er auch nicht durch Schätzung bestimmt werden kann, eine Zeitgebühr zu berechnen ist. Sie beträgt nach § 89 Abs. 6 S. 1 2. Halbsatz AO je angefangene halbe Stunde 50,- €. Im Fall der Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft Tz. 4.5.2. der AEAO dahin zu verstehen, dass weiterhin auf den Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung abzustellen ist, obwohl dieser ersichtlich nicht mehr eintreten kann, hätte zur Überzeugung des Senats weiter zur Folge, dass eine danach bemessene Gebühr verfassungsrechtlich sachlich nicht mehr gerechtfertigt wäre. Sie stünde nach der Verwaltungsrichtlinie Tz. 4.5.2 der AEAO in einem groben Missverhältnis zu dem im Fall der Rücknahme des Antrags auf Auskunftserteilung maßgeblichen Bearbeitungsaufwand, wobei der Richtliniengeber beachtet haben muss, dass mit der Antragsrücknahme der bis dahin legitime Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung vollständig entfallen ist. Zudem ist die Auslegung von Tz. 4.5.2 der AEAO dahin gehend, dass die Gebühr trotz Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft weiterhin am Gegenstandswert auszurichten ist, deshalb nicht möglich, weil sie die in der Verwaltungsrichtlinie umgesetzte Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung nicht beachtet und zur Folge hätte, dass eine Gebühr beliebig hoch und demnach willkürlich festgesetzt werden könnte.

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Gemessen an dem zu berücksichtigenden angefallenen Bearbeitungsaufwand liegt die vom Beklagten festgesetzte Gebühr im Streitfall um das 6,3-fache höher als der nach Tz. 4.5.2 der AEAO zu berücksichtigende Bearbeitungsaufwand je angefangener halber Stunde von 50,- €, der bei einem zwischen den Beteiligten unstreitigen Bearbeitungsaufwand von 156 Stunden eine Gebühr in Höhe von 15.600,- € rechtfertigt.

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Die angeführten Gesichtspunkte sprechen zur Überzeugung des Senats dafür, dass die Auslegung des Beklagten von Tz. 4.5.2 der AEAO nicht möglich ist.

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2. a) Tz. 4.5.2 der AEAO stellt zur Überzeugung des Senats eine Verwaltungsrichtlinie dar, die ausgehend von den beiden Gebührenzwecken der Auskunftsgebühr, d. h. der Abgeltung des entstandenen Verwaltungsaufwandes und der Abschöpfung des Vorteils des Steuerpflichtigen aus der Bindungswirkung der Auskunft, bei einer Rücknahme des Antrags auf verbindliche Auskunft in sach- und ermessensgerechter Weise die noch zu erhebende Auskunftsgebühr am noch verbliebenen Gebührenzweck des angefallenen Bearbeitungsaufwand ausrichtet, den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG beachtet und die zu erhebende Gebühr in verfassungsrechtlicher Sicht verhältnismäßig vorgibt.

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Während die Gebühr Null beträgt, wenn mit der Bearbeitung der verbindlichen Auskunft noch nicht begonnen worden ist, ist im Falle der bereits begonnenen Bearbeitung der angefallene Bearbeitungsaufwand angemessen zu berücksichtigen und die Gebühr anteilig zu ermäßigen. Dies verdeutlicht, dass der Richtliniengeber die Gebühr bei Rücknahme des Auskunftsantrages ausschließlich noch am verbliebenen Gebührenzweck der Abgeltung des angefallenen Verwaltungsaufwandes ausgerichtet hat. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich daher bei Tz. 4.5.2 AEAO um eine Verwaltungsrichtlinie, mittels der in sachgerechter Weise Ermessen im Sinne des § 5 AO ausgeübt wird. Kann der Vorteil der Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft nicht mehr eintreten und erfolgt ebenfalls keine rechtsbehelfsfähige Negativauskunft, ist der Grund für die Gebührenerhebung nach dem Streitwert, der den Vorteil der Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft abschöpfen will, vollständig entfallen.

