Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Berufungskammer) - 5 Sa 119/19

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.04.2019 – 3 Ca 249/18 – abgeändert.

a) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum Juli 2017 bis September 2018 € 882,67 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 zu zahlen.

b) Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin ab dem 01.10.2018 nach der Entgeltgruppe 10 Stufe 4 TVöD (VKA) zu vergüten.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung einer Diplom-Gartenbauingenieurin in der unteren Naturschutzbehörde nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA).

2

Die im März 1960 geborene Klägerin beendete im Jahr 1984 ihr Studium an der H.-Universität in B. mit dem Hochschulabschluss als Diplom-Gartenbauingenieurin. Von Januar 1991 bis Juni 1992 besuchte sie einen auf Hochschulabsolventen ausgerichteten Fortbildungslehrgang zur Fachkraft für Umweltschutz/ Umweltberaterin/ Umweltschutzbeauftragten, den sie erfolgreich abschloss.

3

Zum 16.01.1995 nahm die Klägerin bei dem damaligen Landkreis Rügen eine Beschäftigung als Verwaltungsangestellte auf. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 03.01.1995 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung. Vom 23.05.1997 bis 17.03.1999 absolvierte die Klägerin den Angestelltenlehrgang I.

4

Das Arbeitsverhältnis ging anlässlich der Landkreisneuordnung auf den Beklagten über, der für die Klägerin am 09.03.2017 rückwirkend zum 01.01.2012 die folgende Stellenbeschreibung verfasste:

5

"…

6

Erforderliche Qualifikationen

10.     

abgeschlossene Hochschulbildung (Fachrichtung Umweltschutz) oder vergleichbar

7

8

Lfd.
Nr.

Verzeichnis der Tätigkeiten

Anteilsverh. in %

1.    

Verfahrensbeteiligung zur Prüfung der naturschutzrechtlichen Betroffenheit von Schutzgütern mit Erarbeitung einer Stellungnahme in folgenden Verfahren
- Abgabe von Stellungnahmen bei Vorhaben in fachrechtlichen Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung, z. B. Verfahren nach BImSchG, Plangenehmigungen, BOV, Abfallrecht, Baugenehmigungen etc. (Prüfung und Bewertung der Ausgangssituation und der Zulässigkeit von Eingriffen, Durchsetzung der Gebote zur Eingriffsvermeidung und Eingriffsminimierung, Prüfung der Eingriffs- und Ausgleichsbilanzen bzw. von landschaftspflegerischen Begleitplänen bei größeren komplexen Eingriffsvorhaben, Formulierung von Bedingungen und Auflagen aus naturschutzrechtlicher Sicht, Erteilung von Ausnahmegenehmigungen von speziellen Rechtsvorschriften, z. B. Alleenschutz, Baumschutz, Biotopschutz, Gewässerschutzstreifen im Verfahren, Überwachung festgelegter Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und Dokumentation

65    

2.    

