Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 Ta 115/21
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen verneinenden Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 09.06.2021 – 4 Ca 310/21 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger fordert von dem Beklagten Vergütung für die Monate September 2019 bis Dezember 2020.
4Der Beklagte betreibt ein seit dem 01.09.2019 angemeldetes Gewerbe, das Umzugstransporte, den Verkauf von gebrauchten Möbeln und Hausrat, Wohnungsräumungen und Haushaltsauflösungen zum Gegenstand hat. Die für den Betrieb des Gewerbes notwendige Halle hatte der Kläger angemietet.
5Der Kläger behauptet, er sei seit dem 01.09.2019 bei dem Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Der Beklagte habe ihm eine „Beteiligung“ für die Zukunft in Aussicht gestellt und so erreicht, dass er über längere Zeit gearbeitet habe, ohne eine Vergütung zu erhalten. Seine Aufgabe sei es gewesen, bei den Transporten, Wohnungsräumung und Haushaltsauflösungen tätig zu sein und den Verkauf von gebrauchten Möbeln und Hausrat durchzuführen. Mit dem Beklagten habe er vereinbart, montags, dienstags, donnerstags und freitags jeweils zwischen 8:30 und 18:00 Uhr sowie nahezu jeden Samstag zwischen 8 und 13:00 Uhr tätig zu sein. Eine Vereinbarung zur Höhe des Arbeitslohnes hätten die Parteien nicht getroffen. Sie hätten vorausgesetzt, dass er, der Kläger, angemessen und üblich bezahlt werde. Tatsächlich habe der Beklagte jedoch keinerlei Zahlungen geleistet, obwohl er, der Kläger, ihn mehrfach gebeten habe, zumindest Abschlagszahlungen auszukehren. Seine Tätigkeit habe er, der Kläger, mit Wirkung zum Dezember 2020 beendet.
6Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm für die Zeit von September 2019 bis Dezember 2020 eine Arbeitsvergütung zustehe. Diese berechnet er auf der Basis eines Mindestlohns von 9,35 EUR/Stunde, da dieses Lohnniveau jedenfalls nicht unterschritten werden dürfe.
7Mit einem am 21.01.2021 bei dem Arbeitsgericht Siegburg eingereichten Antrag auf Prozesskostenhilfe hatte der Kläger angekündigt, den Beklagten nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu verurteilen, an ihn 29.048,24 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
8Das Arbeitsgericht hat mit Verfügung der Vorsitzenden vom 22.01.2021 einen Termin zur Güteverhandlung bestimmt und die Zustellung des Schriftsatzes an den Beklagten verfügt, die am 26.01.2021 erfolgt ist. Im Gütetermin vom 01.03.2021 hat das Arbeitsgericht dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.
9Der Beklagte rügt die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen und vertritt die Ansicht, zwischen den Parteien habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Vielmehr habe es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Gründung gehandelt. Der Kläger habe, so seine Behauptung, nur sporadisch Leistungen erbracht. Diese seien abgegolten worden.
10Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss der Kammer vom 09.06.2021 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Köln verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger eine für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses notwendige weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit nicht ausreichend dargelegt habe. Der Kläger sei auch keine arbeitnehmerähnliche Person.
11Der Beschluss ist dem Kläger am 16.06.2021 zugestellt worden. Dagegen richtet sich seine am 30.06.2021 bei dem Arbeitsgericht eingereichte Beschwerde, der das Gericht durch Beschluss der Vorsitzenden vom 07.07.2021 nicht abgeholfen hat.
12II.
13Die sofortige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich und örtlich Landgericht Köln verwiesen.
