Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (9. Kammer) - 9 Sa 557/11
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.08.2011, Az.: 4 Ca 218/11, teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 2.700,-- € zu zahlen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die erstinstanzlichen Kosten tragen die Beklagte zu 75 % und der Kläger zu 25 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 46 % und die Beklagte zu 54 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Höhe der dem Kläger nach §§ 9,10 KSchG zustehenden Abfindung.
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Der am … 1975 geborene, 2 Personen zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 1.2.2005 als Vertriebsleiter zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung in Höhe von 2.300,- EUR beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich mit Schreiben vom 24.1.2011. Den hiergegen gerichteten Kündigungsschutzantrag des Klägers hat die Beklagte anerkannt. Der Kläger hat die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung beantragt.
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Hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.8.2011, Az. 4 Ca 218/11 (Bl. 80 ff. d.A.).
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Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat das Arbeitsgericht mit dem genannten Urteil das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2011 aufgelöst und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 4.000,- EUR zu zahlen.
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Das genannte Urteil ist dem Kläger am 6.9.2011 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 4.10.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 24.10.2011, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 26.10.2011 begründet. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger einen weitergehenden Abfindungsanspruch und begehrt ferner die Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
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Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend:
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Die vom Arbeitsgericht festgesetzte Abfindung sei unangemessen niedrig. Diese lege deutlich unterhalb der „Faustformel“, bei deren Anwendung sich ein Abfindungsbetrag von 6.690 EUR errechnen würde. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts weise er arbeitsmarkttechnisch kein geringes Lebensalter auf. So habe er sich seit Dezember 2010 mit 20 Bewerbungen erfolglos beworben. Soweit das Arbeitsgericht darauf abgestellt habe, er habe in der Güteverhandlung das Angebot der Weiterbeschäftigung abgelehnt, habe es sich um kein ernsthaftes Angebot gehandelt, sondern sei in der Absicht ausgesprochen worden, den Kläger dazu zu bewegen, das unterbreitete Abfindungsangebot von nur einem Monatsgehalt anzunehmen. Bereits damals sei aber klar gewesen, dass der Kläger bei Rückkehr in den Betrieb erheblichen Repressalien ausgesetzt sein würde und er nicht unbelastet in seiner bisherigen Position hätte weiterarbeiten können. Ein wirkliches Interesse der Beklagten an einer Weiterbeschäftigung habe seitens der Beklagten nicht bestanden.
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Im Rahmen der Kostenentscheidung habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass der Antrag auf Entfernung der Abmahnung als reiner Hilfsantrag, der nicht zur Entscheidung angefallen sei, gestellt worden sei. Die Auferlegung einer Kostenquote von ¼ zu seinen Lasten sei daher nicht gerechtfertigt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.8.2011, Az. 4 Ca 218/11 teilweise, auch in der Kostenentscheidung, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 4.920 EUR zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 21.11.2011 als zutreffend.
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Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine über die „Faustformel“ des § 1 a KSchG hinausgehende Abfindung gerechtfertigt sein solle. Die Bewerbungsbemühungen des Klägers seien zu bestreiten. Möglicherweise würde die aufgrund des Betreibens eines Sportstudios gegebene nur eingeschränkte zeitliche Flexibilität des Klägers eine Einstellung bei einem anderen Arbeitgeber erschweren. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch darauf abgestellt, dass der Kläger in der Güteverhandlung ein Weiterbeschäftigungsangebot abgelehnt habe.
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Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Statthaftigkeit der Berufung folgt vorliegend aus § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- EUR übersteigt. Der Kläger erstrebt mit seiner Berufung die Verurteilung der Beklagten zu einer um mehr als 600,- EUR höheren Abfindung.
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Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger erstinstanzlich einen unbezifferten Klageantrag gestellt hatte und auch nicht mitgeteilt hat, in welcher Größenordnung er eine Abfindungszahlung anstrebt. Gleichwohl besteht eine für die Zulässigkeit der Berufung erforderlich Beschwer des Klägers.
