Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (4. Kammer) - 4 Sa 128/15
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 5.2.2015, Az.: 5 Ca 627/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die am … 1959 geborene Klägerin war vom 01.05.1983 bis zum 30.04.2013 bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Bestimmungen des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.04.2013 wegen Personaleinschränkung im Sinne des § 2 Nr. 1 TV SozSich.
- 2
Die Klägerin teilte der Beklagten mit, dass sie ab dem 01.04.2014 bei ihrer Schwägerin in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt sei mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 92 Stunden pro Monat und einer Arbeitsvergütung i. H. v. 782,00 EUR brutto monatlich. Nachdem die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion rügte, dass die von der Klägerin zu erbringenden Arbeitsstunden die in der Protokollnotiz zu Ziffer 1 a des § 4 TV SozSich festgelegte Mindestarbeitszeit von 21 Stunden nur in einem ganz geringen Umfang überstieg, teilte die Klägerin mit, dass sie mit Wirkung ab dem 01.08.2014 monatlich 96 Stunden arbeite und hierfür ein Bruttomonatsentgelt von 816,00 EUR erhalte.
- 3
Die Klägerin erhielt daraufhin zunächst Überbrückungsbeihilfe zu ihrem Arbeitsverdienst. Im Juli 2014 wurden diese Zahlungen eingestellt.
- 4
Mit ihrer am 12.11.2014 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe für die Monate August, September und Oktober 2014 in Anspruch genommen und darüber hinaus die Feststellung begehrt, dass ihr auf Grundlage ihres derzeitigen Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach Maßgabe der Bestimmungen des TV SozSich zusteht.
- 5
Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, bei dem von ihr begründenden Arbeitsverhältnis handele es sich keineswegs um ein bloßes Scheinarbeitsverhältnis. Sie arbeite an 12 bis 13 Tagen pro Monat jeweils von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr bzw. 17.00 Uhr. Ihre tägliche Arbeitszeit belaufe sich auf ca. 6 bis 8 Stunden.
- 6
Die Klägerin hat beantragt,
- 7
1. festzustellen, dass ihr auf Grundlage ihres derzeitigen Arbeitsverhältnisses bei der Firma "Der Sch." (Arbeitsvergütung 816,--Euro brutto, Monatsstunden: 96) Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach den Bestimmungen des Tarifvertrags zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften der BRD vom 31.08.1971 zusteht,
- 8
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.579,17 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz
- 9
aus 2.596,39 Euro brutto ab 01.09.2014 bis 30.09.2014,
aus 5.052,78 Euro brutto ab 01.10.2014 bis 31.10.2014 und
aus 7.579,17 Euro brutto ab 01.11.2014 zu zahlen.
- 10
Die Beklagte hat beantragt,
- 11
die Klage abzuweisen.
- 12
Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Klägerin trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie tatsächlich in einem Arbeitsverhältnis stehe. Allein die Vorlage eines Arbeitsvertrages reiche hierfür nicht aus. Es sei davon auszugehen, dass zwischen der Klägerin und ihrer Schwägerin lediglich ein Scheinarbeitsverhältnis bestehe.
- 13
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 05.02.2015 (Bl. 45 bis 48 d. A.).
- 14
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.02.2015 (Bl. 38 ff. d. A.) verwiesen.
- 15
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 05.02.2015 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 9 dieses Urteils (= Bl. 48 bis 52 d. A.) verwiesen.
- 16
Gegen das ihr am 09.03.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.03.2015 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 11.05.2015, begründet.
- 17
Die Beklagte macht geltend, sie stimme zwar den Ausführungen des Arbeitsgerichts im erstinstanzlichen Urteil im Wesentlichen zu. Auch die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sei als vertretbar anzusehen. Deshalb werde an dem in erster Instanz erhobenen Vorwurf eines Scheinarbeitsverhältnisses nicht mehr festgehalten. Der Feststellungsantrag der Klägerin gehe jedoch in mehrfacher Hinsicht zu weit. Dies folge u. a. daraus, dass die Klägerin die Feststellung begehre, dass ihr dauerhaft auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses, welches eine Arbeitsvergütung von nur 816,00 EUR vorsehe, Überbrückungsbeihilfe zustehe. Die Klägerin verdiene derzeit lediglich den gesetzlichen Mindestlohn, welcher jedoch nach 24 Monaten der Überprüfung durch die Mindestlohnkommission unterliege. Bei einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes würde sie - die Beklagte - infolge der uneingeschränkten Stattgabe des Feststellungsantrages dazu verpflichtet, ein rechtswidriges Arbeitsverhältnis anzuerkennen. Voraussetzung für die Zahlung von Überbrückungsbeihilfe müsse jedoch zumindest sein, dass der gesetzliche Mindestlohn oder sonstige Mindestlohngrenzen, wie z. B. die Grenze der Sittenwidrigkeit oder tariflich vorgeschriebene Lohnuntergrenzen eingehalten würden. Sollte die Klägerin ihre Arbeitszeit erhöhen, ohne dass dies mit einer gleichzeitigen Einkommenssteigerung einhergehe, sei der Feststellungsantrag bereits unabhängig von einer etwaigen Anpassung der gesetzlichen Mindestlohngrenze zu weitgehend. Auch in zeitlicher Hinsicht gehe der Feststellungsantrag zu weit. Er berücksichtige nicht, dass trotz des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe untergehen könne, sofern ein tariflicher Ausschlusstatbestand eingreife. Letztlich sei zu berücksichtigen, dass der Anspruch der Klägerin jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr bestehen könne, ab dem sie Altersrente in Anspruch nehmen könne.