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b) Dass die Auskunftsgebühr verfassungsgemäß ist, hat der BFH mit Urteil und Beschluss vom 30. März 2011 entschieden und mit Urteil vom 22. April 2015 nochmals bestätigt ((BFH-Urteil vom 30. März 2011, I R 61/10, BStBl II 2011, 536; BFH-Beschluss vom 30. März 2011, I B 136/10, BFH/NV 2011, 1042 und BFH-Urteil vom 22. April 2015, IV R 13/12, BStBl II 2015, 989). Der BFH hat festgehalten, dass die Gebühr für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach verfassungsgemäß sei. Sie bezwecke - so der BFH - in verfassungskonformer Weise die Abgeltung des durch die Erteilung entstehenden besonderen Verwaltungsaufwandes der Behörde als auch den Ausgleich des Vorteils, der dem Antragsteller durch die Bindungswirkung der Auskunft entstehe. Die Auskunftsgebühr sei letztlich eine Wertgebühr. Der Gebührenzweck der Abschöpfung des mit der verbindlichen Auskunft verbundenen Sondervorteils der Bindungswirkung der Auskunft stelle einen sachlichen Grund für die Anknüpfung der Gebührenhöhe am Maßstab des § 34 GKG dar und vermeide zudem die Streitigkeiten bei einer Orientierung am Gegenstandswert, die bei einer reinen Zeitgebühr zu erwarten seien. Komme es zur Erteilung der beantragten Auskunft, halte die Gebührenbemessung auf der Grundlage des Gegenstandswerts dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleiteten verfassungsrechtlichen Äquivalenzprinzip, nach dem Gebühren in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Gewalt gebotenen Leistung stehen dürften, stand (BFH-Urteil vom 30. März 2011, I R 61/10, a.a.O., juris-Ausdruck, Rn.25.).

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c) Unter Beachtung dessen geht der Senat davon aus, dass das Bundesfinanzministerium und die obersten Finanzbehörden der Länder unter Beachtung der Ausführungen des BFH im Urteil vom 30. März 2011 im Fall der Rücknahme eines Antrags des Antragstellers auf verbindliche Auskunft durch Tz. 4.5.2 der AEAO den Nichteintritt des nicht mehr möglichen Gebührenzwecks des Vorteils der Bindungswirkung der Auskunft in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der aus dem verfassungsrechtlichen Äquivalenzprinzip herrührt, entsprechenden Weise beachtet, die Gebührenerhebung aus diesem Grund auf den Bearbeitungsaufwand beschränkt haben und infolge des Fortfalls des Sondervorteils der Bindungswirkung der Auskunft die Anknüpfung an den Gegenstandswert in Tz. 4.5.2 der AEAO vollständig haben entfallen lassen. Mit der „anteiligen Ermäßigung der Gebühr“ kann der Richtliniengeber daher nur die am Gegenstandswert ausgerichtete Gebührenfestsetzung nach dem Streitwert gemeint haben, deren Zweck mit der Antragsrücknahme entfallen ist. Dies macht auch deshalb Sinn, weil nicht alle vom Richtliniengeber in den Blick genommenen Auskunftsgebühren – wie im Streitfall - am Höchststreitwert ausgerichtet sind.

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d) In seinem Urteil vom 30. März 2011 führt der BFH aus (I R 61/10, a.a.O., juris-Ausdruck Rn.21), dass Gebühren allerdings von Verfassungs wegen auch ihrer Höhe nach rechtfertigungsbedürftig sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG – so der BFH – ist die Bemessung einer Gebühr gerechtfertigt, wenn deren durch die zulässigen, vom Gesetzgeber bei der tatbestandlichen Ausgestaltung erkennbar verfolgten Gebührenzwecke – hier der Kostendeckung und der Vorteilsabschöpfung - legitimiert ist. Eine Gebührenbemessung ist verfassungsrechtlich dann nicht sachlich gerechtfertigt, wenn sie in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten legitimen Gebührenzwecken steht (vgl. Urteil des BVerfG 2. Senat vom 19. März 2003, 2 BvL 9/98 u.a., BVerfGE 108 1 ff.), wobei es in der Entscheidung des Gesetzgebers steht, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er für die individuell zurechenbare öffentliche Leistung aufstellen will und welche über die Kostendeckung hinausgehenden Zwecke er mit einer Gebührenregelung anstrebt. Bei der Gebührenerhebung und -bemessung ist der Gesetzgeber daher berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen. Er darf generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können.

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e) Mit dem Fortfall des Gebührenzwecks der Vorteilsabschöpfung bei Rücknahme des Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft stellt Tz. 4.5.2 der AEAO zur Überzeugung des Senats unter Beachtung der unter 2.d) angeführten verfassungsrechtlichen Vorgaben zu Recht ausschließlich noch auf die Kostendeckung, d. h. den angefallenen Bearbeitungsaufwand ab. Dies berücksichtigt zur Überzeugung des Senats die verfassungsrechtlich zu beachtende Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (vgl. Urteil des BVerfG 2. Senat vom 19. März 2003, 2 BvL 9/98 u.a., a.a.O., juris-Ausdruck Rn.53). Mit der Begrenzung der Auskunftsgebühr im Fall der Rücknahme des Auskunftsbegehrens auf den Bearbeitungsaufwand berücksichtigt der Richtliniengeber zur Überzeugung des Senats zudem, dass die Gebühren nicht beliebig und willkürlich hoch am Streitwert ausgerichtet werden können und gibt zugleich eine typisierende Regelung vor, die bei Rücknahme des Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft verlässlich und effizient vollzogen werden kann.

