Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Berufungskammer) - 3 Sa 87/20

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 28.01.2020 - 3 Ca 874/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitig ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.

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Der Kläger war seit dem 01.05.2017 bei dem Beklagten als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.000 € zzgl. Spesen beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

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Mit Schreiben vom 08.07.2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage vom 24.07.2019 ist am 29.07.2019 bei dem Arbeitsgericht eingegangen.

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Erstinstanzlich hat die Beklagte zur Begründung der Kündigung vorgetragen, der Kläger habe über eine fahrzeugbezogene Tankkarte – insoweit unstreitig – verfügt, mit dem er den ihm überlassenen Lkw zu Lasten der Beklagten – insoweit ebenfalls unstreitig – betanken konnte. Jeweils am Wochenanfang werde der Tankumfang des jeweiligen Fahrzeuges aus der Vorwoche ausgewertet. Der Kläger habe dabei stets einen relativ hohen Verbrauch gehabt. Am Montag (08.07.2019) habe der Mitarbeiter der Beklagten, Herr P., festgestellt, dass der Kläger am vorhergehenden Freitag (05.07.2019) 500 l Diesel in L. getankt habe, nachdem er um 16:30 Uhr Feierabend gemacht und sein Fahrzeug in C-Stadt auf dem Hof des Beklagten abgestellt habe. Der Mitarbeiter der Beklagten, Herr P., und der Beklagte selbst seien darauf nach L. zur Tankstelle gefahren, um sich dort die entsprechenden Kameraaufnahmen des Tankvorgangs anzusehen. Auf den Aufnahmen sei ersichtlich gewesen, dass der Kläger mit einem Lieferwagen vorgefahren sei und in den Gepäckraum des Lieferwagens hineingetankt habe. Die Abrechnung des Tankvorgangs sei zu Lasten des Kontos der Beklagten erfolgt. Der Dieseldiebstahl rechtfertige die fristlose Kündigung des Klägers. Dieser habe sich auf Kosten des Beklagten um den getankten Kraftstoff rechtswidrig bereichert. In Anbetracht der Schwere der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung sei eine Abmahnung entbehrlich.

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Der Beklagte hat Widerklage gegen den Kläger erhoben. Wegen der erheblichen Probleme im Zusammenhang mit der Zuordnung der verschiedenen Tankvorgänge hat das erstinstanzliche Gericht im Einvernehmen mit den Parteien das Verfahren abgetrennt. Die Kündigungsschutzklage ist unter dem erstinstanzlichen Aktenzeichen 3 Ca 874/19 selbstständig geführt worden.

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Mit Urteil vom 28.01.2020 hat das Arbeitsgericht die Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass der Kläger die ihm von dem Beklagten überlassene Tankkarte rechtswidrig dazu genutzt habe, um für ausschließlich private Zwecke 500 l Diesel zu tanken. Soweit der Zeuge ausgesagt habe, der Vorfall habe sich in W. und nicht an einer Tankstelle in L. ereignet, so sei dies unschädlich. Es komme nicht darauf an, wo sich das rechtswidrige Verhalten abgespielt habe, sondern dass sich der Kläger rechtswidrig verhalten habe. Auf der Grundlage der Zeugenaussage stehe ebenfalls fest, dass der Beklagte die zwei Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 BGB für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung eingehalten habe. Vor dem Hintergrund der äußerst schwerwiegenden Pflichtverletzung habe der Kläger auch nicht davon ausgehen können, vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung abgemahnt zu werden.

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Gegen diese am 24.02.2020 zugegangene Entscheidung richtet sich die am 16.03.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung des Klägers nebst der am 14.04.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufungsbegründung.

