Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (3. Senat) - 3 K 1688/19


Tenor

I. Der Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 31. Januar 2019 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2019 dahin geändert, dass die Einkommensteuer auf 1.790 € festgesetzt wird.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der von dem Beklagten zu tragenden Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der im Inland wohnhafte Kläger erzielte im Streitjahr (2017) Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie sonstige Einkünfte in Form einer Leibrente. Am 7. April 2017, 23. Juni 2017, 22. September 2017 und 15. Dezember 2017 erhielt der Kläger auf seine an der S.A., einer Kapitalgesellschaft (allmennaksjeselskap) norwegischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in Norwegen, gehaltenen Anteile Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 16.571,83 Norwegischen Kronen (NOK), wovon Quellensteuer in Höhe von 25% und mithin ein Betrag von 4.142,97 NOK einbehalten wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Dividendengutschriften der I-Bank vom 12. April 2017, 27. Juni 2017, 26. September 2017 und 18. Dezember 2017 (Blatt 14 ff. der Einkommensteuerakte). Von der einbehaltenen norwegischen Steuer wurden dem Kläger von der norwegischen Finanzverwaltung 1.657,18 NOK erstattet, was einem Anteil von 10% der Summe der Ausschüttungen entspricht. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Schreiben des norwegischen sentralskattekontor vom 16. Mai 2018 (Blatt 53 der Einkommensteuerakte).

2

In ihrer Steuerbescheinigung vom 31. Dezember 2017 (Blatt 12 f. der Einkommensteuerakte), welche der Kläger neben den Aufstellungen über die Dividendengutschriften i.R. seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vorlegte, bescheinigte die I-Bank dem Kläger Kapitalerträge in Höhe von 17.184,96 €, wovon 11.419,96 € auf Gewinne aus Aktienveräußerungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entfallen sollten. Angerechnete ausländische Steuer sowie noch nicht angerechnete ausländische Steuer wurden jeweils mit 0 € angegeben.

3

Mit Bescheid vom 31. Januar 2019 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 2.045 € fest, wobei er keine Anrechnung ausländischer Steuern vornahm. Zur Erläuterung führte der Beklagte aus, eine Anrechnung einer ausländischen Steuer könne nicht erfolgen, da diese auf der Steuerbescheinigung der I-Bank nicht ausgewiesen sei.

4

In dem hiergegen gerichteten außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren legte der Kläger das Schreiben des norwegischen sentralskattekontor vom 16. Mai 2018 vor. Darüber hinaus legte er ein an ihn gerichtetes Schreiben der I-Bank vom 15. März 2019 vor, nach dem diese bei Norwegen den anrechenbaren Teil der Quellensteuer weder ausweisen noch verrechnen könne. Dies sei – so die I-Bank – nur über die Steuererklärung möglich. Von den 25% seien 10% der rückforderbare Anteil und 15% der anrechenbare Anteil.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Berücksichtigung ausländischer Quellensteuer erfolge gemäß § 43a Abs. 3 Satz 1 EStG grundsätzlich bereits bei Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer auf Ebene der Kreditinstitute nach Maßgabe des § 32d Abs. 5 EStG. Davon abweichend werde die deutsche Kapitalertragsteuer ohne Berücksichtigung der ausländischen Steuer erhoben, wenn im betreffenden ausländischen Staat ein Anspruch auf teilweise oder vollständige Erstattung der ausländischen Steuer bestehe. In Norwegen habe für den Kläger ein Ermäßigungsanspruch auf 0 € bestanden. Dort bestünden Regelungen zur Freistellung von Anlegern aus EU-Staaten. Dividenden seien in Höhe eines fiktiven risikofreien Ertrags aus dem investierten Kapital steuerfrei (shielding deduction). Dieser steuerfreie Ertrag werde aus den tatsächlichen Anschaffungskosten der natürlichen Person für ihre Beteiligung mit einem Prozentsatz ermittelt, der sich nach dem Zinssatz für dreimonatige Regierungsanleihen richte. Soweit der steuerfreie Betrag die Dividende übersteige, könne er vorgetragen und mit künftigen Dividenden aus derselben Beteiligung verrechnet werden. Der steuerfreie Ertrag sei für jede Beteiligung getrennt zu ermitteln. Dividendenempfänger mit Wohnsitz im europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erhielten die Steuerbefreiung der shielding deduction in Form einer vollständigen oder teilweisen Erstattung der in Höhe von 25% einbehaltenen Quellensteuer.