Wahrnehmung der Regelzuständigkeit des Naturschutzes und der Landschaftspflege, soweit per Gesetz keine anderen Zuständigkeiten getroffen wurden
- territoriale Überwachung vom Kreisgebiet zur Erfüllung der naturschutzrechtlichen Vorschriften und Abwehr von Zuwiderhandlungen § 8 und Auflagenkontrolle aus eigenen Bescheidungen und Bescheidungen anderer Behörden
- Durchführung von Genehmigungsverfahren gemäß § 13 NatSchAG - Abgrabungen und Aufschüttungen
- Wahrnehmung der Aufgaben des gesetzlichen Baumschutzes gemäß § 18 NatSchAG und des Alleenschutzes nach § 19 NatSchAG
- Durchführung von Einzelfallprüfungen nach UVP-Gesetz für die naturschutzrelevanten Schutzgüter sowie von FFH-Vorprüfungen bei Eingriffsvorhaben mit möglichen negativen Auswirkungen auf Natura 2000 Gebiete
- Erteilung von speziellen Ausnahmegenehmigungen und Befreiungen vom gesetzlichen Biotopschutz gem. § 20 Abs. 3 Naturschutzausführungsgesetz MV und den artenschutzrechtlichen Vorschriften des § 39 Abs. 5 Bundesnaturschutzgesetz, z. B. Schilfmahd, Sanierung von Kleingewässern, Gewässerunterhaltung, Aufforstungen, Pflegemaßnahme an Feldhecken und Feldgehölzen (naturschutzrechtliche und -fachliche Bewertung der geplanten Vorhaben zur Prüfung der Voraussetzung für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen bzw. Befreiungen, Festlegungen von Vermeidungs- und ggf. Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Erstellung der Genehmigungen sowie Dokumentation der Maßnahmen und Auflagenkontrolle
- Durchführung des Verfahrens zur Erteilung von Naturschutzgenehmigungen nach § 40 NatSchAG für Eingriffsvorhaben, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist bzw. die nicht in anderen Verfahren mit Konzentrationswirkung genehmigt werden (z. B. Gemeindestraßen, Versorgungsleitungen aller Art, landwirtschaftliche Nutzung von Ödland oder sonstigen naturnahen Flächen)

35    

9

…"

10

Die Klägerin ist sowohl im Innen- als auch im Außendienst tätig. Zusammen mit einer weiteren Kollegin, die über einen Studienabschluss Landschaftsplanung verfügt, betreut sie den Standort B.. Die untere Naturschutzbehörde des Beklagten verfügt über einen weiteren Standort, der sich in G. befindet. Dort sind drei Mitarbeiter beschäftigt, nämlich eine Diplom-Biologin der Fachrichtung Ökologie, eine Diplom-Landschaftsökologin und ein Bachelor of Science Landschaftsökologie und Naturschutz. Die Klägerin besuchte in den vergangenen Jahren zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen mit einem zeitlichen Umfang von regelmäßig ein bis zwei Tagen.

11

Mit Schreiben vom 08.01.2018 beantragte sie die Höhergruppierung von der Entgeltgruppe 9b TVöD (VKA) in die Entgeltgruppe 10, hilfsweise in die Entgeltgruppe 9c TVöD (VKA). Der Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 26.02.2018 unter Bezugnahme auf die speziellen Tätigkeitsmerkmale für Techniker zurück. Beide Parteien sind tarifgebunden.

12

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass sich ihre Eingruppierung nach den Entgeltgruppen für den Büro-, Buchhalterei- sowie sonstigen Innen- und Außendienst richte. Sie habe Anspruch auf die Vergütung der Entgeltgruppe 10 TVöD (VKA), da sich ihre Tätigkeit sowohl aus der Entgeltgruppe 9b TVöD (VKA) als auch aus der Entgeltgruppe 9c TVöD (VKA) heraushebe. Die Tätigkeit sei zunächst besonders verantwortungsvoll. Des Weiteren hebe sie sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung heraus. Die Klägerin treffe weitreichende Entscheidungen für die Antragsteller und das Gemeinwohl, wie z. B. die Verhängung eines Baustopps. Sie habe polizeiliche Spezialbefugnisse. Sie müsse ein Wissen vorhalten, das die Normalkenntnisse eines Sachbearbeiters weit übersteige.

13

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

14

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum Juli 2017 bis September 2018 € 882,67 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 zu zahlen und die Klägerin ab dem 01.10.2018 nach der Entgeltgruppe 10 Stufe 4 TVöD (VKA) zu vergüten, sowie

15

hilfsweise für den Fall, dass das erkennende Gericht das Vorliegen der Entgeltgruppe 10 nicht festzustellen vermag, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum Juli 2017 bis September 2018 € 3.460,84 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 zu zahlen und die Klägerin ab dem 01.10.2018 nach der Entgeltgruppe 9c Stufe 5 TVöD (VKA) zu vergüten.