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Anlässlich der Berufungsbegründung führt der Kläger aus, dass Arbeitsgericht sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass der beklagte Arbeitgeber bei der streitgegenständlichen fristlosen Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beachtet habe. Insbesondere sei zu rügen, dass das Arbeitsgericht sämtliche Feststellungen unterlassen habe, wann die zu beachtende Frist überhaupt begonnen und denklogisch geendet habe. Noch mit der – erstinstanzlichen – Klageerwiderung vom 10.09.2019 habe der beklagte Arbeitgeber vorgetragen, dass einem Mitarbeiter des Beklagten am 08.07.2019 aufgefallen sein soll, dass der Kläger am 05.07.2019 500l Diesel in L. nach Feierabend und zu einem Zeitpunkt, als sich das vom Kläger genutzte Fahrzeug bereits auf dem Firmengelände befunden habe, getankt haben soll. Nach dem Wortlaut des Vortages des Beklagten sei der „behauptete“ Missbrauch der Tankkarte am 08.07.2019 aufgefallen. Dieser Vortrag sei durch die Beweisaufnahme im Hinblick auf die Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht bestätigt worden. Zum einen habe der vernommene Zeuge angegeben, dass sich der Vorfall in W. ereignet habe. Zudem habe der Zeuge ausgesagt, der streitgegenständliche Tankvorgang habe sich bereits im Mai 2019 ereignet. Zur Frage, wann die Videos in Augenschein genommen worden seien, habe der Zeuge bekundet, dass dies jedenfalls Anfang Juli stattgefunden habe. Die Bekundungen des Zeugen stünden in zeitlicher Hinsicht im eklatanten Widerspruch zum Vortrag des Beklagten aus dem entsprechenden erstinstanzlichen Schriftsatz. Hierauf sei das Arbeitsgericht nicht eingegangen. Erschwerend komme hinzu, dass der Zeuge angegeben habe, sich sicher zu sein, an einem Donnerstag oder Freitag in W. gewesen zu seien. Auf der Grundlage der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten habe das Arbeitsgericht nicht von der Einhaltung der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB ausgehen dürfen.

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Der Kläger beantragt:

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Unter Abänderung des am 28.01.2020 verkündeten und am 24.02.2020 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Rostock festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten und Berufungsbeklagten vom 08.07.2019 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Rostock hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen und mithin rechtsfehlerfrei abgewiesen.

I.

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Entgegen der Auffassung des Klägers scheitert die außerordentliche Kündigung vorliegend nicht an einer Versäumung der zwei Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 BGB.

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Gem. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte – hier der Beklagte – von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG v. 01.06.2017 – 6 AZR 720/15 – juris Rn 61 m. b. N.).

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Die genannten Voraussetzungen zur Einhaltung der zwei Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB sind vorliegend auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme in erster Instanz erfüllt. Nach der Zeugenaussage und der entsprechenden Würdigung durch das Arbeitsgericht steht unzweifelhaft fest, dass der Beklagte persönlich an dem Donnerstag oder Freitag vor Ausspruch der Kündigung maßgebliche Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erhalten hat. Die Kündigung selber datiert unstreitig auf Montag, den 08.07.2019. Darauf folgt logisch und unmittelbar, dass der Beklagte die Kündigung innerhalb der zwei Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen hat. Soweit der Kläger offensichtlich meint, dass Arbeitsgericht habe bei der Würdigung der Zeugenaussage sich ergebende Widersprüche nicht hinreichend berücksichtigt und beispielsweise den konkreten Beginn der Frist nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB nicht bestimmt, so vermag das erkennende Gericht dem bereits im Ansatz nicht zu folgen. Es sind bereits keine Anhaltspunkte ersichtlich, auf welcher Grundlage die durch das Arbeitsgericht vorgenommene Würdigung der Zeugenaussage fehlerhaft sein soll. Zudem hat das Arbeitsgericht die sich aus der Zeugenaussage ergebenden Zusammenhänge zweifelsfrei und gut nachvollziehbar zusammengeführt und diesbezüglich wie folgt argumentiert:

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„Der Zeuge schätzt, dass der Tag der Videosichtung der Tag war, an dem der Kläger die Kündigung ausgehändigt bekommen hat oder der Vortag. Der Kläger hat auf Nachfrage ausgesagt, dass er sich sicher sei, an einem Donnerstag oder Freitag in W. gewesen zu sein. Im Kernpunkt war die Aussage des Zeugen sicher und bestimmt.

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Maßgeblich ist nicht der Tankvorgang, der möglicherweise bereits im Mai stattgefunden hat, sondern die Kenntnis des Beklagten von der Unrechtmäßigkeit dieses Tankvorganges. Das Gericht geht davon aus, dass der Beklagte gemeinsam mit dem Zeugen am Donnerstag oder Freitag der Woche vor dem Ausspruch der Kündigung von dem regelwidrigen Tankvorgang Kenntnis erlangt hat. Die Kündigung ist dem Kläger danach innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes ausgesprochen worden.“

21

Auf der Grundlage dieser Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts steht auch für das erkennende Gericht zweifelsfrei und unmissverständlich die Einhaltung der zwei Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 s. 1 BGB fest. Ebenfalls sind Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Würdigung der Zeugenaussage durch das Arbeitsgericht nach den obigen Feststellungen nicht gegeben, so dass die Kammer von der Entbehrlichkeit einer nochmaligen Zeugenvernehmung ausgegangen ist.