6

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, anders als der Beklagte meine, gehe es nicht um eine Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die deutsche Kapitalertragsteuer, sondern um eine Anrechnung auf die Einkommensteuer.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 31. Januar 2019 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2019 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 1.790 € festgesetzt wird.

8

Der Beklagte nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und beantragt,
die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –) und durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3, Abs. 4 FGO) entscheidet, ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 31. Januar 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die auf die von dem Kläger bezogenen Ausschüttungen – nach erfolgter Erstattung – einbehaltene norwegische Steuer in Höhe eines Betrags von 2.485,79 NOK, dessen Gegenwert der Kläger – durch den Beklagten unwidersprochen – mit 254,54 € angibt, ist auf die Einkommensteuer für 2017 anzurechnen.

10

1.
Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige nach § 32d Abs. 3 Satz 1 EStG Kapitalerträge, die – wie die von dem Kläger bezogenen Ausschüttungen der norwegischen Kapitalgesellschaft – nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, in seiner Einkommensteuererklärung anzugeben. Für diese Kapitalerträge erhöht sich die tarifliche Einkommensteuer um den nach § 32d Abs. 1 EStG ermittelten Betrag (§ 32d Abs. 3 Satz 2 EStG). Jedoch werden auf Antrag des Steuerpflichtigen – wie im Streitfall – anstelle der Anwendung des § 32d Abs. 1, 3 und 4 EStG die nach § 20 EStG ermittelten Kapitaleinkünfte den Einkünften im Sinne des § 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich Zuschlagsteuern führt (Günstigerprüfung).

11

In diesem Fall ist § 32d Abs. 5 EStG mit der Maßgabe anzuwenden, dass die nach dieser Vorschrift ermittelten ausländischen Steuern auf die zusätzliche tarifliche Einkommensteuer anzurechnen sind, die auf die hinzugerechneten Kapitaleinkünfte entfällt (§ 32d Abs. 6 Satz 2 EStG). Nach § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG, der nach § 32d Abs. 5 Satz 2 EStG entsprechend gilt, soweit in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnung einer ausländischen Steuer einschließlich einer als gezahlt geltenden Steuer auf die deutsche Steuer vorgesehen ist, ist bei unbeschränkt Steuerpflichtigen – wie dem Kläger –, die mit ausländischen Kapitalerträgen in dem Staat, aus dem die Kapitalerträge stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, die auf ausländische Kapitalerträge festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer, jedoch höchstens 25% ausländische Steuer auf den einzelnen steuerpflichtigen Kapitalertrag, auf die deutsche Steuer anzurechnen. Die ausländischen Steuern sind nur bis zur Höhe der auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Kapitalerträge im Sinne des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG entfallenden deutschen Steuer anzurechnen (§ 32d Abs. 5 Satz 3 EStG).

12

2.
Nach Art. 10 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 4. Oktober 1991 (BGBl. II 1993, 972) in der Fassung des Protokolls zur Änderung des Abkommens vom 4. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie des dazugehörigen Protokolls vom 24. Juni 2013 (BGBl. II 2014, 907) – DBA Norwegen –, auf das sich der Kläger aufgrund der aus dem inländischen Wohnsitz folgenden unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i.S. des § 1 Abs. 1 EStG berufen kann (Art. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 DBA Norwegen), können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft – im Streitfall die S.A., die als juristische Person „Gesellschaft“ i.S. des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e DBA Norwegen ist sowie sowohl aufgrund ihrer Gründung nach norwegischen Gesellschaftsrecht als auch aufgrund ihrer Geschäftsleitung in Norwegen nach § 2-2 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 7 des norwegischen Steuergesetzes (Lov om skatt av formue og inntekt – skatteloven – vom 26. März 1999, zuletzt geändert durch das Lov om endringar i lovgjevinga som følgje av innføring av kjønnsnøytral tittel på fylkesmannen vom 7. Mai 2021, abrufbar unter https://lovdata.no/LTI/lov/2021-05-07-34) unbeschränkt der vom norwegischen Staat erhobenen Einkommensteuer (inntektsskatt til staten, Art. 2 Abs. 3 Buchst. b.i DBA Norwegen) unterfällt und damit für Zwecke der Abkommensanwendung nach Art. 4 Abs. 1 DBA Norwegen als in Norwegen ansässig anzusehen ist – an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person – im Streitfall den Kläger – zahlt, im anderen Staat – d.h. dem Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers, mithin im Streitfall die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) – besteuert werden.