141.) Der Beschluss unterliegt nicht deshalb der Aufhebung, weil die Klage im Zeitpunkt der Entscheidung nicht ordnungsgemäß zugestellt war. Zugestellt worden war dem Beklagten nur ein Prozesskostenhilfeantrag, wodurch gemäß § 261Abs. 1 ZPO keine Rechtshängigkeit begründet werden konnte. Denn dazu bedarf es der Zustellung einer Klage. Unerheblich ist, dass das Arbeitsgericht die Antragsschrift als Klage behandelt hat. Denn nur der Kläger ist befugt, den Streitgegenstand zu bestimmen (OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Januar 2004 – 8 W 43/04 –, Rn. 5, juris). Vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit kommt daher grundsätzlich kein Verweisungsbeschluss, sondern regelmäßig nur eine Abgabe der Sache an ein anderes Gericht in Betracht, und dies auch nur, wenn der Kläger, was hier nicht der Fall war, darum gebeten hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2011– X ARZ 263/11 –, Rn. 13, juris). Der Beklagte hatte die unterlassene Zustellung jedoch im Termin vom 01.03.2021 nicht gerügt, so dass der Mangel zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses durch Rügeverzicht gemäß § 295 ZPO geheilt war (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1972 – IV ZR 65/71 –, Rn. 13, juris).
152.) Die Beschwerdekammer ist an einer Sachentscheidung im vorliegenden Fall nicht wegen des Fehlens einer ordnungsgemäßen Abhilfeentscheidung gehindert. Der Nichtabhilfebeschluss vom 07.07.2021 genügt zwar den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nichtabhilfeentscheidung nicht, da er ohne Heranziehung der ehrenamtlichen Richter ergangen ist. Bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe handelt es sich nämlich um eine erneute Entscheidung in der Sache, die nach § 17a GVG, § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG stets durch einen Beschluss der vollbesetzten Kammer zu treffen ist (BAG, Beschluss vom 17. September 2014- 10 AZB 4/14 -, Rn. 6, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2015 - 3 Ta 21/15 -, Rn. 21, juris). Der das arbeitsgerichtliche Verfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz schließt im vorgeschalteten Rechtswegbestimmungs-verfahren nach § 17a GVG - in verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters unbedenklicher Weise (vgl. VGH NRW, Beschluss vom27. April 2021 - 157/20.VB-1 -, Rn. 11, juris; VGH NRW, Beschluss vom 12. Mai 2020 - 24.20.VB-2 -, Rn. 21, juris) – aber eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht aus. Dieses Verfahren darf nicht durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden (BAG, Beschluss vom 17. September 2014 - 10 AZB 4/14 -, Rn. 11; BAG, Beschluss vom17. Februar 2003 - 5 AZB 37/02 -, Rn. 17, juris).
163.) Auch in der Sache selbst muss der Beschwerde der Erfolg versagt bleiben. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Kläger nicht als Arbeitnehmer angesehen und eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG verneint. Denn der Kläger hat seine Arbeitnehmereigenschaft nicht hinreichend dargelegt.
17a) Arbeitnehmer iSd. Arbeitsgerichtsgesetzes sind gemäß § 5 Abs. 1Satz 1 ArbGG Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Eine nähere Begriffsbestimmung enthält die Vorschrift nicht, so dass auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsrechts zurückgegriffen werden muss, wie er sich aus der gesetzlichen Definition des Arbeitsvertrags in § 611aAbs. 1 BGB ergibt (GMP/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2017, § 5 ArbGG Rn. 2; Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 5 ArbGG, Rn. 12). Arbeitnehmer ist danach, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.
18b) Der Kläger hat eine persönliche Abhängigkeit in diesem Sinne nicht hinreichend dargelegt. Konkrete Weisungen bezüglich der von ihm verrichteten Tätigkeiten hat er nicht vorgetragen. Auch mit der Beschwerde behauptet er nur schlagwortartig, weisungsgebunden gewesen zu sein, da der Beklagte entschieden habe, wann, wo und mit welchen Tätigkeiten er beschäftigt gewesen sei. Nähere Einzelheiten bleibt der Kläger schuldig. Dazu wäre er jedoch schon deswegen gehalten gewesen, weil die objektiven Umstände des vorliegenden Falles nicht zur Typik eines Arbeitsverhältnisses passen. Dass der Kläger die Halle für den Gewerbebetrieb des Beklagten angemietet und weit über ein Jahr ohne Erhalt einer Vergütung gearbeitet haben will, deutet vielmehr darauf hin, dass er, auch wenn er das Gewerbe nicht angemeldet hatte, gemeinsam mit dem Beklagten einer (fehlgeschlagenen) selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit dem Vortrag des Klägers, der Beklage habe ihm eine „Beteiligung“ in Aussicht gestellt.