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Ob und unter welchen Voraussetzungen von einer Beschwer auszugehen ist, wenn erstinstanzlich ein unbezifferter Klageantrag ohne Mitteilung von Anhaltspunkten für eine Größenordnung der erstrebten Zahlung gestellt wird, wird im einzelnen kontrovers diskutiert (vgl. GK-ArbGG/Vossen, § 64 Rz. 11-13). Zum Teil wird eine Beschwer schon dann angenommen, wenn der ausgeurteilte Betrag unter der gesetzlichen Höchstgrenze verbleibt. Zum Teil wird verlangt, dass der Kläger eine wenigstens ungefähre Angabe zur erwarteten Größenordnung der begehrten Abfindung macht. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht zur vergleichbaren Konstellation im Rahmen des Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG (BAG 10.12.1996 -1 AZR 290/96- EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 34, unter B I der Gründe) liegt eine Beschwer jedenfalls dann vor, wenn der Rechtsmittelführer -wie im vorliegenden Fall- Ermessensfehler bei der der Beurteilung des unbezifferten Klageantrags geltend macht (so auch GK-ArbGG, aaO.; Schwab/Weth, ArbGG 3. Aufl., § 64 Rz. 20). Dieser Ansicht schließt sich die Berufungskammer an.
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Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und -auch inhaltlich ausreichend- begründet.
II.
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In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Dem Kläger steht nach dem Grundsatz der Angemessenheit der Abfindung nach § 9 Abs. 1 KSchG in Ausübung eigenen Ermessens der Berufungskammer (vgl. KR-KSchG/Spilger, 9. Aufl., § 10 KSchG Rz. 70 ein Gesamtabfindungsanspruch in Höhe von 6.700,- EUR zu.
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1. Einem Abfindungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass das Arbeitsgericht nicht ausdrücklich im Tenor seines Urteils festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.1.2011 nicht aufgelöst worden ist, was nach § 9 Abs. 1 KSchG Voraussetzung einer gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist. Wenn dies auch ratsam ist, so ist es nicht erforderlich, dass die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung im Tenor zum Ausdruck kommt. Es genügt, wenn das Gericht hierzu in den Entscheidungsgründen Stellung nimmt und im Urteilstenor lediglich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung ausspricht (vgl. KR-KSchG, aaO, Rz. 84 mwN.).
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Das Arbeitsgericht hat aber in den Entscheidungsgründen hierzu Stellung genommen und ausgeführt, dass aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten bezüglich des Kündigungsschutzantrags feststeht, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist. Dies beinhaltet auch die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung. Der Kläger hatte die Kündigung ausschließlich unter Berufung auf § 1 KSchG angegriffen.
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2. Die Berufungskammer folgt der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass vorliegend ein Auflösungsgrund im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG vorlag und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
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3. Die Berufungskammer kann sich die Ermessenserwägungen des Arbeitsgerichts zur Höhe der Abfindung nicht zu eigen machen.
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Die für die Festsetzung der hinter den Abfindungssätzen des § 1 a KSchG und den im Gerichtsbezirk üblichen Abfindungssätzen unter anderem für das Arbeitsgericht maßgebliche Erwägung, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger im Gütetermin vom 21.2.2011 das Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht angenommen habe, berücksichtigt nicht, dass die Beklagte ausgeführt hatte, eine sofortige Weiterbeschäftigung des Klägers in seiner ursprünglichen Stellung scheide aus, da der Kläger sich die Vertrauensstellung erst wieder erarbeiten müsse. Die Beklagte nimmt dabei offensichtlich die von ihr ursprünglich zur Rechtfertigung der Kündigung angeführten Behauptungen in Bezug und stützt die Notwendigkeit der Wiedererarbeitung von Vertrauen auf das insoweit behauptete Fehlverhalten des Klägers.