- 18
Die Beklagte beantragt (zuletzt nach teilweiser Berufungsrücknahme),
- 19
das erstinstanzliche Urteil teilweise abzuändern und den Feststellungsantrag der Klägerin abzuweisen.
- 20
Die Klägerin beantragt,
- 21
die Berufung zurückzuweisen.
- 22
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Berufung sei offensichtlich unbegründet. Es bestehe überhaupt kein Anhaltspunkt dafür, dass ihre Arbeitsvergütung zukünftig - denkbar frühestens ab einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes - gegen das Mindestlohngesetz verstoßen werde. Dies sei völlig aus der Luft gegriffen. Daher bräuchten auch keine Überlegungen angestellt werden, welche Folge ein theoretisch denkbarer Verstoß gegen das Mindestlohngesetz haben könnte. Der Klageantrag beinhalte die aktuellen Daten ihres Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und entspreche somit der Rechtsprechung des BAG. Es gebe auch keine Veranlassung zu der Überlegung, dass sich ihre Arbeitszeit ohne entsprechende Vergütungsanpassung erhöhe. Dies sei geradezu abwegig. Der Klageantrag sei auch in zeitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da er ausdrücklich die Bestimmungen des TV SozSich umfasse. Er gehe daher nicht über den tariflich vorgegebenen Zeitrahmen hinaus.
- 23
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
- 24
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag der Klägerin (Klageantrag zu 1.) sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung stattgegeben.
II.
- 25
Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Die Klägerin hat auf der Grundlage ihres derzeitigen Arbeitsverhältnisses, dessen maßgeblichen Konditionen im Klageantrag bezeichnet sind, gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe nach den Bestimmungen des TV SozSich. Das Berufungsgericht folgt uneingeschränkt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Da die Beklagte nicht in Abrede stellt, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch derzeit zusteht und insoweit die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Abrede stellt, besteht (an sich) kein Anlass zu weitergehenden Ausführungen seitens des Berufungsgerichts. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten bedarf es lediglich folgender Klarstellungen:
- 26
1. Die Feststellungsklage ist nach Maßgabe der zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils begründet. Dass der Klägerin derzeit der von ihr geltend gemachte Anspruch zusteht, hat die Beklagte überdies im Berufungsverfahren nicht mehr in Abrede gestellt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es ohne Belang, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zukünftig in Wegfall geraten kann. Denn für die gerichtliche Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ist ausschließlich die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend. Es ist im Übrigen nahezu jedem Rechtsverhältnis immanent, dass dieses irgendwann in Zukunft infolge des Eintritts bestimmter Ereignisse oder Änderung der Rechtslage enden kann. Es ist von daher weder Aufgabe der klagenden Partei noch des entscheidenden Gerichts, etwaige, das zur Feststellung beantragte Rechtsverhältnis zukünftig möglicherweise beendenden Ereignisse oder Bedingungen in den Klageantrag bzw. in den Urteilstenor aufzunehmen.
- 27
2. Die Beklagte ist hierdurch keineswegs schutzlos gestellt. Zwar ist die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung auch in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich nicht begrenzt. Dies gilt auch bei feststellenden Entscheidungen mit Dauerwirkung, etwa - wie hier - bei der Feststellung, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zusteht. Die Beendigung der Rechtskraft kommt jedoch bei Entscheidungen mit Dauerwirkung dann in Betracht, wenn sich die maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich ändern (BAG v. 06.06.2000 - 1 ABR 21/99 - AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979). Die Beklagte ist daher nicht daran gehindert, einen etwaigen, nach Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils infolge wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eintretenden Wegfall des Anspruchs der Klägerin in einem neuen Prozess - etwa im Wege einer negativen Feststellungsklage - geltend zu machen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Auflage, Vor § 322 Rz. 53 und Rz. 60 f., m.w.N.).
- 28
3. Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
- 29
Für die Zulassung der Revision bestand nach den Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ArbGG § 69 Urteil 2x
- ArbGG § 97 Entscheidung über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung 1x
- 1 ABR 21/99 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Ca 627/14 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 72a Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- § 2 Nr. 1 TV 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 TV 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x