Beschluss vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (1. Kammer) - 1 Ta 50/22

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.03.2022 – 3 Ca 2074/21 – aufgehoben. Der Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners vom 24.02.2022 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Der Beschwerdegegner begehrt die Festsetzung der Vergütung nach § 11 Abs. 1 RVG gegen die Klägerin, seine vormalige Mandantin in einem Kündigungsschutzverfahren.

2

Die Klägerin hat, vertreten durch den Beschwerdegegner, am 13.12.2021eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht. Sie hat gemeinsam mit dem Beschwerdegegner den Gütetermin wahrgenommen. Mit Schriftsatz vom 07.02.2022 hat der Beschwerdegegner das Mandat niedergelegt, nachdem die Klägerin die Mandatsbeziehung ihm gegenüber beendet hatte.

3

Mit Schreiben vom 24.02.2022 hat der Beschwerdegegner einen Kostenfestsetzungsantrag nach § 11 RVG gestellt, den das Arbeitsgericht am 30.03.2022 erlassen hat und der der Klägerin am 04.04.2022 zugestellt worden ist.

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Hiergegen hat die Klägerin am 08.04.2022 sofortige Beschwerde eingelegt und ausgeführt, ihr stünden aufrechenbare Gegenansprüche gegenüber dem Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners zu. Sie habe das Vertrauen in den Beschwerdegegner verloren und das Mandatsverhältnis mit diesem beenden müssen. Mit der notwendigen Beauftragung eines neuen Prozessbevollmächtigten seien Rechtsanwaltskosten entstanden, die sie als Schaden gegenüber dem Beschwerdegegner geltend mache. Zur Kündigung des Mandatsverhältnisses sei sie aus folgenden Gründen berechtigt gewesen: Sie habe am 29.12.2021 eine für das Verfahren wichtige Information erhalten und versucht, diese am selben Tag dem Beschwerdegegner mitzuteilen und das weitere Vorgehen abzustimmen. Dies sei nicht möglich gewesen. Auf ein Anschreiben vom 04.01.2022 mit der Bitte um Abstimmung habe der Beschwerdegegner nicht reagiert. Am 06.01. und 10.01.2022 habe sie ihn jeweils nicht erreichen können. Am 14.01.2022 habe sie im Internet ein Foto des Beschwerdegegners mit dem Seniorchef der Beklagten gefunden, das beide nebeneinander mit Daumen nach oben abgebildet habe. Hierdurch sei sie verunsichert gewesen und habe den Beschwerdegegner um Aufklärung gebeten, ob ein Interessenkonflikt bestehe. Auf den Wunsch einer persönlichen Besprechung sei der Beschwerdegegner aber nicht eingegangen. Auch auf eine Rück-E-Mail, in der sie um ein persönliches Gespräch in der ersten oder zweiten Februarwoche gebeten habe, habe dieser nicht reagiert.

5

Im Hinblick auf die ablaufenden Schriftsatzfristen und aufgrund des Umstands, dass es trotz mehrfacher Versuche und eindringlicher Wünsche überhaupt nur vor Klagerhebung einmal zu einem 45-minütigen Gespräch gekommen sei und sonst nur zu zwei ganz kurzen Telefonaten, habe sie das Vertrauen in den Beschwerdegegner vollständig verloren.

6

Der Beschwerdegegner ist den Ausführungen im Einzelnen entgegengetreten und hat insbesondere darauf hingewiesen, dass er den Seniorchef der Beklagten nie vertreten habe und im Übrigen die Klägerin über den Kontakt aufgeklärt worden sei.

7

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und gemeint, zu berücksichtigende Einwendungen oder Einreden der Klägerin lägen nicht vor.

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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Akte verwiesen.

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II. Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RVG, 104 Abs. 3 ZPO statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsgericht durfte die Vergütung des Beschwerdegegners nicht durch Vergütungsfestsetzungsbeschluss festsetzen. Der Festsetzung stehen Einwendungen entgegen, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben, § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG.

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1. Gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG ist eine Festsetzung abzulehnen, soweit der Antragsgegner Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Bei der Anwendung dieser Norm hat das Gericht nicht zu prüfen, ob entsprechende Einwendungen begründet sind. Hierüber muss das Prozessgericht entscheiden, wenn es angerufen wird (Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage, 2021, § 11 RVG, Rn 108). Dabei genügt es, dass der Antragsgegner gebührenrechtliche Einwendungen oder Einreden „erhebt“, also geltend macht. Es kann weder eine nähere Substantiierung verlangt werden, noch ist eine materiellrechtliche Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Mindestanforderung ist allerdings, dass die Einrede oder Einwendung erkennen lässt, dass der Antragsgegner sie aus konkreten, tatsächlichen Umständen herleitet, die ihren Grund nicht im Gebührenrecht haben. Eine vollkommen unsubstantiierte und damit unbeachtliche Einwendung ist etwa gegeben, wenn vorgetragen wird, man fühle sich schlecht vertreten, es werde Schlechterfüllung geltend gemacht oder es werde die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen geltend gemacht (vgl. im Einzelnen: Gerold/Schmidt, a. a. O., Rn 111 bis 113; LAG Köln, Beschluss vom 16.03.2018 – 11 Ta 258/17 – juris, Rn 2).

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2. Nach diesen Grundsätzen hätte das Arbeitsgericht die Festsetzung der Vergütung des Beschwerdegegners nach § 11 Abs. 1 RVG ablehnen müssen. Die von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen sind hinreichend konkret und lassen das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Beschwerdegegner jedenfalls als möglich erscheinen.

12

Die Klägerin hat zu den Gründen der Beendigung des Mandatsverhältnisses mit dem Beschwerdegegner konkrete Tatsachen vorgetragen. Dieser sei auf wiederholte Nachfragen nicht erreichbar und nicht für sie zu sprechen gewesen. Zudem habe aufgrund einer Darstellung im Internet die Besorgnis eines Interessenkonflikts mit dem Seniorchef der Beklagten gegeben. Ob die in diesem Vortrag liegenden Tatsachen begründet sind, ist nicht im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu prüfen. Es erscheint jedenfalls möglich, dass die Klägerin zur Beendigung des Mandatsverhältnisses berechtigt gewesen ist.

13

In diesem Fall stünde ihr auch nach Einschätzung der Kammer ein Schadensersatzanspruch in Höhe der an ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten zu zahlenden Gebühren zu. Der Klägerin kann nicht vorgehalten werden, dass sie sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten lassen müsse. Angesichts der Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits für die Klägerin, war die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts geboten. Gegenüber der Klägerin ist nach 40-jährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses eine Kündigung erklärt worden, die mit massiven Pflichtverletzungen begründet worden ist. Hiergegen konnte sie sich nur unter Mithilfe anwaltlicher Beratung sachkundig einlassen. Im Übrigen ist es Aufgabe des Prozessgerichts zu klären, ob die Klägerin durch die Beauftragung eines weiteren Prozessbevollmächtigten gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen hat.

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3. Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.


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