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Dieser behauptete Vertrauensverlust bestand aber bereits zum Zeitpunkt der Güteverhandlung, so dass davon auszugehen ist, dass die Beklagte den Kläger auch bei Annahme des Fortsetzungsangebots zu diesem Zeitpunkt nicht vertragsgerecht als Vertriebsleiter beschäftigt hätte.
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4. Die Berufungskammer hält in Ausübung eigenen Ermessens eine Abfindung in Höhe von 6.700,- EUR für angemessen, so dass dem Kläger noch ein weiterer Abfindungsanspruch in Höhe von 2.700,- EUR zusteht.
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Wie sich aus § 10 Abs. 2 KSchG ergibt, kommen der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Lebensalter des Arbeitnehmers bei der Bemessung der Abfindung wichtige Bedeutung zu. Das Alter des Klägers rechtfertigt vorliegend allerdings weder die Festsetzung einer besonders niedrigen, noch die einer erhöhten Abfindung. Das Lebensalter des Klägers begründet nicht die Befürchtung, deswegen bei der Suche nach einer Anschlussbeschäftigung besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein. Der Gesichtspunkt der Chancen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigt ebenfalls nicht die Festsetzung einer von üblichen Abfindungsbeträgen nach unten oder nach oben abweichenden Abfindungsbemessung. Eine zeitnahe Aufnahme einer gleichwertigen Stelle, die ggfs. abfindungsmindernd zu berücksichtigen wäre (vgl. ErfK/Kiel, 9. Aufl. § 10 KSchG, Rz. 7), ist nicht ersichtlich. Andererseits ist unter diesem Gesichtspunkt auch keine Erhöhung der Abfindung veranlasst, da der Kläger nach eigenem Sachvortrag seine Bemühungen um eine Folgebeschäftigung nur lokal begrenzt betrieben hat. Weitere Faktoren, die eine von üblichen Sätzen nach unten abweichende Abfindungshöhe rechtfertigen, liegen nicht vor. Der Kläger ist unterhaltspflichtig für 2 Personen.
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Unter Berücksichtigung dessen ist eine Abfindung in Höhe von ½ Gehalt pro Beschäftigungsjahr angemessen, so dass sich gerundet ausgehend von einem Monatsverdienst von 2.230 EUR brutto ein Gesamtabfindungsbetrag in Höhe von 6.700 EUR ergibt.
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5. Ein darüber hinausgehender Abfindungsanspruch besteht hingegen aus den genannten Gründen nicht, so dass die weitergehende Berufung zurückzuweisen war.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Hierbei war eine Abänderung der arbeitsgerichtlichen Kostenentscheidung nicht veranlasst. Entgegen der Auffassung der Berufung war zu berücksichtigen, dass der Kläger mit dem erstinstanzlichen Antrag zu 4 (Entfernung der Abmahnung) unterlegen ist. Dieser Antrag war nicht als Hilfsantrag, über den nicht mehr zu entscheiden gewesen wäre, gestellt. Ausweislich des Protokolls der Kammerverhandlung des Arbeitsgerichts vom 24.8.2011 hat der Kläger die bereits im Kammertermin vom 1.6.2011 gestellten Anträge wiederholt. Dort wurde aber der Antrag aus dem Schriftsatz vom 30.3.2011 gestellt, der in diesem Schriftsatz als unbedingter Antrag formuliert ist.
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Ein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG zur Zulassung der Revision besteht nicht.
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Referenzen
- §§ 9,10 KSchG 2x (nicht zugeordnet)
- § 1 a KSchG 2x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 113 Nachteilsausgleich 1x
- BetrVG § 111 Betriebsänderungen 1x
- § 10 KSchG 2x (nicht zugeordnet)
- § 1 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 69 Urteil 2x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- § 9 Abs. 1 KSchG 3x (nicht zugeordnet)
- § 10 Abs. 2 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- 4 Ca 218/11 3x (nicht zugeordnet)
- 1 AZR 290/96 1x (nicht zugeordnet)