13

Diese Dividenden können jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, – im Streitfall Norwegen – nach dem Recht dieses Staates besteuert werden (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 DBA Norwegen). In diesem Fall darf die Steuer, wenn der Nutzungsberechtigte der Dividenden im anderen Vertragsstaat ansässig ist, – abgesehen von dem im Streitfall unbeachtlichen Fall nutzungsberechtigter Gesellschaften – 15% des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Buchst. b DBA Norwegen). Hierbei bedeutet der Ausdruck „Dividenden” Einkünfte aus Aktien – im Streitfall Anteile an einer allmennaksjeselskap –, Genussrechten oder Genussscheinen, Kuxen, Gründeranteilen oder sonstigen Rechten – ausgenommen Forderungen – mit Gewinnbeteiligung sowie aus sonstigen Rechten stammende Einkünfte, die nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind (Art. 10 Abs. 3 Satz 1 DBA Norwegen).

14

3.
Bei einer in der Deutschland ansässigen Person wird auf die auf Dividenden i.S. des Art. 10 Abs. 3 S. 1 DBA Norwegen, die – wie im Streitfall – nicht an eine in Deutschland ansässige Gesellschaft von einer im Königreich Norwegen (Norwegen) ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 % unmittelbar der deutschen Gesellschaft gehört, zu erhebende deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts über die Anrechnung ausländischer Steuern die norwegische Steuer angerechnet, die nach norwegischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen entrichtet wurde (Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen). Werden in einem der Vertragsstaaten die Steuern von Dividenden im Abzugsweg erhoben, so wird nach Art. 28 Abs. 1 DBA Norwegen das Recht zur Vornahme des Steuerabzugs zum vollen Satz durch das Abkommen nicht berührt. Die zum vollen Satz im Abzugsweg einbehaltene Steuer ist jedoch auf Antrag zu erstatten, soweit ihre Erhebung durch das Abkommen eingeschränkt wird (Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen).

15

4.
Gemäß § 10-13 Abs. 1 Satz 1 skatteloven werden Dividenden, die an im Ausland ansässige Aktionäre ausgeschüttet werden, mit einem von dem norwegischen Parlament (Storting) festgelegten Satz besteuert. Zugleich sind Aktiengesellschaften norwegischen Rechts (aksjeselskaper) – sowie weitere Gesellschaften anderer Rechtsform – nach § 5-4a Abs. 1 Satz 1 des norwegischen Gesetzes über die Steuerentrichtung (Lov om betaling og innkreving av skatte- og avgiftskrav – skattebetalingsloven – vom 17. Juni 2005, zuletzt geändert durch das Lov om endringar i lovgjevinga som følgje av innføring av kjønnsnøytral tittel på fylkesmannen vom 7. Mai 2021, abrufbar unter https://lovdata.no/dokument/NL/lov/2005-06-17-67) verpflichtet, von solchen Ausschüttungen Steuer – wie im Streitfall in Höhe von 25% geschehen – einzubehalten.

16

Natürliche Personen, die in einem anderen Staat ansässig sind, auf den – wie im Fall Deutschlands – das Abkommen über den EWR vom 3. Januar 1994 (ABl. EG Nr. L 1 S. 3), zuletzt geändert durch den Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 221/2018 vom 26. Oktober 2018 (ABl. EU Nr. L 105 S. 20), Anwendung findet, ist auf Antrag ein „Abschirmungsabzug“ (fradrag for skjerming), der von dem Beklagten – obwohl es sich um ein Institut norwegischen Rechts handelt – mit dem englischsprachigen Begriff shielding deduction bezeichnet wird (vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 15. November 2011, BStBl I 2011, 1113; Oberfinanzdirektion – OFD – Münster, Kurzinformation Internationales Steuerrecht Nr. 01/2012 vom 3. Januar 2012, Internationales Steuerrecht – IStR – 2012, 159), gemäß § 10-12 skatteloven zu gewähren (§ 10-13 Abs. 2 skatteloven), um den die Ausschüttung als Bemessungsgrundlage für die einzubehaltende Steuer vermindert wird. Nach § 10-12 Abs. 2 Satz 1 skatteloven ist zur Berechnung des fradrag for skjerming die „Abschirmungsbemessungsgrundgrundlage“ (skjermingsgrunnlaget), die in der Summe der Anschaffungskosten der Aktie und eines nicht genutzten fradrag for skjerming aus den Vorjahren i.S. des § 10-12 Abs. 1 Satz 3 skatteloven besteht, mit dem „Abschirmungszinsfuß“ (skjermingsrenten) zu multiplizieren. Die skjermingsrente betrug seit der Einführung des fradrag for skjerming mit Wirkung für das Jahr 2006 zwischen 0,4% (2016) und 3,8% (2008); für das Streitjahr war ein Zins von 0,40% maßgeblich (vgl. die Berechnung Finn ditt skjermingsfradrag unter https://www.skatteetaten.no/person/skatt/hjelp-til-riktig-skatt/aksjer-og-verdipapirer/om/skatteregler-for-gevinsttap-ved-realisasjoner-og-aksjeutbytte/skjermingsfradrag). Die Inanspruchnahme des fradrag for skjerming und die Erstattung der einbehaltenen Steuer nach Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen schließen sich – wovon auch der Beklagte ausgeht – gegenseitig aus (BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1113; OFD Münster, Kurzinformation in IStR 2012, 159).