16

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Eingruppierung der Klägerin richte sich entgegen der vorprozessual geäußerten Ansicht nicht nach den speziellen Merkmalen für Techniker. Ebenso wenig seien die Tätigkeitsmerkmale für Ingenieurinnen und Ingenieure einschlägig, wie sich aus den Protokollerklärungen hierzu ergebe. Maßgeblich seien vielmehr die allgemeinen Merkmale für den Verwaltungsdienst. Danach sei die Klägerin zutreffend in der Entgeltgruppe 9b TVöD (VKA) eingruppiert. Soweit die Klägerin ihre Tätigkeit als besonders verantwortungsvoll im Sinne der Entgeltgruppe 9c TVöD (VKA) ansehe, beziehe sie sich nur auf Beispiele aus dem zweiten Arbeitsvorgang, auf den es aber bei der Eingruppierung wegen des untergeordneten zeitlichen Umfangs nicht ankomme. Im Übrigen belasse es die Klägerin bei pauschalen Behauptungen. Eine nochmalige Heraushebung durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung sei nicht gegeben. Es sei nicht erkennbar, dass die Fortbildung zur Fachkraft für Umweltschutz für die auszuübende Tätigkeit überhaupt relevant sei.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass entsprechend der Stellenbeschreibung zwei Arbeitsvorgänge zu bilden seien. Für die Eingruppierung ausschlaggebend sei der erste, zeitlich überwiegende Arbeitsvorgang "Verfahrensbeteiligung zur Prüfung der naturschutzrechtlichen Betroffenheit von Schutzgütern mit Erarbeitung von Stellungnahmen". Dieser Arbeitsvorgang erfülle zwar die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9b TVöD (VKA). Die Tätigkeit hebe sich aber nicht dadurch heraus, dass sie besonders verantwortungsvoll sei. Die Klägerin habe nicht im Rahmen eines wertenden Vergleichs dargelegt, weshalb sie im Vergleich zu der Normal-Verantwortung einer Beschäftigten der Entgeltgruppe 9b TVöD (VKA) eine gesteigerte Verantwortung trage.

18

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Ihre Tätigkeit müsse genauso vergütet werden, wie diejenige der ebenfalls in der unteren Naturschutzbehörde beschäftigten Sachbearbeiter, die für die naturschutzrechtliche Prüfung von B-Plänen zuständig seien. Es gehe um dieselben Belange des Naturschutzes und dieselben gesetzlichen Grundlagen. Der Beklagte vergüte diese beiden Sachbearbeiter jedenfalls nach den Merkmalen für Ingenieure und Ingenieurinnen, d. h. nach der Entgeltgruppe 10 TVöD (VKA).

19

Die Klägerin beantragt,

20

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.04.2019 – 3 Ca 249/18 – den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum Juli 2017 bis September 2018 € 882,67 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 zu zahlen und die Klägerin ab dem 01.10.2018 nach der Entgeltgruppe 10 Stufe 4 TVöD (VKA) zu vergüten, sowie

21

hilfsweise für den Fall, dass das erkennende Gericht das Vorliegen der Entgeltgruppe 10 nicht festzustellen vermag, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum Juli 2017 bis September 2018 € 3.460,84 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 zu zahlen und die Klägerin ab dem 01.10.2018 nach der Entgeltgruppe 9c Stufe 5 TVöD (VKA) zu vergüten.

22

Der Beklagte beantragt,

23

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

24

Er verteidigt das angegriffene Urteil unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

27

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, ab dem 01.07.2017 nach der Entgeltgruppe 10 TVöD (VKA) vergütet zu werden.

28

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet sowohl kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme als auch kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der TVöD (VKA) Anwendung. Die für den Streitzeitraum ab Juli 2017 maßgeblichen Bestimmungen des TVöD (VKA) lauten wie folgt:

29

"…

30

§ 12 Eingruppierung

31

(1) 1Die Eingruppierung der/des Beschäftigten richtet sich nach dem Tätigkeitsmerkmal der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA). 2Die/der Beschäftige erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie/er eingruppiert ist.