II.

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Die außerordentliche Kündigung ist nach den Vorgaben des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

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Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – juris Rn 15).

24

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend auf der Grundlage der zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung erfüllt. Da sich die Berufungsbegründung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht auseinander setzt und insbesondere insoweit auch keine neuen und entscheidungserheblichen Tatsachen beibringt, kann im Wesentlichen auf den Inhalt der Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen beschränkt sich die Kammer auf eine kurze Wiedergabe bzw. Ergänzung der angegriffenen Entscheidung.

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a) Selbst der Kläger räumt in seiner Berufungsschrift ein, dass die rechtswidrige Nutzung einer vom Arbeitgeber überlassenen Tankkarte für private Zwecke „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung darzustellen.

26

b) Der Vorwurf gegenüber dem Kläger, er habe die ihm zur arbeitszwecken überlassene Tankkarte der Klägers rechtswidrig privat genutzt, um damit 500 l Diesel einzukaufen, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewiesen. Das Arbeitsgericht führt diesbezüglich zutreffend aus:

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„Im Kernpunkt war die Aussage des Zeugen sicher und bestimmt. Er hat den Kläger erkannt, wie dieser zu Lasten der Tankkarte des Beklagten einen privaten Pkw betankt hat. Dieser Vorgang rechtfertigt den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Mit dem Missbrauch der Tankkarte ist das Vertrauen des Arbeitgebers in die Ehrlichkeit des Klägers endgültig zerstört. Eine Weiterbeschäftigung ist dem Beklagten nicht zuzumuten. Der Kläger fährt Lkw und kann deshalb am Arbeitsplatz vom Kläger nicht überwacht werden. Durch die Tankkarte ist es dem Kläger möglich, Vermögensdispositionen zu Lasten des Beklagten in erheblichem Ausmaß zu veranlassen. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers würde das Vermögen des Beklagten in erheblichem Maß gefährden.“

28

Diesen Ausführungen ist nach Auffassung der Kammer nichts hinzuzufügen, zumal sich die Berufungsbegründung damit gar nicht auseinander setzt.

29

c) Die Rechtmäßigkeit der hier im Streit befindlichen außerordentlichen Kündigung ist auch nicht unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtsunwirksam.

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Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung künftig zu beseitigen. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig den Ausspruch einer vorhergehenden und einschlägigen Abmahnung voraus (BAG v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn 35, 36; m. b. N). Ausnahmsweise ist eine Abmahnung jedoch u. a. dann entbehrlich, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass schon deren erstmalige Hinnahme durch die belastete Vertragspartei nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich und mithin auch für den Vertragspartner erkennbar ausgeschlossen ist (BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – juris Rn 22; m. w. N.).

31

Diese Ausnahmevoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Zur Begründung kann wiederum auf die – auch mit der Berufung nicht angegriffenen – oben genannten Ausführungen verwiesen werden. Auch das erkennende Gericht geht davon aus, dass auf der Grundlage der Dimension der hier festgestellten Pflichtverletzung auch für den Kläger von vornherein unzweifelhaft erkennbar die Beklagte auch unter Berücksichtigung eines objektivierten Maßstabes nicht anders, als mit einer fristlosen Kündigung reagieren würde.

32

d) Auch im Rahmen der abschließend durchzuführenden Interessenabwägung ergeben sich nach dem Sach- und Streitstand keine Umstände die zu Gunsten des Klägers ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten. Das Arbeitsverhältnis verband die Parteien erst ab dem Jahr 2017, so dass sich auf der Grundlage der Dauer des Arbeitsverhältnisses bzw. der Betriebszugehörigkeit keine Tatsachen ergeben, die ein besonderes Gewicht zu Gunsten des Klägers belegen könnten. Entsprechendes gilt auch für die persönlichen Umstände des Klägers.

33

Nach alle dem war wie erkannt zu entscheiden.

III.

34

Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV.

35

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

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