17

5.
Gemessen hieran und ungeachtet der von dem Beklagten unter Berufung auf das BMF- Schreiben in BStBl I 2011, 1113 bejahten – im Streitfall jedoch angesichts der nach § 44a Abs. 1 Satz 4 EStG erfolgen Abstandnahme vom Steuerabzug unbeachtlichen – Frage, ob der Anspruch auf fradrag for skjerming eine Berücksichtigung norwegischer Quellensteuer i.R. des § 43a Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließt, ist die auf die Dividenden des Klägers – unter Berücksichtigung der erfolgten Erstattung – einbehaltene norwegische Steuer in Höhe von 2.485,79 NOK nach § 32d Abs. 5 EStG i.V.m. § 32d Abs. 6 Satz 2 EStG auf die zusätzliche tarifliche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die hinzugerechneten Kapitaleinkünfte i.S. des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG entfällt.

18

a)
Es ist nicht zu entscheiden, ob sich der Anspruch auf Anrechnung der norwegischen Steuern unmittelbar aus den abkommensrechtlichen Regelungen ergibt oder ob Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen, wonach die Anrechnung norwegischer Steuern „unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts“ erfolgt, die Anwendung des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG zulässt. Ebenso wenig ist darauf einzugehen, ob aus Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen eine Verpflichtung folgt, in Norwegen einbehaltene Steuer in der Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Buchst. b DBA Norwegen vorgesehenen Höhe – als in Übereinstimmung mit dem DBA Norwegen entrichtete Steuer (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 15. März 1995 I R 98/94, BFHE 177, 269, BStBl II 1995, 580) – auch dann anzurechnen, wenn diese einem Ermäßigungsanspruch unterliegt. Unerheblich ist – hierauf aufbauend – damit insbesondere, ob sich der Verweis des § 32d Abs. 5 Satz 2 EStG, der anders als § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG (vgl. zu § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG a.F. BFH-Urteil in BFHE 177, 269, BStBl II 1995, 580) nicht unmittelbar auf einen entstandenen Ermäßigungsanspruch abstellt, lediglich auf die Rechtsfolgen des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG (so Wert in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 32d EStG Rz 111; Levedag in Schmidt, EStG, 40. Aufl., § 32d Rz 21) oder – i.S. einer Rechtsgrundverweisung – auch auf dessen Tatbestandsmerkmale bezieht.

19

b)
Denn im Streitfall sind sowohl die Anforderungen des Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen als auch – darüber hinausgehend – die des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG erfüllt. Zum einen ist nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen die norwegische Steuer auf die Dividenden einer norwegischen Aktiengesellschaft, die im Streitfall in Übereinstimmung mit § 10-13 Abs. 1 Satz 1 skatteloven sowie – nach der auf Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen gestützten Erstattung – mit Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Buchst. b DBA Norwegen in Höhe von 15% des Bruttobetrags der Dividenden entrichtet wurde, auf die zu erhebende deutsche Steuer anzurechnen. Zum anderen wurde der Kläger i.S. des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG in Norwegen als dem Staat, in dem die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung hat und aus dem damit die Kapitalerträge stammen (vgl. § 34d Nr. 6 EStG), mit den Dividenden zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer – der inntektsskatt til staten – herangezogen, was der Kläger – den Anforderungen des § 68b Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung entsprechend – durch die Urkunde des sentralskattekontor vom 16. Mai 2018 (Blatt 53 der Einkommensteuerakte) nachgewiesen hat.

20

c)
Auch unterliegt die von dem Kläger auf die von ihm bezogenen Dividenden – nach der auf Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen gestützten Erstattung – gezahlte norwegische Steuer keinem „entstandenen Ermäßigungsanspruch“ i.S. des § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG.