32

(2) 1Die/der Beschäftigte ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. 2Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. …

33

34

Protokollerklärung zu Absatz 2:

35

1Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der/des Beschäftigten, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z. B. unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, eines Widerspruchs oder eines Antrags, Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Konstruktion einer Brücke oder eines Brückenteils, Bearbeitung eines Antrags auf eine Sozialleistung, Betreuung einer Person oder Personengruppe, Durchführung einer Unterhaltungs- oder Instandsetzungsarbeit). 2Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden. …

36

Anlage 1

37

Entgeltordnung (VKA)

...

38

Grundsätzliche Eingruppierungsregelungen (Vorbemerkungen)

39

1. Vorrang spezieller Tätigkeitsmerkmale

40

1Für Beschäftigte, deren Tätigkeit in einem speziellen Tätigkeitsmerkmal aufgeführt ist, gelten die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale (Teil A Abschnitt I) weder in der Entgeltgruppe, in der sie aufgeführt sind, noch in einer höheren Entgeltgruppe.

41

42

Teil A

43

Allgemeiner Teil

44

I. Allgemeine Tätigkeitsmerkmale

45

46

3. Entgeltgruppen 2 bis 12 (Büro-, Buchhalterei-, sonstiger Innendienst und Außendienst)

47

48

Entgeltgruppe 9b

49

1. Beschäftigte mit abgeschlossener Hochschulausbildung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.

50

2. Beschäftigte, deren Tätigkeit gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordern.

51

(Gründliche, umfassende Fachkenntnisse bedeuten gegenüber den in den Entgeltgruppen 6 bis 9a geforderten gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen eine Steigerung der Tiefe und der Breite nach.)

52

Entgeltgruppe 9c

53

Beschäftigte, deren Tätigkeit sich dadurch aus der Entgeltgruppe 9b heraushebt, dass sie besonders verantwortungsvoll ist.

54

Entgeltgruppe 10

55

Beschäftigte, deren Tätigkeit sich mindestens zu einem Drittel durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe 9c heraushebt.

56

57

II. Spezielle Tätigkeitsmerkmale

58

59

3. Ingenieurinnen und Ingenieure

60

Vorbemerkungen

61

1. Ingenieurinnen und Ingenieure sind Beschäftigte, die

62

a) einen erfolgreichen Abschluss eines technisch-ingenieurwissenschaftlichen Studiengangs im Sinne der Nr. 4 der grundsätzlichen Eingruppierungsregelungen (Vorbemerkungen) einschließlich der Fachrichtungen Gartenbau, Landschaftsplanung/-architektur oder Landschaftsgestaltung oder der Fachrichtung Forstwirtschaft nachweisen und

63

b) die Berufsbezeichnung „Ingenieurin“ oder „Ingenieur“ führen.

64

65

Entgeltgruppe 10

66

Ingenieurinnen und Ingenieure mit entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.

67

(Hierzu Protokollerklärung Nr. 1)

68

69

Protokollerklärungen:

70

1. Entsprechende Tätigkeiten sind z. B.:

71

a) Aufstellung oder Prüfung von Entwürfen nicht nur einfacher Art einschließlich Massen-, Kosten- und statischen Berechnungen und Verdingungsunterlagen, Bearbeitung der damit zusammenhängenden laufenden technischen Angelegenheiten - auch im technischen Rechnungswesen -, örtliche Leitung oder Mitwirkung bei der Leitung von Bauten und Bauabschnitten sowie deren Abrechnung.