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f) Stellt der Richtliniengeber in Tz. 4.5.2 im Fall der Rücknahme des Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft ausschließlich auf den der Verwaltung bis zur Rücknahme angefallenen Bearbeitungsaufwand ab, ist im Streitfall das Ermessen zudem auf Null reduziert gewesen, so dass der Beklagte bei zutreffender Auslegung von Tz. 4.5.2 der AEAO nur die am angefallenen Bearbeitungsaufwand von 156 Stunden ausgerichtete Gebühr hätte erheben dürfen.

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Hinsichtlich des angefallenen Bearbeitungsaufwandes geht der Senat jedoch davon aus, dass die festzusetzende Gebühr auch den Bearbeitungsaufwand des Landesamtes für Finanzen und des Finanzministeriums einbeziehen durfte. Im Hinblick auf die mit dem Auskunftsersuchen zusammenhängenden komplexen steuerlichen Fragen der fortbestehenden oder entfallenden unbeschränkten Steuerpflicht der Gesellschafter der Klägerin bei einem Wegzug nach Österreich, kann - entgegen der zunächst vertretenen Auffassung der Klägerin - nicht allein der Bearbeitungsaufwand des Beklagten der anzusetzende Zeitaufwand sein. § 17 AO regelt zwar die örtliche Zuständigkeit, d. h. welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden der gleichen hierarchischen Stufe eines Verwaltungsträgers die Verwaltungstätigkeit durchzuführen hat (vgl. Sunder-Plassmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO- und FGO-Kommentar, Bd. II, § 17 Rn.2). Zur Überzeugung des Senats muss die örtlich zuständige Verwaltungsbehörde bei ihrer Verwaltungstätigkeit jedoch auf die Fachkompetenz der oberen und obersten Landesbehörde zurückgreifen dürfen, um ihre Verwaltungstätigkeiten auch bei Auskunftsbegehren, die komplexe steuerliche Fragen betreffen, im Einklang mit Recht und Gesetz durchführen zu können. Überdies ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Finanzverwaltungsgesetz, dass die oberste Landesbehörde die Landesfinanzverwaltung leitet. Dies schließt die Befugnis ein, in komplexen Steuerfällen der örtlich zuständigen Finanzbehörde bei Auskunftsbegehren durch Fachreferate jedenfalls Hilfestellungen zu geben. Zur Überzeugung des Senats sind daher sowohl der Zeitaufwand des Landesamtes für Finanzen als auch des Finanzministeriums des Landes bei der Ermittlung des Bearbeitungsaufwandes zu berücksichtigen gewesen.

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3. Für die Gebührenermäßigung kann - entgegen der Auffassung des Beklagten – daher weder auf den Wert der verbindlichen Auskunft noch darauf abgestellt werden, dass der Höchstwert im Streitfall noch um ein Vielfaches überschritten sein dürfte, so dass die Minderung der Höchstgebühr um 10% gerechtfertigt ist.

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4. Auch der Klägerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, dass zu berücksichtigen sei, dass der anzusetzende Bearbeitungsaufwand schon deshalb zu mindern sei, weil im Rahmen der verbindlichen Auskunft bereits Gesichtspunkte behandelt worden seien, die im Rahmen einer nachfolgenden Betriebsprüfung nochmals zu prüfen seien. Hier verkennt die Klägerin, dass es sich bei der Auskunftsgebühr nach § 89 Abs. 3 AO und der ermäßigten Gebühr nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO um nichtsteuerliche Abgaben, d. h. um Leistungen für öffentlich-rechtliche Gegenleistungen, die aus Anlass dem jeweiligen Schuldner individuell zuzuordnenden öffentlichen Dienstleistung herrühren, handelt, die hoheitlich auferlegt werden und die dazu bestimmt sind, die Kosten dieser Leistungen abzudecken. Demgegenüber wird eine Steuer im Sinne der Art. 105, 106 GG voraussetzungslos erhoben. Träfe die von der Klägerin vertretene Auffassung zu, würden die finanzverfassungsrechtlich strikt zu trennenden Bereiche der Gebührenerhebung und der Steuerfestsetzung, zu der die Betriebsprüfung zählt, unzulässig vermengt (vgl. Urteil des BVerfG 2. Senat vom 19. März 2003, 2 BvL 9/98 u.a., a.a.O., juris-Ausdruck Rn. 42 bis 44).

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5. Auf Grund des auf Null reduzierten Ermessens des Beklagten ist nach alledem dem Klageantrag der Klägerin, den Gebührenbescheid des Beklagten vom 9. April 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2016 auf 15.600,- € festzusetzen, stattzugeben und die Gebühr von 98.762,- € auf 15.600,- € zu ermäßigen gewesen.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen vor (§ 115 Abs. 2 FGO). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Ermäßigung der Auskunftsgebühr bei Rücknahme des Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO und zur Verwaltungsrichtlinie Tz. 4.5.2 AEAO ist für die Zukunft richtungweisend. Darüber hinaus ist die Revisionszulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts angezeigt.

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