21

aa)
Hierbei kann dahinstehen, ob bereits das Bestehen eines Anspruchs auf fradrag for skjerming die Anrechnung norwegischer Steuern auf die deutsche Einkommensteuer bereits dem Grunde nach ausschließt (vgl. S. 15 der Tabelle des Bundeszentralamts für Steuern – BZSt – „Anrechenbare ausländische Quellensteuer 2021“, abrufbar unter https://www.bzst.de/DE/Privatpersonen/Kapitalertraege/AuslaendischeQuellensteuer/auslaendischequellensteuer_node.html) oder ob nicht vielmehr die Anrechnung lediglich insoweit ausgeschlossen ist, als ein aus dem fradrag for skjerming folgender Erstattungsanspruch gegenüber der norwegischen Finanzverwaltung besteht (Redert in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, EStG – eKommentar, § 32d Rz 127; so wohl auch OFD Münster in IStR 2012, 159). Auch bedarf es – wozu Angaben über die Anschaffungskosten und den Zeitpunkt der Anschaffung sowie einen möglicherweise bestehenden nicht genutzten fradrag for skjerming erforderlich wären – keiner Entscheidung darüber, ob der Kläger bei Inanspruchnahme des fradrag for skjerming – der lediglich von der Bemessungsgrundlage, nicht aber von der einbehaltenen Steuer abzuziehen ist – eine über den erstatteten Betrag hinausgehende Rückzahlung der einbehaltenen Steuer und insbesondere – wie es der Beklagte geltend macht (vgl. auch Finanzgericht – FG – Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. September 2018  12 K 12087/16, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2019, 276) – deren vollständige Erstattung hätte erreichen können (vgl. die norwegische Finanzverwaltung in ihrem Leitfaden unter https://www.skatteetaten.no/en/person/taxes/get-the-taxes-right/shares-and-securities/about-shares-and-securities/refund-of-withholding-tax-on-dividends, wonach eine auf Abkommensrecht gestützte Erstattung regelmäßig günstiger für den Steuerpflichtigen sein soll).

22

bb)
Denn dem Kläger stand nach der auf Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen gestützten Erstattung der norwegischen inntektsskatt til staten kein Anspruch auf fradrag for skjerming zu. Zwar hätte er Kläger anstelle der Erstattung nach Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen nach § 10-13 Abs. 2 skatteloven – i.S. eines Wahlrechts – auch den fradrag for skjerming geltend machen können. Auch ist der Steuerpflichtige – da § 32d Abs. 5 Satz 1 EStG ausschließlich auf das Entstehen, nicht aber die tatsächliche Inanspruchnahme eines Ermäßigungsanspruchs abstellt – gehalten, alle Möglichkeiten einer Ermäßigung auszuschöpfen (vgl. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 34c Rz 22). Jedoch hat der Kläger sein Wahlrecht zu Gunsten des abkommensrechtlichen Erstattungsanspruch ausgeübt. Ab diesem Zeitpunkt unterlag die norwegische Steuer keinem Ermäßigungsanspruch mehr; der fradrag for skjerming ist – ex tunc – als nicht entstanden anzusehen. Eine Obliegenheit zur Inanspruchnahme eines bestehenden Wahlrechts zwischen zwei Methoden zur Minderung der ausländischen Quellensteuer dahingehend, dass ausländische Steuern in möglichst geringer Höhe zur Anrechnung kommen, lässt sich weder § 34d Abs. 5 Satz 1 EStG noch Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA Norwegen entnehmen (vgl. aber für Steuervergünstigungen mit Subventionscharakter Gosch in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 34c Rz 22).

23

6.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

24

7.
Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Zwar weicht der Senat nicht von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2019, 276 ab. Jedoch kommt der Frage, ob der fradrag for skjerming eine Anrechenbarkeit einer von Dividenden norwegischer Aktiengesellschaften einbehaltenen Steuer auch dann ausschließt, wenn der Steuerpflichtige stattdessen seinen aus Art. 28 Abs. 2 DBA Norwegen folgenden Anspruch auf Erstattung des Anteils der im Abzugsweg einbehaltenen Steuer, der über den in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Buchst. b DBA Norwegen vorgesehenen Satz hinausgeht, geltend gemacht hat, grundsätzliche Bedeutung zu. Insbesondere geht das Bundeszentralamt für Steuern offensichtlich davon aus, dass aufgrund des fradrag for skjerming eine Anrechnung in Norwegen von Dividenden einbehaltener Steuer auch in solchen Fällen nicht in Betracht kommt (vgl. S. 15 der Tabelle „Anrechenbare ausländische Quellensteuer 2021“, abrufbar unter https://www.bzst.de/DE/Privatpersonen/Kapitalertraege/AuslaendischeQuellensteuer/auslaendischequellensteuer_node.html).

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