72

b) Im Bereich Garten- und Landschaftsbau: Aufstellung und Prüfung von Entwürfen nicht nur einfacher Art einschließlich Massen- und Kostenberechnung oder von Verdingungsunterlagen, Bearbeiten der damit zusammenhängenden technischen Angelegenheiten - auch im technischen Rechnungswesen; örtliche Leitung oder Mitwirkung bei der Leitung von nicht nur einfachen Gartenbau-, Landschaftsbau-, Obstbau-, Pflanzenbau-, Pflanzenschutz- oder Weinbaumaßnahmen und deren Abrechnung.

73

…"

74

Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 TVöD (VKA) ist zunächst festzustellen, welche Arbeitsvorgänge im tariflichen Sinne anfallen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, welche Tätigkeitsmerkmale diese Arbeitsvorgänge erfüllen. Da die von der Klägerin auszuübenden Tätigkeiten in der Stellenbeschreibung vollständig und zutreffend wiedergegeben sind, erübrigen sich weitere Feststellungen hierzu.

75

Mit den Parteien und dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass zwei Arbeitsvorgänge vorliegen. Der eine Arbeitsvorgang im Umfang von 65 % der Arbeitszeit hat die Abgabe naturschutzrechtlicher Stellungnahmen in übergeordnet geführten Genehmigungsverfahren zum Inhalt. Der andere Arbeitsvorgang im Umfang von 35 % betrifft Entscheidungen der Klägerin über naturschutzrechtliche Angelegenheiten in eigener Zuständigkeit. Die jeweiligen Arbeitsergebnisse lassen sich voneinander trennen und einem der beiden Bereiche zuordnen. Wenn auch das Schutzgut jeweils dasselbe ist, so bleibt es dennoch bei verschiedenen verwaltungstechnischen Vorgängen. Die Tätigkeiten der Klägerin münden je nach Zuständigkeit in unterschiedliche Ergebnisse, deren rechtliche Wirkungen verschieden sind.

76

Der zeitlich überwiegende Arbeitsvorgang "naturschutzrechtliche Stellungnahmen" erfüllt die Anforderungen der Entgeltgruppe 10 der Anlage 1, Teil A, Abschnitt II, Ziffer 3 TVöD (VKA). Gleiches gilt für den weiteren Arbeitsvorgang, auf dessen Bewertung es allerdings angesichts des geringen Zeitanteils nicht mehr ankommt. Die von der Klägerin auszuübenden Tätigkeiten entsprechen denjenigen einer Ingenieurin.

77

Die Klägerin ist Ingenieurin im Sinne des Tarifvertrages. Sie hat eine wissenschaftliche Hochschulbildung zur Diplom-Gartenbauingenieurin erfolgreich abgeschlossen.

78

Die ihr im Zusammenhang mit naturschutzrechtlichen Stellungnahmen übertragenen Tätigkeiten entsprechen dieser Ausbildung.

79

Eine Tätigkeit entspricht einer bestimmten Ausbildung, wenn die Ausbildung notwendig ist, um die Tätigkeit fachgerecht ausüben zu können. Es genügt nicht, dass die Ausbildung lediglich nützlich oder wünschenswert ist. Die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten müssen vielmehr für eine ordnungsgemäße Erledigung der übertragenen Aufgaben erforderlich sein. Das ist der Fall, wenn die Aufgaben ohne diese Qualifikation nicht fachgerecht bearbeitet werden können (BAG, Urteil vom 14. September 2016 – 4 AZR 964/13 – Rn. 16, juris = ZTR 2017, 221; BAG, Urteil vom 23. September 2009 – 4 AZR 220/08 – Rn. 34, juris = ZTR 2010, 298; BAG, Urteil vom 11. Februar 2004 – 4 AZR 42/03 – Rn. 49, juris = NZA-RR 2004, 438). Soweit die Tarifvertragsparteien unter Nr. 1 der Protokollerklärungen zur Anlage 1, Teil A, Abschnitt II, Ziffer 3 TVöD (VKA) Beispiele für entsprechende Tätigkeiten von Ingenieurinnen und Ingenieure genannt haben, ist diese Aufzählung nicht abschließend. Es handelt sich lediglich um Beispiele. Auch andere Tätigkeiten können einem Ingenieursstudium entsprechen.