194.) Der Kläger ist keine arbeitnehmerähnliche Person iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2Alt. 2 ArbGG, für deren Vergütungsklage ebenfalls gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3Buchst. a ArbGG der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet wäre. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbstständige, bei denen an Stelle der persönlichen Abhängigkeit das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit tritt. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Tätigkeit für den Vertragspartner zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist. Der wirtschaftlich Abhängige muss außerdem seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein (BAG, Beschluss vom 09. April 2019 – 9 AZB 2/19 –, Rn. 19, juris; BAG, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 –, BAGE 165, 61-73, Rn. 31). An dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Beklagten fehlt es hier. Denn der Kläger war in der Lage, 16 Monate für den Beklagten tätig zu werden, ohne dafür ein Entgelt erhalten zu haben. Angesichts dessen und mangels näheren Sachvortrags des Klägers lässt sich nicht feststellen, dass er auf die Einkünfte aus der Tätigkeit für den Beklagten zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen war.
205.) Bei dem vorliegenden Rechtstreit handelt es sich schließlich nicht um eine sogenannte Sic-non-Fallgestaltung, bei der die Klage nur dann begründet sein kann, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist und bei der die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet (dazu BAG, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 –, BAGE 165, 61-73, Rn. 20; BAG, Beschluss vom15. November 2013 – 10 AZB 28/13 –, Rn. 21, juris).
21a) Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt nicht aus der Geltendmachung einer Bruttoforderung. Hierin liegt kein sic-non-Fall, weil auch im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses Bruttoentgeltforderungen erhoben werden können (BAG, Beschluss vom 26. September 2002 – 5 AZB 19/01 –, BAGE 103, 20-30, Rn. 68; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03. August 2011 – 9 Ta 158/11 –, Rn. 15, juris).
22b) Die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Höhe seines Vergütungsanspruchs nach dem Mindestlohngesetz berechnet hat. Ein Sic-non-Fall wäre zwar anzunehmen, wenn der Kläger im Falle einer den gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschreitenden vertraglichen Vergütungsabrede den gesetzlichen Mindestlohn als Differenzbetrag abzüglich der bereits zuvor gezahlten vertraglichen Vergütung unter Offenlegung ihrer Berechnungsmethode einklagen würde. In einem solchen Fall würde er seine Zahlungsansprüche nämlich nicht auf eine vertragliche Vergütungsabrede, sondern allein auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch aus §§ 1, 3 MiLoG stützen, wie er nur Arbeitnehmern zustehen kann (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 –, BAGE 155, 202-214, Rn. 22; LAG Köln, Beschluss vom 30. September 2020 – 9 Ta 117/20 –, Rn. 26, juris). Davon zu unterscheiden ist ein vertraglicher Entgeltanspruch (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Dezember 2019 – 12 Ta 2007/19 –, Rn. 19, juris), wie ihn der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit geltend macht. Denn der Kläger behauptet, gemeinsam mit dem Beklagten vorausgesetzt zu haben, „dass angemessen und üblich gezahlt“ werde. Damit stützt er seine Klage auf einen vertraglichen Vergütungsanspruch, den er der Höhe, nicht aber dem Grunde nach auf den Mindestlohn als die nach § 612 Abs. 2 BGB mindestens übliche und angemessene Vergütung beschränkt hat.
23III.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Danach sind dem Kläger die Kosten des Verfahrens deswegen aufzuerlegen, weil seine sofortige Beschwerde erfolglos geblieben ist.
25IV.
26Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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