80

Der Beklagte geht in seiner Stellenbeschreibung davon aus, dass ein Fachhochschul- oder Bachelorstudium in der Fachrichtung Umweltschutz erforderlich ist. Das trifft zu.

81

Ein derartiges Bachelorstudium wird beispielsweise an der Hochschule Neubrandenburg., University of Applied Science angeboten. Der dortige Studiengang "Naturschutz und Landnutzungsplanung" endet mit dem Bachelor of Science. Inhalte des Studiums sind u. a. Landschaftsökologie, Zoologie, Botanik, Bodenkunde, Kartographie, Klimatologie, Gewässerkunde und Umweltsicherungsverfahren (vgl. Studienordnung für den Bachelor-Studiengang Naturschutz und Landnutzungsplanung der Hochschule Neubrandenburg vom 17. November 2011).

82

Die Klägerin benötigt solche Kenntnisse, um ihre Aufgaben fachgerecht erledigen zu können.

83

Sie hat u. a. Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzen bzw. landschaftspflegerische Begleitpläne bei größeren komplexen Eingriffsvorhaben zu prüfen. Eingriffe in Natur und Landschaft sind beispielsweise die Gewinnung von Bodenschätzen, Abgrabungen, Aufschüttungen, die Umgestaltung von Gewässern und ihren Ufern, die Entwässerung von Mooren und Sümpfen, die Beseitigung von Alleen, Baumreihen oder Feldgehölzen, die Errichtung baulicher Anlagen im Außenbereich, die Anlage von Straßen und sonstigen Verkehrsflächen, die Errichtung von Sende- und Leitungsmasten usw. (§ 14 Abs. 1 BNatSchG, § 12 Abs. 1 NatSchAG M-V). Erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind vorrangig zu vermeiden; nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen zu kompensieren (§ 13 BNatSchG).

84

Zur Ermittlung des Kompensationsbedarfs sind der vorhandene Zustand von Natur und Landschaft im Einwirkungsbereich des Eingriffs sowie die zu erwartenden Beeinträchtigungen auf den Naturhaushalt und das Landschaftsbild zu erfassen und zu bewerten. Bei der Ermittlung des Kompensationsbedarfs ist zwischen einem multifunktionalen und einem additiven Kompensationsbedarf zu unterscheiden (Ziffer 1 Abs. 2 der Hinweise zur Eingriffsregelung Mecklenburg-Vorpommern (HzE) des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern in der Neufassung 2018). Für die Ermittlung des multifunktionalen Kompensationsbedarfs wird das Indikatorprinzip zugrunde gelegt, wonach die Biotoptypen neben der Artenausstattung auch die abiotischen Schutzgüter Boden, Wasser, Klima/Luft und das Landschaftsbild erfassen und berücksichtigen, soweit es sich dabei um Funktionsausprägungen von allgemeiner Bedeutung handelt (Ziffer 1 Abs. 3 HzE). Bei der Betroffenheit dieser Schutzgüter mit Funktionsausprägungen von besonderer Bedeutung sind die jeweils beeinträchtigten Funktionen im Einzelnen zu erfassen und zu bewerten, wodurch sich ein zusätzlicher Kompensationsbedarf (additiver Kompensationsbedarf) ergeben kann (Ziffer 1 Abs. 4 HzE). Es sind u. a. floristische und faunistische Kartierungen vorzunehmen und Eingriffs- sowie Kompensationsflächenäquivalente zu berechnen. Das Eingriffsflächenäquivalent (EFÄ) für Biotopbeseitigung bzw. Biotopveränderung ist ein Produkt aus der Fläche des betroffenen Biotoptyps, dem Biotopwert des betroffenen Biotoptyps und dem Lagefaktor. Bei der Ermittlung des EFÄ für Funktionsbeeinträchtigungen tritt an die Stelle des Lagefaktors der Wirkfaktor. Der multifunktionale Kompensationsbedarf ergibt sich wiederum aus der Summe des EFÄ für Biotopbeseitigung bzw. Biotopveränderung, des EFÄ für Funktionsbeeinträchtigung und dem EFÄ für Teil-/Vollversiegelung bzw. Überbauung. Wegen der Einzelheiten wird auf die HzE verwiesen.

85

Um Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzen fachgerecht prüfen zu können, sind Kenntnisse der Landschaftsökologie, der Zoologie, der Botanik, der Bodenkunde, der Kartographie und der Gewässerkunde nötig, wie sie in einem Studiengang "Naturschutz und Landnutzungsplanung" vermittelt werden. Dasselbe gilt für die spätere Überwachung der Einhaltung von festgelegten Ausgleichsmaßnahmen. Um Funktionsbeeinträchtigungen von Biotopen bewerten und einschätzen zu können, muss die Klägerin deren Funktion und das Zusammenwirken aller maßgeblichen Faktoren in einem Ökosystem verstanden haben.

86

Es genügt nicht, Bäume ihrer Art nach bestimmen zu können. Die Klägerin muss deren Entwicklungs- und Gesundheitszustand sowie Regenerationsprozesse einschätzen können. Bei der Entscheidung im Zusammenhang mit Aufgrabungen in der Nähe geschützter Bäume, insbesondere Alleen, ist das jeweilige Wurzelwerk und dessen Anlage zu berücksichtigen. Einzuhaltende Abstände und Abstandsflächen sind sachgerecht festzulegen. Ggf. sind Ersatzpflanzungen in einem bestimmten Umfang und einer bestimmten Form anzuordnen. Festlegungen zur Wurzelbehandlung können notwendig sein. All diese Entscheidungen erfordern in erster Linie tiefgehende Kenntnisse der Baumphysiologie und Phytopathologie, während die anzuwendenden verwaltungsrechtlichen Kenntnisse in den Hintergrund treten.

87

Die Klägerin benötigt Kenntnisse der Bodenkunde, wie sie durch ein Studium "Naturschutz und Landnutzungsplanung" erworben werden. Sie muss die verschiedenen Bodenarten sowie deren Funktion und Funktionsfähigkeit kennen. Nur dann ist sie in der Lage festzulegen, ob und wie, wann und in welchem Umfang Boden entfernt oder ausgetauscht werden darf, um den Schutz der im Boden enthaltenen Pflanzen und Amphibien zu gewährleisten sowie die Funktionalität der Bodenstruktur sicherzustellen.

88

Des Weiteren benötigt die Klägerin grundlegende Fachkenntnisse der Zoologie. Soweit es beispielsweise um die Auswahl von Standorten für Funkmasten geht, muss sie insbesondere berücksichtigen, welche Vogelarten in den Gebieten – ganzjährig oder zeitweilig – zu finden sind, in welchem Umfang deren Schutz geboten ist und durch welche Maßnahmen diese effektiv geschützt werden können. Dazu ist es notwendig, die Verhaltensweisen der jeweiligen Vogelarten und das Gefährdungspotential je nach Art des Eingriffs zu kennen. Dieses Wissen ist auch notwendig, um evtl. Kompensationsmöglichkeiten aufzeigen und interessengerechte Lösungen entwickeln zu können. Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für andere Tierarten, sofern diese von Eingriffen betroffen sind oder sein können, wenn z. B. das Vorkommen von Rote-Liste-Arten nicht auszuschließen ist.

89

Die von der Klägerin vorzunehmende Prüfung der Berechnungen von Kompensationsbedarfen ist im Übrigen durchaus vergleichbar mit der Prüfung von Entwürfen nicht nur einfacher Art einschließlich Massen- und Kostenberechnung im Sinne von Nr. 1 der Protokollerklärungen zur Anlage 1, Teil A, Abschnitt II, Ziffer 3 TVöD (VKA).

90

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen